Illustratorin Eva Dietrich und Sopranistin Lisa Florentine Schmalz brechen mit ihrer audio-visuellen Komposition »Fühl ich nicht« Klassikkonventionen
Frauenstimmen sind in den letzten hundert Jahren im Durchschnitt tiefer geworden, sie werden in Chören oder für Opern-Solos dennoch meist automatisch der höchsten menschlichen Stimme, dem Sopran zugeordnet. Die Sopranistin und Musikkünstlerin Lisa Florentine Schmalz stellte fest, dass Stimmlagen wie auch Kompositionen auf Notenblättern seit Jahrhunderten ohne ein Update und nach strikten Prinzipien eingeteilt und zu notieren sind – und zwar historisch männlich geprägt. Sie lud die Illustratorin Eva Dietrich dazu ein, mit ihrem Musiktheaterkollektiv staatsoper24 diese Klassikkonventionen audio-visuell-künstlerisch aufzumischen und eine Arie 2.0 zu entwickeln.
»Fühl ich nicht« ist der Titel ihres Projekts, mit dem sie unter anderem Hörerwartungen und -gewohnheiten hinterfragen und aufbrechen wollen. Anti-Vorbild für den Titel waren Arien-Textzeilen aus Mozarts Zauberflöte, in denen viel und meist euphorisch gefühlt wird, etwa »Ich fühl’ es, wie dies Götterbild mein Herz mit neuer Regung füllt.« Es heißt zu den Regungen der Männer dann auch: »Die süssen Triebe mit zu fühlen, ist dann der Weiber erste Pflicht« …
In der Textvorlage von Lisa Florentine Schmalz finden sich Gedanken zu standhaftem, hüftbreiten Singen und paternalistische Ratschläge wie »Mit den Beinen singt man, Mädchen« und »Große Opernsänger*innen haben in den Beinen Muskelkater, nirgends sonst.« Die singende Person reflektiert ihre Performance und Dietrichs figurative Illustrationen brechen aus dem Liniensystem aus, die Noten bekommen Beine.
Frei illustriert, frei gesungen
Die Illustratorin beschreibt ihren Stil als »schwarz-weiß und simpel, inhaltlich komplexe Gefühle kombiniert mit einem naiven Strich« und (laut ihrem Opa) irgendwo »zwischen Picasso und einer Dreijährigen, die mit einem zu großen Stift versucht, ein Pferd zu malen.« Zeichnet sie sonst hauptsächlich digital auf dem iPad, hatte sie für »Fühl ich nicht« Lust, mit Tusche zu arbeiten, auch um den Zufall und das Nicht-Perfekte zuzulassen.
Die Künstlerinnen fragen sich auch, welche Formen Töne haben können/müssen/dürfen und wie neu »geschriebene« Stimme klingen kann. Die eine antwortet zeichnerisch auf die schriftlichen Reflektionen der anderen, die wiederum noch einmal sängerisch die Illustrationen zu den Worten interpretiert. Das Live-Debüt der Zusammenarbeit feierten sie in Form einer installativen Performance auf dem Hamburger Festival feel jazz im vergangenen Februar: Schmalz sang die von Dietrich illustrierte und im Raum ausgehangene Komposition.
Sieben Seiten haben Lisa Florentine Schmalz und Eva Dietrich so gemeinsam komponiert und verfolgen ihre Arie als Work-in-progress weiter. Wäre doch schön, wenn ihr Werk männlich dominierte Szenen weiter aufmischen könnte. Sie hätten bestimmt nichts gegen eine Einladung in größere Ausstellungs- und Konzerthäuser. PAGE fühlt’s!
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