Ganzheitliche Markenentwicklung, Internationalisierung und eine professionellere Markenführung – keine Kleinigkeiten, die der japanische Brillenhersteller JINS bei KMS TEAM in Auftrag gab. Aber bei den Münchnern traf er auf offene Ohren und viel Erfahrung.
Wer schon einmal in den schönen Räumen von KMS TEAM in der Tölzer Straße in München war, kennt die lockere Stimmung dort und die absolute Konzentration, mit der die Teams an ihren Projekten arbeiten. Aber woher wusste das Hitoshi Tanaka, Gründer, Präsident und CEO des japanischen Brillenherstellers JINS im rund zehntausend Kilometer entfernten Tokio? Als es um den Bau eines neuen Büros ging, blätterte Tanaka in einem Jahrbuch für Office Design, stieß dort auf KMS und entschied sofort: »Mit dieser Agentur will ich zusammenarbeiten.« – »Tatsächlich haben wir JINS zunächst bei der Gestaltung der neuen Räumlichkeiten geholfen, bevor es an die Markenentwicklung ging«, berichtet Simon Betsch, Managing Partner bei KMS TEAM. Da sag nochmal jemand was gegen Jahrbücher.
Internationalisierung war das Thema, das JINS gemeinsam mit KMS angehen wollte. Zu diesem Zeitpunkt, im Spätsommer 2013, hatte das japanische Unternehmen rund 350 Ladengeschäfte in Japan und China und strebte die Expansion in die USA an. »Es ging darum, aus Japan hinauszugehen, aber auch darum, im Heimatland ein internationaleres Image zu entwickeln«, so Simon Betsch. »Außerdem wünschten sich Hitoshi Tanaka und das JINS-Management ein einheitlicheres Markenbild und eine professionellere Markenführung.«
»Wir verfolgen einen ganzheitlichen Beratungsansatz, der alle Facetten des Unternehmens in das Markenmanagement einbezieht« Simon Betsch, Managing Partner bei KMS TEAM in München
Im Oktober 2013 reisten Simon Betsch und Kreativdirektor Patrick Märki nach Tokio, um zu analysieren, in welchen Punkten Handlungsbedarf besteht. KMS TEAM verfolgt einen ganzheitlichen Beratungsansatz, der alle Facetten des jeweiligen Unternehmens ins Markenmanagement einbezieht. Dazu gehört auch, sämtliche für die Markenbildung relevanten Perspektiven und Organisationseinheiten von Anfang an ins Boot zu holen. Das spiegelt sich auch in der Teamstruktur bei KMS wider, die von Strategy über Design bis Digital und Communication die jeweiligen Experten für ganzheitliche Markenentwicklung in Teams organisiert. Die Münchner schwören auf gegenseitigen kreativen Input, insbesondere zwischen Strategie und Design.
Am Anfang steht die Recherche
Der erste Schritt der Markenstrategie ist die strategische Analyse des Unternehmens und des Markts. Geschäftszahlen, Produktportfolio, Wettbewerber, Marktsegmente. »Wir schauen immer die Historie des Unternehmens an, wie es groß geworden ist. Denn den Gründungsmythos sollte man bei der Markenentwicklung unbedingt kennen«, so Simon Betsch. Mitarbeiterbefragungen anhand systematisierter Fragebögen oder persönlicher Gespräche gehören ebenso zum Job wie das Auswerten bereits existierender Daten und Studien – oder auch das Anfertigen eigener Marktstudien. Unzählige Informationen rund um den japanischen sowie den globalen Brillenmarkt trugen die Strategen zusammen und erstellten daraus einen Funktionsmechanismus des Markts, die sogenannte Marktlandkarte.
Eine Herausforderung, mit der die Münchener zu kämpften hatten, war sprachlicher Natur, denn viele der benötigten Informationen lagen nur auf Japanisch vor. »Zunächst haben wir mit Übersetzern gearbeitet, das hat den Prozess nicht gerade beschleunigt«, erinnert sich Simon Betsch. Dann jedoch freundete sich KMS mit einer Tokioter Agentur an, die schon mehrfach für JINS gearbeitet hatte. »Einer der Geschäftsführer dort war in den Vereinigten Staaten aufgewachsen – für uns ein Segen, er hat wesentlich zum Erfolg des Projekts beigetragen.
