Kitzbühel Rebranding: »Von der Gams zur Belanglosigkeit«
Naturschönheit und Historie sollen im neuen Markenauftritt von Kitzbühel keine Rolle mehr spielen. Norbert Möller, ECD der Peter Schmidt Group, findet: Ohne Not vernichtet die Stadt ihr stärkstes Kapital und wird zur austauschbaren Event-Location. Seine Designkritik zum Rebranding
Und das aus gutem Grund: Ursprünglich stammt die Gams aus dem Wappen Kitzbühels und wurde vom Maler Alfons Walde 1933 als Erkennungszeichen gestaltet. Nun ist diese Jahreszahl nicht unbedingt etwas, worauf man sich gerne bezieht, aber: Wie viele Logos und Bildzeichen gibt es heute noch, die seit nahezu 100 Jahren Bestand haben? Eben!
Bei weiterer Recherche kann man so einiges über Alfons Walde erfahren: Ein ausgeprägt lebensfreudiger Künstler, wohnhaft in Kitzbühel, eigentlich Architekt, der gerne Partys gab und neben Landschaftsbildern auch Akte malte – was irgendwie zum Klischee eines mondänen Urlaubsortes passt.
Er entwarf die Stationsgebäude für die Hahnenkammbahn und als Kulturreferent Kitzbühels neben dem Logo auch einen barocken Farbcode für die Häuser. Seine Kunstwerke von Landschaften und dem bäuerlichen Leben wurden zudem werbewirksam als Postkarten und Plakate vermarktet. Unter heutigen Gesichtspunkten würde man ihn einen genialen Marketingexperten nennen.
Disneyfizierung einer Urlaubsregion
Nun aber ist die von Walde gestaltete Gams Geschichte. Auch der Schriftzug und eigentlich die ganze Historie. Denn es gibt einen neuen Markenauftritt, der in einem dreiminütigen Film vorgestellt wird. Nachdem ich diesen gesehen hatte, musste ich erstmal Luft holen.
Im Prinzip ist das Konzept nach fünf Sekunden verstanden und viel Gestaltung gibt es streng genommen auch gar nicht: eine rote Fläche, ein neues Logo mit reduzierter Gams als Wortbildmarke, serifenlose Typo und 3D-Typo im Quadrat. Dazu wummert der Bass, eine Stimme ruft »Like that!« und nicht zuletzt durch die Masse an Mockups und Lifestyle-Ästhetik wirkt das Werk wie eine totale Klischee-Überhöhung. Die Disneyfizierung einer ganzen Urlaubsregion.
Ein Eindruck, der offensichtlich gar nicht unbeabsichtigt ist, denn der Tourismusverband selbst sagt über seinen Auftritt in einer Pressemitteilung: »Das neue Corporate Design von Kitzbühel mutet im Design einer Fashion Brand an und markiert einen Paradigmenwechsel im Markenauftritt der Destinationsmarke. Als erste Destination überhaupt geht Kitzbühel damit weg von der Darstellung natürlicher Schönheit und naturnaher Elemente und setzt stattdessen auf ein stilistisches Artificial Design.«
Was für ein Affront! Eine jahrhundertalte Urlaubdestination, deren Ruhm durch die beeindruckende Alpenkulisse von Kitzbüheler Horn und Hahnenkamm und der Traditionsabfahrt Streif begründet ist, hält die Natur nicht mehr für identitätswürdig. Das muss man erstmal sacken lassen.
Auffällig finde ich auch die Parallelen zum 2022 erneuerten Auftritt der Modemarke Hugo Boss – inklusive des frappierend ähnlichen Markenfilms. Kein Zufall, stammen doch beide Arbeiten von derselben Agentur.
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich den Wunsch des Tourismusverbands vorzustellen: »So etwas, was ihr für Boss gemacht habt, wollen wir für Kitzbühel auch!« Wahrscheinlich überschneiden sich sogar die Zielgruppen. Doch während Fashion-Ästhetik den Kern einer Modemarke exakt widerspiegelt, verfehlt sie bei einem Urlaubsort das Sujet.
