Exhibition Design: Neue Aufgaben und Chancen für Designer:innen
Nicht zuletzt durch Corona schreitet die Digitalisierung im Ausstellungsbereich auf allen Ebenen voran, aber auch die Zielgruppen werden wesentlich vielfältiger. Ein spannendes Aufgabenfeld für Designer:innen unterschiedlichster Disziplinen
Ausstellungen designen: Mehr Demokratie wagen
Unabhängig vom Inhalt ist es facts and fiction wichtig, das Angebot so weit wie möglich zu individualisieren. »Die Besucher:innen sollen die Möglichkeit haben, eine Ausstellung auf ihre Art und aus ihrer Perspektive zu erleben und nicht zwingend so, wie die Kurator:innen es vorgeben«, erklärt Jörg Krauthäuser. Dafür entwickelte die Agentur gemeinsam mit dem Unternehmen mguide das interaktive Museumsassistenzsystem IAMU (gesprochen I am you), das analoge Exponate mit digitalen Inhalten verbindet.
Im Fall von »Berlin Global« erhalten Besucher:in-nen zu Beginn ein Chiparmband, das sie mit der Ausstellung verbindet: Während des Rundgangs kann man an verschiedenen Stellen auf Fragen antworten und zu Themen abstimmen, die Antworten zeichnet das System über das Token auf. Am Ende gibt man in der Check-out-Station sein Armband ab und erhält mit seinem »Ticket zur Vernetzung« die Auswertung sowie die Einladung, sich in der Lounge mit anderen Ausstellungsgästen auszutauschen. Dort kann man sich auf zwei großen Screens auch die Abstimmungsergebnisse von Besucher:innen der vergangenen Tage ansehen. »Menschen miteinander zu vernetzen und ins Gespräch zu bringen ist auch eine Aufgabe von Kultur. Warum also nicht eine Art Kultur-Tinder daraus machen«, so Jörg Krauthäuser.
World Wide Museum: virtuelle Führungen ermöglichen
Eine derart demokratisches Herangehen – Ausstellungen so zu gestalten, dass jede und jeder ihren eigenen, persönlichen Zugang finden –, ist noch relativ neu. Ebenso wie der Ansatz, sie so zu konzipieren, dass sie auch online erlebbar sind – was noch mehr Menschen die Teilhabe ermöglicht. Diese Neuorientierung findet in der internationalen Museumslandschaft bereits seit Längerem statt, durch Corona hat sie aber noch einmal einen deutlichen Schub bekommen. »In der Denke ist schon einiges passiert, in die Szenografie ist davon allerdings noch nicht viel eingeflossen«, meint Jörg Krauthäuser. »Denn würde man die digitale Ausstellung von Anfang an mitdenken, könnten zum Beispiel die Besucher:innen online und die vor Ort miteinander interagieren.« Dass so etwas bislang noch nicht realisiert worden sei, läge auch am großen Vorlauf der Branche.
Die örtliche Bindung von Ausstellungen aufzulösen und virtuelle, individuelle Führungen zu ermöglichen, sind Gedanken, mit denen sich facts and fiction intensiv beschäftigt. »Ein Museum ist ja nicht nur eine Touristenattraktion, sondern behandelt ein Thema wissenschaftlich umfassend und ausstellend. Dieses dann bundes- oder weltweit verfügbar zu machen ist für uns Demokratisierung. Also nicht nur eine begleitende Website anzubieten, sondern während der Laufzeit Menschen überall auf der Welt die Möglichkeit zu geben, live teilzunehmen«, erklärt Jörg Krauthäuser.
Facts and fiction arbeitet mit Hochdruck an dem Konzept Museum-Live@Home, bei dem nach einer Einführung zum Thema – etwa durch einen Film – ein Guide live mit dem Menschen zu Hause vor dem Computer durch die Ausstellung geht. Man könnte ihm Fragen stellen, mit ihm diskutieren oder auch sagen: Da hinten in der Ecke stand doch auch noch ein interessantes Exponat, können wir da noch mal hingehen? »Technisch gesehen kein Hexenwerk, man muss nur die Technologien, die schon da sind, nutzen und sinnvoll einsetzen«, so Krauthäuser.
