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Digitale Schriftmuster: 5 tolle Tools, um Types zu checken

Mit interaktiven Type Specimens lassen sich Schriften in allen Formaten nach Herzenslust testen und ausprobieren

Von allen Seiten Fontspecimen.com startet mit der Darstellung einzelner rotierender Buchstaben, die man frei auswählen kann. So lassen sich die Glyphen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten.

Gedruckte Schriftmuster oder aufwendige PDFs sind schön. Nicht selten sogar sehr schön. Ihre Funk­tio­nalität überzeugt dagegen seltener. Oft bilden sie gerade die Schriftschnittkombinationen oder Punkt­größen, die wir sehen wollen, nicht ab und können vor allem Variable Fonts nicht wirklich gut darstellen. Kein Wunder also, dass in letzter Zeit einige Type­de­sig­ner Onlinetools entwickelt haben, um Fonts zu tes­ten, zu vergleichen und interaktiv zu erleben. Sie sind allesamt gratis und entstanden zumeist während der Entwicklung eigener Schriften – wie bei Olli Meier, als er seinen Variable Font Vary ge­staltete. »Ich wuss­te, dass es da schon eini­ges gibt, FontDrop! etwa oder Wakamai Fondue, aber dort fehlte mir die Möglichkeit, mehrere Schriften simul­tan zu laden«, sagt der Font Engineer bei Monotype, der sich alle zwei Wochen einen Tag als »Creative Coding Day« zum kreativen Spielen nehmen darf – derzeit vor allem für sei­ne Arbeit an fontspecimen.com.

Inzwischen ist das Tool schon sehr umfangreich, es hat viele Funktionen und ist dabei übersichtlich und flink. Gerade kam als weiteres Feature ein PDF-Export dazu. Fertig ist fontspecimen.com aber noch nicht. »Es ist vor allem ein Spaßprojekt, mit dem ich hoffentlich vielen Leuten eine Freude mache und das langsam, aber stetig noch ein wenig wachsen soll«, so Meier. Als Nächstes will er einen Refresh-Button installieren und dafür sorgen, dass sich un­ter dem Menüpunkt »Papier« mehrere Textboxen gleich­zei­tig anzeigen lassen. »Das ist komplizierter als gedacht, einen Creative Coding Day habe ich schon er­folglos darauf verwendet – aber ich bleibe dran.«

Schwächen schnell entdecken

Auch die Schweizer Foundry Dinamo pflegt mit Font Gauntlet ein digitales Type Specimen, und das schon seit drei Jahren. Entstanden ist es vor allem, um hauseigene Variable Fonts testen zu können. Soeben haben sie es gründlich aktualisiert und ausgebaut. Hin­zu kam etwa der »Audio Mode«, hier lassen sich die Achsen per Stimmlautstärke steuern. Zudem bietet Font Gauntlet einen Offlinemodus und sogar eine Chrome-App zum Downloaden. Der Name geht übri­gens auf die militärische Bestrafung im Spieß­ruten­lauf zurück (englisch running the gauntlet): Verurteilte gingen durch eine »Allee« aus Kamera­den, von denen sie attackiert wurden. Font Gauntlet unterzieht die zu testenden Schriften dieser Prozedur, um mög­liche Schwächen schnell aufzudecken.

Je seltener gedruckte Type Samples werden und je mehr ihre Bedeutung für die Beurteilung und Auswahl einer Schrift schwindet, desto größer wird ihr »Herzenswert«. Ich freue mich jedenfalls immer rie­sig, wenn ein Type Specimen in meinem ganz rea­len Briefkasten liegt.

fontspecimen.com: Mehr als eine

In Olli Meiers fontspecimen.com lassen sich beliebig viele Schriften gleichzeitig laden

  • Name fontspecimen.com
  • Entwickler Olli Meier (mit Support von Monotype)
  • Unterstützte Fontformate OTF, TTF, WOFF, WOFF2, Variable Fonts
  • Best in Chrome, läuft aber auch gut mit Safari und Firefox
Lädt man einen Variable Font, erscheint in den typografischen Einstellungen zusätzlich ein Menüpunkt mit den Achsen.

Umfangreiche Schriftfamilien zeitgleich laden zu können, ist das Alleinstellungsmerkmal des One-Pa­gers. Dabei ist fontspecimen.com sehr flott, selbst Riesenfamilien oder auch CJK(Chinese, Japanese, Korean)-Fonts mit mehreren Tausend Zeichen benötigen nur wenige Sekunden. Zieht man seine gewählten Schriften in das Startfenster, erscheinen die »Impressions«, einzelne Buchstaben in verschie­denen Größen, die rotieren – so zeigen sie sich aus ­unterschiedlichen Perspektiven. Wer die zufällig ausgewählten Lettern nicht leiden kann, überschreibt sie einfach. Mit Klick auf das A (»Adjust­ments«) in der Menüleiste ganz rechts öff­nen sich typografische Ein­stellungen, mit denen man Größe, Farbe, Zei­lenabstand, Ausrichtung und Schriftschnitt sowie ein OpenType-Fea­ture und bei Variable Fonts auch die Schieberegler für die Achsen verändern kann.

