Farbmanagement-Experte Jan-Peter Homann erklärt, wie sich Farben möglichst exakt von der physischen in die digitale Welt übersetzen lassen.
In PAGE 06.2019 berichten wir über das New Yorker Start-Up Backdrop, das gemeinsam mit der Agentur aruliden sein Colormanagement kanalübergreifend gemeistert hat. Die Farben im Onlineshop, auf den gedruckten Samples, auf Plakaten und Etiketten sollten unbedingt einheitlich aussehen. Dabei war für das Farbmanagement hilfreich, dass Backdrop ganz bewusst nur eine reduzierte Farbpalette anbietet.
Gemeinsam mit den UX-Experten von aruliden entwickelten die Gründer zudem eine bequeme Customer-Journey, die das Versprechen »Taking the pain out of painting« einlöst. Der von Helen Steeds Team entwickelte Prozess beginnt bei der Farbauswahl und reicht bis zum Teilen der fertigen Ergebnisse auf Social Media Kanälen. Auf Spotify hat das Start-Up außerdem verschiedene Playlisten zum Wändestreichen zusammengestellt.
Colormanagement Grundlagen
Farbe entsteht durch eine Kombination aus physikalischen Eigenschaften von Objekten und Sehvorgängen in Auge und Gehirn. Will man Farben ins Digitale transportieren, spielen zudem Farbpaletten, ICC-Farbprofile für Geräte sowie Farbeinstellungen in den eingesetzten Designprogrammen eine Rolle. Um in Produktdesign oder Architektur verwendete Farben zu spezifizieren und zu kommunizieren, nutzt man physische Muster. Solche Samples repräsentieren Farbsysteme oder Farbkollektionen. Eine Farbkollektion ist eine hersteller- oder branchenspezifische Sammlung von Farben, die zumeist mit Nummern und/oder Farbbezeichnungen versehen sind.
Sie enthalten entweder nur die Farben, die eine Firma für ihre Produkte nutzt, oder sie gelten für ein bestimmtes Marktsegment, wie Pantone Plus für die Druckindustrie oder RAL Classic für Farben und Lacke. Farbkollektionen erschweren oft das gezielte Auswählen von Farben, weil sie nicht systematisch nach Farbart, Helligkeit und Sättigung sortiert sind. Darin besteht der Vorteil von Farbsystemen. Sie sind tatsächlich systematisch aufgebaut, und man kann die Farben in unterschiedlichen Varianten und Helligkeiten zum Beispiel in Farbatlanten nachschlagen. Etablierte Systeme in Europa sind das RAL Design System oder das Natural Color System NCS.
Farbmanagement: Die Paletten in den Designtools
Wollen Sie Farbkollektionen oder -systeme in Ihren Designprogrammen nutzen, benötigen sie eine digitale Repräsentation der jeweiligen Farben. In der Regel finden Sie diese in den Farbpaletten der Software. In den meisten Programmen ist es möglich, sie als Datei zu importieren sowie selbst erstellte Paletten zu exportieren.
Da es derzeit noch kein herstellerübergreifendes Datenformat für Farbpaletten gibt, wie dies etwa für Fonts oder Bilder existiert, müssen die Anbieter von Farbkollektionen und -systemen sie im Format der unterschiedlichen Programme bereitstellen. Je nach Software stellt sich für den Nutzer die Frage, ob sich eine Farbpalette im CIELAB- oder ausschließlich im RGB-Farbraum verarbeiten lässt.
Farbkommunikation zwischen physischer und digitaler Welt
CIELAB-basierte Farbpaletten kann man in den Designprogrammen wie den Adobe-CC-Tools mithilfe von Farbprofilen in andere Farbräume umrechnen, etwa in ein CMYK-Profil für den standardisierten Offsetdruck oder das sRGB-Profil für Web und Mobile. Bei den in Architektur und Produktdesign verwendeten CAD- und Rendering-Tools sind CIELAB-basierte Farbpaletten nicht so verbreitet. Dies erschwert den farbverbindlichen Druck.
Farbpaletten liegen hier zumeist im sRGB-Farbraum vor und enthalten den Farbnamen oder die Nummer der jeweiligen Farbkollektion und die dazugehörigen RGB-Werte. Bei Produkten und Räumen ist Farbe nur ein Aspekt ihrer Oberflächeneigenschaften. Auch Glanz, Struktur und Winkelabhängigkeit spielen eine große Rolle, wenn man aus dem Produktdesign heraus fotorealistische und farbverbindliche Renderings erzeugen will. Nachfolgend stellen wir drei Ansätze für die Farbkommunikation zwischen physischer und digitaler Welt vor.