Ausstellungen: Transfer in die Onlinewelt
Museen und Institutionen weltweit sind inzwischen dabei, ihre Ausstellungen auch digital anzubieten und online zusätzliche Formate auszuprobieren. Begleitend zur großen »Alice: Curiouser and Curiouser«-Schau ließ etwa das Albert & Victoria Museum in London ein tolles »VR Wonderland« entwickeln, in dem man sich durch die schönen surrealen Bilder der isländischen Illustratorin Kristjana S Williams bewegen kann. Realisiert hat das Ganze das Immersive-Games-Studio Preloaded.
Ebenso elegant wie userfreundlich hat Morphoria Design Collective aus Düsseldorf bei der Großen Kunstausstellung NRW den Transfer in die digitale Welt bewerkstelligt. Die Kreativen gestalteten zwei Versionen: einen schlichten, ganz auf Funktion und Effizienz ausgerichteten Onlinekatalog sowie einen virtuellen Rundgang. Der Parcours bildete die physische Ausstellung nicht eins zu eins nach, sondern wurde von Morphoria eigens kuratiert: »Die Unterschiede und jeweiligen Vorteile der digitalen und realen Welt auszuschöpfen empfinden wir als einen viel größeren Mehrwert als eine der beiden in der anderen zu simulieren.« Mehr dazu unter www.page-online.de/morphoria_dieGrosse.
Rein virtuell fand aufgrund von Corona die Graduiertenausstellung am Central Saint Martins College of Art and Design in London statt. Morphoria präsentierte die Werke der Absolventen des Masterstudiums »Contemporary Photography; Practices and Philosophy« sowohl klassisch in Form eines gedruckten Katalogs als auch in einer interaktiven digitalen Tour durch die Ausstellung. Dank der eingebetteten Videos und Verlinkungen profitierten vor allem die digitalen Abschlussarbeiten von diesem Format.
Exhibition Design: Permanent oder wandernd
Ein anderer Weg, den Zugang zu erleichtern, ist, die Ausstellungen zu den Menschen zu bringen. Entweder indem man sie von Museum zu Museum touren lässt oder indem man die Schau gleich im öffentlichen Raum stattfinden lässt. Was sich natürlich besonders bei politischen und gesellschaftlichen Themen anbietet. Beispielsweise fragte die Initiative Offene Gesellschaft e. V. 2019: »Welches Land wollen wir sein?« – und begab sich mit einer von facts and fiction konzipierten und umgesetzten Wanderausstellung auf Deutschlandtour. Modulare Räume ließen in der jeweiligen Stadtmitte das Laufpublikum verweilen, das eingeladen war, die interaktive Ausstellung mit Ideen und Geschichten zu füllen.
Im Superwahljahr 2021 gab es eine Neuauflage der Initiative als Pop-up-Begegnungsraum in verschiedenen deutschen Städten. Die Besucher:innen erwartete ein Angebot für politische Bildung, das – coronakompatibel unter freiem Himmel – Platz für örtliche Debatten schuf und dabei auch gleich manche verödete Innenstadt vorübergehend wiederbelebte. »An die Gestaltung einer Wanderausstellung muss man ganz anders herangehen«, erläutert Jörg Krauthäuser. »Die Materialien brauchen Stabilität, um häufiges Auf- und Abbauen zu verkraften, man muss die oft begrenzte technische Ausstattung berücksichtigen und alles so konzipieren, dass Leute vor Ort die Schau aufbauen können.«
Eine etwas andere Wanderausstellung entwickelte die Agentur Event aus London und Dublin für das Van Gogh Museum in Amsterdam. Die dort präsentierten Werke sind wertvoll und empfindlich und sollten besser nicht auf Reisen gehen. Um trotzdem Menschen in aller Welt einen Zugang zu bieten, entstand die »Meet Vincent van Gogh«-Experience. Verschiedene audiovisuelle Techniken stellen die Werke und die Welt des Künstlers nach, mit dabei sind auch Reproduktionen einiger Gemälde, die man sogar anfassen darf, um den Pinselstrich zu spüren. Museen und Institutionen können die interaktive Ausstellung mieten, sie war schon in vielen Städten der Welt zu sehen und beschert dem Van Gogh Museum so willkommene Einnahmen.
