In der PAGE 11.2015, die ab dem 7. Oktober am Kiosk ist, stellen wir die Schrift Goodlife vor, die über jede Menge OpenType-Features verfügt. Wir fragten die Community, was sie von diesen Features hält.
»Es gibt Features, die manche Designer als Schnickschnack empfinden, andere dagegen als Delikatessen«
Einen lebendig aussehenden Scriptfont kann ich mir ohne ausgeklügelte OpenType Features kaum mehr vorstellen. Damit funktionierende Buchstabenverbindungen entstehen, muss man alternative Glyphen für die einzelnen Zeichen entwerfen, auch um allzu offensichtliche Wiederholungen in den Wortbildern zu vermeiden. Die Zeichen am Anfang und am Ende eines Wortes sollten oft anders aussehen, als die in der Mitte. Damit die Textur des Textes nicht monoton wirkt, baut man gerne Ligaturen mit besonders charakteristischen Formen in die Schrift ein … All dies wird dann über OpenType feature code gesteuert, in erster Linie mit dem liga- und dem calt-feature (Standard Ligatures, Contextual Alternates), die sind also bei Scriptfonts praktisch unverzichtbar.
Es ist allerdings so, dass sich die Anwender hier über Sinn und Unsinn der Features keine Gedanken machen müssen, da sie automatisch aktiviert sind, und wenn man sie abstellen würde, würden die Schriften viel von ihrem Reiz verlieren.
Aber natürlich gibt es auch Fälle wo die Meinungen aufeinanderprallen – Features die manche Designer als Schnickschnack empfinden, andere dagegen als Delikatessen. Das fängt da an, wo man die Effekte / Features selbst in den Anwendungsprogrammen aktivieren muss / darf. Von verschiedenen Typo-Workshops weiß ich, dass Studenten, auch berufstätige Designer, vielfach gar nicht wissen, wie das geht, beziehungsweise es zu umständlich finden, die Buttons für Discretionary Ligatures, Stylistic Sets / Stylistic Alterates, Swashes, etc. aufzuspüren und auszuprobieren. Erstens sind die Features je nach Programm recht gut versteckt und zweitens sieht man auch nicht immer gleich ihren Effekt, besonders wenn sie nur wenige Zeichen im Zeichensatz betreffen.
Ich tendiere daher inzwischen bei meinen eigenen Scriptfonts dazu, möglichst viele Schrifteigenschaften in den vorab aktivierten Features (liga und calt) zu kodieren. Beispiel: Beim Kafka Font FF Mister K gibt es neben dem hauptsächlichen Satz von Großbuchstaben noch einen zweiten Satz, bei dem die Zeichenformen vereinfacht und klarer sind, der also besser geeignet ist bei Akronymen und ähnlichem. Dieser Satz von Versalien ist einerseits über das Stylistic Set 1 aktivierbar, aber wenn man »liga« nicht ausgeschaltet hat, wandeln sich nacheinander eingetippte Großbuchstaben automatisch in diese Form um, ohne dass man etwas aktivieren muss.
Eine weitere Erleichterung für die User (außer Automatisierung) kann man erreichen, wenn man Glyphenvarianten nicht über ein OT-Feature aktivierbar macht, sondern sie einfach in einen eigenen Schriftschnitt packt. Denn Anwender sind es eher gewohnt, zusätzliche Zeichenformen über das Schrifmenü auszusuchen, als über ein OpenType-Fenster zu aktivieren. Auch ist es so leichter, einen Überblick zu behalten. Für Typedesigner hat es auch noch den Vorteil, dass ihre Arbeit bei einer hohen Anzahl von Schnitten eher honoriert wird, als bei einer sehr großen Glyphenzahl plus Featurecode in nur wenigen Schnitten.
Wenn man mit einer Schriftfamilie für Fließtext arbeitet, die Betonung also mehr auf guter Lesbarkeit als auf stylish liegt, und man mit tendenziell anspruchsvollen Texten zu tun hat, sollten diese OpenType-Features meines Erachtens vorhanden sein:
Small Caps, Capital Spacing, Ordinals, Case Sensitive Forms
Das scheint mir das Minimum zu sein und viele Familien sind auch so ausgestattet. Allerdings gibt es dann aber doch wieder viele Unterschiede im Detail.
Wie man sieht, kommt es sehr auf die Art der Texte an, ob die Features sinnvoll oder eher übertrieben sind.
Ein Beispiel einer völlig sinnlosen OpenType Kodierung, die Julia Sysmäläinen gerade mit viel Spaß für einen ihrer künftigen K-Fonts entwickelt. Man kann damit kontinuierlich Schreibmaschinentext eingeben und dabei immer mal wieder zwischendurch handschriftliche Korrekturen einbauen.
»Ligaturen können einer Corporate Identity den entsprechenden i-Punkt aufsetzen«
Wichtigstes und von mir meist genutztes OpenType-Feature sind Ligaturen. Denn gerade im Bereich der Konzeption eines Corporate Designs finde ich Ligaturen spannend. Sie bieten typografische Möglichkeiten, die einer Corporate Identity, den entsprechenden i-Punkt aufsetzen.
Über Alternates freue ich mich auch, denn manchmal passt beispielsweise das Standard &-Zeichen nicht zu meiner Gestaltung. Sprachen spezifische Schriftzeichen sind auch immer sehr hilfreich – gerade für internationale Kunden. Gar nicht nutze ich hoch- oder tiefgestellte Zahlen (Supersript/Subscript). Hier verwende ich eher die Funktion, die mir InDesign bietet.
Small Caps empfinde ich als überflüssig, weil ich finde, dass sie das Schriftbild eher stören, als es zu verbessern.
In erster Linie ist es für mich wichtig, dass die Schrift und die verfügbaren Schriftschnitte gut aufeinander abgestimmt sind und Abstände sowie das optische Gesamterscheinungsbild überzeugend ist. Ich setze Schriften so ein, dass sie projektspezifisch ein harmonisches Gesamtbild kreieren. Wenn eine Schrift optisch mit dem Inhalt harmoniert und Open-Type-Features anbietet, umso besser.
»Der Sinn Tabellarischer Mediävalziffern will sich mir nicht erschließen«
Ligaturen und kontextbedingte Varianten sind bei mir grundsätzlich angestellt (bei deutschen Silbentrennungen muss dann eben bei Bedarf nachjustiert werden). Unerlässlich finde ich auch Kerning und Cap Spacing.
Das Alles in Kapitälchen-Feature ist leider nach wie vor ein Geheimtipp, dabei doch so nützlich.
Die Sinnhaftligkeit der „Tabellarischen Mediävalziffern“ dagegen, erschließt sich mir bis heute nicht!
Klar ist: Auch eintausend OpenType-Features können keine Schrift retten, die in Wahrheit charakterlos und inhomogen ist. Fünf alternative M-Varianten helfen mir nicht, wenn keine davon gut ist.
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