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So denkt Jessica Walsh über Feminismus

Fiese Twitter-Kommentare führten dazu, dass die Sagmeister & Walsh-Partnerin eine Initiative für Grafikdesignerinnen gründete. Mehr erzählt sie im Interview.

Jessica Walsh Sagmeister & Walsh
© Sagmeister & Walsh

Jessica Walsh ist gerade mal 30 Jahre alt und gehört als Partnerin von Sagmeister & Walsh trotzdem schon zu den erfolgreichsten internationalen Gestalterinnen. Im Interview teilt sie ihre Vision für Frauen in der Kreativbranche und ihre persönliche Definition von Feminismus mit uns. Außerdem berichtet sie von ihrer Initiative Ladies, Wine & Design.

PAGE: Warum sind Frauen in der Kreativbranche Deiner Meinung nach weniger sichtbar als Männer?
Jessica Walsh: Traditionell hatten Männer häufig Führungspositionen inne und Frauen kümmerten sich zuhause um die Kinder. In den letzten Jahrzehnten hat sich diesbezüglich einiges getan, doch in unserer Branche gibt es trotzdem nur 5 bis 12 Prozent Kreativdirektorinnen – je nach Land. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: beispielsweise Sexismus in der Arbeitswelt. Zudem übernehmen Frauen in den meisten Fällen immer noch die Kinderbetreuung. Ein weiterer Grund ist der Mangel an weiblichen Vorbildern in Führungspositionen. Mir fallen Dutzende männliche Grafikdesign-Ikonen ein, die über 50 Jahre alt sind – aber nur eine Handvoll weibliche.

Wieso sind Vorbilder so wichtig?
Wir brauchen weibliche Vorbilder oder Mentorinnen, um jungen Frauen zu zeigen, dass es möglich ist, solche Positionen zu erreichen. Während meines Studiums habe ich immer zu den wenigen weiblichen Design-Ikonen aufgesehen – Paula Scher, Susan Kare, Carin Goldberg, Ruth Ansel oder Maira Kalman. Ich bin froh darüber, dass heute viele meiner gleichaltrigen Lieblingskreativen weiblich sind. Es ist trotzdem noch einiges zu tun, um Gleichberechtigung in der Branche zu erlangen – in Bezug auf Führungspositionen sowie auf die Bezahlung. Insbesondere jetzt, in der aktuellen politischen Lage, sollten sich Frauen zusammentun und einander unterstützen und ermutigen, wann immer es möglich ist. Das war unter anderem meine Inspiration für Ladies, Wine & Design.

Dein monatliches Treffen in New York für Grafikdesignerinnen. Wie kam es dazu, dass du Ladies, Wine & Design gestartet hast?
Vergangenes Jahr schrieb eine Frau aus der Branche fiese Dinge über mich in den Sozialen Netzwerken. Ich kannte sie nicht persönlich, respektierte sie aber immer für ihre Arbeit. Zu der Zeit lief gerade »12 Kinds of Kindness«, ein persönliches Experiment, das ich mit meinem Freund Tim Goodman gestartet hatte, um empathischer zu werden. In einem der Schritte ging es darum, etwas Nettes für einen Feind zu tun und zu versuchen, seinen Standpunkt zu verstehen. Ich traf mich mit der Frau, die die Posts verfasst hatte. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass es oft eine subtile Form von Sexismus unter Frauen gibt. Einige Frauen sehen unbewusst andere Frauen als Konkurrenz, sie unterstützen einander nicht, weil unsere Erfolgschancen in der Branche so viel niedriger sind als die unserer männlichen Kollegen. Diese Überlegungen führten dazu, dass ich ein starkes Bedürfnis entwickelte, talentierte junge Frauen zu unterstützen. Mentorin zu sein und mich nach all meinen Möglichkeiten für andere Frauen einzusetzen.

Jessica Walsh Sagmeister & Walsh
© Sagmeister & Walsh

»Einige Frauen sehen unbewusst andere Frauen als Konkurrenz, sie unterstützen einander nicht, weil unsere Erfolgschancen in der Branche so viel niedriger sind als die unserer männlichen Kollegen.«

Was waren die ersten Erfolgserlebnisse mit Ladies, Wine & Design?
Ich hatte gar keine großen Erwartungen an Ladies, Wine & Design. Es fing als kleine monatliche Salon Night an, die ich in New York ausrichtete. Plötzlich schrieben mir Frauen aus aller Welt E-Mails, weil sie die Initiative in ihre Stadt bringen wollten. Innerhalb weniger Monate entstanden Chapter in der ganzen Welt. 85 Städte sind schon dabei und jede Woche werden es mehr!

