So funktioniert Circular Design
Das Fortschrittsdenken kommt an seine Grenzen. Zeit für eine neue Art, die Welt zu denken – und zu gestalten
1. Systemverständnis gewinnen. Als Erstes geht es darum, möglichst viele Informationen zu allen Akteur:innen und Bestandteilen eines Systems, angefangen bei den Nutzenden über die Produkte und ihre Herstellung bis hin zu verbundenen Dienstleistungen und idealerweise auch dem Planeten selbst zu sammeln und in einer Art Landkarte zu verorten. Indem sie nach Zusammenhängen, Wechselwirkungen und Lücken im System suchen, gewinnen Designerinnen und Designer wichtige Erkenntnisse, die den Blick von linearen Prozessen hin zu Kreisläufen und regenerativen Lösungen lenken.
2. Herausforderung definieren. Nun gilt es, unterschiedliche Möglichkeiten für Kreisläufe aufzudecken. Dabei helfen die neun Circular-Economy-Strategien wie etwa Reparieren, Sharing, das Produkt als Dienstleistung oder die Verlängerung des Lebenszyklus. Zu jeder Strategie sollten Ansätze erarbeitet werden, wie Design zur Lösung beitragen kann.
3. Kreise gestalten. In iterativen Schritten entwickeln Designer:innen im Detail verschiedene Loops, die die Herausforderung zirkulär lösen können.
4. Den Zyklus starten. Mit der am besten geeigneten Lösung wird der erste Loop vollzogen. Dadurch werden kontinuierlich neue Erkenntnisse für das System gewonnen – woraus sich im Weiteren neue Chancen für zusätzliche Kreise ergeben.
Im Circular-Design-Prozess ist der Launch eines Produkts oder Services der Beginn sich wiederholender Schleifen. Mit jedem Loop gewinnen wir essenzielle Erkenntnisse über die Reduzierung und Optimierung von Ressourcen sowie über die Akzeptanz durch die Akteure und Akteurinnen innerhalb des Systems. Denn damit ein Produkt im Rahmen der Circular Economy funktioniert, müssen alle im jeweiligen Ökosystem Handelnden kontinuierlich zu dessen Aufrechterhaltung beitragen. Während Designschaffende in der linearen Wirtschaft spätestens bei der Markteinführung nichts mehr mit dem Produkt zu tun haben, gibt es diesen finalen Moment in der Circular Economy nicht.
Der Unterschied zum heute gängigen Designverständnis – und dem Design Thinking – liegt erstens in der Abkehr vom viel beschworenen User-Centered Design. Denn wie Kevin Slavin, Professor am MIT Media Lab, sagt: »When designers center around the user, where do the needs and desires of the other actors in the system go? The lens of the user obscures the view of the ecosystems it affects.« Das führt zum zweiten Punkt: Wir müssen im gesamten Prozess permanent das System betrachten und in die Lösungsfindung einbeziehen. Die dynamischen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Komponenten und Teilnehmenden im System machen das Ganze enorm kompliziert. Deshalb erfordert dieser Vorgang auch völlig neue Methoden aus Systems Thinking und Systems Design. Und drittens:
Es gibt im Design keinen Endpunkt mehr. Um initiierte Loops in Gang zu halten, muss Design kontinuierlich Anpassungen am System vornehmen. Wem dies zu sehr nach Utopie klingt, bedenke bitte: Unsere bestehende Wirtschaft unterliegt keinem Naturgesetz. Sie wurde als System von Menschen erfunden. Wir können also auch ein neues, anderes System gestalten.
Systems Design
Dieser Designansatz befasst sich mit der Funktionsweise beziehungsweise den Auswirkungen von dynamischen und komplexen sozialen, technischen, wirtschaftlichen, geografischen und ästhetischen Systemen mit dem Ziel, deren Abläufe und Folgen zu verstehen, zu optimieren und zu gestalten.
Wie funktioniert Circular Design konkret?
Stellen wir uns kurz vor, dass Material nicht mehr zu besitzen wäre. Das Schmuckstück aus Gold etwa ließe sich bei der Goldschmiede nur mieten. Diese würde das Gold bei einem Großhandel anmieten, der das wiederum bei der Mine tut. Ihr Besitzer muss dem Staat, in dem das Gold geschürft wird, nicht nur jährliche Konzessionsgebühren für den Abbau bezahlen, sondern auch eine monatliche Abgabe für die Menge an Gold. Wirklich besitzen tut es am Ende nur der Staat, in dem das Material gefördert wurde. Dieser verpflichtet sich, das Gold bei fehlendem Bedarf zurückzunehmen. Ein solches »Material as a Service«-Konzept würde die Weltwirtschaft auf den Kopf stellen, Volkswirtschaften müssten anders bilanziert werden. Dafür würden sie langfristig von ihren Rohstoffen profitieren und dabei in der Verantwortung für das Land und ihre Ressourcen bleiben.
