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Siebert-Kolumne: Werbung mit der guten alten Zeit

Bonduelle, Haribo und Ehrmann lassen grüßen – unser Kolumnist Jürgen Siebert über den aktuellen Trend der Retro­kampagnen.

© Karin Kraemer, www.karin-kraemer.net | www.instagram.com/karin__kraemer

Mitte Juli habe ich mir im klassischen Fernsehen – nach langer Abstinenz – eine 8-minütige Werbepause komplett angeschaut. Plötzlich fühlte ich mich um Jahre zurückversetzt. Es wird wieder gereimt: »Konditorei Coppenrath & Wiese, wo gibt’s noch Qualität wie diese?« Bonduelle, Haribo und Ehrmann lassen grüßen. Bei Red Bull sind die wackligen Cartoons zurück und es wachsen wieder »Flüüügel«. Und selbst die pixeligen Teletext­anzeigen sind wieder da, vermarktet von Sev­en.One Media als »der heimliche Reichweiten-Riese«. Retro-Werbung liegt voll im Trend.

In der Krise wird der Blick zurück auf bessere Zeiten zu einer tragenden Werbebotschaft. Nostalgische Reklame greift posi­tive Emotionen auf, um von den aktuellen Problemen abzulenken. Weil Corona, Krieg und Inflation unseren Alltag durcheinander­bringen, sehnen wir uns nach Vorhersehbarkeit. Große und klei­ne Marken schlagen vertraute Töne an, vor allem solche, die uns seit Jahrzehnten begleiten. Die Loyalität zu etablierten Brands steigt in unruhigen Zeiten, was sich vor allem im Bereich der sogenannten Komfortlebensmittel niederschlägt.

Vor diesem Hintergrund hat Burger King vergangenes Jahr ein Rebranding zurück zu seinen Wurzeln durchgeführt, »weniger synthetisch und künstlich, dafür authentischer, begehrenswerter und schmackhafter«. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren aktualisierte die Imbisskette ihre Typografie mit einer knuffigen Vintage-Schrift, die sich an das Logo von 1969 anlehnt. Die neuen Markenfarben entsprechen denen klassischer Fast-Food-­Zutaten: Pommesgelb, Ketchuprot, Salatgrün und Pattybraun. Trotzdem geht Burger King mit der neuen visuellen Identität neue Wege, etwa mit einer Filiale in Köln, die ein komplett fleischloses Sorti­ment anbietet. Konservatives Leitbild, zukunftsweisende Produkte.

Retro-Kommunikation kommt bei allen Generationen gut an. Das haben auch Filme- und Serienmacher erkannt, die mit inter­nationalen Brands raffinierte Cross-Marketing-Kampagnen aus­tüfteln. Staffel 3 der weltweit erfolgreichen Netflix-Serie »Stranger Things« spielt im Jahr 1985, als Coca-Cola ihrem Konkurrenten Pepsi mit einer neuen, süßeren »New Coke« Paroli bieten wollte. Die Mischung floppte und wurde nach zwei Monaten wieder vom Markt genommen. Der misslungene Coke-Relaunch ging als eines der größten Vermarktungsdesaster in die Werbegeschichte ein. 34 Jahre später legte der Konzern zur »Stranger Things 3«-Premiere New Coke erneut auf, produzierte selbstironische Wer­­bespots dazu und stellte einen Retro-Shop ins Netz. New Coke ging viral, war binnen weniger Tage ausverkauft und musste nachproduziert werden.

Was lehrt uns das New-Coke-Revival? Journalist Tim Murphy vom Magazin »Mother Jones« ist der Ansicht, dass Cola-Cola schon damals alles richtig gemacht habe: »Sie haben 1985 ein Gefecht verloren, aber die Schlacht gewonnen.« Ein Großteil der Cola-Verkäufe entfalle heute auf Nicht-Classic-Produkte wie Diet Coke und Coke Zero. Dies erklärt die positive Reaktion der Verkoster:innen von heute. Eine New Coke schmeckte damals seltsam, ist aber heute etwas ganz Normales.

Die zwei Beispiele aus den USA zeigen, dass es keine Blaupause für Retrokampagnen gibt. Jede Marke hat ihre eigene Biografie und Alleinstellungsmerkmale, auf die sie sich besinnen muss. Und immer auf die Verbraucher hören. Das war 1985 richtig und gilt heute noch viel mehr. Nicht umsonst spielen Social Media und eine soziale Verantwortung die erste Geige bei den großen Unternehmen.

Das Edelman Trust Barometer ermittelt einmal im Jahr die Ver­änderungen von Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft. Im Januar 2022 meldete es: »Vertrauen im Sinkflug: Deutsche Institutionen gefangen in einer Abwärtsspirale aus Misstrauen und Tatenlosigkeit.« In den USA seien die Konsument:innen der Meinung, dass Brands bei der Lösung sozialer Probleme relevanter sind als Regierungen. Mit anderen Worten: Der Nudelhersteller, der mich in der Krise genährt hat, war mir wichtiger als die Politik, die über meine Gesundheit entschied.

Kommunikation ist alles. Im Vergleich zu den Politikerinnen und Politikern sind Marken und Unternehmen auf diesem Gebiet klar im Vorteil, denn sie müssen kaum Kompromisse schmie­den. Wenn ein Produkt eine aufrichtige Biografie hat, ist eine Retro­kampagne in schwierigen Zeiten genau die richtige Lösung.

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