RAL Designsystem Plus
Farbsystem für Lacke und Kunststoffe
Seit der Veröffentlichung von RAL Classic vor ungefähr 90 Jahren ist diese Farbsammlung das maßgebliche Tool für die Kommunikation von Wandfarben, Lacken und anderen Oberflächenbeschichtungen im deutschen und europäischen Raum (in den USA weniger gebräuchlich). 1993 wurde das RAL Design System auf Grundlage des CIELAB-Farbraums eingeführt, das in der aktuellen Version RAL Design System Plus 39 Bunttöne mit unterschiedlichen Helligkeits- und Sättigungsstufen, insgesamt 1825 Farbtöne, umfasst. Für sie gibt es diverse physische Muster in Form von Farbatlanten, Farbfächern und Einzelmustern im Lackdruckverfahren.
Für 200 ausgewählte Farbtöne bietet RAL zudem Kunststoffmuster mit drei verschiedenen Oberflächentypen an. Daneben vertreibt RAL auch eine eigene Software. RAL Digital bietet sowohl CIELAB- als auch sRGB- und CMYK-Farbpaletten für die verschiedensten Kreativprogramme inklusive AutoCAD und Adobe CC sowie eine Excel-Datei mit Farbnamen und CIELAB-Werten an. Produktdesigner und Architekten können ihre Designs also über die Schnittstellen in Adobe CC für den Druck beziehungsweise fürs Web bereitstellen, während umgekehrt Kommunikationsdesigner ihre Gestaltung auf Innenräume und Produktoberflächen ausweiten können.
www.ral-farben.de
Der freieFarbe HLC Colour Atlas
Offenes Farbsystem für Kreative
Der im Herbst 2016 gegründete gemeinnützige Verein freieFarbe e. V. widmet sich der Farbkommunikation auf Basis des CIELAB-Modells, offener Standards für Dateiformate und Creative Commons. Die von ihm entwickelten digitalen Farbbibliotheken mit bis zu 13 000 Farben darf jeder lizenzkostenfrei nutzen. Mit Spektraldaten versehen, bieten sie eine direkte Schnittstelle zur individuellen Mischung von Druckfarben.
2018 entwickelte freieFarbe die DIN SPEC 16699 »Offene Farbkommunikation«, die sich beim Beuth-Verlag kostenlos herunterladen lässt. Mithilfe von Proofsystemen können Nutzer nun eigene Einzelfarbmuster in beliebigen Größen und Formaten produzieren und gemäß DIN SPEC 16699 auch selbst kontrollieren. Dazu bietet die Tübinger Firma Proof kostenpflichtige Farbatlanten und Einzelfarbmuster als physische Umsetzung der Farbbibliotheken an.
www.freiefarbe.de/thema-farbe/hlc-colour-atlas
https://is.gd/DIN_SPEC
www.proof.de
X-Rite Total Appearance Capture
3D-Scansystem für Oberflächen
Über physische Muster lassen sich alle visuellen Eigenschaften von Lacken, Textilien, Kunststoffen et cetera mithilfe von Materialscannern erfassen. X-Rite ist einer der führenden Hersteller solcher Farbmessgeräte und die Mutterfirma von Pantone. Die High-End-Lösung Total Appearance Capture besteht aus dem TAC7-Scanner, der eine Materialprobe mit vier Kameras aus verschiedenen Winkeln und mit unterschiedlichen Lichtquellen digitalisiert und dabei auch ein 3D-Höhenprofil der Oberfläche erstellt. Die Messdaten werden in das herstellerneutrale AxF-Format überführt und lassen sich so in 3D-Rendering- und CAD-Programmen darstellen.
Das erlaubt es, Materialien, die in der späteren Produktion zum Einsatz kommen, schon während der Designphase im 3D-Rendering nutzen. Mit der Cloudlösung Pantora Material Hub kann man digitalisierte Materialien verwalten und projektorientiert für diverse Renderer nutzen. Die Materialerfassung erfolgt über einen (gekauften oder gemieteten) TAC7-Scanner, alternativ bietet X-Rite dies auch als Service an.
www.xrite.com/de/categories/appearance/tac7
CIELAB-Farbraum
Das hersteller- und geräteunabhängige Modell erlaubt die Umrechnung von Farben in beliebige Farbräume
● Das CIELAB-Farbmodell der Internationalen Beleuchtungskommission (CIE) bildet alle für das menschliche Auge wahrnehmbaren Farben als räumliches Modell ab. Es definiert diese so, wie man sie unter Standardlichtbedingungen sieht – unabhängig davon, wie sie erzeugt oder dargestellt werden. In Designtools wie Photo-shop dient CIELAB als Referenzfarbsystem für die Umrechnung in andere Farbräume wie RGB oder CMYK. Dabei kommen ICC-Profile wie FOGRA39 für den Offsetdruck zum Einsatz.
Jan-Peter Homann besorgte sich Mitte der 80er Jahre Literatur und Software zum Thema Farbmanagement, weil seine am Amiga bearbeiteten Bilder im Druck nie stimmten. Seit 1990 schreibt er darüber als Fachautor und berät Anwender und grafische Industrie. www.colormanagement.de
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