Musikvideo in Blender: Bokeh-Effekt durch grotesk niedrige Schärfentiefe
Jan Casagrande arbeitet als Online-Galerist und bildender Künstler am Computer. Für den neuen Schlammpeitziger-Track »Every Dayhey« realisierte er ein ausdrucksvolles 3D-Musikvideo in Blender.
Am 25. September erschien das zehnte Album des Kölner Musikers Jo Zimmermann aka Schlammpeitziger »Ein Weltleck in der Echokammer bei Bureau B. Für das Musikvideo zum Track »Every Dayhey« gewann Zimmermann den bildenden Künstler, Galeristen und Developer Jan Casagrande. Wir sprachen mit dem Allrounder über das Projekt und die Umsetzung des Videos im 3D-Grafikprogramm Blender.
Was war an diesem Projekt für Dich besonders?
Jos künstlerische Arbeiten sind sehr originär, auch das Artwork für sein Alter Ego Schlammpeitziger und die zahlreichen bereits erschienenen Videos. Jo hat – unterstützt von Ulrike Göken – über Jahrzehnte eine eigene Ästhetik geschaffen, die man immer wieder erkennen kann. Wichtig war mir, dass das Video zwar eigenständig wird, sich gleichzeitig aber auch Jos Œuvre zuordnen lässt. Jo hat mir bezüglich der Song-Auswahl und der Umsetzung des Videos völlig freie Hand gelassen. Sehr geholfen hat mir der Zugriff auf eine ganze Reihe an Zeichnungen, die ich von Jo für meine Online Galerie 30 Quadrat erhalten hatte. Der Kopf der Zeichnung »Don’t give up« und der Song »Every Dayhey« passten für mich so gut zusammen, dass ich nicht lange weiter gesucht habe und Jo war auch sofort begeistert.
Wie hast du Jos Zeichnung dann genau animiert?
Ich habe die Zeichnung zunächst mit dem Vektorgrafikprogramm Inkscape in eine Vektorgrafik umgewandelt. Diese habe ich in Blender importiert und daraus mit Animation Nodes ein Mesh-Objekt erzeugt. Bei diesem Vorgehen erhält das Mesh eine sehr nützliche UV-Map, mit der ich durch die Intensität des Mischen von Emission- und Transparent-Shader einen Effekt erreichen kann, als würde sich die Zeichnung langsam aufbauen. Die Bewegungen des Kopfes habe ich mit rotierenden Parent-Emptys und die Mundbewegungen mit Shapekeys gesteuert. Den zusätzlichen Bokeh-Effekt erzeuge ich mit sehr nah an der Kamera platzierten Objekten mit Emission-Shadern und einer grotesk niedrigen Schärfentiefe.
Wie hast du die Mundbewegungen so gut hinbekommen, gab es einen Trick?
Nach verschiedenen Motion-Capture-Experimenten, die ab irgendeiner Länge immer quälend langsam wurden, habe ich mich entscheiden, die Mundbewegungen manuell mit Shape Keys zu animieren. Dabei habe ich die Gesichtsmimik stark abstrahiert. In der Ruhepose, also der unveränderten Ausgangszeichnung, ist der Mund geöffnet, etwa wie beim Sprechen des Vokals A. Ich habe lediglich Shape Keys für M, Y und O modelliert. Damit lässt sich bereits die Mimik aller Vokale und der meisten Konsonanten und Zischlaute zurecht mischen. Mit Hilfe einer Wellenformdarstellung des Songs und Markern habe ich die drei Shape Keys dann mit Keyframes animiert und im Graph-Editor zurechtgeschoben, bis es passte. Mit deaktivierter Schärfentiefe und kleinem Vorschaufenster kann man die Animation mit dem Eevee-Renderer nahezu in Echtzeit darstellen und das schon relativ gut beurteilen.
Womit hast du die Neonlichter und das Wabern realisiert?
Die Neonlichtästhetik beruht auf einem Shader mit sehr starker Lichtemission und einem Colorramp-Node für den Farbverlauf. Mit Eevees Bloom-Effekt strahlt das Mesh dann schön auf den schwarzen Hintergrund ab. Subdivision- und Displacement-Modifier mit einer rotierenden Noise-Textur bringen die Linien die ganze Zeit zum Wabern. Bei der Stelle, wo die Linien verschwimmen, habe ich die Intensität des Displacement-Effektes erhöht.
Wie lange hat das Rendern ungefähr gedauert?
Das Ganze habe ich in circa 6300 Einzelbildern gerendert. Ein in Eevee gerendertes Bild hat mit einer guten GPU zwischen 12 und 40 Sekunden Rechenzeit benötigt. Ohne den Bokeh-Effekt läge die Rechenzeit pro Bild nur bei einer halben Sekunde. Schärfentiefe ist also auch in der digitalen Welt teuer.
Vielen Dank!
Jan Casagrande ist nicht nur Kulturwissenschaftler und seit Mitte der 90er-Jahre als Web-Entwickler tätig, sondern auch als Künstler und Galerist. Seit 2018 betreibt er mit 30 Quadrat eine Online-Galerie für zeitgenössische Kunst.
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