
So gelingen interdisziplinäre Prozesse!
Immer mehr Designprojekte lassen sich nur mit interdisziplinären Teams bearbeiten. Mit welchen Methoden sich die Zusammenarbeit bei komplexen Projekten wirklich produktiv gestalten lässt.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Miteinander sprechen
Ein ganz wesentlicher Aspekt für das Gelingen interdisziplinärer Zusammenarbeit ist Kommunikation. Und die beginnt beim Kennenlernen. Bei den Formaten des Cross Innovation Hubs achten Jenny Kornmacher und ihr Team immer auf eine längere Kennenlernphase. »Bei interdisziplinären Projekten reicht es nicht, sich die Hand zu schütteln und Namen und Berufsbezeichnungen auszutauschen. Oft wird hier schon deutlich, dass die Disziplinen unterschiedliche Sprachen sprechen und unter demselben Wort mitunter ganz andere Dinge verstehen«, so Kornmacher. Man müsse sich Zeit nehmen, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen – nur so könne Kollaboration gelingen.
Das kennt auch Britta Nagel: »Jede Disziplin hat ihren eigenen Fachjargon. Oft muss man erst mal eine gemeinsame Sprache finden. Wir nennen das De-Babelising.« Eine gemeinsame Sprache bedeutet allerdings nicht, dass man zwingend immer einer Meinung ist. Das wäre auch gar nicht sinnvoll, denn kreative Ideen entstehen viel eher durch Reibung als durch Harmonie. Drohen Reibungen außer Kontrolle zu geraten, hilft wiederum Kommunikation: »Ich bin immer dafür, Probleme so schnell und offen wie möglich anzusprechen«, sagt Britta Nagel. »Auch wenn es manchmal unangenehm ist: Je eher alle an einem Tisch sitzen und etwas besprechen, desto schneller findet man Lösungen. Denn geht nicht gibt’s nicht.«
Durch Auseinandersetzungen wird zudem das Selbstbewusstsein jeder Disziplin gestärkt. »Reibungen zwischen den Disziplinen sind wichtig, damit die Personen ihre Sprachfähigkeit über ihre Disziplin und ihre Tätigkeiten trainieren«, schreibt Designerin Jennifer Baaske in ihrer Masterarbeit »Interdisziplinäre Kollaborationen aus der Sicht des Designs«, die sie an der Fakultät Gestaltung der HAWK Hildesheim erstellte. In der Arbeit beleuchtet sie vor allem die fakultätsübergreifende Kollaboration an ihrer Hochschule, doch viele ihrer Erkenntnisse lassen sich auf den Arbeitsalltag von Designern übertragen. So sei es gerade im Design wichtig, mit anderen darüber zu kommunizieren, wie gearbeitet wird und was Gestaltung im Sinne eines erweiterten Designbegriffs umfasst. Das gilt für die Arbeit mit Unternehmen genauso wie an der Hochschule.
»Designerinnen und Designer müssen lernen, die eigene Arbeit verständlich zu machen und sie anderen zu vermitteln«

Zum gegenseitigen Verständnis und zur Kommunikation auf Augenhöhe gehört außerdem ein weiterer wesentlicher Aspekt: Vertrauen. »Als Dirigent muss ich mich auch raushalten und den Leuten vertrauen können«, sagt Bruno Arizio. Ständiges Über-die-Schulter-Schauen und Kontrollieren ist nicht der richtige Weg, um ein Team zu motivieren – vor allem, weil man selbst nicht Fachfrau auf allen Gebieten sein kann. Dieses Vertrauen ist eine Fähigkeit, die viele erst lernen müssen.
Interdisziplinäre Teams: Soft Skills fördern
Um in interdisziplinären Teams arbeiten zu können, braucht es neben Fachkenntnissen vor allem Offenheit, Empathie, Neugier und Respekt gegenüber anderen Disziplinen. Es sei wichtig, »sich seiner eigenen Irrtumsanfälligkeit bewusst zu sein und den Irrtümern von anderen mit Toleranz zu begegnen«, zitiert Jennifer Baaske den Philosophen Gerhard Vollmer in ihrer Masterarbeit. Oder wie es Helmut Ness von Fuenfwerken formuliert: »Man muss nicht immer dasselbe Verständnis oder dieselbe Meinung haben wie die anderen, aber man muss Respekt entwickeln für den Unterschied« (siehe Interview).
