Bei allen Vorteilen, die uns das Internet bringt, wird eines oft übersehen: Es verbraucht verdammt viel Strom. Wie Designer und Entwickler gegensteuern können, verrät Konzepter Niklas Jordan.
»Gutes Design ist umweltfreundlich« lautete schon eine der zehn Thesen von Dieter Rams aus den 1970er Jahren. Fühlten sich erst hauptsächlich Produktdesigner in der Verantwortung, versuchten bald auch Kommunikationsdesigner die Auswirkungen ihrer Arbeit auf die Umwelt zu reduzieren – vor allem in der Printproduktion. Noch relativ wenig beschäftigen sich allerdings Web-, Interface und UX Designer mit der Frage, wie sie digitale Produkte und Services nachhaltiger gestalten können.
Klimakiller Digitalisierung
Das liegt auch daran, dass die Digitalisierung zunächst als klimafreundlich gefeiert wurde – immerhin müssen jetzt weniger Bücher, CDs und DVDs produziert werden, Konferenzen lassen sich per Video abhalten und Abläufe in der Industrie optimieren. Dass unser »Always on«-Lifestyle ebenfalls negative Folgen für die Umwelt hat, ist dagegen nicht so augenscheinlich. Das Problem: Der immense und stetig zunehmende Stromverbrauch von Webtechnologien speist sich vornehmlich aus Kohle.
Green Web: Wo Designer und Entwickler ansetzen können
Das führt dazu, dass der gesamte Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) pro Jahr so viel CO2 ausstößt wie der globale Flugverkehr – 830 Millionen Tonnen, um genau zu sein. Und es wird eher schlimmer als besser: 5G, Internet of Things, künstliche Intelligenz und Bitcoin werden den Energiebedarf in den nächsten Jahren noch weiter in die Höhe treiben. Die gute Nachricht: An dieser Stelle können Designer und Entwickler ansetzen.
Wie sie das genau anstellen können, lesen Sie in PAGE 12.19, die Sie hier erwerben können. Unten finden Sie zudem eine Linkliste mit weiteren Quellen.
»Energieeffizienz muss genauso zur Designethik gehören wie Barrierefreiheit«
Für unseren Artikel sprachen wir unter anderem mit Niklas Jordan. Er ist Konzepter bei der Digitalagentur Mandarin Medien in Schwerin. Als Web- und UX-Experte setzt er sich für ein nachhaltiges Internet ein und hält unter anderem Vorträge, um die deutsche Designer- und Entwicklerszene für das Thema zu sensibilisieren. Wir haben ihn gefragt, was jeder von uns tun kann, um digitale Produkte nachhaltiger zu gestalten und zu nutzen.
Wie kamst du darauf, dich mit dem Thema Sustainable Web zu beschäftigen?
Niklas Jordan: Nachhaltigkeit und Umweltschutz interessieren mich persönlich schon lange. Da habe ich mich natürlich gefragt, was ich mit meinem beruflichen Hintergrund und Knowhow bewirken kann – und habe festgestellt, dass es bei der nachhaltigen Entwicklung von Websites, Apps und digitalen Produkten großes Verbesserungspotenzial gibt. In Deutschland ist das Thema bisher noch nicht so verbreitet, aber international hat sich schon eine Community gebildet, die sich darüber austauscht, zum Beispiel über den Slack-Channel ClimateAction.Tech. Mit der Fridays for Future-Bewegung nimmt das Thema jetzt auch in Deutschland an Fahrt auf.
Die meisten von uns wollen das Richtige tun – manchmal ist es aber schwer zu wissen, was das genau ist. Hast du konkrete Tipps für Designer und Developer?
Reduzierung ist das große Schlagwort! Die Dateigröße von Websites ist in den letzten Jahren explodiert. Vor zehn Jahren waren es noch 0,5 MB, mittlerweile sind Websites zum Teil bis zu 5 MB groß. Wenn man sich anschaut, was genau diesen Anstieg ausmacht, ist das so gut wie nie HTML – also der eigentliche Inhalt. Vielmehr hat die Nutzung von Fotos und Videos inflationär zugenommen. Filme, die im Hintergrund laufen, Fotos, die über die gesamte Bildschirmbreite gehen, Animationen im Endlos-Loop et cetera: Solche Komponenten sind es, die Websites – oft unnötig – aufblähen. Im Grunde lässt sich das Problem auf eine einfache Formel herunterbrechen: Daten = Elektrizität = Emissionen. Umso mehr Daten ich produziere oder nutze, umso mehr Daten müssen hoch- und runtergeladen und zwischen Servern hin- und hergeschickt werden. Dazu kommt noch der Stromverbrauch des eigenen Rechners. An diesen Rattenschwanz denken bisher die wenigsten Designer.
Wir haben uns an einen gewissen Standard im Webdesign gewöhnt – und Designer wollen coole, neue Anwendungen und Produkte gestalten. Geht Umweltfreundlichkeit auf Kosten von Ästhetik und innovativem Design?
Man muss einen Mittelweg finden. Viel bringt nicht immer viel. Bei anderen Aspekten finden wir ja auch Kompromisse, etwa bei der Performance. Nur ist Nachhaltigkeit aktuell so gut wie noch gar kein Gesichtspunkt, nach dem ein Design bewertet wird. Das muss sich ändern. Ich sage nicht, dass wir nur noch schwarzen Text auf weißen Seiten haben müssen. Aber wir sollten im Hinterkopf haben, welche Auswirkungen unsere Designentscheidungen auf den Energieverbrauch haben. Wenn ein Designer entscheidet, dass es unumgänglich ist, im Hintergrund ein Video laufen zu lassen, ist das vollkommen okay. Aber muss das wirklich auf jeder Seite sein? Energieverbrauch sollte ein KPI sein, anhand dessen man Design bewertet – und entsprechend nach Kompromissen sucht.
