
Behavioural Design: Wie wir mit Design Verhalten gezielt verändern können
Design kann Verhalten lenken und ändern. Das gilt nicht nur für E-Commerce und Werbung, sondern auch für politische und soziale Entscheidungen. Wir erklären Mechanismen des Behavioural Designs – und dessen ethischen Einsatz.
Gutes tun: sozial verträgliches Verhalten fördern
Während sich die Begründer des Behavioural Designs vor allem für die Gesetzmäßigkeiten menschlichen Handelns interessierten (mehr dazu sowie zu Grundbegriffen wie Bias und Nudge unten), ging es in der Anwendung schnell darum, mit den Erkenntnissen Geld zu verdienen: Wie bringe ich Menschen dazu, sich für meine Produkte und Services zu entscheiden? Auch im heutigen Web- und UX Design werden Nudges vornehmlich unter diesem Aspekt gesehen und eingesetzt.
Aber es gibt ein Umdenken. Behavioural Design wird zunehmend für »das Gute« angewendet – also dafür, nachhaltiges und sozial verträgliches Verhalten zu fördern. So widmet sich etwa das Behavioural Design Camp von Scholz & Volkmer Themen wie Umweltschutz und Kommunalpolitik. »Die Welt braucht kein weiteres Seminar dazu, wie man besser verkauft«, sagt Peter Post. Der Einsatz im E-Commerce ist für ihn der »Todesstern des Behavioural Designs«. Stattdessen geht es bei den Camps zum Beispiel darum, wie man Autofahrer dazu bringt, schlauer zu parken, oder Gastwirte dazu, Steuern zu bezahlen.

Im ersten Jahr war dort neben weiteren Speakern Jorn Craeghs zu Gast, Co-Gründer der Behavioural Design Academy in Amsterdam (hier im Interview). In seiner Tätigkeit als selbstständiger Berater legt er seinen Schwerpunkt auf Projekte, bei denen es darum geht, Menschen zu helfen, ein gesundes, nachhaltiges und glückliches Leben zu führen. Ein wichtiges Bias – so nennt man kognitive Verzerrungen, die unser Verhalten bestimmen – im Bereich Nachhaltigkeit ist laut Craeghs die Verlustaversion: »Menschen geben ungern etwas auf. Sie schätzen Dinge, die sie schon besitzen, als wesentlich wertvoller ein als Dinge, die sie gewinnen könnten. Deshalb kommen Verzichtsaufforderungen bei Autos, Fleisch und Fliegen nicht sonderlich gut an.«
Derzeit arbeitet Craeghs gemeinsam mit der Katholischen Universität Leuven in Belgien an einem Forschungsprojekt mit dem Ziel, Menschen dazu zu bewegen, ihre CO2-Bilanz zu verbessern. »Dafür analysieren wir den CO2-Fußabdruck von 100 Personen und erstellen für jeden einen maßgeschneiderten Plan, wie er ihn reduzieren kann. Dabei versuchen wir, die größte Reduktion bei kleinstem Aufwand zu erzielen«, erklärt Craeghs. Anschließend will das Team die Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Teilnehmer erheben. »Das gibt uns Aufschluss über die mentalen Barrieren, die Menschen von einem nachhaltigen Lebensstil abhalten – und wie wir sie überwinden können.«
Sanfte Beeinflussung oder Manipulation: Darf man das?
Aber auch wenn es für gute Zwecke eingesetzt wird, weckt Behavioural Design bei vielen moralische Bedenken. Tatsächlich scheint der Grat zwischen sanfter Beeinflussung und Manipulation schmal. Die meisten Behavioural Designer berufen sich auf die Integrität ihrer Ziele: Schließlich hätten sie das Beste im Sinn. Richard Thaler und Cass Sunstein (die Erfinder des Nudges, siehe unten) bezeichnen ihren Nudging-Ansatz als »Libertären Paternalismus«: Letztlich helfe man Menschen nur dabei, Entscheidungen zu treffen, die sie im Grunde selbst wollten (etwa: sich gesund zu ernähren). Wichtig sei dabei, die Optionen nicht einzuschränken – die Pommes muss es in der Kantine weiterhin geben. Sonst wäre es ja reiner Paternalismus. Gerade im politischen Kontext kann diese Art der Bevormundung aber auch Unwillen hervorrufen. Der Designforscher Dan Lockton warnt vor einem »Nanny State«, in dem Regierungen überfürsorglich in die Entscheidungen der Bevölkerung eingreifen.
