UX Design für KI-Anwendungen
Die UX-Designprinzipien für KI-gestützte Anwendungen bilden sich gerade erst heraus. Was also kommt nach dem derzeit dominierenden Chat-Interface, und wie erklären wir den User:innen die im Produkt oder Service arbeitende KI?
Seit 2018 beschäftigt er sich intensiv mit der Rolle von Design in Anwendungen, in denen KI zum Einsatz kommt. Damals entwickelte er mit dem Projekt thecloudfall.com einen neuen Ansatz für eine künstliche Intelligenz, die direkt auf den Geräten der Nutzer:innen arbeitet statt auf zentralen Servern. »Auf diese Weise kann KI noch persönlicher sein, da auf unseren Smartphones Daten von ganz vielen verschiedenen Diensten zusammenkommen. Dieses Konzept ist in den letzten Monaten noch relevanter geworden: Kommende Produkte wie AI Pin von Humane oder Dot von New Computer wollen alles über die Nutzer:innen lernen, um ihnen als AI Agent allumfassend zur Seite zu stehen«, erklärt Ziburski. Damit gibt er einen kleinen Ausblick, auf was UX-Designer:innen vorbereitet sein müssen.
UX & KI: Designmaterial und Designidee
Denn das immense technologische Potenzial stellt zugleich auch die Themen Vertrauen, Transparenz und Erklärbarkeit von KI in den Fokus. Q. Vera Liao, AI-Designforscherin bei Microsoft, veröffentlichte 2023 eine Studie, in der sie sich mit der Rolle von Design bei der Entwicklung von KI-Anwendungen befasst. Sie befragte dafür 23 UX-Designer:innen und stellte fest, dass diese zwar häufig vorab trainierte Modelle in ihren Apps einsetzen, es ihnen jedoch zur richtigen Ideenfindung an Unterstützung durch Entwickler:innen mangelt.
»Je mehr vortrainierte Modelle in der Praxis zur Verfügung stehen, desto wichtiger ist eine transparente Modellbeschreibung und -dokumentation für ein designerisches Verständnis«, so Jiao. Mit anderen Worten: Entwickler:innen müssen ihre vortrainierten Modelle wie ChatGPT (OpenAI) oder PaLM 2 (Google) genauer erklären, damit Designer:innen das neue Gestaltungsmaterial KI verstehen und in die Lage versetzt werden, gute Ideen daraus zu entwickeln.
Google TextFX – Gewährt Blick unter die Haube
Das KI-Experiment TextFX basiert auf Googles Sprachmodell PaLM 2. Es besteht aus zehn kleinen Textgenerierungstools, die den kreativen Schreibprozess erweitern sollen, indem sie mit Text und Sprache spielen. Die integrierte Point-of-View-Funktion, kurz POV, kann UX-Designer:innen darüber hinaus helfen, die Sichtweisen der Nutzer:innen kontinuierlich in den Designprozess einzubeziehen.
http://textfx.withgoogle.com
Das Design für KI ist noch nicht Human-Centered genug
Denn die meisten KI-Modelle sind nicht auf spezifische Anwendungen oder Nutzungsbedürfnisse abgestimmt, sondern Ergebnis von Forschungs- und Entwicklungsprozessen. »ChatGPT war ursprünglich als einfacher Forschungsprototyp gedacht, ohne großen Fokus auf Design. Dass nun sämtliche Konkurrenten dieses Interface einfach kopieren, sehe ich eher als Mangel an Kreativität und Vorstellungskraft«, sagt Lennart Ziburski.
Designer:innen, die Produkte und Services kreieren, stehen aber zunächst vor der konzeptionellen Aufgabe, sinnvolle Anwendungen für KI zu finden, also solche, in denen künstliche Intelligenz der Lösung von echten Nutzungsproblemen dient. Dafür müsse man sich allerdings mit der Funktionsweise hinter KI befassen, um das aktuell Mögliche vom Unmöglichen zu unterscheiden, meint Ziburski: »KI sollte kein Selbstzweck sein. In vielen Unternehmen herrscht die Meinung, dass man ohne KI hinter die Konkurrenz zurückfällt. Dann möchte man bei Investoren und Vorgesetzten Eindruck machen. Aber geht es wirklich um die Lösung oder geht es nur darum, dass KI eingesetzt wurde?« Das Produkt werde nur besser, wenn künstliche Intelligenz wirklich die beste Lösung für das jeweilige Nutzer:innenproblem ist. Derzeit seien das eher kleinere, unscheinbare Verbesserungen: »Es muss nicht immer der große Chatbot sein, der versucht, die Hälfte der bestehenden User Flows zu ersetzen«, so Ziburski.
