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Visual Artists: Die Kreativszene in Afrika boomt!

Ob Buchcover, NFTs, Comics oder Animationsfilme – eine neue Generation aufregender Visual Artists bricht sich in Afrika Bahn. Wir geben Einblicke

Illustration von Supervillain: Eine PoC mit roter Sonnenbrille und grünen Haaren und Augenbrauen hält einen Sneaker in der Hand, so als würde sie damit telefonieren
Ember Sough aka Bad Oats aka Supervillain aus Nigeria hat – von Mangas inspiriert – einen ganz eigenen Stil entwickelt. Unter https://supervillain.carrd.co findet man seine Social-Media- und NFT-Kanäle

Es ist ein Wahnsinnsumbruch, der gerade passiert: Die Kreativszene auf dem afrikanischen Kontinent boomt wie nie zuvor. Überall schießen Festivals und Kunstmessen aus dem Boden und locken ein internationales Publikum an. Zum Beispiel die 2016 gegründete ART X Lagos, die im November wieder statt­fand und inzwischen als eine der wichtigsten Messen für afrikanische Kunst gilt. Immer öfter sind dort auch digitale Kreationen zu sehen.

Illustration von Supervillain: Die Hand einer PoC mit langen goldgelben Nägeln und einem funkelndem großen Ring hält ein älteres rotes Klapphandy, auf dessen Display »Pick Up« zu lesen ist.

Tatsächlich hat das Internet entscheidenden Anteil an der aktuellen kreativen Explosion. Außer in Südafrika fehlt es in den meisten subsaharischen Län­dern noch an guten Ausbildungseinrichtungen für künstlerische Talente. Die Mehrheit der jetzt gefeier­ten Digital Artists hat eher technische Studiengänge oder Berufsstarts hinter sich und betätigte sich zeich­nerisch lange bloß ganz privat. Die sozialen Medien, vor allem aber NFTs haben das grundlegend verändert – befeuert von Vorreitern wie Prince Jacon Osinachi Igwe 2021, der als erster afrikanischer Künstler NFTs beim berühmten Londoner Auktionshaus Christie’s versteigerte.

Illustration von Supervillain: Zwei Hände einer PoC mit hellblauen Fingernägeln und vielen silbernen Ringen öffnen eine Getränkedose

Digitale Kunst in Afrika: Sichtbar werden

Maxwell Dewunmi ist einer von jenen, die der Trend mitgerissen hat: »Bevor es NFTs gab, wusste ich gar nicht, wie viel großartige digitale Kunst in Afrika ent­steht. Jetzt kommen plötzlich viele Artists aus der Deckung. Vor allem die ART X Lagos von 2021 war eine sehr positive Erfahrung! Es gab Räume mit gro­ßen Screens für digitale Artworks, die uns gezeigt haben, dass wir nicht allein sind – und dass unsere Kunst geschätzt wird.«

3D-Artwork von Maxwell Dewunmi auf dem Cover der Zeitschrift Agbowó.

Dewunmi studierte zunächst in seiner ostnige­rianischen Heimatstadt Jos Physik, ging dann nach Lagos und brachte sich alle seine Design-Skills selbst bei. Zunächst gestaltete er vor allem Plattencover für die brodelnde nigerianische Musikszene. Inzwischen arbeitet er meist in 3D, bietet seine Illustratio­nen auch als NFTs an – und lieferte jüngst das Cover­motiv des Literaturmagazins »Agbowó«.

Artwork von Maxwell Dewunmi auf dem Cover eines Romanes von Mary-Alice Daniel
Maxwell Dewunmi kreiert überirdisch anmutende 3D-­Wesen – etwa fürs Literaturjournal »Agbowó«. Unter die »22 Best African Book Covers of 2022« wurde Adekunle Adelekes Motiv in dem auf afrikanische Literatur spezialisierten Onlinemagazin »Brittle Paper« gewählt

Afrikanische Geschichten brauchen Bilder

Der internationale Boom der afrikanischen Literatur ist tatsächlich ein weiterer Faktor, der die Illustration beflügelt. Auf dem Kontinent selbst spielen dabei Online-Literaturmagazine eine wichtige Rolle. Das vor fünf Jahren an der Universität von Ibadan in Nigeria gegründete Kunst- und Literaturkollektiv Agbowó beispielsweise gibt nicht nur ein Print­ma­ga­zin heraus, sondern betreibt auch die sehens- und lesenswerte Website https://agbowo.org, die regelmäßig die am Heft beteiligten Illustrator:innen in Interviews vorstellt.

