Peter Post hat ein Konzept für Circular Experience und Service Design mitentwickelt. Im Interview verrät er, wie man Services und Experiences für die Kreislaufwirtschaft effizient gestaltet
Bild: Rui Camilo
Was können UX- und Service-Designer:innen zur Circular Economy beitragen? Eine ganze Menge, ist Peter Post überzeugt. Er hat ein Konzept für Circular Experience Design mitentwickelt und gibt dazu Workshops in der PAGE Academy. Außerdem treibt er das Thema in seiner Position in der Geschäftsführung der Digitalagentur Scholz & Volkmer voran sowie im Vorstand des Internationalen Design Zentrums (IDZ) Berlin. Peter Post konzentriert sich dabei auf die Experience der Endkundinnen und -kunden, die eine wichtige Rolle spielen für die Etablierung eines funktionierenden Kreislaufsystems. Wir fragten ihn, wie das gelingen kann.
Das Thema Circular Economy wird oft eher im Industrial Design verankert. Was genau ist Circular Experience Design – und warum braucht es das? Peter Post: Das Heavy Lifting der Circular Economy wird in der Industrie, im Produktdesign und in der Materialwissenschaft geleistet. Da geht es auch um Herstellungsprozesse, Logistik et cetera. Circular Experience Design ist ein kleinerer, aber nicht unwesentlicher Teil, der sich mit den Rollen und Aufgaben der Konsument:innen und Nutzer:innen in der Kreislaufwirtschaft beschäftigt. Denn sie dürfen dann nicht mehr nur konsumieren, verbrauchen, wegwerfen und neu kaufen, sondern müssen sich um Produkte kümmern, diese aufwerten und am Ende korrekt entsorgen. Mit UX- und Service Design kann man sie dabei unterstützen. Das betrifft vor allem komplexe Produkte, bei denen man viel falsch machen kann, wie Waschmaschinen oder E-Bikes. Für einen Glasstrohhalm braucht es kein Service Design. Ich finde, jede Designdisziplin sollte schauen, was sie zur Kreislaufwirtschaft beitragen kann.
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Du gehst also mit bereits existierenden Methoden an eine neue Art von Produkten und Geschäftsmodellen heran?
Genau. Das Konzept habe ich übrigens nicht allein entwickelt – sondern im Rahmen des EU-Projekts »Ecodesign Circle 4.0« im Jahr 2020 zusammen mit dem IDZ Berlin, dem Bundesumweltamt, der Technischen Universität Berlin sowie den Designzentren von Finnland, Estland, Schweden, Polen und Russland. Wir waren uns damals schnell einig, dass es nicht darum geht, sich neue Designmethoden auszudenken – sondern darum, welche spezifischen Fragen man stellen muss, wenn man Service Design für die Kreislaufwirtschaft macht.
Unsere Hoffnung ist: Indem wir bestehende Methoden nehmen und diese durch eine andere Brille betrachten, werden sie schneller akzeptiert und angewandt. Denn uns – beziehungsweise dem Planeten – läuft die Zeit davon. Deshalb ist Circular Experience Design stark auf Anwendbarkeit ausgerichtet. In den Workshops vermittle ich, wie man einen vierwöchigen Circular-Service-Design-Sprint aufsetzt, und stelle eine Reihe praktischer Patterns vor.
Du hast 72 Designpatterns entwickelt, die du in einer Open-Source-Library zur Verfügung stellst. Wie funktionieren die?
Die UX-Patterns bestehen aus Wireframes, die man zum einen wie Methodenkarten als Denkanstoß in der Ideenentwicklung, zum anderen fürs schnelle Prototyping und Testen einsetzen kann. Sie sind unterteilt nach den verschiedenen Bereichen des Kreislaufs wie Extended Use, Refurbish, Repair, Reuse und so weiter.
Nehmen wir zum Beispiel ein E-Bike. Hier kann man beim Kauf ein Opt-in für regelmäßige Erinnerungen an Maintenance-Aufgaben wie etwa Schraubenanziehen einbauen. Oder man kann an dieser Stelle schon auf den richtigen Umgang mit der Verpackung hinweisen. Wäre die Kundin vielleicht bereit, Pfand für eine wiederverwendbare Kiste zu bezahlen, die sie nach Erhalt des E-Bikes an den Händler zurückschickt? Ein Beispiel für ein späteres Pattern ist ein Upgrade von einem 25 km/h schnellen E-Bike auf eines mit 45 km/h, um den Zweitwagen zu ersetzen, ohne ein neues Bike kaufen zu müssen.
Ganz wichtig dabei: Gegenüber Endkund:innen argumentiere ich nicht über Ökologie oder den Erhalt des Planeten, sondern immer über den monetären Werterhalt ihres Produkts. Meiner Erfahrung nach funktioniert das besser als die Kommunikation über Umweltleistungsmerkmale.
Da spielt Behavioural Design mit rein, oder?
Ja, aber dabei muss man aufpassen. Das Manipulative an Behavioural Design verschwindet ja nicht, nur weil man es für einen guten Zweck einsetzt. Deshalb kennzeichne ich Dark Patterns ganz deutlich, also solche, die Nutzer:innen manipulieren. Designer:innen müssen dann selbst entscheiden, ob sie diese Patterns einsetzen möchten oder nicht.
Mit welchen Expert:innen hat man im Circular Experience Design zu tun?
Es ist ein sehr kollaborativer Prozess, am intensivsten ist der Austausch mit Auditor:innen, also Personen, die Strukturen und Arbeitsabläufe in Unternehmen analysieren, um Verbesserungspotenziale offenzulegen – in unserem Fall beschäftigen sie sich vorrangig mit Life-Cycle-Assessment. Sie haben oft einen Hintergrund in Umweltwissenschaften, aber auch in Biologie, Materialwissenschaft oder Industriedesign. Bei einem Pilotprojekt in Deutschland haben wir mit einem Auditor aus Estland zusammengearbeitet, der sich das Unternehmen angeschaut und Potenziale für kreislauforientierte Services offengelegt hat. Er hat den gesamten Sprint begleitet, was ich als extrem wertvoll empfunden habe. Denn ohne entsprechende Expertise im Team kann es schon mal passieren, dass man sich in einer Idee verrennt, die kreislauftechnisch unsinnig oder im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv ist. Zum Glück gibt es mittlerweile immer mehr solcher Auditor:innen, die man zu Tagessätzen buchen kann.
Ist Circular Experience Design ein Zukunftsthema für die Branche?
Wir sind früh dran, aber ich bin überzeugt, dass es für Designer:innen eine sichere Bank ist, sich in dem Bereich fortzubilden – nicht nur aus idealistischen Gründen, sondern auch wirtschaftlich. Die Kreislaufökonomie ist alternativlos, spätestens wenn die EU entsprechende Gesetze verabschiedet. Schon jetzt wollen erste Städte und Regionen bis 2050 zu 100 Prozent Circular sein. Dennoch dürfen wir nicht blauäugig sein, noch braucht es ein hohes Maß an Hartnäckigkeit, um mit diesem Thema Gehör zu finden. Zudem darf man nicht erwarten, dass sich die Endkund:innen bewusst mit Kreislaufwirtschaft beschäftigen. Unser Job im Kommunikationsdesign besteht darin, die Komplexität dahinter einzufangen und verantwortungsvollen Konsum möglichst einfach und idealerweise sogar unterhaltsam zu machen.
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