Dennoch: Für viele Zwecke ist Behavioural Design durchaus legitim. »Dem Planeten läuft die Zeit davon«, sagt Peter Post. »Über Kommunikation und Informationen hat es bisher nicht geklappt, ein Umdenken zu erzeugen. Deshalb probieren wir es jetzt mit Behavioural Design. Unser Ziel ist es, es Leuten leichter zu machen, sich nachhaltig zu verhalten.« Jorn Craeghs ist sogar der Meinung, es sei heuchlerisch, erst bei der Umsetzung von Maßnahmen ethische Bedenken zu äußern: »Die Moralfrage sollte ganz am Anfang stehen: Ist das geplante Projekt gut für die Menschheit oder nicht? Wenn nicht, lassen Sie es gleich! Aber wenn Sie wirklich davon überzeugt sind, nutzen Sie alle Methoden und Tools, die Ihnen zur Verfügung stehen.«
Im Behavioural Design geht es darum, Dinge klarer zu machen und die Aufmerksamkeit zu lenken. Manipulation findet nur dann
statt, wenn man die Wahrheit verbiegt. Niemals lügen! Das ist mein ethischer Kompass
Jorn Craeghs, Kommunikationsberater in Antwerpen
Aber nicht nur die Ziele sind entscheidend, auch die Herangehensweise trägt dazu bei, wie Behavioural Design wahrgenommen wird. So sollte man stets transparent und ehrlich vorgehen und Menschen nicht täuschen oder drängen. »Bei den meisten Methoden geht es darum, Dinge klarer zu machen und die Aufmerksamkeit zu lenken. Manipulation findet nur dann statt, wenn man die Wahrheit verbiegt. Niemals lügen! Das ist mein ethischer Kompass«, so Jorn Craeghs.
Unpleasant Design: an der Grenze zu fragwürdigen Methoden
Ein Bereich an der Grenze zu ethisch fragwürdigen Methoden ist das sogenannte Unpleasant Design. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Maßnahmen im öffentlichen Raum, die bestimmtes Verhalten unterdrücken sollen, etwa das Schlafen auf Bänken, Drogenmissbrauch, Skaten oder Herumlungern. Dazu gehören unbequeme Sitzbänke oder pinkfarbenes Licht an unerwünschten Teenager-Treffpunkten, weil darin Hautunreinheiten besonders hervortreten. Maßnahmen wie diese haben nichts mehr mit sanftem Nudging zu tun. Sie machen den öffentlichen Raum für manche Gruppen bewusst unbequem bis nicht nutzbar – im Interesse anderer Gruppen.
Wie alle Techniken kann auch Behavioural Design für böse Zwecke verwendet werden – etwa von rechtsextremen Parteien, um Angst in der Bevölkerung zu schüren. Das macht aber nicht die Methoden an sich schlecht. »Letztlich muss jeder Designer für sich entscheiden, ob er Behavioural Design einsetzen möchte oder nicht. Es braucht einen moralischen Kompass, den man haben oder entwickeln muss. Sonst sollte man besser die Finger davon lassen«, sagt Peter Post.
Behavioural-Design-Konzept: Selbst aktiv werden
»Um Behavioural Design für nachhaltiges Verhalten zu machen, muss man als Agentur sehr nah an der Produktentwicklung sein. Das ist im Digitalbereich leichter«, sagt Peter Post. Dennoch sind solche Aufträge auch bei Scholz & Volkmer noch spärlich gesät. Deshalb startet die Agentur viele eigene Initiativen in dem Bereich, wie das Kiezkaufhaus für nachhaltigen und regionalen Konsum. Post sieht die öffentliche Hand in der Pflicht, solche Projekte in Auftrag zu geben. Ein großes Vorbild sind England und die Niederlande: »Dort gibt es einen ganz anderen Zugang zu Design im öffentlichen Bereich.« Die Verbreitung des Behavioural-Design-Konzepts könnte dabei helfen, dieses Bewusstsein für Design auch in Deutschland zu verbreiten, glaubt Christiane Wenhart von The Deep Bench: »Der Begriff könnte das Reframing von Design als ganzheitliche und wirksame Disziplin vorantreiben.«
Nicht zuletzt hilft die Kenntnis dieser Methoden und Mechanismen auch im eigenen Alltag. So wird man wesentlich feinfühliger dafür, wann man selbst in eine bestimmte Richtung gelenkt wird – und kann sich auch selbst dazu bringen, Gewohnheiten aufzunehmen oder abzulegen. »Letztlich handelt es sich um Kulturtechniken, die man lernen sollte, um sie im positiven Sinne einzusetzen – aber auch um zu merken, wenn sie an einem selbst angewendet werden«, so Peter Post. Und wer denkt, dass er nicht so einfach zu beeinflussen ist: Diese kognitive Verzerrung trägt den Namen »Bias Blind Spot« (die Tendenz, sich für unbeeinflusst zu halten).
