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»Die Politik arbeitet gerade so, wie es Designer tun: agil und iterativ«

Corona-Krise – das bedeutet harte Zeiten für die Kreativbranche. Aber es gibt auch Grund zur Hoffnung. Ein Gespräch mit Boris Kochan und Christian Büning.

Boris Kochan, PAGE-Redakteurin Nina Kirst und Christian Büning im Zoom-Interview
Boris Kochan, PAGE-Redakteurin Nina Kirst und Christian Büning im Zoom-Interview

Boris Kochan ist Gründer und CEO der Münchner Branding- und Designagentur Kochan & Partner mit rund 60 Mitarbeitern, Christian Büning arbeitet als selbstständiger Designer in Oberwesel. Beide sind von der Corona-Krise betroffen und reagieren darauf entsprechend ihrer jeweiligen Situation – sei es mit Kurzarbeit oder der Beantragung von Soforthilfe.

Gleichzeitig haben sie als Präsidiumsmitglied des Berufsverbands der Kommunikationsdesigner (Büning) und als Präsident des Deutschen Designtags, der Dachorganisation der bundesdeutschen Fach-und Berufsverbände im Design (Kochan), einen guten Überblick über die aktuelle Lage der Branche. Wir sprachen mit den beiden darüber, wie sie selbst mit der Situation umgehen, was sie anderen Kreativen raten und wie sich die Krise langfristig auf die Designbranche auswirken wird.

Boris, wie ist die Lage bei euch in der Agentur? Wie arbeitet ihr gerade?

Boris Kochan: Wir haben es geschafft, alle Mitarbeiter innerhalb von drei Tagen ins Homeoffice zu verlagern. Nur für manche Tätigkeiten – etwa die Auswahl aus einer sehr großen Menge an Bildern – geht ab und zu eine kleine Gruppe in die Agentur, natürlich mit ausreichend Abstand.

Und wie ist die Auftragslage?

Kochan: Diese Krise geht natürlich auch an Kochan & Partner nicht vorbei – in einigen Bereichen mussten wir sogar eine Vollbremsung machen. Seit dem 1. April arbeiten wir daher durchgehend in Kurzarbeit. Wir sind sehr differenziert vorgegangen und konnten verhindern, dass jemand unter 30 Prozent Arbeitszeit rutscht. Die Mitarbeiter haben dabei eine enorme Solidarität untereinander und mit dem Unternehmen gezeigt: Zum Beispiel haben ältere, gut situierte Kollegen zugunsten junger Eltern zurückgesteckt. Das hat mich sehr beeindruckt und gefreut.

Was bedeutet das längerfristig für die Agentur?

Kochan: Abgesehen von einem mit Sicherheit katastrophalen Geschäftsjahr 2020 rechnen wir damit, dass die Agentur auch im nächsten Jahr weniger Umsatz machen wird, als geplant war. Das ist natürlich belastend und wird nicht folgenlos bleiben. Aber es bringt nichts, jetzt in Panik zu verfallen. Kochan & Partner gibt es seit 39 Jahren, gemeinsam mit meinen, zum Teil sehr langjährigen Kollegen habe ich schon einige Krisen überstanden. Daraus haben wir gelernt, dass es nichts bringt, in den ersten Tagen hektisch alles durchzurechnen. Wir müssen Geduld haben, Informationen sammeln, sie systematisch durchgehen – und dann schnell und konsequent Entscheidungen treffen.

»Es bringt nichts,
jetzt in Panik zu verfallen«
Boris Kochan

Christian, wie ist die Lage bei dir als Solo-Selbstständigem?

Christian Büning: Einige Projekte wurden abgesagt, andere verschoben. Insgesamt fallen circa 50 Prozent meines Umsatzes weg. Mein Steuerberater hat deshalb beim Land Rheinland-Pfalz Soforthilfe für mich beantragt. Die Bearbeitung geht allerdings sehr schleppend. Manche Auftraggeber werden aber auch gerade jetzt aktiv und suchen Beratung.

Woran kann man jetzt mit (Neu-)Kunden arbeiten?

Kochan: Viele Unternehmen beschäftigen sich damit, wie sie sich für die Zeit nach der Corona-Krise aufstellen können. Wobei es meiner Meinung nach kein plötzliches Danach geben wird – und damit wohl auch keine große Feier ähnlich der sehr sympathischen Legende von den Schäffler-Tänzen zum Ende der angeblichen Münchner Pestepidemie von 1517. Ich glaube, unser Danach wird sich eher sehr langsam entwickeln, wie wir es auch in Asien beobachten. Deshalb überlegen wir mit bestehenden und neuen Kunden, wie wir die Kommunikation möglichst flexibel aufsetzen, um in dem Moment handlungsfähig zu sein, in dem das Geschäft wieder anläuft.

Das Aufstellen für die Zeit danach umtreibt auch selbstständige Designer und Agenturen. Was können sie jetzt tun?

