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Aber bitte mit Schuss

Rund 15 Jahre arbeitete der Schriftgestalter Jochen Schuß an seiner Schriftsippe Schuss. Jetzt ist die Textschrift in vier Stilen fertig und bietet ein solides Fundament für kreative Gestaltungen.

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Er ist ein alter Hase. Seit 1993 ist der gelernte Schriftsetzer Jochen Schuß selbständig und veröffentlichte schon in den Anfangszeiten des Desktop Publishing Fonts bei ITC. »In der wilden Zeit der Fun-Fonts waren saubere Textschriften weniger gefragt und ich noch nicht in der Lage, Textschriften zu entwickeln,« sagt er selbstkritisch. Nach ein paar Jahren war der Boom vorbei, Publikationen wie »Upper & lower case« wurden eingestellt, und erste Foundries übernommen. Da ihm die Aquise nicht so lag, war er über zehn Jahre fast ausschliesslich für einen Schrifthersteller tätig und beschäftigte sich nebenbei mit der Erkennbarkeit und Lesbarkeit von Schriften. Diese Erfahrungen flossen während der letzten 15 Jahre immer direkt in seine Schriftsippe Schuss — eine Grossfamilie die aus vier Familien, beziehungsweise vier Stilen besteht.

Das Gerüst der Schuss zeichnete Jochen Schuß – bis auf ein paar Ideenskizzen – am Rechner komplett neu. So konnte er Entwürfe direkt am Bildschirm immer wieder verkleinern und beurteilen. Erst nachdem die Buchstaben H, O, n und o liefen, baute er daraus die übrigen Glyphen. »Dabei öffnete und reduzierte ich einzelne Formen wieder und wieder und brauchte dann Zeit, um mich an das Bild zu gewöhnen. Erst dann konnte ich deren Duktus erneut vereinfachen. Da im Fliesstext jede auffällige Neuerung als störend empfunden wird, war diese Gewöhnungszeit notwendig, und das was Ihnen hier noch ungewohnt vorkommt, ist mir längst geläufig.«

Spätere Entwicklungsphasen, in denen der gelernte Schriftsetzer einzelne, teils noch so kleine Ideen umsetzte, bedeuteten meist den kompletten Umbau aller verwandten Zeichen. Öffnet sich zum Beispiel ein gemeines f nach oben, zieht das nicht nur die Änderung am j-Bogen mit sich, sondern auch die aller anderen.

Herausgekommen sind vier Brotschriften in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen:

Die Sans ist eine serifenlose Linear-Antiqua mit geringem Kontrast. Ihr Duktus ist komplex, da vergleichbar aufgebaute Teilbereiche absichtlich unterschiedlich gestaltet wurden.

Die Slab ist der Sans sehr ähnlich, hat aber Rundungen und Kehlungen an ihren dicken Serifen, um nicht plump zu wirken und sich in Ihrer Gefälligkeit der Sans anzupassen.

Die News ist eine überarbeitete Interpolation aus Slab und Serif und füllt so die Lücke zwischen den beiden. Nicht so weich und lieblich wie die Serif aber weniger kräftig als die Slab. Sie eignet sich aufgrund ihrer — für eine Antiqua — recht stabilen Serifen und dem geringeren Kontrast im Vergleich zur Serif, für raue Umgebungen — zum Beispiel den Zeitungsdruck. Deshalb auch der Name.

Die Serif ist feiner und hochwertiger als alle anderen Familien der Schuss. Sie ist auf den ersten Blick eine normale Antiqua, befreit von allem überflüssigen. Vielleicht wird ihre Neuartigkeit und ihre Klarheit erst im direkten Vergleich mit anderen Antiquas deutlich.

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Alle vier Familien bedienen sich der gleichen Formensprache und lassen sich natürlich sehr gut mischen. Auch sind alle klar, offen und unaufdringlich. So biegt sich ein kleines l nicht zu stark – aber gerade sichtbar. Sich ähnelnde Zeichen wurden mit unterscheidbaren Merkmalen ausgestattet. Da in der Regel die obere Hälfte des Wortes erkannt und gelesen wird, unterscheiden sich hier zum Beispiel p und n. Auch ist ein u kein gedrehtes n. Komplizierte Formen wurden neu interpretiert und so auf einen zusätzlichen Bogen in der Antiquaform des g verzichtet. Ebenso auf eine Seite der Serife beispielsweise im n.

Die Superfamilie besitzt ein komplettes mathematisches System. Die Laufweite jedes einzelnen Schnittes passt sich der Lesbarkeit an, demzufolge sind alle unterschiedlich breit. Die Tabellenziffern und die mediävalen Tabellenziffern (monospaced Old-Style-Figures) haben aber die gleiche Breite über alle Stile und Fetten hinweg. Auch die dazugehörigen mathematischen Zeichen unterwerfen sich diesem System. Ein getippter Punkt ist somit immer dicktengleich mit einem Wortzwischenraum oder halb so breit wie eine Ziffer. Zwei Wortzwischenräume ersetzen also eine Ziffer – in der Slab Heavy genauso wie in der Sans Light Italic. Dieser Teil der Schrift ist auch nicht gekernt und bietet so einen einfachen tabellarischen Aufbau.

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Zusätzlich zu den zwei tabellarischen existieren zwei proportionale Arten, die, vom System ausgeschlossen, für ein schöneres Schriftbild sorgen. Des weiteren verfügt jeder Schnitt über Small Caps, also echte Kapitälchen, die wiederum mit kleineren und daher auch schmaleren Ziffern ausgestattet sind. Auch sie fallen nicht in das Tabellenraster. Die meisten Typografen sind sich darüber einig, dass sich berührende Zeichen im Satzbild als störend wahrgenommen werden, da sie im Lesefluss schwerer auseinanderzuhalten sind. Durch ein kurzes f und andere weniger stark ausschweifende Buchstaben und mit entsprechendem Kerning wirkte Jochen Schuß dem entgegen. »Mit vielen der momentan so häufig eingesetzten Ligaturen verhält es sich meiner Meinung nach aber ähnlich. Ein die Lettern verbindender Zierschweif, der in einem Logo noch seine Berechtigung als Erkennungsmerkmal hat, kann den Leser in so manchem Text zum Stocken bringen. Die Ligaturen der Schuss beschränken sich daher auf die gängigsten und bleiben im oberen, wichtigen Bereich, getrennt.«

Auch das Versal-ß darf als Ligatur kein Fremdkörper sein und muss dem gemeinen ß möglichst ähnlich sehen, optisch aber den Raum der Majuskeln einnehmen. Die Diskussion, dass Kleinbuchstaben nichts im Versalsatz zu suchen haben, schwächte der Gestalter nicht ohne Spass durch seine Herleitung dieser neuen Ligatur aus zwei grossen S.

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Slab, News und Serif sind als Pro (Latin extended) zu beziehen und decken die meisten Sprachen mit lateinischen Buchstaben ab. Die Sans PCG (Pro/Greek/Cyrillic) ist derzeit am besten ausgebaut und enthält zusätzlich Griechisch und Kyrillisch. Insgesamt stehen in jedem Stil 10 Fonts zur Verfügung, also insgesamt 40 Schnitte mit alles in allem 28400 Zeichen (inklusive aller Steuer- und Sonderzeichen).

Jeder ist nun aufgefordert, sich die Schuss Sans PCG Regular kostenlos bei MyFonts herunterzuladen und mal in kleinen Darstellungen mit seinen anderen Textschriften zu vergleichen.

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