Arbeiten im Kollektiv
Man teilt Verantwortung, Ideen und Visionen, schafft sich Freiräume und ein Miteinander, wie es einem gefällt: Die Arbeit im Kollektiv ist in. Wir stellen verschiedene von ihnen aus Berlin, Paris und Sydney vor und verraten, was sie antreibt und wie sie sich organisieren.
Gemeinsam vorwärts
Pleix begann als Feierabendprojekt. Und das bereits vor über zwanzig Jahren. Kennengelernt haben sich die sieben Pariser Kreativen – mit einem Hintergrund in Grafikdesign, Musik und Special Effects – in dem legendären Animationsstudio von Kuntzel+Deygas. Arbeiteten sie tagsüber an Titelsequenzen wie für Steven Spielbergs Gaunerkomödie »Catch me if you can« oder an Animationen für Guerlain oder Renault, bastelten sie abends an einer gemeinsamen Onlinegalerie, in der sie eigene Filme und Videos zeigten. Schnell begannen Filmfestivals, sich für ihre Arbeiten zu interessieren, und kurz darauf folgten erste Aufträge – geplant war das nicht, aber es hat sich beständig weiterentwickelt.
Schließlich haben sie den Namen Pleix schützen lassen, weil das ihr Brand ist, hinter dem sie – und auch ihre Egos – verschwinden. Ihre eigenen Namen findet man nirgends, auch keine Porträts. Lediglich eine Grafik mit ein paar Pixelfiguren, die gemeinsam in einer Art Büro zu sehen sind. Doch auch das täuscht, denn ein gemeinsames Studio hatte Pleix nie. »Erst konnten wir es uns nicht leisten, dann haben wir ständig in Großbritannien, den USA oder in Deutschland gearbeitet, und heute wohnen wir noch nicht einmal mehr alle in Paris«, sagen sie.
Ihre Arbeiten erstrecken sich von Kunstinstallationen, Fotoarbeiten und Festivalfilmen über Kampagnen für Amnesty International bis zu Werbespots für alle großen Automarken. Der Konzeptionsprozess findet immer digital statt, Regeln gibt es nicht und auch keine Hierarchien. »Nur Freundschaft und gesunden Menschenverstand.« Und regen Austausch per Videocall, Telefon oder in gemeinsamen Onlineordnern. Alle arbeiten zu Hause, und diejenigen, die am stärksten in ein Projekt involviert sind, tauschen sich mit den Auftraggeber:innen aus und betreuen schließlich auch die Dreharbeiten.
Jeder ist versorgt
Einen Auftrag übernimmt, wer die nötige Expertise und wer Lust und Zeit dafür hat. Oft arbeiten sie zu dritt, und das in unterschiedlicher Kombination. Nicht alle aber möchten Werbung machen – manche konzentrieren sich ganz auf die Kunstprojekte. Andere brauchen eine Auszeit oder treiben freie Arbeiten voran. Dennoch soll jeder von Pleix leben können, als Minimum soll immer die Miete gedeckt sein. Um das zu garantieren, wird von jedem lukrativen Werbejob ein Prozentsatz an diejenigen ausgezahlt, die nicht daran beteiligt sind. »Pleix ist für uns wie eine Vase, in die jeder von Zeit zu Zeit etwas füllt und deren Pegel so beständig steigt«, sagen sie. Gerade auch in Zeiten wie diesen, in denen das Business sich so stark verändert, TV-Werbung immer unwichtiger und bewegte Bilder in den Social Media immer wichtiger werden. Da ist es essenziell für sie, sich Herausforderungen gemeinsam zu stellen, neue Wege einzuschlagen und zu experimentieren.
