Immer mehr Bandenwerbung . . . »Warum verknappt ihr nicht einfach die Flächen?«, fragt unser Kolumnist Jürgen Siebert.
Ob man Werbung per Gesetz eindämmen müsse, fragten mich vor Kurzem Redakteure von »Brut«, dem am Fachbereich Kommunikationsdesign der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft entstehenden »Hyper Video Magazin«. Nach einem kurzen »Nein, nicht nötig« hat mich die Frage am nächsten Tag noch mal beschäftigt. Wenn sie im Sinne von »Brauchen wir mehr Reglementierung für Werbung im öffentlichen Bereich?« gedacht war, stehe ich zu meiner Antwort. Ich denke, dass es ausreichend funktionierende Vorschriften gibt, um die Menge der Werbung im öffentlichen Raum zu begrenzen. Auch beim Auto- oder U-Bahn-Fahren fühle ich mich nicht belästigt von Werbeflächen . . ., die natürlich in den Zentren von Großstädten massiver auftreten als in Wohngebieten: mehr Passanten, mehr Werbung.
Störend finde ich jedoch die Parteiwerbung vor Wahlen. Hier funktionieren weder die Spielregeln für die zu nutzenden Flächen noch die Briefings von Werbeagenturen sowie Plakatklebern. Da werden ganze Baumreihen und Grünstreifen – wie Sitzreihen im Parlament – mal komplett an die eine, mal an die andere Partei vergeben – sicherlich nach einem bis zum allerletzten Stamm aufgeschlüsselten Proporz-Masterplan.
Nur so kann ich mir erklären, warum ich auf einer Straßenlänge von 300 Metern 20 Mal vom selben Politikergesicht angegrinst werde. Spätestens beim nächsten Weg zur Arbeit nervt das gewaltig, und dieser Spießrutenlauf dauert ganze sieben Wochen. Dabei würden Agenturen für die Plakatierung an einer Allee garantiert wunderbare zusammenhängende oder sich ergänzende Motive entwickeln. Man müsste sie nur lassen. Doch ich nehme an, dass das Briefing für eine Wahlwerbung kaum ideenreicher ist als ein Gesetzesentwurf in dritter Lesung. Kreativität und mehrheitliches Abstimmen vertragen sich erwiesenermaßen nicht.
Zum Glück finden solche Wahlen im Durchschnitt nur alle zwei Jahre statt. Ganz anders Sportwettkämpfe. Und damit komme ich zu einem eher unerfreulichen Werbeumfeld. Es gibt Sportarten, deren Spielflächen und Bekleidungen mit Firmenlogos übersät sind. Vor zehn Jahren habe ich mich anlässlich der Handball-WM in Deutschland schon einmal im Fontblog darüber aufgeregt, wie entstellt diese Sportart ist, mit zwölf Werbeflächen für sechs Sponsoren auf dem Spielfeld . . . sogar die Schiedsrichter sind gesponsert.
Der Fußball ist noch nicht so weit, aber auf dem Weg dorthin. Tore und Fouls werden in den Stadien von Fluggesellschaften und Krankenversicherungen präsentiert – geschenkt. Die ersten fünf Bundesliga-Mannschaften haben Ärmelsponsoren eingeführt – nicht geschenkt. Die Bandenwerbung wird immer auffälliger animiert – ebenfalls nicht geschenkt. In einigen Fußballarenen ist sie bereits zweistöckig – was soll das? Man könnte auch gleich vor leeren Rängen spielen und die Werbung bis unters Stadiondach türmen – könnte mehr bringen als die Ticketeinnahmen.
Dem Fußball geht es sehr gut. Warum dann jeden Quadratzentimeter vermarkten?
Eine alte Wirtschaftsregel besagt, dass Verknappung die Preise in die Höhe treibt. Vielleicht sollten sich der Deutsche Fußball-Bund und die Vereinsmanager einfach mal an dieses alte kapitalistische Gesetz erinnern, anstatt jeden Quadratmeter ihres Sports zu verkaufen. Wie wäre es denn mit lediglich einem Logo auf der Kleidung, dieses aber zum höheren Preis, weil exklusiv? Statische Bandenwerbung (auf nur einer Ebene) wäre der stärkste Kontrast zum bewegten Spiel und damit viel auffälliger als alle Animationen, die lautlos, aber ohne Pause »Hier bin ich« rufen.
Ich finde es bedauerlich, wenn Managern, die ein Produkt entwickeln und erfolgreich machen sollen, nichts anderes einfällt, als die Räume und Flächen dieses Produkts immer mehr einzuengen. Ich meine: Wir reden von der weltweit beliebtesten Sportart mit großer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung. Und immer noch hoher Beliebtheit. Warum müssen sich dann die Mannschaften der Ersten und Zweiten Bundesliga vermarkten wie ein Provinzclub? Wo bleibt das Selbstbewusstsein in dieser komfortablen Situation?