Und was bedeutet dieses Konzept für Möbel, all unsere defekten Kugelschreiber und den alten Fernseher im Keller? Eine solche Welt würde unweigerlich neues Denken und Handeln erfordern. Produkte wären immer auch Dienstleistungen und ihre Komponenten systemisch in buddhistisch anmutende Lebenszyklen verknüpft. Somit müsste auch die Rolle von Design und seinen Methoden neu definiert werden. Denn wenn Ressourcen in einem kontinuierlichen Kreislauf von Bestandteil und Dienstleistung sind, muss Design diese Transformationen begleiten. Design fände konsequenterweise nie ein Ende.
Der Architekt, Designer und Philosoph Richard Buckminster Fuller sagte, dass wir, um Bestehendes zu verändern, neue Modelle bauen sollen, die das Alte überflüssig machen. Die Circular Economy ist ein solches Modell. Und mit jedem neuen Circular-Design-Projekt, in dem wir etwas noch so Kleines aus der linearen in die Kreislaufwirtschaft überführen, schaffen wir langsam, aber stetig eine neue Ökonomie, die aufgrund ihrer Systematik inklusiver, gerechter und ökologischer ist.
Tools und Methoden für Circular Design
Jedes neue Projekt bietet die Chance für Circular Design – und somit dafür, als Designerin oder Designer einen relevanten Beitrag zur Abwendung der Klimakatastrophe zu leisten. Die folgenden drei Tools sind leicht anzuwenden und helfen euch dabei, Momentum zu gewinnen.
Ecosystem Mapping. Erstellt eine Karte mit allen Akteurinnen und Akteuren sowie den Bestandteilen des zu gestaltenden Produktsystems, also zum Beispiel den Vorprodukten und deren Herstellungs- und Logistikprozess, und spezifiziert die bestehenden Warenströme zwischen den einzelnen Komponenten. Gestaltet jetzt die Karte aus, indem ihr aufzeigt, an welchen Stellen neben Ware auch Geld und Information fließen. Das sind die Wertströme. Oft macht es Sinn, diesen Prozess in iterativen Schritten zu detaillieren. Identifiziert nun einzelne, lineare Wertströme und versucht, sie in einem Kreis zu schließen. Findet Kreise, die am einfachsten und mit dem höchsten Wert für alle Beteiligten umzusetzen wären. Jetzt habt ihr die Grundlage, um ein kreislauffähiges Produkt zu konzipieren.
Product Journey Mapping. Ziel im Circular Design ist es, den Lebenszyklus von Produkten zu verlängern und an dessen Ende die Weiternutzung von Materialien oder das Recycling zu ermöglichen. Definiert für euer neu geplantes Produkt im Detail, was am Ende des ersten Lebenszyklus mit den einzelnen Komponenten passiert. Werden sie repariert? Kommen sie auf den Kompost? Werden sie für etwas anderes verwendet oder recycelt? Steigt jetzt tiefer ein und beschreibt, was im nächsten Lebenszyklus mit den Materialien passiert. Versucht dies noch ein drittes Mal und überlegt euch bei den Komponenten, für die ihr keine Kreislauflösung findet, ob ihr sie anders auslegen könnt.
Vom Produkt zum Service. Die Sharing Economy hat es vorgemacht: Jedes Produkt kann auch ein Service sein, und jeder Service ist ein Produkt. Um aus einem Produkt einen möglichen Service zu machen, beantwortet folgende drei Fragen: Was ist das eigentliche Bedürfnis, das euer Produkt befriedigt? Auf welche Art kann ich das Bedürfnis befriedigen, ohne das Produkt besitzen zu müssen? Welche Vorteile würde dies bringen? Die Antwort auf die letzte Frage ist der Mehrwert des neuen Service. Jetzt gilt es, mittels Ecosystem Mapping auch beim Service einen Kreis zu schließen.
