Nicht zuletzt locken kleine Softwareanbieter wie FiftyThree mit großartig gestalteten Anwendungen wie der iPad-App Paper, die Apple 2012 mit einem Design Award bedachte. Keine von ihnen kostet im iTunes Store mehr als 10 Euro, wobei man in den meisten Fällen zusätzliche Werkzeuge oder Cloudspeicher dazukaufen kann. Und durch neue mobile Android-Geräte wie zum Beispiel Wacoms Cintiq Companion Hybrid, die die Grenzen zwischen Grafiktablett und Tablet-PC verschwimmen lassen, ist auch für professionelle Illustratoren und Gestalter nicht mehr nur iOS interessant.
Android und Windows haben längst aufgeholt
In den letzten Jahren sind etliche lohnenswerte Android-Apps erschienen, etwa ArtFlow oder Infinite Painter. Auch Windows-Devices gewinnen an Bedeutung. Besonders Microsofts Surface Pro reizt Profis. »Mich haben die eingebaute Drucksensitivität und die bessere Auflösung überzeugt, vom iPad zum Surface Pro zu wechseln«, sagt beispielsweise der britische Digital Artist Paul Vera-Broadbent. »Autodesks SketchBook Pro läuft darauf noch besser als auf dem iPad, aber auch Microsofts eigene Mal-App Fresh Paint kann sich durchaus sehen lassen.« Außerdem lassen sich die Desktop-Versionen von ArtRage, SketchBook oder Manga Studio auf dem Surface Pro nutzen.
Für die Wahl der passenden Mal-App sind die Erfahrung des Users und der Einsatzzweck entscheidend. Einsteiger sollten auf eine schnelle und einfache Navigation achten. Hier reichen schon wenige Ebenen und Werkzeuge. Wer komplexe Zeichnungen anfertigen möchte oder viel malt, sollte auf verschiedene Pinsel, eine umfangreiche Farbpalette und variable Leinwandgrößen achten.
Professionelle Illustratoren oder Grafikdesigner wiederum berücksichtigen am besten die Funktionalität insgesamt, von der Farbpalette über Features wie Lupe, Im- und Export über Cloud-Anbindung bis hin zur Frage nach unterstützten Dateiformaten und Retina-Display-Support. Ein weiteres Thema sind Eingabestifte, um den Malprozess zu optimieren.
Künstlerkollektive profitieren von der Cloud
Natürlich sollte man von den mobilen Apps nicht den gleichen Funktionsumfang erwarten wie von mehrere Hundert Euro teuren Desktop-Programmen. »Gerade das Magere ist ein Vorzug der Apps«, sagt Roger Hassler. Der Airbrush- und Digital-Painting-Experte leitet die Hamburger Full-Service-Agentur newart medien & design und veröffentlichte 2013 sein Anleitungsbuch »Malen mit dem iPad«. »Durch die Einschränkungen kann man unterwegs schnell Eindrücke festhalten«, sagt er. »Professionelle Designer und Digital Artists können ihre Skizzen in die Cloud hochladen und später am Computer in Photoshop oder Illustrator weiterarbeiten.« Auch für spontane Präsentationen beim Kunden eigneten sich die Apps, weil man Ideen vor Ort weiterentwickeln und speichern kann.
Darüber hinaus erleichtert die einfache Anbindung an Cloud-Services und soziale Netzwerke kollaborative Projekte. So gründeten der in Charlotte, North Carolina, lebende Maler Jonathan Grauel und der in der Tablet-Art-Szene als Fabric Lenny bekannte Künstler Paul Slater aus Yorkshire nach einem zufälligen Treffen im Jahr 2010 ihr Projekt »Woven Narratives«. Digital, aber auch per Post schickten sie Werke immer wieder hin und her, um abwechselnd Formen und Farben zu ergänzen. Letztendlich war jedes der fertigen Werke durchschnittlich circa 65 000 Kilometer gereist. Craig Newsom (Illinois) und Cara Jansson (New York) überwinden ebenfalls große Entfernungen, um unter dem Label Coal Father Industries Fotos, Zeichnungen und 3D-Elemente zu Videos und schrillen Collagen zusammenzufügen.
Überhaupt schätzen viele Kreative, dass durch die mobile Malerei kleine Arbeitspausen kreativ nutzbar werden. So zeichnet zum Beispiel Roz Hall, Tablet Artist aus West Sussex, seine fantastischen Porträts am liebsten auf langen Zugfahrten, im Pausenraum seines Büros oder abends auf dem Sofa, wenn die Kinder schlafen. »Das ist großartig, weil ich wenig Zeit und kein eigenes Studio habe«, berichtet er. »Wenn ich fertig bin, kann ich meine Werke direkt auf Flickr posten. Die Community dort ist stark, man tauscht sich aus.«
Magazincover und Ausstellungen dank 4K-Auflösung
Zu guter Letzt ebnet die Tatsache, dass viele Apps wie etwa Procreate und ArtFlow den Bildexport in 4K-Auflösung möglich machen, den Werken begabter Fingermaler den Weg auf Magazincover oder in Galerien. Andere, wie Layers oder Brushes, erlauben es, Bilder über eine Desktop-Anwendung auf die bis zu sechsfache Bildschirmgröße hochzurechnen.
Der Hamburger Webdesigner Benjamin Rabe engagiert sich schon lange auf der Plattform FingerPainted.it und organisierte 2010 unter dem Namen Mobile Art Con New York eine erste Konferenz zum Thema. Rabe rät potenziellen Einsteigern, zunächst klein anzufangen: »Bei der Suche nach der idealen App würde ich mit simplen Anwendungen wie SketchTime oder Paper beginnen. Sie erlauben es, sich aufs Malerische zu konzentrieren, und verringern die Komplexität, indem sie zum Beispiel auf Ebenen verzichten und nur eine kleine Auswahl guter Tools bieten.« Profis, so Rabe, sollten vor allem versuchen, zu einem neuen Stil zu finden, der weder traditionelle Techniken wie Ölmalerei oder Kohlezeichnungen nachahmt noch ausschließlich auf Algorithmen oder Daten basiert.
Autor: Franziska Beyer
Hier stellt PAGE 9 Zeichen-Apps für iPhone und iPad vor, die die Profis eigentlich verschmähen würden. Unterzieht man die teils schon etwas älteren Apps jedoch einem kleinen Test, stellt man fest, dass einige ganz schön viel können. Hier mehr erfahren.