Animationen mit Augenzwinkern
Rund achtzig Mitarbeiter:innen hat facts and fiction in ihren Büros in Köln und Berlin, da kann man große Projekte wie »Berlin Global« stemmen. Aber auch kleine Studios und Einzelkämpfer:innen sind im Ausstellungsdesign tätig. Stefan Matlik aus Essenheim etwa, der vor allem Erklärfilme und Typoanimationen entwickelt. Für das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden, das Europäische Hansemuseum in Lübeck, für die Arno Schmidt Stiftung oder für Wanderausstellungen wie »Was glaubst du denn?! Muslime in Deutschland« oder »Frieden machen«.
Bei der Entwicklung seiner Animationen arbeitet Matlik hauptsächlich mit Illustrator, Photoshop und After Effects. »Weil ich mit 3D nicht so viel am Hut habe, bin ich bei 2,5D gelandet, mache viel mittels Cut-out- und Stopptrick-Animation und vermische alle möglichen Techniken«, so der Gestalter. Spannung erzeugt er durch richtige Proportionen, eine gute Raumaufteilung und passende Dramaturgie – ein Hauptaugenmerk liegt stets auf der Typografie. Drehbücher oder ein Storyboard braucht Matlik nicht, er bekommt Texte von den Kurator:innen, an denen er sich inhaltlich entlanghangelt. »Ich lasse sie einsprechen, auch um die Länge beurteilen zu können. Denn länger als vier, allerhöchstens fünf Minuten sollen die Filme nicht sein. Gibt es sehr viele, müssen sie sogar noch kürzer werden.« Er arbeitet auch eng mit den Ausstellungsdesigner:innen zusammen. »Ich adaptiere oft deren Gestaltung, übernehme Typografie und Bildgestaltung, damit alles aus einem Guss ist.«
Sein letztes Projekt entstand für das kürzlich eröffnete Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt am Main. Dazu gehört »Die Wünschelrute«, eine große Projektion und zugleich raumbildendes Element im dritten Stock des Museums. Außerdem zwei Filme, die sich auf einem interaktiven Tisch abrufen lassen, sowie die Animation einer alten Karikatur, die sich spöttisch mit der Epoche beschäftigt. Und dann gibt es noch einen kleinen Film über die »Romantiker-WG« in Jena, für den Matlik Figuren ausschnitt und animierte. Dass da schon mal ein Pizzakarton zwischen Goethe-Bänden im Regal liegt, ist typisch für Stefan Matlik: Wann immer es geht, sind seine Arbeiten augenzwinkernd und gerne auch ein bisschen ironisch.
Romantische Inszenierungen
Die Gestaltung der Dauerausstellung des Romantik-Museums lag in den Händen von Sounds of Silence. Das sind die Architektin Petra Eichler und die Regisseurin Susanne Kessler aus Frankfurt. Fünfunddreißig Exponate sollten sie für das Publikum attraktiv inszenieren, dabei half es den beiden, sich immer wieder die Frage zu stellen: Wie würden wir selbst gerne an das Thema Romantik herangeführt werden? Auf zwei Etagen schufen die beiden in enger Zusammenarbeit mit den fünf Kurator:innen und der Museumsdirektorin ganz unterschiedliche, zauberhafte Szenerien – wobei sie zum Teil noch Freelancer:innen ins Boot holten.
An der Station »Aus Wassers Kühle trink’ ich Glut« etwa ging es nicht nur um das Exponat an sich – ein Theaterplakat, auf dessen Rückseite Clemens Brentano ein Gedicht geschrieben hat –, sondern auch um die Männerfreundschaft zwischen Brentano und Achim von Armin und ihre Reise auf dem Rhein. Das Ausstellungsstück selbst legten Petra Eichler und Susanne Kessler in eine Vitrine, deren Form an ein Schiff erinnert. Als eine Art Segel hängt darüber ein Bild aus einem von Barbara Yelin gezeichneten Comic, der die Geschichte erzählt. Im Gebrüder-Grimm-Raum malte der Berliner Künstler Henrik Schrat Märchenmotive an die Wand. Der komplette grafische Part, also etwa die Wandgestaltung oder das Setzen der Texte, lag in den Händen des Frankfurter Designstudios desres.