Circular-Design-Konzepte als Business-Modelle
Amazon trifft Milchmann
Loop
Die Circular-Shopping-Plattform Loop des US-amerikanischen Recyclingspezialisten TerraCycle vertreibt Produkte des täglichen Bedarfs, die in einer wiederverwendbaren Verpackung geliefert werden. In dem geschlossenen System können diese – von Shampooflaschen bis Müslikartons – etliche Male benutzt, also befüllt, versendet, genutzt, zurückgesandt, gereinigt und wieder befüllt werden. Am Ende des Lebenszyklus wird das Material zurückgeführt, das heißt, es fließt ein in die Produktion einer neuen Verpackung oder wird recycelt. Darüber hinaus haben viele der aus hochwertigen Materialien produzierten Packagings weitere sinnvolle Funktionen. So verfügt zum Beispiel die Speiseeisverpackung über eine integrierte Kälteisolierung. Wo sonst jeder Cent und jedes Gramm Material gespart werden sollen, wird hier durch Circular Design die Wertedistribution neu gedacht: Eine zehnmal teurere Verpackung, die dreihundertmal öfter verwendet wird, ermöglicht Wirtschaftlichkeit und verbraucht keine neuen Ressourcen.
Light as a Service
Circular Lighting
Philips Lighting hat das Konzept einer Lichtmiete entwickelt: Beim Circular-Lighting-Service kaufen Unternehmen keine Leuchten oder Leuchtmittel – vielmehr mieten sie das für die jeweilige Situation erforderliche Licht inklusive Ökostrom, Planung, Einbau und Wartung. Mit seinen Partnern – Firmen, die Teile der Leuchten und Leuchtmittel produzieren, sowie Energieversorgern – betreibt Philips ein Ökosystem an regenerativen Loops und nutzt dafür aus Wind und Sonne gewonnene Energie. Die Pacific-LED-Leuchten sind so designt, dass sie kontinuierlich repariert und wiederverwendet werden können. Bei Beschädigung wird das Material von den Herstellern entweder für neue Produkte verwendet oder recycelt und bleibt somit dem System erhalten.
Das Konstrukt ist wirtschaftlich für alle Parteien von Vorteil: Diejenigen, die das Licht mieten, zahlen monatlich nur einen geringen Betrag und optimieren ihre CO₂-Bilanz. Philips und seine Partner sparen durch die kontinuierliche Wiederverwendung der Materialien Geld und steigern somit ihre Marge.
Design fürs Upgrade
Fairphone
Viele von uns stehen alle paar Jahre vor der Entscheidung, ob sie ein neues Smartphone kaufen sollen – mit höher auflösender Kamera, besserem Akku und schnellerem Chip. Aber was passiert mit dem alten? Die Smartphones von Fairphone lösen das Problem durch Anwendung von Circular-Design-Prinzipien wie Modularität und Reparierbarkeit. Die Geräte sind so konzipiert, dass man sie nicht nur selbst reparieren, sondern auch auf dem neuesten Stand halten kann. Größerer Speicher, neue Kamera, bessere Batterie: einfach bestellen, selbst einbauen und das alte Teil an das Unternehmen zurückschicken.
Das »Fair« in Fairphone bedeutet außerdem, dass die Komponenten so fair gegenüber Menschen und Umwelt wie möglich bezogen oder hergestellt werden. Durch ein ausgeklügeltes Recyclingprogramm stellt das Unternehmen Gehäuse und Co, wo angebracht, aus Recyclat statt aus Primärstoffen her.
Circular Shopping
Trove
Trove Recommerce Inc. macht deutlich, dass digitale Geschäftsmodelle ein Schlüssel für die Circular Economy sind und dass Circular Design als Brückenbauer zwischen den Bereichen B2B und B2C dienen kann. Die E-Commerce-Plattform ermöglicht es großen Marken, ihren Kundinnen und Kunden einen hervorragenden Second-Hand-Service zu offerieren. Diese können gegen eine Warengutschrift gebrauchte Produkte – etwa Jacken, Zelte oder Taschen – beim Markenartikler eintauschen, der sie dann über dieselbe Plattform an andere Personen verkaufen kann. Dies birgt drei Vorteile: Waren bleiben länger im Kreislauf, Marken können ihr Image in Sachen Nachhaltigkeit stärken, und Konsument:innen werden beim bewussteren Umgang mit Ressourcen unterstützt.
Karel Golta ist Designer und Unternehmer. Der Gründer und Geschäftsführer dreier Innovationsunternehmen bezeichnet sich selbst als Business-Romantiker: Seine Vorstellung von Innovation und sein Handeln sind bestimmt von der Mission, die Auswirkungen des Menschen auf den Planeten nicht nur rückgängig zu machen, sondern umzukehren. Hierzu setzt er auf die Kraft des Designs als Motor und Beschleuniger der Kehrtwende. (Bild: Klaus Heinzler)
Dieser Artikel ist in PAGE 07.2021 erschienen, die Sie hier komplett runterladen können.