 

Ein Riesenhit ist »Super Sema«. Die zehnjährige Heldin bringt in einer App Kindern das Lesen bei und bekämpft in einer YouTube-Animationsserie mithilfe von Wissenschaft, Technik und Mathe einen bösen Roboter, der ihre Stadt beherrschen will. Produktionsfirma ist Kukua aus Nairobi, zu deren wichtigsten Investor:innen Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o gehört, bekannt aus »12 Years a Slave« und der wegweisenden Afrofuturismussaga »Black Panther« von Marvel.

Filmstill aus dem animierten Kurzfilm »Chiedza«
Vielerorts in Afrika schießen Animationsstudios aus dem Boden. In Zimbabwe etwa BrickVillage, das für Werbekunden, aber auch an eigenen Projekten arbeitet – ­zurzeit an einem Kurzfilm um die rebellische junge »Chiedza«

Reale und mythische Wesen

Bei einer südlich der Sahara im Schnitt 18,3 Jahre alten (!) Bevölkerung erfreuen sich auch Graphic Novels und Comics großer Beliebtheit. Meist werden sie nicht in gedruckter Form, sondern online konsumiert, etwa bei der führenden Comic-Abo-Plattform Vortex. Neben afrikanischen Superheld:innen sind in den Bildergeschichten göttliche Wesen, mythische Monster und legendäre Figuren der lokalen Geschichte anzutreffen. Der Afrofuturismus, eine der prägendsten visuellen Strömungen des Kontinents, verschmilzt hier – wie übrigens auch bei vielen NFTs aus Afrika – Gegenwart, Vergangenheit und Sci-Fi-Zukunft in einer unauflöslichen, identitäts­stiften­den Verbindung.

Zwei Comicpanels aus dem Online-Comic »Moraan«
Im Online-Comic »Moraan« von Studio Avandu Vosi hat eine verschworene Kampftruppe den Wilderern den Krieg erklärt. Doch plötzlich mischen sich Geister der Ahnen – ­sogenannte Ancestrals – in Gestalt von Monstern ein

Zu den interessantesten Publishern gehört Avandu Vosi aus Kenia. Gründer Salim Busuru ist Autodidakt, zeichnete zunächst Logos, Illustrationen und kleine Comics für NGOs, arbeitete dann in einer Wer­beagentur. Inzwischen entstehen in seiner Firma beliebte Webtoons wie das Fantasy-Abenteuer »Sana­mu«, wo Kriegerdrillinge gegen einen Hexendok­tor kämpfen, Casual Games wie das im Kinderalltag des ländlichen Kenia angesiedelte Jump ’n’ Run »Kade« oder so actiongeladene Animationsfilme wie »Ma-Otero«. Das Motto: »Wir wollen der Welt mit Comics Geschichten aus der afrikanischen Kultur erzählen.«

Diesen Ansatz finden auch internationale Streaming-Plattformen spannend. So setzen HBO und Cartoon Network gerade die von der nigerianischen Yoruba-Tradition inspirierte Graphic-Novel-Reihe »Ivanu: Child of Wonder« als Animationsserie um. Die Produktion übernimmt das Oscar-prämierte afro­amerikanische Studio Lion Forge in St. Louis.

Es passiert also viel

. . . aber es gibt auch noch immer viel zu tun. Wie groß der Nachholbedarf bei der Darstellung schwar­zer Menschen ist, offenbarte ein Bild, das 2020 viral ging: eine anatomische Illustration des Medizinstu­denten Chidiebere Ibe, die einen Fötus im Körper ei­ner schwarzen Schwangeren zeigte. Eigentlich die normalste Sache der Welt, aber eben noch eine Rarität, die eine große Debatte über Bilder in medi­zi­nischen Büchern und Journalen auslöste. Und dabei geht es nicht nur theoretisch um Diversität, sondern ganz praktisch um Gesundheit. Der Mangel an Illus­trationen von Hautkrankheiten bei schwarzen Menschen etwa mache es schwer, richtige Diagnosen zu stellen, so Chidiebere Ibe. Der Nigerianer hält inzwischen weltweit Vorträge, hat auf Instagram rund 142k Followers, arbeitet an einem Lehrbuch über an­geborene Kinderkrankheiten und will ein Netzwerk medizinischer Illustratorinnen und Illustratoren aus Afrika aufbauen.

Hier findet man afrikanische Artists

Was bei den hier genannten Plattformen auffällt: Im Zentrum stehen Porträts schwarzer Menschen. Und besonders viele Arbeiten kommen aus Nigeria sowie Südafrika – oder auch aus der Diaspora.

Collagiertes Artwork von Jumbo Oyindoubra Clinton, auf dem unter anderem eine der berühmten Benin-Bronzen abgebildet ist

Muse Origins »Showcasing African creativity« ist Motto dieses Onlinemagazins, das die in Toronto lebende Nigerianerin Adiya Atuluku ins Leben rief. Die Collage auf der Startseite (oben zu sehen) kreierte Jumbo Oyindoubra Clinton: Sie zeigt eine der berühmten Benin-Bronzen, die die Briten in der Kolonialzeit als Beutekunst auch an deutsche Museen verkauften. Ein 2022 geschlossenes Abkommen zwischen Deutschland und Nigeria erlaubt es nun, dass die meisten dieser Stücke als Leihgaben erst mal an Ort und Stelle verbleiben.