Bestes Feature, um zwei Schriften oder auch meh­r direkt zu vergleichen, ist der dann folgende Bereich »Weights«, denn hier kann man jedem Font eine andere Größe, Ausrichtung oder Farbe geben. Nächste Station beim Scrollen ist »Paper«, eine Leerfläche zum Tippen und Probieren von Text. Durch Ziehen oder Schieben an der rechten unteren Ecke verändert sich die Größe der Fläche – so sieht man auch mal, wie sich die Schrift etwa in einer schmalen Spalte macht. Allerdings ist es noch nicht möglich, zwei oder mehr Textblöcke aufzuziehen, um Schriften oder Schnitte zu mischen, daran arbeitet Olli Meier gerade.

Die Ansicht Column View eignet sich wunderbar, um bei Familien mit vielen Schnitten den Grauwert zu bestimmen

»Column View« bietet noch einmal eine andere Form der Übersicht. Insbesondere wenn man um­fangreiche Familien mit vielen Schnitten geladen hat, lässt sich hier sehr schön der Grauwert eines Texts bewerten. »Character Set« stellt alle Glyphen dar: Sind mehrere Schnitte oder Schriften geladen, ist in dem kleinen Auswahlfeld per Default »Inter­section« eingestellt. Das heißt, gezeigt werden nur die Zeichen, die in allen geladenen Fonts enthalten sind. Natürlich kann man sich auch alle Glyphen der verschiedenen Schriften anzeigen lassen.

Der letzte Punkt des One-Pagers ist »Font Infos« mit sämtlichen in der Schriftdatei enthaltenen Angaben. Von der Versionsnummer über vorhandene OpenType-Features und die Glyphenanzahl bis zu den Lizenzbedingungen. Mit einem Klick auf das T (für Tools) in der Menüleiste ganz rechts lässt sich ein PDF erzeugen, mit dem man seine Schrift auch ausgedruckt bewerten kann.

Fontspecimen.com bietet wirklich viele Möglichkeiten zum Testen und Spielen. Wenn es künftig noch eine Refresh-Funktion gibt, sodass man nicht für jeden Neuanfang das Programm wieder laden und die Schriften erneut ins Fenster ziehen muss, sind keine Wünsche mehr offen. Wer doch welche hat: Olli Meier freut sich über jedes Feedback.

Font Gauntlet Laut = fett

Mit Font Gauntlet der Schweizer Foundry Dinamo kann man Variable Fonts per Stimme steuern

  • Name Font Gauntlet
  • Entwickler Dinamo  
  • Unterstützte Fontformate OTF, TTF, WOFF, WOFF2, Variable Fonts
  • Best in Chrome (auch als App downloadbar), dort läuft es am flüssigsten. Safari und Firefox funktionieren aber auch gut
Neu in der aktualisierten Font-Gauntlet-Version ist die Option, Text als Wasserfall darzustellen. Ansonsten kann man sich hier die Schnitte und Glyphen anzeigen lassen und einen Präsentationsmodus wählen

Variable Fonts sind das Spezialgebiet dieses Tools, und so stehen beim Öffnen auch gleich die neun momentan von Dinamo angebotenen variablen Schriften zur Auswahl. Aber natürlich lassen sich auch eigene Fonts laden, egal ob statisch oder variabel. Im Menü links kann man die Größe sowie den Zeilen- und Buchstabenabstand mit Zahlenwerten oder per Schieberegler verändern und andere Einstellungen wie Textausrichtung, versale oder gemischte Schreibweise, Open­Type-Features oder Farbe vornehmen.

Wer keine Lust hat, eigene Beispieltexte einzu­geben, kann aus Textvorschägen wählen: Title, Pangram, Paragraph oder Wikipedia-Artikel. Da diese andauernd wechseln, gibt es beim Schrift­te­s­ten gleich noch eine Lerneinheit . . . Sofern es sich bei der geladenen Schrift um einen Variable Font handelt, kann man an den Schiebereglern für die Achsen ziehen oder sich mittels Klick auf »Play« von Font Gauntlet berieseln lassen. Hier lässt sich zwischen fünf Darstellungsgeschwindigkeiten wählen, und man kann den Rhythmus der Animation steuern.

Je lauter, desto fetter und schräger. Die Audiofunktion ist neu in Font Gauntlet

Neu und ein nettes spielerisches Element ist die Funktion »Audio«: Hier richtet sich die Va­ri­able-Font-Achse nach der Stimme – je lauter man spricht, desto weiter nach rechts bewegt sich der Schieberegler. Ist man mit seinen variablen Expe­rimenten zufrieden, lässt sich – sofern man die Schrift lizenziert oder Trial Fonts heruntergeladen hat – ein statischer Font generieren. Wer sich beim Herumspielen verzettelt hat, setzt mit ei­nem Klick auf Home unten links auf dem Screen alles wieder auf Anfang.