Grundlagen zu Behavioural Designs: Schnelles Denken und sanfte Stupse
Die Ursprünge des Behavioural Designs liegen in der Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften. Eine kurze Einleitung für alle, die mehr über die Entstehung der Disziplin und ihre Grundbegriffe wissen wollen
Ein wichtiger Grundstein des Behavioural Designs liegt in der Arbeit des Psychologen Daniel Kahneman. Er entwickelte die Theorie, dass Menschen auf zwei Weisen denken: schnell und langsam. 98 Prozent des menschlichen Denkens verlaufen laut Kahneman schnell, also automatisch, unbewusst und ohne Aufwand. Nur die restlichen 2 Prozent sind bewusst, kontrolliert und rational. Das bedeutet: Menschen treffen den Großteil ihrer Entscheidungen irrational. Dabei helfen ihnen Heuristiken, also Faustregeln, mit denen sie schnell und unkompliziert Schlüsse ziehen können, meist auf Basis vorheriger Erfahrungen. So praktisch diese Heuristiken sind, in komplexen Situationen können sie zu Urteilsfehlern führen. Zu solchen kognitiven Verzerrungen – Bias genannt – gehört zum Beispiel der Bestätigungsfehler: Die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen. Auf Wikipedia findet sich eine lange Liste kognitiver Bias, die einen guten Einblick in die menschliche Urteilsfindung gibt.
Ein weiterer wichtiger Grundstein für Behavioural Design ist die Arbeit von Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und Rechtswissenschaftler Cass Sunstein. Mit ihrem Buch »Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth and Happiness« (2008) führten sie den heute sehr gängigen Begriff ein. Unter einem Nudge (deutsch: Stups oder Schubs) versteht man eine Methode, die das Verhalten von Menschen ohne Verbote beeinflusst – nur dadurch, dass man bestimmte Aktionen leichter und andere schwerer macht. Berühmt ist die Fliege im Pissoir, die Männer zum besseren Zielen verleitet. Das Lieblingsbeispiel von Thaler und Sunstein ist die Anordnung von Essen in der Schulkantine: Sobald gesundes Essen gut sichtbar auf Augenhöhe platziert, ungesundes dagegen unten versteckt wird, greifen mehr Schüler zur gesunden Variante. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Nudges, die man je nach Kontext und gewünschtem Verhalten einsetzen kann.
Ein weiterer Mitbegründer des Behavioural Designs ist der Verhaltenswissenschaftler BJ Fogg, auf dessen Modell sich so gut wie alle Behavioural Designer stützen. Er begründete 1997 das Persuasive Tech Lab in Stanford, das er später in Behavior Design Lab umbenannte. Foggs einfache Formel: Verhalten = Fähigkeit + Motivation + Auslöser. Dieses Modell hilft sowohl bei der Analyse von Verhalten als auch bei dessen Veränderung: Sind die Personen physisch und psychisch in der Lage, etwas zu tun? Sind sie ausreichend motiviert? Brauchen sie vielleicht einen Anreiz – oder muss man eine Hürde entfernen? Auf dieser Basis entwarf Fogg eine Matrix, die fünfzehn Verhaltensänderungsstrategien umfasst. Eine umfangreiche Sammlung an Methoden samt Beispielen hat auch der Designforscher Dan Lockton vorgelegt:
Design mit Absicht: Toolkit zur Anwendung von Behavioural Design
Der Interaction Designer und Designforscher Dan Lockton hat ein frei nutzbares Toolkit entwickelt, das bei der Anwendung von Behavioural Design hilft
Unter dem Titel »Design with Intent« hat Dan Lockton eine umfangreiche Methodensammlung für Behavioural Design erarbeitet, die er mit vielen Beispielen aus der Realität anschaulich erklärt. Auf die Gestaltung des öffentlichen Raums lassen sie sich ebenso anwenden wie im Produkt-, Kommunikations- und Interaction Design. Derzeit arbeitet Lockton als Assistenzprofessor und Vorsitzender des Instituts für Designforschung an der Carnegie Mellon University School of Design.