Hier kommt das viel beschworene T-Shape-Modell zum Tragen: Neben Expertise in einem Bereich sollten Designer ein breites Basiswissen haben, um andere Disziplinen zu verstehen. Die Bereitschaft, sich auf diese einzulassen, ist mitunter wichtiger als Fachexpertise: »Auf der Suche nach neuen Mitarbeitern achten wir vor allem darauf, dass zukünftige Kollegen vom Mindset her ins Team passen und nicht zu spezialisiert sind«, sagt Philipp Mühlebach, Executive Creative Director bei Superunion. »Ich erwarte von Designern, dass sie beratend zur Seite stehen können – so, wie ich es von Beratern und Strategen erwarte, eine Haltung zum Design zu haben.«
»Grenzen spielen keine Rolle mehr, egal in welcher Form. Es geht nicht mehr um die einzelnen Disziplinen, sondern immer um den Kontext«

Diese Skills mag nicht jeder Gestalter von Haus aus mitbringen, aber man kann sie trainieren. Am besten schon im Studium. Einige Hochschulen versuchen bereits, interdisziplinäre Prozesse zu integrieren, wie die Hybrid Plattform, auf der die Universität der Künste Berlin und die Technische Universität Berlin Kunst, Wissenschaft und Technik verbinden, oder die BurgLabs der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, die in den Grenzbereichen zwischen Gestaltung und Wissenschaft forschen.
Designer, die schon länger im Beruf sind, können ihre interdisziplinären Skills unter anderem im Rahmen eines Design-Thinking-Studiums am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam aufbessern, beim Cross Innovation Hub der Hamburg Kreativ Gesellschaft oder auch bei der PAGE Webinar Week »Leadership by Design« mit Fuenfwerken.
Interdisziplinär auf Distanz
Traditionell werden für interdisziplinäre Prozesse Treffen an einem Ort empfohlen, der möglichst viele Denkräume eröffnet. Das war 2020 aufgrund der Corona-Pandemie unmöglich – und wird es wohl noch einige Monate bleiben. Interessanterweise scheint die dezentrale Arbeit vielen Teams aber nicht zu schaden. Ganz im Gegenteil: »Die Tatsache, dass wir nicht gemeinsam in unseren jeweiligen Teams sitzen, sondern jeder für sich, hat die interdisziplinären Teams stärker gefordert und dadurch zusammengebracht«, sagt Martin Steinacker, Executive Creative Director bei Superunion. Der Austausch sei schneller und unkomplizierter, die Zusammenarbeit dadurch effizienter.
Das liegt natürlich auch ganz wesentlich an der richtigen Software. »Ohne Designtools wie Adobe XD, Sketch oder Mural, die auf Online-Kollaboration ausgelegt sind, wäre das alles so nicht möglich«, sagt Marko Thorhauer. Darüber hinaus dürfe man den fachlichen und persönlichen Austausch nicht vernachlässigen: »Wir machen zum Beispiel unseren sogenannten Creative Thursday jetzt als Video-Call, in dem alle Designer zusammenkommen – oft auch mit zwanglosen Breakout-Sessions, um einfach mal zu quatschen.«
Jeremias Schmitt, Head of Transformation and Strategy bei Fuenfwerken, rät außerdem zum Medienbruch: »Ich greife öfter mal zum Telefon und gehe spazieren, um freier mit einzelnen Mitarbeitern zu sprechen. Online-Meetings haben meistens eine Agenda und fühlen sich nach Businesskommunikation an. Den menschlichen Austausch nicht zu vernachlässigen, ist sicher eine der größten Herausforderungen bei der interdisziplinären Zusammenarbeit auf Distanz.«
»Jedes gute Team muss auch mal clashen können«
Helmut Ness (links) ist Co-Founder und Managing Partner, Jeremias Schmitt Head of Transformation and Strategy bei Fuenfwerken Design in Berlin. Die beiden kennen interdisziplinäre Arbeit nicht nur aus dem Projektgeschäft in der Agentur, sondern auch als Coaches an der School of Design Thinking (D-School) am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Wir sprachen mit ihnen über den Wert von Interdisziplinarität, über die notwendigen Kompetenzen für diese Art der Zusammenarbeit und wie sich dadurch die Rolle des Designers verändert.