Büning: Die drängendsten Fragen, die derzeit an den BDG herangetragen werden, betreffen die Soforthilfe-Maßnahmen. Ich finde es sehr bemerkenswert, was für eine steile Lernkurve das Bundeswirtschaftsministerium gerade hinlegt, wenn es um die Belange von Solo-Selbstständigen geht. Die Zuständigen haben größtenteils verstanden, dass wir andere Instrumente brauchen, als bisher zur Verfügung standen – dass zum Beispiel KfW-Kredite komplett am Bedarf vorbeigehen, weil sie die Probleme für Selbstständige und kleine Agenturen nur nach hinten verlagern. Die Politiker wissen jetzt, dass sich Selbstständige kein Gehalt auszahlen wie in einer Kapitalgesellschaft, sondern dass viele nur ein Konto haben, auf das alles ein- und von dem alles abgeht. Ich hoffe, dass dieses Wissen auch nach der Krise bestehen bleibt und wir als Verband da ansetzen können, um die Lage von selbstständigen Designern und kleinen Agenturen auch langfristig zu verbessern.

Kochan: Ebenfalls bemerkenswert finde ich die Geschwindigkeit, mit der die Politiker jetzt neue Wege gehen. Dass dabei handwerkliche Fehler passieren, ist nachvollziehbar.

»Das Bundeswirtschaftsministerium hat
eine beeindruckend steile Lernkurve
hingelegt, was die Belange von
Selbstständigen angeht«
Christian Büning

Der Designtag hat in einem offenen Brief an den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier aber auch weitere Forderungen gestellt. Worum geht es dabei?

Kochan: Die Solo-Selbstständigen und kleinen Agenturen haben zumeist keine Rücklagen, um einen längeren Zeitraum ohne oder nur mit geringeren Einnahmen überbrücken zu können. Einigen sind von einem Tag auf den anderen alle Aufträge weggebrochen, zum Beispiel im Bereich Events. Für sie sind Soforthilfen eine gute Maßnahme. Für viele andere sind diese Unterstützungen nur hilfreich, wenn sie über einen längeren Zeitraum sicher zur Verfügung stehen – denn sie haben jetzt noch Aufträge oder können Rechnungen für abgeschlossene Projekte stellen. Sie sind für diesen, vielleicht noch den nächsten Monat liquide. Aber dann ist es vorbei – möglicherweise für einen längeren Zeitraum oder auch ganz. Deshalb fordern wir von der Politik die Zusicherung, dass die Soforthilfen nicht nur eine kurzfristige Maßnahme sind. Es zeigt sich jetzt schon, dass unsere Befürchtungen berechtigt sind: In Nordrhein-Westfalen und Berlin waren die vorgesehenen Geldern innerhalb einer Woche weg! Viele wissen nicht, was sie nun tun sollen.

Gab es schon eine Reaktion auf den Brief?

Kochan: Ja, wir hatten bereits eine Telefonkonferenz mit dem Fachreferat für die Kultur- und Kreativwirtschaft im BMWi, in der wir gemeinsam mit den anderen Akteuren wie Film-, Musik- und Buchmarkt diese und weitere Forderungen nochmals verdeutlicht haben.

Büning: An der aktuellen Situation ist auch interessant, dass die Politik derzeit so arbeitet, wie es Designer tun: agil und iterativ. Die Ministerien arbeiten auf Sicht und tasten sich in kleinen Schritten an Lösungen heran – und alle machen mit. Das ist kollektives Design Thinking! Daran können wir in Zukunft andocken, um unsere Herangehensweise zu verdeutlichen. Das ist eine Aufgabe für uns Verbände.

Boris Kochan im Zoom-Interview
Boris Kochan im Zoom-Interview

Boris Kochan ist Gründer und CEO der Münchner Branding- und Designagentur Kochan & Partmer und Präsident des Deutschen Designtags

In dem offenen Brief wird auch darauf verwiesen, dass Design jetzt helfen kann – wie der Hackathon #WirversusVirus zeigt. Was können Designer noch tun?

Kochan: Wir haben in der Konferenz mit dem Fachreferat unter anderem diesen Vorschlag gemacht: In einigen Bundesländern gibt es die Möglichkeit, sich die Unterstützung durch (ok?) Unternehmensberatungen vom Staat pauschal mitfinanzieren zu lassen. Solche Programme könnte man adaptieren und auf Design- und Kommunikationsberatungen ausweiten. Unternehmen und Organisationen, die durch die Krise in Schieflage geraten sind, bekämen also vom Staat mitfinanzierte Unterstützung für den Neustart, bei der Design ein wesentlicher Faktor ist. In einem kleineren Rahmen kann natürlich auch jeder einzelne Designer einen Beitrag leisten, indem er mit seinen speziellen Fähigkeiten hilft, dass sich gesellschaftliche Gruppen schnell und einfach sozial engagieren können.

Auf dieser Ebene passiert gerade sehr viel.

