Von Porzellankatzen, lebenden Steinen, dem Olympia-Maskottchen 2016 und großartigem Grafikdesign: Das 11. Pictoplasma Festival hat Spannendes auf die Bühne gebracht – und auch Seltsames.
Die Party ging schon am Abend vorher los. Dennoch war das Kino Babylon in Berlin-Mitte zum Auftakt des 11. Pictoplasma Festivals am nächsten Morgen gut gefüllt. Der größte Teil des Publikums kam auch in diesem Jahr aus dem Rest der Welt – und während an dem Theater Volksbühne gegenüber knallrote Fahnen mit dem Wort »Krise« wehten, amüsierte man sich auf der anderen Straßenseite prächtig.
Erst über das Animationsfilm-Programm mit dem die dreitägige Konferenz vormittags startet, dann über die tollen Arbeiten des spanischen Grafikdesigners Lucas Zanotto, den es nach sieben Jahren Berlin mit seiner Familie nach Helsinki verschlug – und der dort den herrlichen Festivaltrailer drehte.
PICTOPLASMA FESTIVAL 2015 Opener from Pictoplasma on Vimeo.
Wie alle Finnen, besitzt auch seine Familie eine Holzhütte irgendwo in der Natur und während die Einheimischen mächtig Spaß haben, langweilt sich Zanotto spätestens nach zwei Tagen ziemlich. Und so lungerte er auf der Terrasse herum, ließ den Blick über die Felsen am See und über die Pappteller vom Grillen wandern und es klickte in seinem Kopf.
Seither hat er immer zwei von ihnen in seinem Gepäck, pappt sie an Heuberge, Erdhaufen oder Felsbrocken und lässt diese so zum Leben erwachen. Ganz wie in dem Festival-Clip, in dem er vom Sonnenauf- bis Sonnenuntergang mit gleich mehreren Felsen und mit Licht und Schatten spielt.
Sein Speech war der Auftakt zu einem Programm, das prall gefüllt, einiges an Ausdauer erfordert, sechs Vorträge am Tag bietet, ein Bild- und Filmfeuerwerk und jede Menge Socializing.
Da wird Wong Ping, Animationskünstler aus Hong Kong, dessen Werk mitunter wirkt, als treibe er sich etwas zu viel auf YouPorn herum, von der Bühne hinunter mit einem Gast aus Istanbul connected, um Erfahrungen von der Regenschirm-Revolution in Honk Kong und den Protesten im Gezi-Park Istanbul auszutauschen.
Früh duftet es nach Popcorn in den Kinoreihen, wenig später auch nach Bier, dazu gibt es zahlreiche Pausen zwischen den Vorträgen – und Workshops, Happenings, Parties und immer wieder ein Come together im Kinofoyer.
Zu den Highlights auf der Konferenzbühne zählt Nadine Redlich aus Düsseldorf, die, neu in der Pictoplasma-Familie, mit eigensinnigem und punktgenauem Humor das Internet analogisiert und dortigen Obsessionen nachspürt, Flipbooks mit dem Ladesymbol des Webs zeichnet – und Ambient Comics.
Zu Bildabfolgen von Ampelphasen, von aufgehendem Soufflé, einer abbrennenden Kerze oder Ähren, die sich im Wind wiegen, schlägt sie am Rednerpult den Gong, flüstert dem Publikum Phrasen zur Tiefenentspannung zu und hypnotisiert es.
Wie geht was? Welche Software nutzt du? Welche anderen Tools? Wie hast du als Illustrator ein Gefühl für Film-Rhytmus bekommen? Was ist besser, Fimo oder Plasticine? Das sind die Fragen, die nach den Vorträgen regelmäßig aufpoppen, ganz hands-on und nah dran an der Sache – und Mr. Kat aus Spanien, der seit einer Weltreise 2010 in Lima, Peru lebt, legt seinen Arbeitsprozess gleich ganz frei.
Von den Vorbildern, die in der prä-kolumbianischen Kultur liegen, zu seiner Arbeit mit Licht und Schatten, Formen und Oberflächen bis hin zum Produktionsprozess seiner hoch glänzenden Katzen, Schädel, Masken und Schlangen.
Yves Geleyn, um die Welt ziehender Animationskünstler, der wunderbar lyrische Clips in aufwändiger Technik dreht, mit Handpuppen, Stopptrick, Marionetten und handgezeichneten Geschichten, brachte zu jedem seiner Filme, die von einem legendären Weihnachtsspot »The Bear & The Hare«für die Kaufhauskette John Lewis über Werbung für Rice Crispies zu einer aufwühlenden Animation gegen Schusswaffen reichen, ein Making-of mit.
John Lewis – The Bear & The Hare from Blink on Vimeo.
Absolut umwerfend auch die farbgewaltige minimalistische Ästhetik des Kanadiers Nicolas Ménard, der in London lebt, seinen Liebeskummer in eine fast malerische Visual Story verwandelte und seine Dating-Versuche in die Geschichte eines riesengroßen orangenen Mannes, der verzweifelt das Telefon belauert.
Somewhere — Trailer (2013) from Nicolas Ménard on Vimeo.
Und während Sticky Monster Lab, in ihrer Heimat sowas wie Pop-Stars der Animation, durch die Welt ihrer so reduzierten wie persönlichen und emotionales Characters führten, zeigte Emmy-Preisträger und Character Designer Andy Ristaino von Adventure Time wie Pilze, Bäume und Korallen ihn inspirieren, erklärte Hikari Shimoda wie ihre kunterbunten und glitzernden Kinderporträts von den Atomkatastrophen in Nagasaki, Tschernobyl und Fukushima erzählen – und führten Luciana Eguti und Paulo Muppet von dem brasilianischen Studio Birdo durch ihr verblüffendes Werk und erzählten, wie ihnen ihr größter Coup bisher gelang, die Entwicklung der Maskottchen für die Olympischen Spiele in Rio 2016.
Sie gestalteten Vinicius und Tom, die nach berühmten brasilianischen Musikern benannt sind, indem sie in dem gelben Maskottchen alle Tiere des Landes vereinten und in dem grünen alle Pflanzen in den brasilianischen Wäldern.
Wer Glück hatte, konnte sogar einen von ihnen als Stofftier mit nach Hause nehmen – und spätestens als Birdo sie ins Publikum warfen, hielt es niemanden mehr auf seinem Sitz …
Abb. oben: Still aus dem Film Lesley The Pony Has A A+ Day! von Christian Larrave.