Warum braucht es überhaupt interdisziplinäre Teams?
Helmut Ness: Je komplexer ein Projekt, desto wichtiger ist es, alle Sichtweisen zusammenzubringen, die für den Erfolg notwendig sind. Diese Denke versuchen wir in die Unternehmen zu tragen, damit die Abteilungen nicht alle getrennt voneinander arbeiten, sondern wissen, was in den jeweils anderen passiert, und entsprechend darauf eingehen können. Die besten Ergebnisse entstehen, wenn man alle Beteiligten zusammenführt. Designer bringen dabei ihre Fähigkeit ein, Sachen analytisch auseinanderzunehmen und Klarheit zu schaffen sowie Dinge sichtbar und für alle verständlich zu machen. Das wird heute mehr gebraucht denn je.
Jeremias Schmitt: Unternehmen sehen uns vor allem als Kreative, die auf eine bestimmte Art Probleme lösen. Um wirklich auf Augenhöhe zusammenarbeiten zu können, brauchen wir aber weitere Kompetenzen. Wenn es etwa um Transformationsprozesse in Unternehmen geht, benötigen wir Leute im Team, die Ergebnisse aus Managementanalysen in strategische Ableitungen für Designer übersetzen können und andersherum. Deshalb bauen wir intern neue Kompetenzfelder auf, etwa im Bereich Data Science.
Wie stellt ihr interdisziplinäre Teams für Projekte zusammen?
Ness: Je breiter der Kompetenzfächer, desto besser bei komplexen Themen. Wir bilden gemeinsam mit den Auftraggebern Kernteams von bis zu sechs Personen mit verschiedenen Perspektiven und Skills, die über das gesamte Projekt kontinuierlich zusammenarbeiten. Je nach Aufgabenstellung holen wir Experten hinzu, die das Kernteam punktuell unterstützen.
Schmitt: Die Kernteams bestehen meist zu gleichen Teilen aus Mitarbeitern von uns und vom Kunden. Dabei ist wichtig, dass jemand aus dem Management des Unternehmens dabei ist, der Entscheidungen treffen kann. Von unserer Seite kommt ein sogenannter Programmdirektor, der das große Ganze im Blick hat, außerdem ein Kreativer, der sich um die konkrete Gestaltung kümmert, sowie eine weitere Fachkraft je nach Projektanforderungen. Die Rolle des Designers kann dabei je nach Projekt variieren. Mal sind wir Erklärer, mal Moderator, mal Experte und manchmal auch Störer oder Challenger.
Ness: Es ist ein bisschen wie im Improvisationstheater. Um flexibel und adäquat reagieren zu können, brauchst du aber auch den richtigen Werkzeugkoffer. Darin befinden sich all die verschiedenen Skills und Methoden, auf die man als Designer zurückgreifen kann.
Wie kriegt man es hin, dass die Leute sich als Team fühlen und gut zusammenarbeiten?
Schmitt: Wir verbringen viel Zeit damit, dass sich alle kennenlernen.
Ein Projekt nimmt erst dann Fahrt auf und wird agil, wenn man sich den Ball hinter dem Rücken zuspielen kann.
Dafür muss man sich gut kennen. Zudem reflektieren wir intern – und immer öfter auch mit dem Kunden –, wie die Zusammenarbeit läuft. Dabei geht es nicht nur um Ergebnisse, sondern auch um Fehler, Probleme und individuelle Befindlichkeiten.
Ness: Außerdem spielt das Thema Befähigung eine zentrale Rolle. Man muss sich in andere Gewerke hineinversetzen können, um zu wissen, wie man sie unterstützen kann. Im Gegenzug muss man ihnen verständlich machen, was man selbst braucht, um seine Arbeit bestmöglich zu machen. Nur dann kann man sich gegenseitig den Ball zuspielen.
