Im Interview erzählt Dr. Andreas Rötzer, Verleger, Matthes & Seitz Berlin, was man sich bei der Gestaltung von Buchcovern trauen kann.
Trotz seiner etwa achtzig Neuerscheinungen im Jahr gehört Matthes & Seitz Berlin eher zu den kleineren Verlagen. PAGE-Leser kennen ihn vor allem durch die von der Gestalterin Judith Schalansky kuratierte »Naturkunden«-Reihe. Wir sprachen mit dem Verleger Dr. Andreas Rötzer über den Mut zu ungewöhnlichen Covern.
Wer entwirft bei Matthes & Seitz die Cover?
Andreas Rötzer: Wir arbeiten hauptsächlich mit drei bis vier Kreativen. Dirk Lebahn, Laura Fronterré, Pauline Altmann und Judith Schalansky. Ist ein Buch angenommen, legen wir den Stil fest und wählen dann den passenden Gestalter in Hinblick auf das Ergebnis, das wir haben wollen.
Das heißt, jeder der Gestalter hat einen anderen Stil?
Der eine arbeitet eher illustrativ und homogen, andere sind da etwas eckiger, aufgeregter, wollen neue Räume in der Gestaltung suchen und mit Gewohnheiten brechen. Alle arbeiten mit allen Mitteln, aber jeder hat an einer anderen Stelle seine Stärke und seine Lust.
Wie viele Entwürfe gibt es bei Ihnen pro Buch?
Manchmal zehn, zwanzig, manchmal auch nur einen. Das ist ganz unterschiedlich und hängt auch vom Zeitdruck ab.
Haben Sie sich schon mal für ein Cover entschieden, obwohl Sie ein anderes schöner fanden, aber fürchteten, dass sich dieses nicht verkauft?
Zu mutig oder zu ungewöhnlich haben wir noch nie bereut. Schlecht ist schlecht, und langweilig ist auch furchtbar. Wir legen schon Wert darauf, uns etwas zu trauen und Cover zu gestalten, die sich auch in zehn Jahren noch sehen lassen können, die Ausdruck ihrer jeweiligen Zeit sind, aber gleichzeitig klassisch werden können.
Was muss ein Cover haben, um zum Anschauen und Kaufen zu animieren?
Es muss zuallererst Aufmerksamkeit generieren. Für das individuelle Buch oder für den Verlag. Über die Gestaltung soll sich das Buch in seinem Marktsegment positionieren. Für den Verlag möchte man eine eigene Gestaltungsidentität aufbauen, sodass man am Cover sofort erkennen kann, aus welchem Haus das Buch kommt. Vor allem kleinere Verlage tendieren dazu, die Großen denken eher in Einzeltiteln.
Ihre Cover sind doch aber alle sehr unterschiedlich?
Tatsächlich versuchen wir, jedes Buch von sich aus zu denken und individuell zu gestalten. Dafür entwickeln wir aber eine starke Identität in unseren Reihen.Gut zu sehen zum Beispiel in den »Naturkunden«. Für mich ist Umschlaggestaltung auch eine Form von Kunst, ich sehe mir gerne Antiquariatskataloge an, schaue mich in Antiquariaten um oder beobachte ausländische Verlage. Cover wie beispielsweise die der Balzac-Gesamtausgabe von Rowohlt aus den 1920ern sind eine wichtige Referenz, ebenso Titel im Stil des russischen Konstruktivismus. Auch die schlichte Sachlichkeit der französischen Reihen beeindruckt mich.
Denken Sie bei der Auswahl eines Covers auch daran, wie es im Internet aussieht?
Wir achten schon auf eine gewisse Plakativität und machen Lesbarkeitstests. Aber ein echtes Kriterium für die Gestaltung ist die Darstellung im Web nicht.
Gibt es länderspezifische Eigenheiten?
Schauen Sie mal auf die Schrift am Rücken. Die läuft in den USA nach unten, in Deutschland nach oben. Angloamerikanische Verlage arbeiten zudem viel
mehr mit Prägedruck als wir. Und die Franzosen geben leider langsam ihre selbstbewussten, einheitlich weißgrundigen Cover auf. Die waren alle sehr gleich und trotzdem nie langweilig.
Welches ist zurzeit Ihr Lieblingscover?
Da gibt es mehrere. Auf jeden Fall gehört »Die dunklen Zahlen « von Matthias Senkel dazu, gestaltet von Dirk Lebahn. Das ist ein sehr entschiedenes Cover, den Titel kann man nicht gleich lesen, auf der U1 stehen weder der Name des Autors noch der des Verlags. Das Buch ist erfolgreich, zuallererst weil es ein außergewöhnlich guter Text ist, aber es ist für mich auch ein Beweis, dass mutig sehr wohl verkaufen kann. Wunderbar auch Angela Steideles Biographie über »Anne Lister« mit der äußerst geschmackvollen Schamhaartapete. Und die von Pauline Altmann und Judith Schalansky gestaltete »Naturkunden«-Reihe ist schon heute klassisch, Titel wie »Wilde Wälder« von Roger Deakin oder Edward Abbeys »Einsamkeit der Wüste« sind schlicht und großartig.
Noch viel mehr schönere Buchcover und ein Interview mit Suzanne Dean, Creative Director bei Penguin Random House lesen Sie in der PAGE 10.2018.
Kein Autor, kein Verlag und ein Titel, den man erst auf den zweiten Blick erfasst. »Dunkle Zahlen« von Matthias Senkel ist ein mutiges Cover, das auch gut verkauft. Dirk Lebahn hat es für Matthes & Seitz gestaltet.