PAGE online

UX Design für KI-Anwendungen

Die UX-Designprinzipien für KI-gestützte Anwendungen bilden sich gerade erst heraus. Was also kommt nach dem derzeit dominierenden Chat-Interface, und wie erklären wir den User:innen die im Produkt oder Service arbeitende KI?

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, Screenshot Google TextFX
Google TextFX Ob für Alliterationen, Szenenbeschreibungen oder konträre Perspektiven: Googles kreatives Textgenerierungstool TextFX (siehe Seite 24) lässt sich auch für Raptexte sinnvoll einsetzen und dabei intuitiv bedienen. Das Interface Design der KI hebt sich durch einen durchdachten Anwendungsfall von unzähligen anderen Tools auf dem Markt ab; Screenshot: https://textfx.withgoogle.com im November 2023

Ein jahrtausendelang gehegter Menschheitstraum scheint verwirklicht – Automaten nehmen uns die ­A­rbeit ab. Standen Machine beziehungsweise Deep Lear­ning und Automatisierung zunächst nur Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie zur Verfügung, trifft menschliche Intuition mittlerweile fast überall auf maschinelle Intelligenz: Egal ob man ein Foto ani­mieren, ein Bild beschreiben, eine neue Sprache lernen oder Forschungsberichte zusammenfassen möchte – es gibt eine KI dafür.

Wir sehen Computer, die menschliche Sprache verstehen und auf gesprochene Befehle reagieren. KI als Conversational Interface – man chattet über die Kommandozeile mit ihr. Dabei lernen die intelligenten Programme ständig dazu, passen sich den Nutzer:innen an und agieren mit einem gewissen, nicht immer nachvollziehbaren Maß an Autonomie. Das ist faszinierend und unheimlich zugleich, denn mit dieser rasanten technologischen Entwicklung er­scheint uns die Zukunft immer unvorhersehbarer, und wir wünschen uns Kontrolle zurück.

AI Agents everywhere

Hier erhält das Design von Schnittstellen und Nutzungserlebnissen für KI eine Schlüsselrolle: »Künst­liche Intelligenz beeinflusst, wie wir denken, fühlen und uns verhalten. Sie beeinflusst Entscheidungen, die unsere Zukunft bestimmen. Designer:innen tra­gen Mitverantwortung, dieses Potenzial im Sinne der Nutzer:innen auszuschöpfen. Aber dazu müssten sie noch viel enger eingebunden sein in die Entwicklung von KI-Produkten«, sagt Lennart Ziburski, Produktdesigner aus Berlin.

 

Seit 2018 beschäftigt er sich intensiv mit der Rolle von Design in Anwendungen, in denen KI zum Einsatz kommt. Damals entwickelte er mit dem Projekt  thecloudfall.com  einen neuen Ansatz für eine künstliche Intelligenz, die direkt auf den Geräten der Nutzer:innen arbeitet statt auf zentralen Servern. »Auf diese Weise kann KI noch persönlicher sein, da auf unseren Smartphones Daten von ganz vielen ver­schiedenen Diensten zusammenkommen. Dieses Konzept ist in den letzten Monaten noch relevanter geworden: Kommende Produkte wie AI Pin von ­Humane oder Dot von New Computer wollen alles über die Nutzer:innen lernen, um ihnen als AI Agent allumfassend zur Seite zu stehen«, erklärt Ziburski. Damit gibt er einen kleinen Ausblick, auf was UX-De­signer:innen vorbereitet sein müssen.

UX & KI: Designmaterial und Designidee

Denn das immense technologische Potenzial stellt zugleich auch die Themen Vertrauen, Transparenz und Erklärbarkeit von KI in den Fokus. Q. Vera Liao, AI-Designforscherin bei Microsoft, veröffentlichte 2023 eine Studie, in der sie sich mit der Rolle von Design bei der Entwicklung von KI-Anwendungen befasst. Sie befragte dafür 23 UX-Designer:innen und stellte fest, dass diese zwar häufig vorab trainierte Modelle in ihren Apps einsetzen, es ihnen jedoch zur richtigen Ideenfindung an Unterstützung durch Entwickler:innen mangelt.