Büning: Ja! Überall poppen Websites auf, über die man individuelle Hilfe anbieten oder den lokalen Handel unterstützen kann. Gleichzeitig finden sich viele Gestalter gerade mit der Erkenntnis ab, dass Design nicht so systemrelevant ist wie die Pflege oder der Lebensmittelhandel. Deshalb gucken sie auch außerhalb ihres Metiers, wie sie helfen können – was wiederum eine typische Designereigenschaft ist: die Stelle zu suchen, an der man möglichst viel Wirkung erzielt.

Welche weiteren Beobachtungen macht ihr auf Verbandsebene?

Büning: Vor allem selbstständige Designer haben jetzt Existenzangst und äußern diese auch. Das Schöne ist, dass die Kollegen diese Angst auffangen und abfedern. Es herrscht gerade eine große Kollegialität und Solidarität.

Eine häufige Empfehlung gegen Angst ist, aktiv zu werden – also das Portfolio aufzubessern, neue Skills zu lernen etc. Was sagt ihr dazu?

Büning: Ich habe mal über den »toten Januar« geschrieben: »Dann schärft der Förster seine Axt und der Designer sein Profil.« Das geht, wenn man weiß, dass der Januar einmal ein Ende hat und danach das Geschäft wieder anläuft. Diese Sicherheit haben wir gerade nicht. Deshalb ist es nicht ganz so einfach, sich zu entspannen und programmieren zu lernen oder die alten Aquarellkenntnisse aufzufrischen. Aber zur Ablenkung taugt es auf jeden Fall. Ich selbst fotografiere gerade viel.

Christian Büning im Zoom-Interview
Christian Büning im Zoom-Interview

Christian Büning ist selbständiger Designer in Oberwesel und Präsidiumsmitglied im Berufsverband der Kommunikationsdesigner (BDG)

In der Kreativbranche sind auch die Wettbewerbe betroffen, die auf die Situation unterschiedlich reagieren. Die einen sagen Awards ganz ab oder verschieben sie, die anderen erlassen die Einreichungsgebühren oder führen neue Kategorien ein. Was meint ihr: Sind Kreativwettbewerbe in diesem Jahr sinnvoll?

Kochan: Business as usual ist jedenfalls keine Option, man sollte damit souverän umgehen. Ich selbst bin ja beim internationalen Granshan-Projekt involviert, unter anderem mit dem alle zwei Jahre stattfindenden Wettbewerb für Non-Latin Type Design. Den eigentlich 2020 startenden neuen Contest für Non-Latin Typography werden wir um ein Jahr verschieben.

Büning: Sogar die Olympischen Spiele sind abgesagt! Dagegen sind Leistungsschauen im Kommunikationsmarkt nicht der Rede wert. Im Angesicht einer Pandemie kann man sich schlecht damit beschäftigen, welche Kampagnen gut gelaufen sind. Selbst wenn man einen Wettbewerb auf die Kommunikation rund um Corona zuspitzen würde, wäre es doch unangemessen, sich dafür feiern zu lassen.

Kochan: Lasst uns lieber die Energie, die sonst in die Selbstbeweihräucherung geht, dafür nutzen, gesellschaftlich relevante Dinge zu tun!

Nicht nur die Wettbewerbe, auch die sie begleitenden Preisverleihungen sowie Konferenzen und andere Branchentreffs fallen weg. Seht ihr eine Chance für digitale Alternativen?

Büning: Das ist nicht das Gleiche. Preisverleihungen sind wie Familientreffen, wo man sich auch mal zu zweit informell bei einem Glas Wein austauscht. Das geht bei Zoom-Konferenzen nicht.

Kochan: Ich glaube, es wird künftig stark hinterfragt, was wirklich nötig ist. Ich bin normalerweise viel unterwegs, treibe mich gerne und oft auf solchen Events herum und lege großen Wert auf persönliche Kontakte. Jetzt bin ich mittlerweile seit über 30 Tagen in München – eine absolute Ausnahme! Natürlich kommt da eine leichte Unruhe auf, aber gleichzeitig ergibt sich die Chance, darüber nachzudenken, wie ich das in Zukunft handhaben möchte. Das Unterwegssein hat mir zwar nie etwas ausgemacht, aber ich merke: Manchmal reicht auch ein Ausflug in Gedanken.

Viele Agenturen und ihre Kunden merken zudem, dass Meetings nicht immer unbedingt gemeinsam vor Ort stattfinden müssen.

Kochan: Nicht nur das: Manche Runden funktionieren in einer Telefonkonferenz sogar besser! Die Kommunikation ist plötzlich konstruktiver, geradliniger und freundlicher. Telefon- und Videokonferenzen zwingen die Teilnehmer zu mehr Disziplin: Man muss andere aussprechen lassen und einander zuhören – sonst funktioniert es nicht. Diese neue beziehungsweise wiedergefundene Korrektheit im persönlichen Umgang darf die Krise gerne überdauern!

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