Mit »Animated Prints« für Instagram beispielsweise, wie Pleix sie aktuell für Hennessy entwickelt hat. Bis zu zehn Sekunden sind die hypnotisierenden Eyecatcher lang, die wie bewegte Malerei wirken. Oder mit digitalen Skulpturen, für die sie die Möglichkeiten einer Photogrammetriesoftware erproben. Der Techniktüftler unter ihnen, spezialisiert auf CGI-Animation und Compositing, hat einfach mal begonnen, damit herumzuspielen, und erste Ergebnisse geteilt. Gemeinsam treibt das Kollektiv seine Idee digitaler Büsten voran, die denen der griechischen Antike nachempfunden sind, aber Personen von heute porträtieren, und arbeiten an klassischen Skulpturengruppen, die Leute am Smartphone oder Computer zeigen. Diesen Weg alleine zu gehen würde nicht nur viel weniger Spaß machen, sondern es wäre auch viel schwerer, sagen sie. Gerade auch in Zeiten wie diesen, in denen man manchmal nicht nur Know-how, sondern dringend auch Zuversicht braucht.
»Wir waren Freunde, bevor wir Businesspartner wurden«, sagen sie. »Das ist eines unserer Erfolgsgeheimnisse.«
Manifest statt Businessplan
Freunde waren auch die Mitglieder des Berliner Büros Bum Bum. Oder zumindest Kommilitonen. Alle haben im selben Jahrgang an der HTW Berlin Kommunikationsdesign studiert und wussten nach ein paar Praktika in Agenturen, dass sie anders arbeiten wollen. Eigenverantwortlich, gleichberechtigt und mit Freude am Experiment. Auch deshalb schrieben sie zu ihrem Start als Büro Bum Bum 2013 ein Manifest und keinen Businessplan. Und dessen Kernpunkte sind bis heute gültig. Offenheit, Austausch und Vertrauen sind wichtigstes Gebot.
Zentral für ihren Kollektivgedanken ist, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern sich gegenseitig zu unterstützen, füreinander da zu sein und auch Positionen anzuerkennen, die nicht den eigenen entsprechen.
»Man muss porös sein, um sich mit den anderen zu verbinden«, sagen die vier. Das ist nicht immer einfach. Ursprünglich waren sie bei Büro Bum Bum zu sechst, zwei aber stiegen Anfang des Jahres aus. Einer hat sich spezialisiert, der andere hat woanders angeheuert. Und es gab auch Zeiten, da haben sie damit gehadert, dass sie in ihren Diskussionen zwar immer wieder politische Missstände anprangerten, aber selten aktiv wurden. Da sind sie auf die Straße gegangen, haben mit Passanten über gesellschaftliche Themen gesprochen, über Geld versus Zeit, Sicherheit oder Freiheit, und dann den Reader »Positivisions« zusammengestellt, in dem es um Gemeinschaft und Austausch geht.
Der größte Schub für ihr Miteinander aber war, dass sie vor einigen Jahren begonnen haben, sich ihr Gehalt zu gleichen Teilen auszahlen. Vorher gab es immer wieder ein Ungleichgewicht. Es konnte sein, dass jemand an einem wunderschönen Buch arbeitete, das aber viel schlechter bezahlt war als andere kleine Aufträge. Und das hat sich dann mitunter auch auf die Stimmung ausgewirkt. Die gemeinsame Ökonomie bedeutet mehr Verantwortung für den Einzelnen, sagen sie. Zugleich stärkt sie das Gefühl, dass man sich aufeinander verlassen kann, und gibt die Sicherheit, dass es immer weitergeht. Auch wenn jemand mal nicht so viel Kraft hat.
Kollektiv im Kollektiv
Natürlich geraten sie auch mal aneinander, aber miteinander zu reden ist ihr wichtigstes Tool, zuhören, diskutieren, sich auseinandersetzen – immer wieder auch digital. Weil einer zwischenzeitlich in Leipzig war, ein anderer mittlerweile gemeinschaftlich in Brandenburg lebt. Ein Kollektiv zu sein bedeutet auch größtmögliche Freiheit. Am liebsten aber arbeiten sie in ihrer Fabriketage im Berliner Wedding zusammen, auf zweihundert Quadratmetern, die sich Sebastian Bareis, Eric Dannebaum, Dirk Gössler und Matthias Klinger mit Grafikdesigner:innen, Programmierer:innen, Fotograf:innen und anderen Kreativen teilen. Zu zwölft sind sie dort insgesamt. Es ist kein Coworking-Space, mit dem Büro Bum Bum Geld verdient, vielmehr wird die Miete durch alle geteilt – es gibt Tischinseln, einen Besprechungsraum, eine kleine Bibliothek und eine Werkstatt.