Adobe Firefly – Nur mit Zustimmung
Das generative Machine-Learning-Modell von Adobe weist Nutzer:innen prominent auf seine Datenschutzbestimmungen hin. Wer die Bewertungs- und Feedbackfunktionen nutzen möchte, muss diese akzeptieren. Das Interface bietet neben der Prompt-Zeile eine Vielzahl an Anpassungs- und Optimierungsmöglichkeiten mittels Buttons und Reglern. Außerdem lassen sich Referenzbilder hinterlegen, sodass Nutzer:innen Kontrolle über den Output gewinnen.
https://firefly.adobe.com
Transparent und erklärend; UX Design von KI-Anwendungen
Geht man im UX Design also nach wie vor vom Menschen aus, verändert sich der Designprozess nicht wesentlich. Lennart Ziburski hat unter UXofAI.com dennoch eine Übersicht mit den wichtigsten Regeln fürs UX Design von KI-Anwendungen zusammengetragen und mit weiterführenden Quellen versehen, denn Besonderheiten bleiben, wenn es um eine neue, nicht einschätzbare Technologie geht. Gerade mit Blick aufs Human-Centered Design müssen wir bedenken, »dass viele normale Nutzer:innen mit KI noch wenig anfangen können oder falsche Erwartungen haben. Da muss das Design viel Aufklärungsarbeit leisten«, so Ziburski. Hier kommen erneut die Aspekte Transparenz und Erklärbarkeit ins Spiel, denn Designer:innen können nur erklären, was sie selbst verstanden haben. Dann ist es auch möglich, falsche Erwartungen bei den Nutzer:innen zu vermeiden und sie vielmehr auf mögliche Fehler in der Anwendung vorzubereiten, um Frustration vorzubeugen. Dabei gilt es einerseits die Fehleranfälligkeit von KI und die Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse zu berücksichtigen. Andererseits gilt für einen menschenzentrierten Ansatz, dass wir bei der Gestaltung die Fehlannahmen und Bedienungsfehler der Anwendenden einkalkulieren.
»Eine Chatzeile ist sicherlich nicht das perfekte Interface für die meisten Dinge, bei denen KI uns helfen kann«
Lennart Ziburski, Produktdesigner, Berlin
https://uxofai.com
Die Bedeutung dieser Ansätze fürs Interface Design zeigt das Experiment TextFX bei Google Labs. Der Technologiegigant hatte das Thema künstliche Intelligenz schon lange vor dem Hype um generative KI im Auge und ist in seinen Anwendungen entsprechend weit fortgeschritten. Das Interface der TextFX-Awendung ist nicht nur stylish und intuitiv gestaltet, sondern erklärt die verschiedenen auf PaLM 2 basierenden Anwendungen und ihre Berechnungswege, sodass die Ergebnisse für die Nutzerinnen und Nutzer nachvollziehbarer und das einzelne Sprachmodell verständlicher und dadurch besser kontrollierbar wird.
99 Prozent der KI-Tools und -Interfaces auf dem Markt haben diesen Grad an Transparenz und Erklärbarkeit bisher nicht erreicht, sondern kämpfen noch um ihren Existenzzweck. Nach dem Hype wird von ihnen nicht viel übrig bleiben, denn so verlockend und einfach es auch scheinen mag: »Eine Chatzeile ist sicherlich nicht das perfekte Interface für die meisten Dinge, bei denen KI uns helfen kann«, so Lennart Ziburski. Spannend findet er Produkte, die ein KI-Interface für sehr spezielle Anwendungsfälle bauen. Ein solches Tool ist zum Beispiel Elicit.com, das Forschungsberiche analysiert: »Hier wird nicht nur KI an ein bestehendes Produkt geklebt, sondern es entsteht ein komplett neues Format. Sozusagen natives KI-Design: Interfaces, die es ohne künstliche Intelligenz nicht geben würde«, erklärt Ziburski.