Zielpositionierung erarbeiten
Das Geschäftsmodell von JINS ist: qualitativ hochwertige Brillen zu günstigen Preisen – eine Art japanischer Fielmann, aber mit einer jüngeren, frischeren Herangehensweise. Dabei verkauft JINS ausschließlich eigene Modelle. Hier kamen die Strategen ins Spiel. Ihre Aufgabe: ein Zielbild entwickeln, wo die Marke hingeht, dieses formulieren und dann im Unternehmen mit den jeweiligen Teams die entsprechenden Maßnahmen erarbeiten.
»Einfach zu sagen: ›Du kommst rein und findest die richtige Brille‹, ist zu wenig« Simon Betsch
Im Prinzip bestand die Aufgabe von KMS TEAM darin, aus einem Bauchgefühlmanagement eine klare Organisation formen. Beispiel Umsatzsteigerung: Bislang war das Unternehmen mit seinem Sortiment in erster Linie über Sonderangebote gegangen – nicht der optimale Weg, um im hart umkämpften japanischen Brillenmarkt langfristig zu bestehen. Die Zielpositionierung, die KMS erarbeitete, lautete: wertig und dabei günstig, aber nicht billig; modisch, aber nicht exzentrisch. »Zu exzentrisch darf das Produktportfolio nicht sein, weil JINS ja hohe Stückzahlen verkaufen muss und daher von vielen Kundengruppen akzeptiert werden muss. Zu günstig auch nicht, denn dann gerät man sehr schnell in die Discount-Wettbewerbssog.«
Für mehr Umsatz schlugen die Münchner vor, die stationären Brillenläden über durchgängige Kundenprofile mit dem E-Commerce zu verknüpfen. Es gibt bisher nur wenige Anbieter, die das machen – und keinen, der damit neue Angebote wie einen Lieferservice oder Produktempfehlungen verbindet. »Diese Stärke von JINS, die Verbindung von Online und Offline, wollten wir intensiver für die Weiterentwicklung der Marke und die Alleinstellung von JINS nutzen«, so Simon Betsch. Nicht nur für Produkt und Vertrieb, sondern auch für den Service oder die Kommunikation erarbeiteten die KMS-Strategen Zielkorridore, die in Briefings für die verschiedenen Teams bei JINS mündeten. Daraus entstand schließlich eine Strategie mit konkreten Maßnahmen, wie beispielsweise der Aufbau der übergreifenden Kundendatenbank, um die strategischen Ziele zu erreichen.
Das Unternehmen entlang der Marke ausrichten
Im nächsten Schritt ging es darum, zu erarbeiten, was die strategischen Ziele für die Markenidentität bedeuten. »Als Marke mit einer Preis-Leistungs-Positionierung müssen wir ein attraktives und übergreifendes gesellschaftliches Konzept adressieren und auch ein entsprechendes Wertesystem etablieren«, erläutert Simon Betsch. »Einfach zu sagen: ›Du kommst rein und findest die richtige Brille‹, ist zu wenig.« Zur Systematisierung clusterten die Strategen die Werte von JINS. Das Ergebnis waren drei klare Markenwerte, die für den Kern der Markenidentität stehen: »progressive«, »inspiring« und »honest«. Die Leitidee dahinter lautet: »Magnify Life«.
»Wir schauen uns immer auch die Historie des Unternehmens an. Denn den Gründungsmythos sollte man bei der Markenentwicklung unbedingt berücksichtigen« Simon Betsch
Auch die Umsetzung dieser Identität fiel in die Verantwortung des Strategy-Teams von KMS. Die Verantwortlichen der verschiedenen Unternehmensbereiche bei JINS – Produktportfolio, Kommunikation, Marketing, Kundenverhalten – arbeiteten bislang eher losgelöst voneinander beziehungsweise mit unterschiedlichen Zielvorstellungen. »Diese Kette im Unternehmen abzustimmen und entlang der Marke auszurichten ist Aufgabe der Strategen«, sagt Simon Betsch und erklärt, wie das geht: »Gibt es beispielsweise einen Insight aus dem Markt, dass die Kunden mehr schwarze Brillen wollen, sollte die Produktion nicht sofort anfangen, nur noch schwarze Brillen zu produzieren, sondern den Insight entlang der Markenwerte filtern.«
Konkret müsste man also mehr Schwarz ins Portfolio bekommen, ohne das Markenprofil im Rahmen der Kollektionsaussage zu verfälschen. Die Produktdesigner könnten etwa beim nächsten Launch ein schwarzes Highlight-Produkt in den Fokus rücken und darunter die farbigen Modelle anordnen. Das Marketing kann dann zur schwarzen Highlight-Brille ein passendes Testimonial suchen und das Ganze entsprechend kommunizieren.
