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KI = Künstliche Identitäten

In einem Seminar an der UdK Berlin erforschten Studierende die Zusammenhänge zwischen generativer KI und der Darstellung von Identität. Wir zeigen drei spannende Projekte.

Still des Videos »Real Women Have«
Still aus dem Musikvideo »Real Women Have« von Liv Bustorff

Haben KI-Generatoren die Deutungshoheit über das Bild, das wir uns heute von der Welt machen? Welchen Einfluss üben sie auf die Darstellung von Identitäten aus? Und inwieweit sind sie Co-Autor:innen der mit ihrer Hilfe entstandenen Arbeiten?

So lauteten die Leitfragen des Seminars »Get the picture« über KI im Zusammenspiel mit Gender, Körper und Queerness, das Designer Pascal Kress im Sommersemester 2023 an der Universität der Künste Berlin anbot. Nach einleitenden Dokus, Artikeln, Gastvorträgen, Ausstellungsbesuchen und von den Studierenden selbst geleiteten Tutorials für verschiedene KI-Anwendungen starteten die 16 Teilnehmenden in ihre selbst gewählten Themen und Projekte. Eine Auswahl:

Künstliche Zwitterwesen

»Beim Experimentieren mit den KI-Tools stellten wir schnell fest, dass diese ausschließlich heteronormative und normschöne Menschen darstellen«, beschreibt Ha Thanh Thu Nguyen. Das frustrierte sie: »Hätten wir das bei der Erstellung von KI nicht von vornherein mitdenken können?«

Sie stellte die Kreativität und den Einfallsreichtum von Midjourney auf die Probe und generierte mit dem Tool 15 fiktive hermaphroditische Tiefseewesen – also Organismen, die sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsausprägungen aufweisen, wie es sie im realen Tier- und Pflanzenreich häufig gibt. »Queerfeindliche Positionen nutzen mitunter das Argument, alles, was von einer Hetero-Cis-Normativität abweiche, sei unnatürlich. Doch was ist natürlich?«, so Nguyen über die Hintergründe ihres Projekts.

Um den richtigen Look zu erzielen, habe es viele Versuche und Zeit gebraucht, so die Studentin. Schließlich entstand ein Plakat mit 15 Hermaphroditen, die erstaunlich real aussehen – und sich in der Form nie wieder reproduzieren lassen werden.

Projekt Hermaphrodites Übersicht Projekt Hermaphrodites Einzebild Projekt Hermaphrodites Einzebild

Foto von Ha Thanh Thu NguyenJe mehr sie über KI lernte, desto mehr frustrierte Ha Thanh Thu Nguyen, dass die Menschen eine Technik erschaffen haben, deren Ergebnisse mal wieder auf einer fast rein männlich,
hetero-cis-normativen Sicht basieren. Sie entschied sich, in ihrem Projekt ganz neue, hermaphroditische Wesen zu erfinden

Homo oder Hetero?

Julius Riek und Shilong Xu stellten fest, dass KI hetero- und homosexuelle Menschen physiognomisch unterschiedlich darstellt. »KI ist nicht per se diskriminierend. Sie spiegelt lediglich in Daten vorhandene Vorurteile wider und kann sie dadurch aufrechterhalten«, so die beiden Studenten über ihr Experiment.

Indem sie mit Midjourney generierte Bilder von vermeintlich homo- und heterosexuellen Cis-Männern gegenüberstellen, zwingen sie Betrachter:innen dazu, sich mit den eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen – und dem Verlangen, Menschen anhand äußerer Merkmale in Schubladen einsortieren zu können.

Durch die unterschiedlichen Prompts (ausgetauscht wurde nur der Zusatz »heterosexuell« oder »homosexuell«) änderten sich Details im Gesicht ebenso wie in der Kleidung – manche wurde auf einmal knittriger. Welches Gesicht welches ist, steht bei der passfotoartigen Gegenüberstellung nicht dabei – die Antwort kommt allein durch unsere eigenen Vorurteile zustande.

Projekt Homo oder Hetero Einzelfoto

Projekt Homo oder Hetero Übersicht

Foto von Julius RieckFoto von Shilong XiIn ihrem Projekt bringen Shilong Xu und Julius Riek Betrachter:innen dazu, sich mit ihren Vorurteilen bezüglich Homosexualität zu beschäftigen. Um dabei so einfach und plakativ wie möglich zu bleiben, beschränkten sie die dargestellte Personengruppe auf Cis-Männer im Alter von 30 Jahren

Echte Frauen

Liv Bustorff generierte ein Musikvideo auf der Basis des Gedichts »Real Women Have« aus dem Buch »Black Queer Hoe« von Britteney Black Rose Kapri. Es besteht aus einer willkürlich anmutenden Auflistung von Dingen, die Frauen vermeintlich haben (darunter auch Adamsäpfel), und zeigt dadurch, wie absurd solche Kategorisierungen sind. Dieser Eindruck werde durch das KI-generierte – eben nicht reale – Material noch verstärkt, meint Bustorff.

Sie erzeugte sowohl Bilder als auch Musik und Stimmen mit den KI-Tools von Runway, Beatoven.ai und ElevenLabs. »Während ich an dem Projekt gearbeitet habe, sind immer wieder neue, bessere Tools herausgekommen. Sich da zu entscheiden und zu verstehen, was man wie nutzt, war ziemlich überwältigend«, so ihre Erfahrung.

Auch die Arbeitsweise verändere sich durch den Einsatz von KI-Tools: »Normalerweise macht man sich vorher Gedanken und hat einen konkreten Plan, den man dann umsetzt. Hier hatte man auf das Endergebnis aber plötzlich nur noch bedingt Einfluss. Egal, wie genau man einen Prompt formuliert – es wird nie genau das Bild entstehen, das man im Kopf hat.« So wandelte sich ihr Konzept im Prozess immer wieder – bis hin zum Schnitt, bei dem sie sich vom finalen Material inspirieren ließ.

Es würde sie reizen, das Video in ein paar Monaten noch einmal zu generieren und zu sehen, was diesmal dabei herauskomme, sagt Bustorff.

Porträtfoto Liv BustorffBild: www.frankreinhold.comLiv Bustorff ist froh, ihr Projekt zu einem Zeitpunkt realisiert zu haben, an
dem KI-Video-Tools noch
so neu sind, dass spannende und charmante Fehler entstehen. In ein paar Monaten würde das Ergebnis vermutlich schon ganz anders aussehen

 

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