Website www.museorigins.org
Instagram @muse_origins

African NFT Community Diese internationale Initiative versteht sich als Inkubator, der afrikanischen Artists beim Einstieg ins Metaverse und die Welt der NFTs hilft. Zugleich ist die Community aber eine per­fekte Adresse, um die junge Kreativavantgarde kennenzulernen. Wie immer bei NFTs ist Twitter der wichtigste Kommunikationskanal, wer »nur« tolle Bildwelten sehen will, ist bei Instagram richtig.

Website https://africannftcommunity.io
Instagram @africannftcommunity
Twitter @africannftclub

African Digital Art Das 2009 von Jepchumba gegründete Onlinemagazin mit Porträts Hunderter Artists wurde zum wichtigsten Medium für afrikanische Kreativität (wobei es trotz des Namens ruhig auch mal analog zugehen darf). Zu sehen sind meist freie Arbeiten, die sich zwischen (NFT-)Kunst, Illus­tration, Collage, Fotografie und Animation bewegen. Die aus Kenia stammende Gründerin wurde vom »Guardian« zu einer von »Africa’s Top 25 Women Achievers« gekürt und hält weltweit Vorträge.

Website www.africandigitalart.com
Instagram @africandigitalart

»Wir suchen bewusst global nach künstlerischen Talenten«

Illustrationsagentin Rebecca Dell leitet zusammen mit Illustratorin Isobel Mehta in London die Repräsentanz The Different Folk, die sich geografischer und stilistischer Vielfalt verschrieben hat. Einer der von ihnen vertretenen Artists ist Maxime Manga aus Yaoundé, Hauptstadt von Kamerun. Wir woll­ten Näheres wissen.

Portrait von Maxime Manga in seinem Studio
Maxime Manga in seinem Studio in Yaoundé. Seine Artworks, die er selbst als afrofutu­ristisch bezeichnet, zeigt er auf Instagram unter @mboa.art

Wann und wie seid ihr mit Maxime in Kontakt gekommen? 
Rebecca Dell: Seit Januar 2021 arbeiten wir offiziell zusammen, und es war eine tolle Erfahrung. Ich bin über Instagram auf ihn gestoßen und war sofort fasziniert. Am Anfang hatte er kei­ne wirkliche kommerzielle Erfahrung. Er war gerade 22, sprach wenig Englisch (wir brauchten für unseren ers­ten Call einen Französischübersetzer) und übernahm nur kleine private Aufträge. Das hat sich seither sprunghaft geändert! Wir hatten das Vergnügen, mit ihm an Projekten für Adobe, Converse, den »New Yorker« oder die Oscar-Akademie zu arbeiten.

Mixes Media Artwork von Maxime Manga aus Fotografie und digitaler Zeichnung

Seit wann gibt es The Different Folk und vertretet ihr noch andere Illustrator:innen aus Afrika?
Wir sind gerade zwei Jahr alt geworden! Ich selbst kenne die Branche seit zehn Jahren und kam über die Content- und Designagentur Chapel an Bord, die eine neuartige, zeitgemäße Reprä­sentanz aufbauen wollte. Seither suchen wir bewusst global nach künstlerischen Talenten, ohne uns auf die üblichen Kreativ-Hubs zu beschränken. So arbeiten wir auch mit Yay Abe und Hust Wilson aus Südafrika zusammen.

Mixes Media Artwork von Maxime Manga aus Fotografie, digitaler Zeichnung und Handlettering

Wie groß ist das Interesse im Markt? »Afrikanische« Looks wurden bisher meist von Kreativen aus Europa oder den USA gestaltet, inklusive der Cover afrikanischer Romane.
Das Interesse unserer Kund:innen, über die westlichen Märkte hinaus­zuschauen und diversere, inspirierende Artists zu suchen, wächst definitiv. Bei manchen Aufträgen geht es tatsächlich darum, afrikanische Illus­tra­tor:innen zu feiern. Aber oft werden sie einfach wegen toller Portfolios gebucht, egal, wo und in welcher Zeit­zone sie leben. Als Agentur achten wir darauf, dass Aufträge, die mit afrikanischer Kultur zu tun haben, an Artists aus Afrika oder aus der Diaspora gehen. Ebenso wie Aufträge mit ei­nem queeren Fokus an diese Community gehen sollten.

Mixes Media Artwork von Maxime Manga aus Fotografie und digitaler Zeichnung von abstrakten Formen

Dieser Artikel ist in PAGE 02.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 02.2023

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