Wie Jung von Matt vom eigenen KI-Tool JvM Stables profitiert
Sie sind nicht die ersten, aber noch arbeiten erst wenige Agenturen mit ihren eigenen KI-Anwendungen. Jung von Matt setzt JvM Stables bei Pitches wie auf Bestandskunden ein. Kosten- und Zeitersparnis seien enorm, sagt CIO Max Lederer. Das Tool hat aber noch andere Vorteile.
»Wir sind schon ein bisschen stolz«, sagt Max Lederer, seit Kurzem Chief Innovation Officer von Jung von Matt. Denn tatsächlich gibt es noch nicht so viele Agenturen, die ihr eigenes KI-Tool trainieren. Viele sitzen dran, Jung von Matt arbeitet bereits mit Stables.
Zum Einsatz kommt es unter anderem in den Bereichen Content-Produktion, Personalisierung, Modellvorhersagen, Upscaling. Warum sie es nutzen, was Stables alles kann und wie sie das Tool trainieren, erzählt Max Lederer hier im Interview mit W&V.
Max, Ihr habt mit JvM Stables Euer eigenes KI-Tool. Warum? Ihr könntet ja einfach mit den vorhandenen Programmen arbeiten wie andere auch.
Wir können aber zum Beispiel Midjourney nicht trainieren, unser Modell dagegen schon. Und weil wir das Ding selber hosten, haben wir halt eine Datensicherheit, die andere nicht anbieten können.
Auch das Urheberrecht ist bei KI-Tools nicht geklärt.
Das wäre einmal unsere Forderung an GWA und BVDW: Warum haben wir eigentlich mit Midjourney und ChatGPT aktuell keine Rechtssicherheit? Ich bin ja für Datenschutz und Urheberrecht, aber ich wünsche mir klare Regeln. Derzeit müssen Kund:innen meist einen Passus unterschreiben, dass sie im Zweifel das Risiko tragen. Wir können das als Agenturen nicht.
Außerdem eignet sich so ein agenturinternes Tool ja auch prima fürs (Eigen-)Marketing
Tatsächlich können wir Kund:innen jetzt eine Brand AI anbieten und sie auch mit ihren Produkten trainieren. Das ist der größte Hebel. Und nach innen kultivieren wir so eine Neugier. Wir haben bei uns ganz viele junge Entwickler:innen, die da Bock drauf haben und das hat ein Feuer entzündet.
Das heißt, Ihr trainiert das Tool für Euch selbst und für Eure Kunden?
Genau. Unsere Agentur Jung von Matt Creators hat das Modell trainiert.

Stables baut aber vermutlich auf anderen Tools auf, oder?
Es gibt ja die großen Anbieter Open AI und Stability AI und Stability AI hat Stable Diffusion. Das ist ein Open-Source-Modell. Und da kannst du davon eben individuell lokale Modelle trainieren und zwar geschützt. Wir arbeiten auch an den Interfaces, weil viele Menschen ein Problem haben mit dem aktuellen Chat-Fenster als Bedieneinheit. Das kann man noch attraktiver machen.
Es gibt noch nicht viele Agenturen, die mit eigenen KI-Tools arbeiten.
Wir sind auch ein bisschen stolz. Für uns war halt die Datensicherheit entscheidend.
Ihr trainiert Stables. Wie muss man sich das vorstellen?
Du kannst Dir sozusagen ein lokales Modell rausschneiden, dann Dinge an- und abtrainieren.
Wir haben das am Anfang mit ganz vielen von uns lizenzierten Fotos gefüttert, da sind 30 Jahre Jung-von-Matt-Geschichte drin.
Zitat: Max Lederer
Was zum Beispiel?
Dass die Geometrie eines Fahrzeugs stimmt. Das kannst du beeinflussen, indem du immer wieder Bilder fütterst und sagst: Das ist hui, das ist pfui. Wir haben das am Anfang mit ganz vielen von uns lizenzierten Fotos gefüttert, da sind 30 Jahre Jung-von-Matt-Geschichte drin. Wir haben natürlich einen riesigen Server mit Bildern, die auch sehr gut klassifiziert sind.