Pinball, Shortcut oder Thoughtful User?
Dan Lockton definiert drei Perspektiven auf die Nutzer, die auf unterschiedlichen Annahmen über die menschliche Natur beruhen:
Pinball User. In diesem Modell werden Nutzer wie Kugeln in einem Flipper betrachtet. Man treibt sie mittels Design in bestimmte Richtungen und zu Handlungen, oft ohne dass sie es bemerken. Das geschehe meist aus Effizienz- oder Sicherheitsgründen, etwa beim räumlichen Abstand zwischen Geldautomaten. Dieser Ansatz sei nicht unbedingt negativ zu bewerten, so Lockton, da er den Nutzern ermögliche, sich sinnvoll zu verhalten, ohne viel darüber nachdenken zu müssen.
Shortcut User. Dieses Modell geht davon aus, dass Nutzer etwas so schnell und mit so wenig Aufwand wie möglich erledigen wollen. Entsprechend nehmen sie Abkürzungen und treffen schnell Entscheidungen auf Basis bisheriger Erfahrungen und Gewohnheiten. Ziel sind also möglichst intuitive, einfach zu nutzende Produkte und Services. Dieses Modell liegt dem Nudge-Konzept zugrunde.
Thoughtful User. Dieses optimistische Modell definiert den Nutzer als engagiert, motiviert und nachdenklich, als jemanden, der jede Möglichkeit wahrnimmt, um mehr über die Welt und seine Wirkung auf sie zu erfahren. Es geht davon aus, dass Menschen analytisch darüber nachdenken, was sie warum tun – und entsprechend offen sind für Informationen und Argumente. Ob und wann Nutzer tatsächlich so rational sind, hängt laut Lockton stark vom jeweiligen Kontext ab.
Die Methoden und ihre Anwendung
Die einzelnen Methoden ordnet Dan Lockton acht verschiedenen Betrachtungsperspektiven zu, die er »Lenses« nennt: Architectural, Errorproofing, Interaction, Ludic, Perceptual, Cognitive, Machiavellian, Security. Die vorgestellten Techniken beeinflussen das Verhalten, entweder indem sie die Umgebung gestalten oder indem sie den Verstand ansprechen. Die Methoden selbst formuliert Lockton als Fragen. Damit will er zum Nachdenken anregen, statt Wenn-dann-Lösungen anzubieten wie andere Methodenkarten. Drei Beispiele:



Insgesamt umfasst Dan Locktons Toolkit über neunzig Methoden. Hier kann man es sich gratis herunterladen.
Behavioural Design: »Sprechen Sie immer das irrationale Hirn an«
Jorn Craeghs ist Experte für Behavioural Design. Wir fragten ihn, wie er Behavioural Design definiert, wie man es am besten einsetzt und was es von Manipulation unterscheidet. Hier ein Ausschnitt aus dem Interview.

Weiterführende Links zum Thema Behavioural Design
Für alle, die noch tiefer einsteigen wollen, haben wir hier einige weiterführunde Links zusammengestellt:
Wissenschaftler und Experten
- BJ Fogg: Verhaltenswissenschaftler und Leiter des Behavior Design Labs in Stanford
- Dan Lockton: Interaction Designer und Designforscher an der Carnegie Mellon University School of Design
- Robert Cialdini: Psychologe und Autor des Buchs »Einfluss«
- Jorn Craeghs: Behavioural Designer und Kommunikationsberater
Quellen und Material
- »Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt«: Buch von Richard Thaler und Cas Sunstein (Amazon-Link)
- »Schnelles Denken, langsames Denken«: Buch von Daniel Kahneman (Amazon-Link)
- Design with Intent: Methodenkarten und Erklärungen von Dan Lockton
- Das Behavior Model und das Behavior Grid von BJ Fogg
- »What is Behavioural Design?«: Ausführliche Einleitung von SUE Amsterdam
- »Unpleasant Design«: Buch von Gordan Savičić und Selena Savić
- »The Six Principles of Persuasion« von Robert Cialdini
- »List of cognitive biases« auf Wikipedia
Behavioural Design lernen:
- Das Behavioural Design Camp von Scholz & Volkmer, supernju und giinco
- Die Behavioural Design Academy von SUE in Amsterdam
Dieser Artikel ist in der PAGE 02.20 erschienen, die Sie als PAGE+-Abonnent hier kostenlos herunterladen können.