»Je mehr vortrainierte Modelle in der Praxis zur Verfügung stehen, desto wichtiger ist eine trans­­pa­rente Modellbeschreibung und -dokumentation für ein designerisches Verständnis«, so Jiao. Mit anderen Worten: Entwickler:innen müssen ihre vor­trai­nierten Modelle wie ChatGPT (OpenAI) oder PaLM 2 (Google) genauer erklären, damit Desig­ne­r:innen das neue Gestaltungsmaterial KI verstehen und in die Lage versetzt werden, gute Ideen daraus zu entwickeln.

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, Google TextFX

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, Google TextFX

Google TextFX – Gewährt Blick unter die Haube

Das KI-Experiment TextFX basiert auf Googles Sprachmodell PaLM 2. Es besteht aus zehn kleinen Textgenerierungstools, die den kreativen Schreibprozess erweitern sollen, indem sie mit Text und Sprache spielen. Die integrierte Point-of-View-Funktion, kurz POV, kann UX-Designer:innen darüber hinaus helfen, die Sichtweisen der Nutzer:innen kontinuierlich in den Designprozess einzubeziehen.
http://textfx.withgoogle.com

Das Design für KI ist noch nicht Human-Centered genug

Denn die meisten KI-Modelle sind nicht auf spezi­­fi­sche Anwendungen oder Nutzungsbedürfnisse ab­gestimmt, sondern Ergebnis von Forschungs- und Entwicklungsprozessen. »ChatGPT war ursprünglich als einfacher Forschungsprototyp ge­dacht, ohne großen Fokus auf Design. Dass nun sämtliche Konkurrenten dieses Interface einfach kopieren, sehe ich eher als Mangel an Kreativität und Vorstellungskraft«, sagt Lennart Ziburski.

Designer:innen, die Produkte und Services kreieren, stehen aber zunächst vor der konzeptionellen Aufgabe, sinnvolle Anwendungen für KI zu finden, also solche, in denen künstliche Intelligenz der Lösung von echten Nutzungsproblemen dient. Dafür müsse man sich allerdings mit der Funktionsweise hinter KI befassen, um das aktuell Mögliche vom Unmöglichen zu unterscheiden, meint Ziburski: »KI sollte kein Selbstzweck sein. In vielen Unternehmen herrscht die Meinung, dass man ohne KI hinter die Konkurrenz zurückfällt. Dann möchte man bei Investoren und Vorgesetzten Eindruck machen. Aber geht es wirklich um die Lösung oder geht es nur darum, dass KI eingesetzt wurde?« Das Produkt werde nur besser, wenn künstliche Intelligenz wirklich die beste Lösung für das jeweilige Nutze­r:innen­pro­b­lem ist. Derzeit seien das eher kleinere, un­schein­ba­re Ver­besserungen: »Es muss nicht immer der gro­ße Chatbot sein, der versucht, die Hälfte der bestehen­den User Flows zu ersetzen«, so Ziburski.

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, Adobe Friefly

Adobe Firefly – Nur mit Zustimmung

Das generative Machine-Learning-Modell von Adobe weist Nutzer:innen prominent auf seine Datenschutzbestimmungen hin. Wer die Bewertungs- und Feedbackfunktionen nutzen möchte, muss diese akzeptieren. Das Interface bietet neben der Prompt-Zeile eine Vielzahl an Anpassungs- und Optimierungsmöglichkeiten mittels Buttons und Reglern. Außerdem lassen sich Referenz­bilder hinterlegen, sodass Nutzer:innen Kontrolle über den Output gewinnen.
https://firefly.adobe.com

Transparent und erklärend; UX Design von KI-Anwendungen

Geht man im UX Design also nach wie vor vom Menschen aus, verändert sich der Designprozess nicht we­sentlich. Lennart Ziburski hat unter  UXofAI.com dennoch eine Übersicht mit den wichtigsten Regeln fürs UX Design von KI-Anwendungen zusammengetragen und mit weiterführenden Quellen versehen, denn Besonderheiten bleiben, wenn es um eine neue, nicht einschätzbare Technologie geht. Gerade mit Blick aufs Human-Centered Design müssen wir bedenken, »dass viele normale Nutzer:innen mit KI noch wenig anfangen können oder falsche Erwartun­gen haben. Da muss das Design viel Aufklärungsarbeit leisten«, so Ziburski. Hier kommen erneut die Aspekte Transparenz und Erklärbarkeit ins Spiel, denn Designer:innen können nur erklären, was sie selbst verstanden haben. Dann ist es auch möglich, falsche Erwartungen bei den Nutzer:innen zu vermeiden und sie vielmehr auf mögliche Fehler in der Anwendung vorzubereiten, um Frustration vorzubeugen. Dabei gilt es einerseits die Fehleranfälligkeit von KI und die Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse zu berücksichtigen. Andererseits gilt für einen menschenzentrierten Ansatz, dass wir bei der Gestaltung die Fehlannahmen und Bedienungsfehler der Anwendenden einkalkulieren.