Schmitt: Ich verweise gern auf das Vier-Phasen-Modell des Psychologen Bruce Tuckman: In der Forming-Phase lernen sich die Teammitglieder kennen und verständigen sich auf ein gemeinsames Ziel und Vorgehen. In der Storming-Phase beginnen alle zu arbeiten, und erste Konflikte und Reibungen treten auf – was nichts Schlechtes ist! Jedes gute Team muss auch mal clashen können. In der Norming-Phase haben sich alle aneinander gewöhnt und sich miteinander arrangiert. Man kennt bereits die Stärken und Schwächen der anderen und kann entsprechend damit umgehen. In der Performing-Phase schließlich haben wir ein eingespieltes Team, das produktiv arbeitet und gemeinsam tolle Ergebnisse schafft.
Welches Mindset braucht man für die interdisziplinäre Arbeit?
Ness: Man muss nicht immer dasselbe Verständnis oder dieselbe Meinung haben wie die anderen, aber man muss Respekt entwickeln für den Unterschied, offen sein für andere Sichtweisen und versuchen, den anderen zu verstehen. Dafür muss man sich Zeit nehmen. Zuhören ist eine wichtige Voraussetzung für partnerschaftliche Zusammenarbeit. Wenn man sich nur auf die eigenen Bilder im Kopf verlässt und anderen nicht zuhört, geht rechts und links viel verloren, was einen vielleicht hätte umdenken lassen. Außerdem bekommt man so ein gutes Gespür für die Stärken der anderen und kann sie darin unterstützen.
Kann man diese Fähigkeiten trainieren, oder ist das Typsache?
Schmitt: Das hat viel mit emotionaler Intelligenz zu tun. Davon bringt jeder Mensch mal mehr, mal weniger mit. Aber es gibt durchaus Übungen und Rituale, um sie zu trainieren. Wir arbeiten viel mit dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation des Psychologen Marshall B. Rosenberg. Dabei geht es vor allem darum, respektvoll und empathisch miteinander zu sprechen, indem man zum Beispiel Kritik positiv formuliert. Die Bereitschaft, mit anderen in den Dialog zu treten, ist eine Grundvoraussetzung für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Beim Aufbrechen von Unternehmenssilos geht es im Grunde auch immer darum, Gespräche außerhalb des eigenen Kosmos zu führen. Wenn man das richtig macht, kann man dabei sehr viel lernen. Durch Interdisziplinarität kann man also zu einer lernenden Organisation werden. Diese Denke und die dazugehörigen Fähigkeiten versuchen wir, bei unseren Designern zu fördern. Das ist wichtig, weil sich die Rolle des Designers in Zukunft grundlegend verändern wird. Während die reine Gestaltungsarbeit von immer mehr smarten Tools übernommen wird, wandelt sich der Designer zu einer Art interdisziplinärem Scharnier, das durch Sichtbarmachen und Dialog die Komplexität verschiedener Bereiche so zusammenfügt, dass ein klares Bild entsteht.
Und wie funktioniert das Ganze jetzt auf Distanz?
Schmitt: Überraschenderweise funktioniert es teilweise sogar besser als vorher! Wir sind alle zu Hause und kommen uns als Menschen viel näher. So entsteht oft ein Grad an Verständnis und Empathie, den es vorher nicht gab. Wir sitzen nun mal alle im selben Boot. Zugleich braucht es noch mehr emotionale Intelligenz, um alle abzuholen und zu befähigen, ihre Arbeit zu machen. Corona ist in diesem Sinne ein Beschleuniger für Interdisziplinarität.
Ness: Im Büro war es oft so, dass sich die Designer irgendwann an ihre Rechner zurückgezogen und mit der Umsetzung begonnen haben. Jetzt wird viel öfter in spontanen Video-Calls etwas am Bildschirm geteilt und gemeinsam diskutiert. Auch Experten kann man schneller punktuell dazuholen. Natürlich mit dem Nachteil, dass die ganze Screentime ganz schön schlaucht.
So arbeitet der Cross Innovation Hub
Der Cross Innovation Hub in Hamburg bringt unterschiedlichste Disziplinen zusammen. Dabei helfen ein klarer Prozess und Kollaborationsmethoden. Lesen Sie mehr über die interdisziplinäre Zusammenarbeit beim Cross Innovation Hub.
Dieser Artikel ist in der PAGE 03.2021 erschienen, die Sie mit Ihrem Digital-Abo hier kostenlos runterladen können!