Synergy – KI ist nicht unfehlbar
Die Designerin Josefa Rackl arbeitete für ihre experimentelle TouchDesigner-Anwendung eng mit dem KI-Start-up elceedee und dessen Musikkategorisierungs-KI Cyanite zusammen, um ihr Gestaltungsmaterial genau zu verstehen. Dabei entdeckte sie Fehler in der Verschlagwortung, die sie korrigieren musste. Die Analysedaten aus der KI visualisierte Rackl nicht nur für die Projektionen einer Rauminstallation, sondern auch im User Interface, mit dem Besucher:innen die Anwendung am Tablet steuern.
www.josefa-rackl.com/synergy
Wie Maschinen lernen und sich anpassen
Geht man der Technologie allerdings weiter auf den Grund, müssen wir uns mit ihrer Lernfähigkeit befassen. Die Algorithmen in den Social-Media-Anwendungen von Twitter, Meta und Microsoft demonstrieren uns wohl am offensichtlichsten, wie sie von unserem Verhalten lernen und ihre Ergebnisse an unsere Interessen und Vorlieben anpassen. Weil sich inzwischen nicht mehr genau vorhersehen lässt, wie sich die Modelle an die User:innen anpassen, müssen UX-Designer:innen nicht nur ihre Nutzungsforschungs- und Feedbackstrategien entsprechend daran ausrichten, sondern schon möglichst frühzeitig mit Prototypen arbeiten. »Besonders hilfreich ist es, eng mit Programmierer:innen zu arbeiten und Prototypen zu bauen, um früh echte Erfahrungen zu sammeln«, so Ziburski.
Für UX-Designer:innen gilt es dann darüber nachzudenken, wie sich Nutzer:innenfeedback über den gesamten Produktlebenszyklus erhalten lässt, indem sie Interaktionsmuster gestalten, die den Feedbackvorgang erleichtern. Hier hat sich Adobe für ihre generative KI Firefly ein einfaches, aber effektives Bewertungssystem überlegt (siehe Seite 24). Darüber hinaus müssen Nutzer:innen den Vorteil erkennen, der sich durch das Feedback ergibt. Anpassungen am Produkt dürfen sich also nicht in die Länge ziehen.
Für den realen Anwendungsfall sind selbstlernende Systeme aber spannendes Material: »Besonders interessant wird es, wenn man die KI dem oder der Nutzer:in als Arbeitspartner zur Seite stellt«, sagt Lennart Ziburski. »Statt also alles zu automatisieren und sofort perfekte Antworten zu liefern, können Nutzende ein iteratives Hin und Her mit der KI erleben.« Chat ist hier nur der kleinste gemeinsame Nenner, die Interfaces müssen seiner Meinung nach noch viel spezifischer werden, um den jeweiligen Anwendungsfall zu lösen.
Gen-2 Runway – Volle Kontrolle
Die KI-Plattform Runway arbeitet nicht nur kontinuierlich an der Optimierung ihrer KI-Modelle, sondern auch an effektiveren Interfaces. So integrierten die UX-Designer:innnen in das Gen-2-Modell zuletzt ein Kontrollpanel für eine gezieltere Videoanimation oder die Funktion »Motion Brush«: Mit dem intuitiven Tool lassen sich einzelne Objekte eines Bilds gezielt animieren.
https://app.runwayml.com
Neue Skills und ein ganzheitlicher Blickwinkel
Um herausragende Produkte zu entwickeln, müssen UX-Designer:innen neben dem Verständnis für KI als neuem Designmaterial also zunehmend technische, wirtschaftliche und kollaborative Skills ausbilden und sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit KI auseinandersetzen. »Wenn man mit Technologien arbeitet, die sich noch im Anfangsstadium befinden, ist einfach vieles noch nicht festgeschrieben. Am besten funktioniert es dann, das Produkt ganzheitlich zu denken – sich nicht nur mit Design zu beschäftigen, sondern auch mit Programmierung, Marketing oder Ethik«, sagt Lennart Ziburski.
»Viele normale Nutzer:innen können mit KI noch wenig anfangen oder haben falsche Erwartungen. Da muss das Design noch viel Aufklärungsarbeit leisten«
Lennart Ziburski, Produktdesigner, Berlin
www.lennartziburski.com
So lautet der letzte Punkt auf seiner UXofAI-Tippsliste konsequenterweise: »Vermeiden Sie das Sammeln von Benutzerdaten!« Denn liegen die Daten erst einmal auf eigenen Servern, ist man für ihre Sicherheit und Verarbeitung verantwortlich. Dass dieser zusätzliche Kraft- und Verwaltungsakt vermeidbar ist, zeigt nicht zuletzt sein Ansatz – Machine Learning direkt auf dem Gerät –, und Ziburski ergänzt: »Wenn die Benutzer:innen ihre Daten kontrollieren, können sie selbst entscheiden, was die KI lernt.«
UX für KI: Ressourcen und Tools
Hier findet ihr Links zu weiterführenden Artikeln, Tools und Guidelines zum Thema UX für KI.
Dieser Beitrag ist zuerst in PAGE 2.2024 erschienen.