Datenvisualisierung ist ein tolles Instrument, um einer breiten Öffentlichkeit schwierige Sachverhalte verständlich näher zu bringen. Matthias Stahl macht das hauptberuflich beim »Spiegel«.
Data Journalism steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen – verglichen etwa mit dem »Guardian« oder der »New York Times« –, nimmt aber an Fahrt auf, zum Beispiel bei »Der Spiegel«.
Datenvisualisierungsdesigner Matthias Stahl arbeitet dort als stellvertretender Ressortleiter Grafik & Interactive. Er hat Biochemie studiert und sich die gestalterischen und technischen Skills autodidaktisch erarbeitet. Gemeinsam mit seinem 17-köpfigen Team mit Expertise in Design, Code und Redaktion erarbeitet er digitale Infografiken für spiegel.de sowie analoge Visualisierungen für das Print-Magazin.
Die Themen sind immer sehr aktuell, weshalb die Grafiken oft schnell entwickelt und umgesetzt werden müssen. Daher geht das Team häufig von ersten Skizzen direkt ins Coding, auch um gleich mit echten Daten arbeiten zu können. »Wenn die Daten es nicht hergeben, ist das schönste Design nutzlos«, so Stahl.
Zu Beginn jedes Projekts definiert das Team zwei bis drei Fragen, die mit einer Visualisierung beantwortet werden sollen. Diese dienen dann als Leitfaden während des gesamten Design- und Entwicklungsprozesses. Um sicher zu gehen, dass eine Grafik verständlich und sinnvoll ist, gibt es mehrere Feedbackschleifen mit Kolleg:innen – auch außerhalb des Grafikteams.
Schwierige Themen zugänglich machen
Oft spielen auch ethische Überlegungen eine Rolle, etwa bei einer interaktiven Datenvisualisierung über die Anzahl gefallener russischer Soldaten im Ukrainekrieg. Die Mitte Februar 2023 veröffentlichte Grafik beruht auf Daten, die von Journalist:innen des kremlkritischen Portals »Mediazona« sowie des BBC zusammengetragen wurden. Die Darstellung war heikel, weil einerseits die schiere Anzahl verdeutlicht werden sollte – gleichzeitig aber ein Menschenleben nicht auf einen einzelnen Datenpunkt reduziert werden sollte.
Schließlich entschieden sich Stahl und sein Team für Punkte in unterschiedlichen Farben, um ein gewisses Maß an Individualität darzustellen. Beim Scrollen durch die Visualsierung werden unterschiedliche Punkte hervorgehoben oder neu angeordnet, unter anderem nach Alter, Herkunft oder Rang der Gefallenen. Erklärende Texte sorgen für eine differenzierte Einordnung und weisen etwa auf eingeschränkte Recherchemöglichkeiten hin.
So gelingt eine gute Mischung aus Information und Emotionalität, die betroffen macht, ohne populistisch zu sein. Zu dem Projekt gab es viel Feedback, sagt Stahl. »Das hat mich überrascht, weil mittlerweile viele Menschen Nachrichten zum Krieg lieber ausblenden. Aber auf dieser visuellen Ebene erreicht man die Leute nochmal ganz anders.«
In PAGE 06.23 widmen wir uns ausführlich dem Thema Design und Wissenschaftskommunikation. In Rahmen der Recherche stießen wir auf Matthias Stahl und seine spannende Arbeit beim »Spiegel«.