Voller Überraschungen
Ausstellungsdesign ist ein unglaublich vielseitiges kreatives Spielfeld. Wer sich dort tummeln möchte, braucht nicht unbedingt ein Architekturstudium – wohl aber ein Verständnis für den Raum und ein gewisses Maß an Erfahrung. »Man betritt immer wieder Neuland«, erklärt Andreas Koop, der mit seiner designgruppe Koop schon lange in diesem Bereich arbeitet. »Bei der Gestaltung einer Broschüre oder eines Buches weiß man, welche Auswirkungen bestimmte Entscheidungen zum Beispiel auf das Aufschlagverhalten haben. Bei Ausstellungen wissen wir anfangs oft nicht, wie wir es hinkriegen, unsere Ideen zu realisieren, auch weil jedes Gebäude, jeder Raum anders ist.« Durch Vorgaben wie: »Sie können hier alles machen, aber dürfen nichts an der Decke, den Wänden oder dem Boden befestigen«, wird die Sache auch nicht einfacher.
Aber gerade solche Herausforderungen machen diese Disziplin so spannend, zusammen mit der schönen Aufgabe, Wissen interessant zu vermitteln. Und wem das eine Nummer zu groß ist, der kann ja zunächst mit Stückchen anfangen: einer Graphic Novel, einem Animationsfilm, der begleitenden Publikation oder der Website. Eigentlich ist für jede und jeden etwas dabei.
»Barrierefreiheit und Inklusion ist viel zu oft noch eine reine Pflichtübung«
Von Anfang an auch an Menschen mit Handicap zu denken ist für Andreas Koop, Gründer von designgruppe koop in Marktoberdorf, beim Design von Ausstellungen ein wichtiges Anliegen.
Was ist der Unterschied zwischen Barrierefreiheit und Inklusion?
Andreas Koop: Barrierefrei ist eher technisch, Inklusion ist eine andere Haltung. Gibt es für Rollstuhlfahrer einen Zugang mit Rampe hinter dem Haus, ist das barrierefrei. Inklusiv wäre es, den Haupteingang für alle herzurichten, sodass dann auch jemand mit einem Kinderwagen den Nutzen und den Komfort der Rampe hätte.
Wie haben Sie das in der Ausstellung »Steinreich« im Fränkischen Freilandmuseum gelöst?
Das war gar nicht so einfach, weil die Ausstellung in einem historischen Gebäude gezeigt wird – das bedeutet schmale Türen, Schwellen, niedrige Decken. Zunächst haben wir die Schwelle am Eingang eliminiert, sodass jeder hineinkommen und sich dort bewegen kann. Aus diesem Grund sind auch sämtliche Informationsebenen und Objekte unterfahrbar.
Und für Sehbehinderte gibt es Texte in Brailleschrift?
Nicht nur. Wir hatten uns vorgenommen, Blinde und Menschen mit Sehschwäche von Anfang an zu führen. Direkt vom Eingang leitet eine Art Geländer die Besucher:innen – diese greifbare Führungslinie ist in Regale und Infoträger integriert und bringt die Hände zu taktilen Tafeln und Infografiken, zu Podesten mit Werkstücken und Werkzeugen. Die wiederum haben Taster für Audiosequenzen, sodass man hören kann, wie die Bearbeitung der jeweiligen Steine klingt.
Und was ist der inklusive Aspekt bei »Steinreich«?
Dass die Konzeption allen zugutekommt. Tasten ist nicht nur für Blinde wichtig, sondern auch für Kinder, die in Museen oft genug nichts anlangen dürfen. Und letztlich auch für uns Erwachsene.
Wie ist es um Barrierefreiheit und Inklusion in deutschen Museen und Ausstellungen bestellt?
Leider ziemlich schwach. Selbst wenn die Anforderungen erfüllt werden, sind die einzelnen Elemente oft einfach nicht gut gestaltet. Ziemlich hässlich sind auch die Piktogramme, die in Texten in Leichter Sprache zum Einsatz kommen.
Woran liegt das?
Viele Kuratorinnen und Kuratoren machen sich zu wenig Gedanken und geben sich zu schnell zufrieden. Für sie ist das Thema eher eine Pflichtübung. Sie erfüllen, was gefordert ist, aber ohne groß darüber nachzudenken, wie man es vielleicht besser machen oder was Inklusion alles leisten könnte. Da ist noch jede Menge Luft nach oben.