»Eine Chatzeile ist sicherlich nicht das perfekte Interface für die meisten Dinge, bei denen KI uns helfen kann«

Lennart Ziburski, Produktdesigner, Berlin
https://uxofai.com

Die Bedeutung dieser Ansätze fürs Interface Design zeigt das Experiment TextFX bei Google Labs. Der Technologiegigant hatte das Thema künstliche Intelligenz schon lange vor dem Hype um genera­tive KI im Auge und ist in seinen Anwendungen entsprechend weit fortgeschritten. Das In­terface der TextFX-Awendung ist nicht nur stylish und intuitiv gestaltet, sondern erklärt die verschiedenen auf PaLM 2 basierenden Anwendungen und ihre Berechnungswege, sodass die Ergebnisse für die Nutze­­rin­nen und Nutzer nachvollziehbarer und das einzelne Sprachmodell verständlicher und dadurch bes­ser kontrollierbar wird.

99 Prozent der KI-Tools und -Interfaces auf dem Markt haben diesen Grad an Transparenz und Erklär­barkeit bisher nicht erreicht, sondern kämpfen noch um ihren Existenzzweck. Nach dem Hype wird von ihnen nicht viel übrig bleiben, denn so verlockend und einfach es auch scheinen mag: »Eine Chatzeile ist sicherlich nicht das perfekte Interface für die mei­s­­ten Dinge, bei denen KI uns helfen kann«, so Lennart Ziburski. Spannend findet er Produkte, die ein KI-Interface für sehr spezielle Anwendungsfälle bauen. Ein solches Tool ist zum Beispiel Elicit.com, das For­schungsberiche analysiert: »Hier wird nicht nur KI an ein bestehendes Produkt geklebt, sondern es ent­steht ein komplett neues Format. Sozusagen nati­ves KI-Design: Interfaces, die es ohne künstliche Intelligenz nicht geben würde«, erklärt Ziburski.

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, experimentelle TouchDesigner-Anwendung von Josefa Rackl in Zusammenarbeit mit dem KI-Start-up elceedee und dessen Musik­katego­risie­rungs-KI Cyanite

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, experimentelle TouchDesigner-Anwendung von Josefa Rackl in Zusammenarbeit mit dem KI-Start-up elceedee und dessen Musik­katego­risie­rungs-KI Cyanite

Synergy – KI ist nicht unfehlbar

Die Designerin Josefa Rackl arbeitete für ihre experimentelle TouchDesigner-Anwendung eng mit dem KI-Start-up elceedee und dessen Musik­katego­risie­rungs-KI Cyanite zusammen, um ihr Gestaltungsmaterial genau zu verstehen. Dabei entdeckte sie Fehler in der Verschlagwortung, die sie korrigieren musste. Die Analysedaten aus der KI visualisierte Rackl nicht nur für die Projektionen einer Rauminstallation, sondern auch im User Interface, mit dem Besucher:innen die Anwendung am Tablet steuern.
www.josefa-rackl.com/synergy

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, experimentelle TouchDesigner-Anwendung von Josefa Rackl in Zusammenarbeit mit dem KI-Start-up elceedee und dessen Musik­katego­risie­rungs-KI Cyanite

Wie Maschinen lernen und sich anpassen

Geht man der Technologie allerdings weiter auf den Grund, müssen wir uns mit ihrer Lernfähigkeit befassen. Die Algorithmen in den Social-Media-Anwen­dungen von Twitter, Meta und Microsoft demonstrieren uns wohl am offensichtlichsten, wie sie von unserem Verhalten lernen und ihre Ergebnisse an un­sere Interessen und Vorlieben anpassen. Weil sich inzwischen nicht mehr genau vorhersehen lässt, wie sich die Modelle an die User:innen anpassen, müssen UX-Designer:innen nicht nur ihre Nutzungsforschungs- und Feedbackstrategien entsprechend daran ausrichten, sondern schon möglichst frühzei­tig mit Prototypen arbeiten. »Besonders hilfreich ist es, eng mit Programmierer:innen zu arbeiten und Prototypen zu bauen, um früh echte Erfahrungen zu sammeln«, so Ziburski.