»Für japanische Augen sah die Wortmarke JINS völlig okay aus, für europäische waren die Buchstaben allerdings ganz schön schief.« Patrick Märki, Kreativdirektor bei KMS TEAM in München
Parallel zu den Zielformulierungen und Umsetzungen arbeiteten die Designer bei KMS an der Weiterentwicklung und Systematisierung des Corporate Designs. Das auf den Kopf gestellte »i« im Logo hätten sie gerne auf die Füße gestellt, aber das ging Hitoshi Tanaka zu weit. Sie überarbeiteten jedoch die aus lateinischen Buchstaben bestehende Wortmarke, die für europäische Augen ein bisschen schief aussah. Die restliche bei JINS verwendete Typografie flog über Bord, und es wurde ein neuer Corporate Font gezeichnet, den JINS mit der japanischen Schrift Axis kombinierte. Auch die angestaubte Produktbildsprache wurde überarbeitet und professionalisiert.
Den Markenauftritt entstauben
Zusammen entwickelten Strategen und Designer ein Bildkonzept aus drei Teilen. »Wenn wir sagen: ›Magnify Life‹, will man entsprechende Lebenssituationen sehen. Jedes Stück Kommunikation sollte wie eine kleine Bilderstory sein«, so Kreativdirektor Patrick Märki. Bei jedem Shooting entstanden fortan Bilder vom Produkt, vom Model und von der Umgebung. So erhält man verschiedene Situationen, die sich immer wieder anders nutzen lassen. Zum Beispiel produktfokussiert, um Brillen zu verkaufen, oder storyorientiert, um eine Geschichte zu erzählen.
Gegen den anfänglichen Widerstand von Hitoshi Tanaka entwickelte KMS das Augenabstandsraster. »Wenn wir eine Gesellschaftsmarke sein und für möglichst viele Leute zugänglich sein wollen, sollte das menschliche Gesicht unser Maßstab sein«, ist Patrick Märki überzeugt. Und weil der durchschnittliche Augenabstand 63 Millimeter beträgt, entwickelten die Kreativen auf dieser Basis ein Raster, das zum Beispiel in den Produktdisplays im Store zum Einsatz kommt.
Wie sieht der digitale Ansatz aus?
Im Laufe des Projekts bat Hitoshi Tanaka auch um eine Beratung rund um das Thema E-Commerce. Also schnappten sich die Markenstrategen die User-Experience- und Digital-Kollegen und recherchierten. Wie funktioniert der digitale Markt bei Brillen? Welche Geschäftschancen gibt es? Welche Technologien? Und was braucht JINS dafür? »Digitale Medien haben heute nicht den Zweck, eine Marke cool darzustellen, sondern ein dauerhafter Begleiter des Kunden zu sein«, sagt Simon Betsch. »Wenn ich im Laden eine Brille gekauft habe und komme nach Hause, dann erwarte ich beim Einloggen in meinen JINS-Account Empfehlungen wie: ›Dein Modell kommt nächste Woche in Grün raus, vielleicht möchtest du das auch haben.‹«
Voraussetzung dafür ist ein einheitliches IT-System zwischen dem physischen Shop und online. Solche Konzepte zu entwickeln, für die Marke zu bewerten und zu überlegen, wann ein guter Zeitpunkt für die Umsetzung ist, gehört genauso zum Job der ganzheitlichen Markenführung wie die Unterstützung bei der Bewertung und Planung der Retail-Landschaft. Inzwischen findet sich auch hier das Markenbild, zum Beispiel die Bildsprache und das 63-Millimeter-Raster, wieder.