»Wir zapfen uns hier alle gegenseitig an«, sagen sie. »Jede Person in der Bürogemeinschaft bringt etwas in die Arbeit der anderen hinein.« Und sie beflügeln das Miteinander auch bewusst. Zumindest in Zeiten ohne Social Distancing. Sie kochen mittags zusammen, treffen sich einmal im Monat abends, trinken Bier, tauschen sich über aktuelle Arbeiten aus, oder jemand hält einen Vortrag. Und braucht Büro Bum Bum Unterstützung zum Beispiel beim Programmieren, dann arbeitet man zusammen.
Der Austausch steht für sie an erster Stelle, auch im gemeinsamen Arbeitsprozess. Die beständige Diskussion über Ideen, darüber, welche die beste ist und wie man sie weiterentwickelt, das sich Auseinandersetzen und Begründen schleift die Arbeiten auch inhaltlich. Heute gehören der Berlin Art Prize, die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und die Staatlichen Museen zu Berlin zu ihren Auftraggebern. Und im besten Fall werden auch diese für die Zeit der Zusammenarbeit Teil des Kollektivs. Schließlich geht es um Offenheit, Austausch und Vertrauen. Und das ist eine Haltung, die keine Grenzen kennt.
Weg vom Ego
»Bei uns haben die Leute nicht dasselbe Einkommen und sie kommen und gehen auch nicht, wann sie wollen«, sagt Vince Frost, der sein Studio Frost Design vor einigen Jahren in das Frost*collective verwandelte. »Wir haben das in Ansätzen probiert, aber es hat überhaupt nicht funktioniert.« Jahrelang hätten sie zuvor ihre Agenturstruktur hinterfragt, und heute versteht der preisgekrönter Grafikdesigner, Executive Creative Director und erfolgreiche Podcast-Host unter dem kollektiven Miteinander, dass sie gemeinsam an einer Vision arbeiten, und das in kleinen Teams, die sich zum größeren Kollektiv zusammenfinden. Als Frost 2014 das Buch »Design your Life« schrieb, in dem er 15 Designprinzipien auf das persönliche Leben anwendete, redesignte er auch sein Business mit. Er teilte das Studio mit seinen fünfzig Mitarbeiter:innen in kleine, selbstständige Teams auf, die jeweils auf Branding, auf Leitsysteme, auf Packaging oder Customer Experience spezialisiert sind und sich bei umfassenderen Projekten austauschen. »Heute ist die Arbeit so spezialisiert, dass es immer um Co-Creation geht«, sagt Frost.
Und auch wenn das Kollektiv seinen Namen trägt, hält Vince Frost die großen Egos, von denen es nach seiner Meinung im Design immer noch viel zu viele gibt, für völlig überholt.
Der heutigen Komplexität kann kein Einzelner gerecht werden, niemand kann mehr eine Idee für sich alleine beanspruchen oder durch alle Kanäle hindurch deklinieren.
Dazu braucht es ein Kollektiv. Sein Ideal ist es, dass es durch gemeinsame Ziele zusammengehalten wird. Dazu gehören Nachhaltigkeit, die Reduzierung von Plastikmüll und das Engagement gegen den Klimawandel, der Kampf gegen häusliche Gewalt, gegen Rassismus und für Diversität. Und ganz zentral der freie Zugang zu Bildung sowie der Anspruch, jedem, der interessiert ist, das Potenzial von Design nahezubringen – in Podcasts, Talks und der Frost* Academy, die Praktika anbietet. »Für uns geht es schlicht darum, die Welt zu einer besseren zu machen – durch Design und Gemeinsamkeit.«
Dieser Artikel ist in PAGE 08.2021 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.