Was hast du zukünftig mit Ladies, Wine & Design geplant?
Ich fände es toll, größere Events auszurichten, etwa Talks und Workshops, die ich abwechselnd mit inspirierenden Gestalterinnen ausrichten könnte. Wir bekommen so viele Anfragen von Frauen, können aber aus Platzgründen nicht alle einladen. Deswegen versuche ich Formate zu finden, die gleichzeitig die intime Atmosphäre beibehalten und mehr Teilnehmerinnen ermöglichen.

Welche Vision hast Du für Frauen in der Designbranche?
Frauen machen schon so tolle Sachen in unserer Branche. Ich hoffe einfach, dass das im nächsten Jahrzehnt auch durch Gleichberechtigung in Bezug auf Führungspositionen und Gehalt anerkannt wird.

Wie sollte zeitgemäßer Feminismus deiner Meinung nach aussehen?
Ich finde nicht, dass man pauschalisieren kann, wie Feminismus oder Feministen aussehen sollten. Manchmal werden Feministinnen immer noch mit Frauen assoziiert, die Kurzhaar-Frisuren haben und sich die Beine nicht rasieren. Man sollte Feministinnen aber nicht stereotypieren – das kann gefährlich sein und richtet sich gegen das, wofür Feministinnen kämpfen. Frauen gibt es in allen Formen und Farben, mit ganz unterschiedlichen Interessen und Persönlichkeiten. Männer und Transgender können auch Feministen sein. Feministen kämpfen für politische, ökonomische und soziale Gleichberechtigung der Geschlechter – aber wie genau sie dafür kämpfen, kann eben ganz unterschiedlich sein.

»Es ist uns wichtig, dass in unserem Studio Diversity und Inklusion gelebt werden.«

Wie unterstützt Du Frauen bei Sagmeister & Walsh?
Es ist uns wichtig, dass in unserem Studio Diversity und Inklusion gelebt werden. Etwa 50 Prozent unseres Teams sind Frauen. Designer und Designerinnen aus aller Welt arbeiten bei uns. Dabei geht es nicht um Ethik, Moral oder das Erreichen einer Quote. Wir schätzen die Vielfalt an Meinungen, Stilen und Erfahrungen, daraus ergeben sich neue Ideen, auch in Sachen Kommunikation, was sehr hilfreich für kreatives Arbeiten ist. Unser Credo ist es, unser Team fair zu behandeln und jedem die Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, die den persönlichen Zielen, Talenten und Arbeitseinstellungen entsprechen. Natürlich hat das nichts mit dem Geschlecht zu tun.

Und was kann die Branche tun, um Frauen mehr zu fördern?
Jeden fair behandeln und Möglichkeiten und Support anbieten, ohne Voreingenommenheit in Bezug auf das Geschlecht. Außerdem finde ich, dass Frauen darauf achten können, ob sie selbst unbewusst eifersüchtig auf andere Frauen sind oder diese manchmal nicht unterstützen – um ihre Ansichten und ihr Verhalten zu ändern. Erfolgreiche Frauen in der Branche können andere Frauen fördern, zum Beispiel als Mentorinnen. Sie sollten Frauen unterstützen, wann immer es möglich ist.

Wie sollten sich Designerinnen verhalten? Was sollten sie für sich einfordern?
Alle Menschen sollten freundlich, empathisch und offen anderen gegenüber bleiben. Darüberhinaus sollte man seine persönlichen Ziele und Ambitionen überlegen und dementsprechend handeln. Nicht jede Frauen muss das Ziel haben, zur Kreativdirektorin aufzusteigen. Viele großartige kreative Frauen bevorzugen es, Gestalterin und Macherin zu bleiben, weil sie so ihr Handwerk ausüben und perfektionieren können. Viele finden darin genau so viel Erfüllung. Abgesehen davon glaube ich fest daran, dass man einfordern sollte, was einem zusteht, wenn die Zeit reif ist. Die schlimmste Antwort, die man bekommen könnte, ist Nein.

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