Bei der Wiener Agentur Verdino wurde 2019 die Vier-Tage-Woche bei vollem Gehalt eingeführt. Im Interview erklären Gründer Martin Verdino und Managing Partner Nicole Scheiber, wie in diesem verdichteten Arbeitszeitmodell die Weiterbildung der Mitarbeiter:innen nicht zu kurz kommt
Weiterbildung in einer Vier-Tage-Woche? Für Martin Verdino und Nicole Scheiber von der Agentur Verdino ist das durchaus machbar: »Bei einer präzisen und transparenten Planung findet sich immer Zeit für Weiterbildung«
Ihr gesamtes Team arbeitet seit 2019 nur noch 36 statt 40 Stunden in der Woche. Der Freitag ist frei. Bleibt da überhaupt noch Zeit für Weiterbildungen?
Martin Verdino: Der Impuls, uns mit einem neuen Arbeitszeitmodell auseinanderzusetzen, kam damals von unseren Mitarbeiter:innen. Wir haben dann in einem recht kompakten Prozess unsere Möglichkeiten geprüft und dabei natürlich auch das Thema Weiterbildung berücksichtigt. Denn es stimmt: Die Tage sind bei uns nun voller, da unser Volumen an Aufträgen nicht kleiner geworden ist. Wir brauchen also besondere Formate, in denen wir uns jenseits von Kundenprojekten weiterbilden können.
Welche Formate sind das?
Verdino: Zum Beispiel unser monatlicher Innovation Friday. An diesem Tag widmen wir uns einem speziellen Thema, etwa Prototyping. Das Wissen kommt teils aus unseren eigenen Reihen, teils von externen Expert:innen. Da wir durch die Vier-Tage-Woche freitags nie Kundentermine haben, bekommen wir die garantierte Aufmerksamkeit aller Kolleg:innen, und die Learnings sind sehr intensiv.
Heißt das, dass die Kolleg:innen sich in ihrer Freizeit weiterbilden müssen?
Verdino: Nein, in den betroffenen Wochen reduzieren wir an den restlichen Tagen. Wir kommen nie auf über 36 Stunden! Ein solches Format organisiert sich nicht von selbst, gerade wenn es von den eigenen Kolleg:innen vorbereitet wird. Das braucht Zeit, die in Kundenprojekten wegfällt.
Wie organisieren Sie das?
Nicole Scheiber: Mithilfe einer präzisen wöchentlichen Ressourcenplanung, die auch für alle einsehbar ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich mit einer solchen Transparenz als Grundlage immer Zeitblöcke finden für Tätigkeiten jenseits verrechenbarer Kundenarbeit – und damit auch für Weiterbildung.
»Wenn Sie fragen, ob bei weniger Arbeitszeit Raum für Weiterbildung bleibt, können Sie genauso fragen: Schafft mehr Freizeit Raum für Weiterbildung, zum Beispiel für ein berufsbegleitendes Studium?«
Nicole Scheiber, Managing Partner bei Verdino in Wien
Wie sorgen Sie dafür, dass sich die Kolleg:innen diese Zeit auch wirklich nehmen?
Verdino: In der Corona-Zeit war das zugegeben teils schwierig: In Mitarbeitergesprächen kam im Nachhinein heraus, dass der eine oder die andere gerne ein Seminar besucht oder an einem Kurs teilgenommen hätte, aber nicht wusste, ob das mit dem Arbeitspensum vereinbar ist. Das hat uns als Vorgesetzte daran erinnert, die Möglichkeiten klarer zu kommunizieren. Im Januar haben wir speziell dafür einen Innovation Friday zum Thema Motivatoren und Weiterbildung.
Welche Möglichkeiten und Formate stehen Ihren Mitarbeiter:innen neben dem Innovation Friday zur Verfügung?
Verdino: Auf der eher zwischenmenschlichen Ebene haben wir, ebenfalls einmal im Monat, unser sogenanntes FRANTs, einen Slot für Fragen und Antworten jeglicher Art. Denn gerade bei neuen Kolleginnen oder Kollegen kommt es vor, dass sie sich nicht trauen, eine vermeintlich banale Frage zu stellen, oder gar nicht wissen, wen sie dazu fragen sollen. Wir legen Wert darauf, dass an FRANTs wirklich jeder teilnimmt, weil sich so Fragen gezielt und ohne Zeitverschwendung beantworten lassen.
Scheiber: Darüber hinaus gibt es natürlich auch Angebote, die Wissen zu einem bestimmten Thema vermitteln: Deep Dive Coachings zu Figma etwa, LinkedIn, Keynote oder Coding-Basics. Diese Skills haben wir alle im Haus, die Expert:innen geben sie in möglichst kurzen Einheiten weiter, und wer mehr lernen will, kann on the Job weitertrainieren.
Wie sieht es mit Weiterbildungsangeboten externer Anbieter aus?
Verdino: Grundsätzlich kann jede oder jeder mit Vorschlägen für bestimmte Kurse, Kongresse oder auch längerfristige Formate auf das Management zukommen, dann überlegen wir gemeinsam, was die Einzelnen, aber auch die Agentur als Ganzes und in der Folge unsere Kunden weiterbringt. Von einem festgelegten Budget haben wir uns dabei bewusst verabschiedet, weil es dazu führte, dass Weiterbildungen häufig besucht wurden, »weil es dieses Jahr noch sein musste«, und nicht, weil es sinnvoll war.
Scheiber: Wenn Sie fragen, ob bei weniger Arbeitszeit Raum für Weiterbildung bleibt, können Sie genauso fragen: Schafft mehr Freizeit Raum für Weiterbildung? Ich selbst studiere im Moment berufsbegleitend den MBA – Digital Marketing und Data Management an der Fachhochschule des BFI Wien. So etwas wäre bei einer klassischen 40-Stunden-Woche sicher nicht möglich.
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Dieser Beitrag ist erstmals in der PAGE 3.2023 erschienen, als Teil des Artikels »Learning for Doing«.