Für UX-Designer:innen gilt es dann darüber nach­zudenken, wie sich Nutzer:innenfeedback über den gesamten Produktlebenszyklus erhalten lässt, indem sie Interaktionsmuster gestalten, die den Feedback­vorgang erleichtern. Hier hat sich Adobe für ihre generative KI Firefly ein einfaches, aber effektives Bewertungssystem überlegt (siehe Seite 24). Darüber hinaus müssen Nutzer:innen den Vorteil erkennen, der sich durch das Feedback ergibt. Anpassungen am Produkt dürfen sich also nicht in die Länge ziehen.

Für den realen Anwendungsfall sind selbstlernen­de Systeme aber spannendes Material: »Besonders interessant wird es, wenn man die KI dem oder der Nutzer:in als Arbeitspartner zur Seite stellt«, sagt Lennart Zi­burski. »Statt also alles zu automatisieren und sofort perfekte Antworten zu liefern, können Nutzen­de ein iteratives Hin und Her mit der KI er­leben.« Chat ist hier nur der kleinste gemeinsame Nenner, die Interfaces müssen seiner Meinung nach noch viel spezifischer werden, um den jeweiligen Anwendungsfall zu lösen.

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, Gen-2 Runway Motion Brush

PAGE 02.2024 UX Design für KI-Anwendungen, Gen-2 Runway Motion Brush

Gen-2 Runway – Volle Kontrolle

Die KI-Plattform Runway arbeitet nicht nur konti­nu­ierlich an der Optimierung ihrer KI-Modelle, sondern auch an effektiveren Interfaces. So integrierten die UX-Designer:innnen in das Gen-2-Modell zuletzt ein Kontrollpanel für eine gezieltere Videoanimation oder die Funktion »Motion Brush«: Mit dem intuitiven Tool lassen sich einzelne Objekte eines Bilds gezielt animieren.
https://app.runwayml.com

Neue Skills und ein ganzheitlicher Blickwinkel

Um herausragende Produkte zu entwickeln, müssen UX-Designer:innen neben dem Verständnis für KI als neuem Designmaterial also zunehmend techni­sche, wirtschaftliche und kollaborative Skills ausbilden und sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit KI aus­einandersetzen. »Wenn man mit Technologien arbei­tet, die sich noch im Anfangsstadium befinden, ist einfach vieles noch nicht festgeschrieben. Am bes­ten funktioniert es dann, das Produkt ganzheitlich zu denken – sich nicht nur mit Design zu beschäftigen, sondern auch mit Programmierung, Marketing oder Ethik«, sagt Lennart Ziburski.

»Viele normale Nutzer:innen können mit KI noch wenig anfangen oder haben falsche Erwartungen. Da muss das Design noch viel Aufklärungsarbeit leisten«

Lennart Ziburski, Produktdesigner, Berlin
www.lennartziburski.com

So lautet der letzte Punkt auf seiner UXofAI-Tippsliste konsequenterweise: »Vermeiden Sie das Sammeln von Benutzerdaten!« Denn liegen die Daten erst einmal auf eigenen Servern, ist man für ihre Sicherheit und Verarbeitung verantwortlich. Dass die­ser zusätzliche Kraft- und Verwaltungsakt vermeidbar ist, zeigt nicht zuletzt sein Ansatz – Machine Lear­ning direkt auf dem Gerät –, und Ziburski ergänzt: »Wenn die Benutzer:innen ihre Daten kontrollieren, können sie selbst entscheiden, was die KI lernt.«

UX für KI: Ressourcen und Tools

Hier findet ihr Links zu weiterführenden Artikeln, Tools und Guidelines zum Thema UX für KI.

Dieser Beitrag ist zuerst in PAGE 2.2024 erschienen.

PAGE 02.2024

Fehler feiern ++ UX Design für KI ++ ENGLISH SPECIAL Andrea Trabucco-Campos ++ Icons fürs Branding ++ Corporate Design fürs Erzbistum Köln ++ Praxis: Hochschul-Labs ++ Praxis: Hochschul-Labs ++ Selfmarketing auf LinkedIn

9,90 €
11,90 €
Lieferzeit: 2-3 Werktage
AGB

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren