Frank Berzbach ist unter anderem für sein Buch »Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen« bekannt. Im Interview erklärt er den Unterschied zwischen hingebungsvoller und auszehrender Arbeit – ein Problem, das viele Kreative betrifft.
Dr. Frank Berzbach unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung und Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln. Er ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Kreativität. Sein bislang erfolgreichstes, »Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen. Anregung zu Achtsamkeit«, ist mittlerweile in zehnter Auflage erschienen. Berzbach selbst praktiziert seit 2007 Zen – und ist gleichzeitig katholisch. Wir sprachen mit ihm über den Unterschied zwischen hingebungsvoller und auszehrender Arbeit und warum achtsames Design den Betrachter fordern sollte.
Achten Kreative zu wenig auf sich?
Frank Berzbach: Es kommt darauf an, wo und wie man in der Kreativbranche tätig ist. Wer als Freier an Herzensprojekten arbeitet, bezieht seine Energie aus einer guten Quelle. Das zehrt weniger aus, als wenn einem von der Agentur vorgeschrieben wird, wie lange man arbeiten muss. Die Stundenzahl ist letztlich irrelevant – es geht um die Rahmenbedingungen.
Es hilft also, weniger fremdbestimmt zu sein?
Wir sind alle in gewissem Maße fremdbestimmt, aber als Freelancer hat man eher die Möglichkeit, sich selbst zu bremsen. Es ist etwas anderes, als seinem Chef zu sagen: Ich gehe jetzt nach Hause, weil ich nicht mehr kann. Ich glaube aber, die Branche ist im Umbruch, weil viele Leute nicht mehr alles mit sich machen lassen.
Wie ist Achtsamkeit zu Ihrem Thema geworden?
Letztlich liegt allen meinen Büchern über Kreativität die Auffassung zugrunde, dass die Idee einer Work-Life-Balance nicht stimmt, weil alles eins ist.
Schon in meinem ersten Buch, »Kreativität aushalten. Psychologie für Designer« habe ich beschrieben, dass das erfolgreichste therapiebegleitende Anti-Stress-Programm MBSR ist – die Abkürzung steht für Mindfulness-Based Stress Reduction. Ich selbst praktiziere Zen. Irgendwann wurde mir klar, dass diese Dinge miteinander zu tun haben. In der Psychologie und in der Medizin sind die Wirkung und die Erfolge von Achtsamkeitstraining sehr gut nachgewiesen. Das ist keine Esoterik.
In meinem zweiten Buch, »Die Kunst ein kreatives Leben zu führen«, habe ich Kreativität dann aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet: nachdenklicher, tiefer, auch religiöser. Es geht dort um schöpferisches Handeln und schöpferisches Leben. Letztlich liegt allen meinen Büchern über Kreativität die Auffassung zugrunde, dass die Idee einer Work-Life-Balance nicht stimmt, weil alles eins ist. Und Flow ist mitunter gefährlich, weil er rauschähnlich die Wahrnehmung verengt – und das ist der Punkt, an dem wir anfangen, nicht mehr auf uns zu achten.
Können Sie das näher erläutern?
Flow ist mitunter gefährlich, weil er rauschähnlich die Wahrnehmung verengt – und das ist der Punkt, an dem wir anfangen, nicht mehr auf uns zu achten.
In der Arbeitslehre des Benediktinerordens heißt es: Man soll sich der Arbeit hingeben, sich aber nicht in ihr aufgeben. Die auszehrende Arbeit ist die, in der man sich aufgibt. Die hingebungsvolle Arbeit hat Joseph Beuys einmal so beschrieben: »Ich ernähre mich von Kraftverschwendung«. Das bedeutet: Man kann viel kreativ arbeiten, solange man sich eine gewisse Substanz bewahrt. Dabei helfen etwa ein Hund, der regelmäßig raus muss, die Familie oder der Partner. Sie bringen einen dazu, innezuhalten und sich anderen Dingen zu widmen.
Viele haben Berührungsängste vor den spirituellen Aspekten von Achtsamkeit.
Ich will niemanden missionieren, sondern biete Wissen über verschiedene Wege an. Fast alle Menschen haben spirituelle und religiöse Bedürfnisse, unterdrücken diese aber. In der Arbeitswelt spricht man über so etwas erst recht nicht. Aber Leute, die in Krisen geraten, stellen sich Sinnfragen – und nicht nur Energiefragen. Was tue ich hier eigentlich? Warum gehe ich morgens zur Arbeit? Das kann man nicht so leicht beantworten oder in eine Pro- und Kontra-Liste sortieren.
Man muss an das glauben, was man tut, und es für sinnvoll erachten. Sonst geht man über kurz oder lang an der Arbeit kaputt.
Wer arbeitet, tritt in eine Wertegemeinschaft ein und prägt die Welt mit. Da drängen sich irgendwann Zweifel auf, ob man das zur Welt beiträgt, was man möchte. Man muss an das glauben, was man tut, und es für sinnvoll erachten. Sonst geht man über kurz oder lang an der Arbeit kaputt. Jeder hat diese Momente – und die muss es auch geben. Kein Kreativer sieht seine Arbeit allein zweckrational.
Was ist Achtsamkeit denn nun genau?
Es ist der gängige deutsche Begriff für das buddhistische »Sati«, wobei es dabei streng genommen eher um »Gewahrsein« oder »Präsenz« geht. In diesem Kontext ist Achtsamkeit die Fähigkeit, den Geist in der Gegenwart zu halten, sich zu konzentrieren, und das, was man sieht, nicht zu bewerten. Während dieser Beobachtung geht es darum, die eigenen Denk- und Gefühlsmuster nicht aus dem Blick zu verlieren. Das ist unglaublich anspruchsvoll und hat nichts mit Wellness zu tun. Das wird in unserer Kultur oft verwechselt. Achtsamkeit muss man üben, es ist ein lebenslanger und weiter Weg.
Achtsame Ästhetik erfordert Aufmerksamkeit und eine bewusste Beschäftigung mit den Dingen.
Außerdem geht es nicht darum, die Leute einfach zu beruhigen oder einzulullen. Ganz im Gegenteil: Auf alten buddhistischen Gemälden sieht man oft Leichen herumliegen – als Hinweis darauf, dass man das Leiden und den Tod nie vergessen soll. Das ist für uns ziemlich irritierend und anstrengend, weil unsere westliche Ästhetik von Beruhigung, Symmetrie und Perfektion geprägt ist. Achtsame Ästhetik erfordert jedoch Aufmerksamkeit und eine bewusste Beschäftigung mit den Dingen.
Haben Sie dafür noch ein Beispiel?
Die traditionelle japanische Malerei lehnt Farben ab. Ein Bild soll den Geist aktivieren, der die Farbe selbst projizieren muss. Das ist genau das Gegenteil der heutigen, überästhetisierten Stockfotografie. Ein weiteres Beispiel: Ein achtsam gestalteter Hocker ist unbequem, denn man soll ja den Rücken gerade halten. Ein gemütlicher Loungesessel macht dagegen träge – sowohl den Körper als auch den Geist.
Bei achtsamem Design sollte es auch um die Auswirkungen für Nutzer und Gesellschaft gehen.
Auch hier gibt es Analogien zum Buddhismus: In der Karmalehre hat alles eine Ursache und eine Wirkung. Jede Handlung und jeder Satz haben Folgen, die viel weiter reichen, als wir denken. Wir selbst sind und erleben die Folgen von Vorhandlungen – nach der buddhistischen Lehre sogar aus vorherigen Leben. Man muss sich bewusst machen, wie viele Handlungen zu einem bestimmten Moment geführt haben, den wir erleben – und dass man das nie in Gänze erfassen kann. Diese Vorstellung ist sehr umfassend und führt dazu, dass man nicht mehr sagen kann: Ist doch egal, was ich tue.
Das gilt besonders für Designer.