»Der Endpunkt ist nicht, dass am Ende ein Stück Kommunikation rausfällt, sondern, dass Hitoshi Tanaka sein Unternehmen jetzt anhand von Prinzipien führt, die alle verstanden haben und mittragen« Simon Betsch
Auch eine Kick-off-Kampagne zum neuen Markenkonzept sollte KMS entwickeln. So entstand das Kampagnenmotto »Magnifying Moments« mit der Headline »What do you see?«, für die KMS sechs Testimonials mit ihrem ganz besonderen Blick auf die Welt einsetzte. Sie sind die Protagonisten in sechs Kurzfilmen, die sie in ihrer Lebenswelt zeigen. Jede Episode ist so individuell wie die JINS-Brille, die der jeweilige Protagonist trägt. Da gibt es Kazuo Yoshikawa, der traditionelle japanische Indigofärberei einsetzt und Textilien und Papiere zu wertvollen Unikaten macht. Oder die Papierkünstlerin Risa Fukui aus Tokio, die anschaulich zeigt, wie bei ihrer Arbeit Tradition und Moderne ineinandergreifen. Zur Erstellung des Lookbooks zur Kollektion begleitete KMS die Testimonials jeweils einen Tag lang. »Das war ein großartiger Teil des Jobs, der unseren Blick auf die Welt geschärft hat, den wir aber ohne Unterstützung durch Partner vor Ort nicht hätten umsetzen können«, so Simon Betsch.
Lookbook und Kampagne sind weithin sichtbare Meilensteine – Managing Partner Betsch ist aber überzeugt, dass das Projekt auch ohne sie ein Erfolg geworden wäre. »Der Endpunkt ist ja nicht ein Stück Kommunikation. Es ist die Tatsache, dass JINS heute ein Unternehmen ist, das anhand von vergleichbaren Zielvorstellungen und einer gemeinsamen Identifikation geführt wird. Dass es eine gemeinsame Idee gibt, was richtig und falsch für JINS ist.«
Nach- und hinterfragen
Bei der interkulturellen Zusammenarbeit gab es viel weniger Unterschiede, als anfangs gedacht. So waren die japanischen Kollegen sehr offen und direkt und legten genau wie KMS großen Wert auf Präzision, Substanz und Qualität. »Darüber hinaus war es nicht nur eine äußerst kollegiale Zusammenarbeit, über die Jahre sind echte Freundschaften entstanden«, freut sich Simon Betsch.
»Wir mussten äußerst präzise sein und kristallklar wissen, wie der eine Baustein auf dem anderen sitzt« Simon Betsch
Momentan arbeitet JINS an neuen Produkten, auch mit europäischen Designern wie etwa Jasper Morrison. Und wer weiß, vielleicht bekommt KMS TEAM ja schon bald den Auftrag, den europäischen Markteintritt zu begleiten.Das Nachfragen und Hinterfragen hatte in Japan allerdings eine andere Dimension als in Deutschland. Alle wollten es immer ganz genau wissen. »Die ließen nicht locker. Wir mussten äußerst präzise sein und kristallklar wissen, wie der eine Baustein auf dem anderen sitzt – ein tolles Training und eine echte Bestätigung unserer eigenen Identität, die immer Klarheit vor Buzzwording setzt.«
Mit der richtigen Strategie zum Kunden
So entwickelt KMS TEAM maßgeschneiderte Markenstrategien
Statt einem statischen Markenmodell zu folgen, stellen sich die Brand Strategists bei KMS TEAM flexibel auf jeden Kunden neu ein. Wie tickt das Unternehmen? Was sind die wichtigsten Werte, die die Marke vertritt, und wie kommuniziert man sie am besten nach innen und außen? »Wer einem Unternehmen mit vorgefertigten Denkmustern begegnet, hat wenig Chancen dessen Stärken, Potenziale und Wirkungszusammenhänge zu erkennen und weiterzudenken«, erklärt Simon Betsch, Managing Partner bei KMS TEAM. Allgemeingültige Markenmodelle, die der Individualität und spezifischen Organisationsform eines Unternehmens gerecht werden, gibt es nach Ansicht der Münchner Agentur nicht.
Sobald KMS TEAM auf Basis der Recherche im Unternehmen sowie im Markt eine Brand Strategy entwickelt hat, leitet die Agentur daraus sogenannte Brand Experience Principles ab, die unter anderem das Corporate Design und die Corporate Language umfassen. Im Rahmen des Touchpoint-Managements nimmt die Agentur Prozesse und Strukturen innerhalb des Unternehmens ins Visier, schult Mitarbeiter und setzt interne Kommunikationsmaßnahmen um. Für die Interaktion mit dem Unternehmenskunden erstellt KMS TEAM Guidelines und Briefings. Der tatsächliche Kundenkontakt erfolgt über die Produkte und Services selbst sowie in Geschäften, bei Events und natürlich Online.
Alle weiteren PAGE-Connect Artikel zum Thema Brand Strategy bei KMS Team finden Sie hier.
Zum Download des PAGE Connect eDossiers »Das macht ein Brand Strategist bei KMS TEAM« geht’s hier.