Will man mehr als eine Schrift betrachten, gibt es neuerdings die Möglichkeit, mit einem Klick auf das gelbe Pluszeichen oben rechts Tabs hinzuzufügen und so weitere Schriften zu la­den. Insgesamt ist Font Gauntlet eine leicht verständliche Spielwiese, insbe­sondere für Gestalter, die viel mit Vari­able Fonts arbeiten. Als netten Service bietet das Tool an, Screenshots zu erzeugen und den CSS-Code des Fonts ins Clipboard zu kopieren.

Wer hinsichtlich der Textdarstellung öfter mal den Button »Wikipedia« wählt, kann gleich noch ein bisschen was lernen. Zu den vielfältigen Einstellmöglichkeiten gehört auch die An- und Abwahl von OpenType-Features

Wakamai Fondue Zungenbrecher

Wakamai Fondue liefert alle CSS-Befehle, die man zum Arbeiten mit einer Schrift braucht

  • Name Wakamai Fondue
  • Entwickler Roel Nieskens 
  • Unterstützte Fontformate OTF, TTF, WOFF, WOFF2, Variable Fonts
  • Best in Funktioniert in jedem modernen Browser

Der niederländische Entwickler Roel Nieskens will mit Wakamei Fondue vor allem Web Developer ansprechen und beantwortet die Frage »What can my font do?« so: Einfach eine Schriftdatei in den Kreis ziehen, und das Tool erstellt in Sekundenschnelle ei­ne Übersicht über alle im Font enthaltenen OpenType-Features und Glyphen. Darüber hinaus liefert es die CSS-Befehle, die man für die Aktivierung der Features im Web braucht, als Stylesheet zum Download. Öffnet man Wakamai Fondue in verschiede­nen Browsern, kann man so zum Beispiel auf Anhieb sehen, welche OpenType-Fea­tures von welchen Browsern unter­stützt werden.

Vor Kurzem veröffentlichte Roel Nieskens eine neue Version – derzeit noch als Beta –, in der er vor ­allem den Check der Sprach­un­ter­stüt­zung erweiterte. Es gibt eine Übersicht über den Unicode-Support, und man sieht nicht nur, ob ein Font kyrillische Zeichen enthält, sondern auch, ob zum Beispiel bestimmte lateinische Glyphen oder die Interpunktion so angepasst wurden, dass sie zu den kyrillischen passen. Auch die Anzeige der OpenType-Features ist jetzt umfangreicher. Welche gibt es? Welche sind in den Voreinstellungen der Browser ein- oder ausgeschaltet? Welche funktionieren nur in bestimmten Sprachen?

Wer sich jetzt fragt, was es mit dem seltsamen Namen Wakamai Fondue auf sich hat, braucht nur zehnmal ganz schnell hintereinander »What can my font do?« zu sagen ;–).

FontDrop! Vergleichbar

Mit FontDrop! lässt sich blitzschnell heraus­finden, was in einer Schriftdatei steckt

Um Basisinformationen wie den Namen, die Benennung der Schnitte sowie Versionsnummer, Copyright oder Lizenzbedingungen geht es in diesem Tool. FontDrop! stellt außerdem alle Glyphen des Fonts dar – die unter­stütz­ten OpenType-Features und den Spra­chensupport. Mit Klick auf den »Type Yourself«-Reiter öffnet sich ein Rechteck, in das man eigenen Text tippen kann. Veränderbar sind Schriftgrö­ße und Zeilenabstand.

Mit Klick auf das FontDrop!-Logo öffnet sich ein neuer Tab, in den sich dann eine weitere Schrift laden lässt. Wer zwei Fonts vergleichen möchte, geht ganz am Ende der Seite auf »Compare«. In dem dann erscheinenden Fenster kann man zwei Schriften öffnen und nebeneinander betrachten.

Bulletproof Auch für GIFs

Die Darstellung von Text in vielen Sprachen ist eine wichtige Funktion von Bulletproof

  • Name Bulletproof
  • Entwickler Adam Jagosz
  • Unterstützte Fontformate OTF, TTF, WOFF, Variable Fonts
  • Best in Firefox und Chrome unter Windows. Unter macOS am besten mit Chrome und Firefox

Von einem Typedesigner für Typedesigner ist Bulletproof von Adam Jagosz aus Zywiec in Südpolen. Kerning, OpenType-Features und die Sprach­support einer Schrift wer­den ebenso dargestellt wie die Achsen ei­nes Variable Fonts. Anwender:innen können vorgegebene Texte formatieren und in verschiedenen Sprachen an­zeigen lassen oder eigene Textmuster erstellen. Im Editormodus lassen sich mit den Funktionen in der Seitenleis­te Keyframes für einfache Animatio­nen, zum Beispiel für GIFs, erzeugen.

Dieser Artikel ist in PAGE 09.2021 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 09.2021

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