Wir alle formen mit unserer Arbeit die Welt, Designer sogar ganz unmittelbar. In diesem Sinne gibt es keine einflussreichere Berufsgruppe als Gestalter.
Wir alle formen mit unserer Arbeit die Welt, Designer sogar ganz unmittelbar. In diesem Sinne gibt es keine einflussreichere Berufsgruppe als Gestalter. Nachhaltiges Design bezieht sich meist auf ökonomische und ökologische Aspekte. Aber man kann genauso die »spirituellen« miteinbeziehen: Werte wie Mitgefühl und Nächstenliebe. Man kann Waffen nachhaltig gestalten – aber nicht achtsam. Derzeit gibt es eine Rückkehr der Werte: Wir denken verstärkt darüber nach, was Produkte eigentlich mit den Menschen machen.
Wenn man das große Ganze sieht, kann man viele Dinge gelassener angehen?
Allerdings. Wir lassen uns oft die Laune von Sachen vermiesen, die total unwichtig sind. Will ich mir von einem leeren Nutellaglas beim Frühstück wirklich den ganzen Tag versauen lassen? Im Zen würde man sagen: Betrachte alles aus der Perspektive von Leben und Tod. Dann wird vieles schnell unwesentlich. Eine Nummer kleiner ist die Frage: Spielt das in einem Jahr noch eine Rolle? Die Unruhe- und Stress zustände, die wir heute der Digitalisierung und allgemeinen Beschleunigung zuschreiben, hat Buddha übrigens schon 500 vor Christus beschrieben. Sie sind kein neues Phänomen, sondern urmenschliche Empfindungen. Entsprechend müssen wir auch die Lösung dafür in uns selbst suchen.
Wie?
Man kann das Grübeln nicht mit noch mehr Denken überwinden. In asiatischen Lehren geht es eher darum, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen.
In der westlichen Kultur versuchen wir, alles mit Moral und Vernunft zu lösen. Das heißt, wir unterscheiden schnell Gut und Böse, und seit der Aufklärung ist eine bestimmte Art von Rationalität sehr dominant – was davon abweicht, finden wir »unvernünftig«. Aber man kann das Grübeln nicht mit noch mehr Denken überwinden. In asiatischen Lehren geht es eher darum, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen – durch Praktiken wie Tai-Chi, Yoga oder Meditation. Yoga ist für westliche Kulturen aufgrund der körperlichen Komponente häufig zugäng licher als Meditation an sich. Bei dieser tut man im Grunde ja nichts!
Meditations-Apps erfreuen sich gerade großer Beliebtheit.
Davon halte ich gar nichts. Meditation kann man höchstens unter Anleitung in einem Meditationszentrum lernen. Letztlich geht es nur um die richtige Sitzhaltung und darum, den Atem zu zählen. Dafür braucht es keine App. Gedankenreisen oder autogenes Training sind Entspannungstechniken – die sind wirksam und gut, aber etwas ganz anderes. Meditation ist eine Präsenzübung und keine Entspannung. Man entwickelt dadurch ein gesundes Verhältnis zu seinem Kopf, indem man sich von seinen Gedanken distanziert. Das muss man täglich üben. Dafür braucht man nur seinen Atem – und den hat man immer dabei.
Mein Tipp: Im Büro öfter mal die Augen schließen, bewusst atmen – und dann konzentrierter an Situationen und Aufgaben herangehen. Das ist meist die bessere Wahl, als sich einen weiteren Kaffee zu holen. Es hilft auch dabei, die Lücke zwischen Impuls und Handlung zu vergrößern. Wenn wir nicht sofort auf einen Impuls reagieren, ist er oft innerhalb der nächsten zehn Minuten verschwunden. Dadurch spart man sich zum Beispiel Ärger mit dem Kollegen oder auch Kalorien, weil man nicht sofort zum Schokoriegel gegriffen hat.
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In PAGE 4.19 beleuchten wir, wie man es auch als Kreativer schafft, mal abzuschalten – und warum das so wichtig ist. Die Ausgabe können Sie hier kaufen.