Was können Designer:innen in ihrem Berufsalltag für die Demokratie tun?
Warum sie Design eher als Problemfindungs- denn als Problemlösungsdisziplin versteht und wie wichtig es ist, Bürger:innen in Gestaltungsprozesse miteinzubeziehen, erklärt uns Bianca Herlo, die am Design Research Lab der Universität der Künste Berlin forscht
Diese Ergebnisoffenheit begünstigt eine experimentelle Herangehensweise, die ich sehr wichtig finde. Sie erlaubt uns, auf neue Arten Wissen zu generieren und verschiedene Wissensformen aufeinander zu beziehen. Partizipatorische Ansätze sind dabei zentral.Partizipatorisches Design gründet auf Teilhabe, bedeutet aber – im Gegensatz zu partizipativem Design – nicht, dass alle Betroffenen gleichberechtigt und demokratisch beteiligt werden.
Wie sieht das in Ihren Projekten genau aus?
Für mich ist partizipatorische Gestaltung vor allem in der Vorphase eines Designprozesses interessant, wenn es darum geht, das Problem überhaupt erst zu definieren. Ich gehe also nicht mit einem Designproblem voran und hole mir Leute dazu, um es zu lösen, sondern hinterfrage erst mal meine Annahmen. Denn lokale Bedürfnisse und Praktiken sowie das Erfahrungswissen der Menschen, um die es geht, kann ich nicht allein in einer Desktoprecherche herausfinden. In dieser Phase ist Design keine Problemlösungs-, sondern eine Problemfindungsdisziplin. Und von der Definition des Problems hängt entscheidend ab, wie der weitere Designprozess verläuft. An diesem Punkt ist Partizipation enorm wichtig, weil man dadurch verschiedene Lebenswelten miteinander ins Gespräch bringt und Aushandlungsprozesse anstößt. Es bedarf Gestaltungskompetenz, damit diese Prozesse auf Augenhöhe stattfinden können, damit auch implizites Wissen einfließt und damit Menschen mit Material oder Artefakten arbeiten können, wenn sie sich verbal nicht ausdrücken können. Es reicht nicht, einfach alle an einen Tisch zu setzen. Das Miteinander muss gestaltet werden. Hierin sind wir Designer:innen sehr gut – aber wir können es nicht alleine. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir viel kollaborativer arbeiten müssen – im Design selbst, aber auch mit anderen Disziplinen, Akteuren und Praktiken.
Zu welchen Disziplinen haben Sie die größten Schnittstellen?
Weil ich viel in sozialen urbanen Kontexten arbeite, ist Soziologie eine ganze wesentliche Disziplin, mit der ich viel zusammenarbeite. Dazu kommen Kultur- und Medienwissenschaften, Psychologie, Migrationsforschung, Stadtplanung und Urbanistik, Geografie, Informatik und natürlich Grafikdesign, weil es viel um die Übersetzung von Inhalten geht und wir in alle Richtungen gut kommunizieren müssen. Design ist per se interdisziplinär angelegt – wir lernen schon in der Ausbildung, uns auf unterschiedliche Kontexte einzulassen, sie zu verstehen, zu übersetzen und sie über verbale und visuelle Mittel zu transportieren. Daher sehe ich in transdisziplinären Forschungsprojekten eine zentrale Rolle beim Design. Daraus ergeben sich auch neue Handlungsfelder für Designer:innen, etwa in der Vermittlerrolle zwischen Politik und Zivilgesellschaft oder zwischen Verwaltung und Wissenschaft.
Wie offen sind Menschen in Verwaltung und Politik denn gegenüber Design?
Nach meiner Erfahrung braucht es engagierte Einzelpersonen, die Interesse an anderen Sicht- und Vorgehensweisen haben. Diese trifft man etwa auf Veranstaltungen zum Thema Design for Government wie dem DDC Konvent. Es braucht immer noch viel Aufklärungsarbeit darüber, was Design kann und wo es sich einmischen will. Dass diese langsam fruchtet, merken wir daran, dass wir beim Design Research Lab immer öfter direkt angefragt werden, ob wir Projekte gemeinsam mit Politik und Verwaltung anstoßen und realisieren möchten. So entstehen immer mehr Gelegenheiten, mit politischen Entscheidungsträger:innen auf Augenhöhe zu arbeiten.
Zum Beispiel?
Zuletzt haben wir mit der TU Dortmund und den Stadtverwaltungen Wiesbaden und Berlin das dreijährige Forschungsprojekt »InterPart« zu interkulturellen Räumen der Partizipation umgesetzt. Dabei ging es darum, die Teilhabe an Stadtentwicklungsprozessen neu zu denken, denn ein großes Problem ist, dass sich immer dieselben Menschen beteiligen, während Randgruppen sich kaum angesprochen fühlen. Dazu haben wir in Berlin-Moabit und Wiesbaden-Biebrich mehrere Reallabore eingerichtet, also räumlich und zeitlich begrenzte Testräume, in denen Menschen aus Wissenschaft und Praxis zusammenkamen. Die zentrale Frage dabei lautete: Welche analogen und digitalen Ansätze können dazu beitragen, dass mehr Stadtnutzer:innen, insbesondere Menschen mit Migrationsgeschichte, ihre Sichtweisen auf die Stadt in Beteiligungsverfahren einbringen?
Was waren die wichtigsten Erkenntnisse?
Für Stadtplanung und Verwaltung, dass sie viel mehr ressortübergreifend zusammenarbeiten und Silos aufbrechen müssen. Die Kollaboration in diesen Einrichtungen muss formalisiert werden und darf nicht immer nur nach Bedarf stattfinden. Für mich als Designforscherin war es schön zu sehen, wie bewusst gestaltete Momente zur Interaktion wie die Klingelinstallation Menschen neugierig machen und für einen Dialog öffnen.
Was können Designer:innen jenseits der Designforschung in ihrem Berufsalltag für die Demokratie tun?
Eine radikale Antwort: Wir müssen uns aus dem Joch des Konsumismus und der Wachstumsgesellschaft befreien, egal in welcher Designsparte. Das wird noch viel zu wenig thematisiert. Wir müssen verstehen, welche Rädchen im System wir sind, und dann schauen, mit welchen Taktiken wir uns verweigern können. Selbst wenn man innerhalb der neoliberalen Marktstrukturen tätig ist, gibt es Möglichkeiten. Wir können Auftraggebern Gegen-Narrative anbieten, wodurch sie vielleicht einen anderen Weg einschlagen. Es liegt in unserer Verantwortung, in einem System, das wir nicht direkt ändern können, zumindest Verbesserungen anzustreben. Also bedient alternative Ökonomien, stärkt Open-Source-Technologien, kollaboriert mit anderen Disziplinen und unterstützt lokale Praktiken! Fragt euch, in welcher Gesellschaft ihr leben wollt.
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