Luxus braucht das Einzigartige
Vielleicht war man in Kitzbühel gelangweilt von der eigenen Story, weil man sie schon so oft erzählt hat. Oder man stellte erschrocken fest, dass sie nicht mehr verfängt und flüchtete sich in Aktionismus – immerhin verzeichnete man 2023 einen Rückgang der Übernachtungen um satte 16 Prozent.
Aber dennoch bleibt die Geschichte des Ortes beeindruckend: Bereits seit 1271 hat Kitzbühel Stadtrecht, auch die Ursprünge des bekannten Gasthauses »Stanglwirt« reichen bis ins Jahr 1609 zurück.
1931 startete das erste Hahnenkammrennen auf der Streif, dazu noch das eingangs beschriebene Design von Alfons Walde. In all dem steckt genau die Historie, nach der andere Orte lechzen! Eine Historie, die etwas Magisches hat, etwas Irrationales, für das man gerne einen Preisaufschlag bezahlt.
Und die man dringend nach außen kehren sollte, wenn man – wie Kitzbühel – eine zahlungskräftige Klientel ansprechen will. Zweifelsohne: Auch große Storys muss man 2024 anders erzählen als vor zehn Jahren. Der alte Markenauftritt weckte zu wenige Premium-Assoziationen. Aber die Konsequenz kann nicht darin bestehen, die eigene Geschichte abzuschmelzen wie den Schnee der Nachsaison.
Vor ein paar Wochen habe ich auf dem Schweizer Markenkongress in Zürich einen Vortrag zum neuen Auftritt des Schweizer Tourismusverbandes gehört. Dieser postuliert keinen Paradigmenwechsel, aber er hat mich berührt. Er kommuniziert zudem die wichtigen Themen Natur und Nachhaltigkeit, die der Lifestyle-Auftritt von Kitzbühel nicht zu vermitteln vermag.
Nebenbei habe ich im Vortrag erfahren, dass sich die Schweiz vor Urlaubern kaum retten könne und Gäste aus Asien und den USA bereit seien, fast jeden Preis zu zahlen. Der Auftritt des Luxus-Skiorts St. Moritz ist ein Beispiel dafür, wie man diese Positionierung mondän und stilvoll vermitteln kann: Den klassischen Schriftzug und die Sonne als Logo nutzt der Ort ebenfalls seit den 1930er-Jahren, bringt sie jedoch in einen neuen, zeitgemäßen Kontext.
Rebranding: Verschenkte Potenziale
Auch in Kitzbühel hätte man aus meiner Sicht genauer hinsehen können, welche stilistischen Schätze man im Repertoire hat: Aus der Schrift von Alfons Walde ließe sich eine charakterstarke Schrift entwickeln, die die Schrulligkeit der Buchstaben als Headline-Font feiert, so wie es aktuell im Trend liegt. Aus den Fassaden der Häuser könnte man eine Farbwelt definieren. Und selbst wenn man für all das keinen Mut hat: Schon ein »seit 1271« als kleine Unterzeile wäre besser gewesen als nichts.
Stattdessen bleibt Kitzbühel aseptisch und krawallig: Der Auftritt könnte auch für Ischgl stehen. Oder für Las Vegas. Oder für eine Shopping Mall. Er ist austauschbar, strategisch wie gestalterisch konstruiert.
»Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll.« – Goethes berühmtes Motto sei auch der Leitspruch von Maria Hauser, die beim Stanglwirt das Marketing verantwortet, las ich unlängst. Wie wahr! Ich wünschte mir, man hätte sich bei der Entwicklung des Markenauftritts von den Werten der Bewohnerinnen und Bewohner leiten lassen und weniger von einer aufgesetzten Positionierung als “preferred place for being«.
(Text: Norbert Möller)


