Bei Fontwerk erscheint in Kürze die Neue DIN: mit Variable-First-Ansatz, ebenso stringent wie zeitlos und mit einem Hauch Eleganz. Bei aller Flexibilität die etwas ungelenke industrielle Gesamtanmutung der Normschrift zu bewahren war eine der größten Herausforderungen.
Am Anfang war der Name. Während es oft viel Zeit kostet, eine passende Bezeichnung für eine Schrift zu finden, stand sie beim neuesten Fontwerk-Projekt schon vor dem Zeichnen des ersten Buchstabens fest und lieferte sogar die Initialzündung: »Das Adjektiv ›neu‹ kommt zunehmend für Schriften zum Einsatz, die keine Verbindung zum deutschsprachigen Raum haben, etwa Neue Machina aus Kanada oder Bebas Neue aus Japan«, sagt Fontwerk-Gründer Ivo Gabrowitsch. »Die Neue Helvetica hat offenbar ihre Spuren in der internationalen Schriftdesignszene hinterlassen. Warum aber gibt es keine derartige Variante der DIN – als ›der‹ deutschen Schrift?«
Mit dieser Ausgangsidee im Kopf stellte sich Ivo Gabrowitsch die Frage, was »neu« mit Blick auf dieses doch seit rund hundert Jahren recht festgelegte Gestaltungskonzept bedeuten könnte. Hendrik Weber, hauptberuflich Type Director bei KMS Team in München, war sofort Feuer und Flamme. Später stieß noch Andreas Frohloff, inzwischen freiberuflicher Type Director bei Fontwerk, dazu. Gemeinsam überlegten sie, wie sich die von Ingenieuren eher erdachte als designte DIN auf der Höhe heutiger Gestaltung und Technik fit für die Anforderungen einer digitalen Welt machen ließe, die vor hundert Jahren noch nicht existierte – aber eben auch noch nicht vor 25 oder zehn Jahren. Eine Art moderne deutsche Typo-Ingenieurskunst sollte entstehen.
Früher als sonst war daher der Font Engineer Olli Meier an Bord. Der Designer und Entwickler des Tools fontspecimen.com (siehe auch PAGE 09.21, Seite 90 ff.) kam im Januar von Monotype zu Fontwerk, bei der Neuen DIN war er für die technische Seite des Projekts verantwortlich. Aber nicht nur: Er arbeitete auch an den Outlines – und hatte stets die Umsetzung als Variable Font im Blick. »Die DIN neu zu denken bedeutete auch, vom Web und von responsiven Umgebungen auszugehen und sie zum Beispiel so zu gestalten, dass sie in CSS reibungslos funktioniert«, so Olli Meier.
PROJEKTGestaltung der Schriftfamilie Neue DIN DESIGNER Hendrik Weber, Andreas Frohloff, Olli Meier FOUNDRYFontwerk, Berlin TOOLS Glyphs, fonttools, eigene Skripte, zum Beispiel zum Generieren der OpenType Style Attributes Table (STAT) ZEITRAUM Februar 2020 bis voraussichtlich Ende 2022
Schwingende Rundungen
Zunächst aber machte sich Hendrik Weber daran, ein Grundgerüst zu zeichnen, wie immer beginnend mit dem o. »An diesem lässt sich viel erkennen«, erklärt der Designer. »Indem man das o verformt, eröffnen sich Spielräume, mit denen man experimentieren und sehen kann, ob sich dies auch auf die restlichen Buchstaben anwenden lässt.« Natürlich schaute er sich auch die gesamte Historie der DIN an: alte Zeichnungen, Straßenschilder, Beschriftungen. »Was diese Schrift ausmacht, ist eine Art Gartenzauneffekt. Die Zeichen laufen an den Schenkeln sehr parallel und sie hat eine gedrungene Anmutung.« Auch neuere Entwürfe untersuchte er, fand manche aber fast schon zu humanistisch.
Die Neue DIN sollte zurück zum Ursprung: mit strenger Geometrie und Buchstaben, die wie eine Kette zusammenhängen. Dennoch wünschten sich die Typedesigner auch einen Hauch Eleganz, und Andreas Frohloff hatte die zündende Idee: »Alle senkrechten Rundungen – beispielsweise die Seiten des o, d oder g – sind rund und haben keine Geraden. Sie schwingen leicht – selbst in der XXCondensed Black.« Die Rundungen fallen zwar nicht ins Auge, geben der Schrift aber unterschwellig eine elegante Note.