Bei der Bits & Bäume Konferenz 2018 hast du anhand des Wikipedia-Logos aufgezeigt, wie viel Energie man durch die Komprimierung einer Bilddatei sparen kann. Das ist doch ein relativ einfaches Mittel?
Absolut. Komprimierung ist ein großer Hebel, der aber noch viel zu selten genutzt wird – besonders beim Kunden. Wenn dieser eine Website selbst weiter bespielt und pflegt, muss man ihm Tools an die Hand geben, etwa für das Hochladen von Bildern. Wenn man das nicht tut, landet schon mal ein 5MB-großes Bild auf der Website, obwohl es nur 500 Pixel breit angezeigt wird. Das ist einfach unnötig. Es gibt genug Plug-ins, die dafür sorgen, dass Bilder beim Hochladen in ein CMS wie WordPress komprimiert werden. Diese Tools werden aber noch viel zu selten eingesetzt. Das hängt auch damit zusammen, dass sie im Hintergrund laufen, der Kunde also ihren Nutzen nicht unmittelbar sieht. Deshalb müssen wir unsere Auftraggeber dafür sensibilisieren – denn sie müssen die Installation ja bezahlen.
Und wenn der Kunde auf großen Bildern und Hintergrund-Videos besteht?
Nachhaltigkeit und Umweltschutz greifen als Argumente leider nicht bei Kunden, die in erster Linie an ihr Geschäft denken. Aber im Web Design ist Energieverbrauch eng mit Performance und Ladezeit einer Website verknüpft. Und diese stehen wiederum in direktem Zusammenhang zum Geschäftserfolg, gerade im E-Commerce. Da gibt es einige Studien, die man heranziehen kann, um den Kunden zu überzeugen. Besonders hilfreich finde ich das Tool Performance Budget Calculator: Hier setzt man ein Ziel fest – zum Beispiel, dass die Website bei 3G innerhalb von drei Sekunden geladen sein soll. Daraus ergibt sich eine maximale Dateigröße für die Seite. Dann muss man entscheiden, welche Elemente man in diesem Rahmen einsetzen kann und möchte. So kommt das Thema Performance schon zu Beginn des Designprozesses auf den Tisch – und nicht erst am Ende bei der Programmierung.
Die Digitalisierung kann sowohl Klimaretter als auch Klimakiller sein. Muss man diesen Widerspruch einfach aushalten?
Man muss für jedes Projekt eine klassische Kosten-Nutzen-Rechnung machen. Videokonferenzen sind ein gutes Beispiel: Sie sparen viele Reisen und damit CO2 ein – und zwar mehr als sie an Energie verbrauchen. Auf der anderen Seite gibt es Server, die relativ ineffizient Bitcoin generieren und durchgehend auf Hochtouren laufen – da muss man sich schon fragen, wie sinnvoll das ist.
Ich möchte in erster Linie die Leute erreichen, die Produkte gestalten – Unternehmen, Entwickler und Designer
Und was können wir als Privatnutzer tun?
Ich möchte in erster Linie die Leute erreichen, die Produkte gestalten – Unternehmen, Entwickler und Designer. Natürlich kann man auch als Privatperson mal darauf verzichten, ein Bild bei Instagram hochzuladen. Aber ich werde bestimmt niemandem sagen, dass er auf einen eigenen Blog oder Social Media verzichten soll. Man kann aber Unternehmen wie Twitter dafür anprangern, dass sie immer noch auf Graustrom setzen – im Gegensatz zu Google, Facebook und Apple, die auf Grünstrom umgesattelt sind.
Video-Streaming ist ein enormer Energiefresser. Kannst du noch guten Gewissens Netflix gucken?
Natürlich schaue ich auch Netflix. Aber auch hier sehe ich in erster Linie die Streaminganbieter in der Haftung, ihre Serverstruktur so aufzustellen, dass sie möglichst energieeffizient laufen, und ihre Videos so zu komprimieren, dass eine möglichst geringe Datenmenge übertragen werden muss.
Wer sich mit dem Thema beschäftigt, wird oft mit dem Vorwurf der Doppelmoral konfrontiert – nach dem Motto: Hier sparst du Energie, aber gestern hast du noch was gestreamt. Ist dir das auch schon passiert?
Ja, das kommt oft vor, aber man gewöhnt sich dran. Manche machen eben gar nichts und beschimpfen lieber Leute, die versuchen, zumindest ein bisschen was zu bewegen. Andere tun einfach, was sie können. Niemand ist perfekt und in der heutigen Zeit ist es schlicht unmöglich, emissionsfrei zu leben. Es gibt aber viele Schrauben, an denen jeder drehen kann, ohne dass er sein Leben komplett umstellen muss.
Die Politik hat das Thema Internet und Energieverbrauch noch nicht für sich entdeckt, oder?
Nein. Denkbar wäre etwa ein Gesetz, das Rechenzentren dazu verpflichtet, ihren Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Aber solche Regelungen können maximal ein Anstoß sein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wichtiger wäre es, das Thema Nachhaltigkeit in der beruflichen und akademischen Bildung zu verankern. Denn letztlich sind Designer und Entwickler dafür verantwortlich, das Internet nachhaltig zu gestalten. Dafür müsste Energieeffizienz genauso zur Designethik gehören wie Barrierefreiheit. Das würde mehr bewirken als jedes Gesetz.
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