Klingt einfacher, als es vermutlich ist
Eigentlich, wenn du ein neues Produkt oder neuen Bildinhalt trainieren willst, brauchst du dafür, ich sage mal, eine fünfstellige Summe Fotos. Wir haben aber eine Programmierschnittstelle geschrieben, die das quasi löst, indem wir 3D-Modelle mit reinnehmen. Also ein Fahrzeugmodell zum Beispiel und die API macht jetzt einfach jede Sekunde ein Foto von jedem Winkel dieses Fahrzeugs. Das dauert drei Stunden und dann können wir den Wagen für immer in jeder Umgebung einsetzen. Das ist eine prima Automatisierungslösung.
Hat jede:r einen eigenen Zugang?
Das liegt in unserem Webex-System; es ist wie ein Chat aufgebaut. Man kann Stables wie eine:n Mitarbeiter:in anklicken. Ich kann einfach Fragen stellen oder sagen, was Stables tun soll (tippt). Hier: ‘Name a German advertising industry newspaper’. Und hier die Antwort: ‘Werben & Verkaufen is a popular German advertising industry newspaper.’ (lacht)

Ihr macht das alles auf Englisch?
Es funktioniert besser, ja.
Hast Du sonst noch Tipps?
ChatGPT zum Beispiel nutzen wir gerne, in dem wir Rollen verteilen und sagen: ‘Versetz dich mal in die Lage von drei Personen, darunter ein Markenverantwortlicher einer Süßigkeitenfirma, und die sollen bitte diskutieren.’ Deshalb ist Weiterbildung wichtig. Weil Du die Leute schulen musst, wie du am besten zu Ergebnissen kommst. Und was auch wichtig ist: Du darfst natürlich keine sensiblen Daten im Chat bringen, weil das dann irgendwo im Server rumfliegt.
Weitere KI-Hacks?
Dass du über Pre-Prompts arbeitest, die jemand schon mal gelöst hat. Dann musst du nicht jedes Mal von vorne anfangen. Die sammeln wir in einem Buch, wenn sie optimiert sind. Die Ergebnisse musst du natürlich anpassen. Du individualisierst es je nach Aufgabe.
Wofür nutzt Ihr Euer Tool in erster Linie?
Vor allem für die Phase vor der Exekution. Für die Visualisierung von Ideen, Looks, Illustrationen, Storyboards bei Pitches. Also da sparen wir viel Zeit. Du kannst sehr schnell Stimmungen erzeugen. Und dann natürlich für die Content-Produktion des Kunden: Das ist wirklich Automatisierung und Individualisierung und es ist eine riesen Alternative zu CGI.
Ich bin so eine Mischung aus beeindruckt und manchmal eingeschüchtert, weil das alles so massiv verändert.
Zitat: Max Lederer
Sieht am Ende nicht alles gleich aus?
Also ich mag diese Ästhetik. Klar hat man sich auch irgendwann satt gesehen. Aber man kann es dann ja überarbeiten.
Wieviel Zeit müsst Ihr investieren, bevor Ihr anfangt, mit diesen Modellen auf Kunden zu arbeiten?
Wir versuchen es natürlich schon bezahlt mit dem Kunden zu trainieren. Aber das kannst du nicht sagen. Wir lernen das gerade echt on the fly.
Es spart jedenfalls Zeit und Geld
Klar: Eine Art Direktorin arbeitet normalerweise vier, fünf Tage an einer Präsentation und jetzt sitzt sie ein paar Minuten dran. Weil: Wir können mit einem 3D-Modell Stables drei Stunden trainieren. Ein Prompt dauert ungefähr 30 Sekunden. Und das alles kostet – Strom und ein bisschen Server. Das ist schon sehr wirkmächtig. Und auch bei internationalen Kampagnen zum Beispiel: Ich brauche nicht mehr für jeden Markt alles übersetzen oder einsprechen; das macht die KI. Ich bin so eine Mischung aus beeindruckt und manchmal eingeschüchtert, weil das alles so massiv verändert.
Werden die Kunden hier nicht Honorare kappen?
Du musst eben über Festpreise abrechnen. Kann schon sein, dass die Entwicklung die Preise drückt, aber wir werden so viel schneller in der Aufbereitung von Ideen, dass wir mehr Zeit haben nachzudenken. Und diese Ideenphase lassen wir uns bezahlen, darüber gehen wir in Verhandlungen mit dem Einkauf. Die Industrialisierung von Kreativität heißt ja, wir müssen garantieren, dass wir in drei Wochen eine geile Idee haben. Wie lange wir daran arbeiten, das ist ja unser Risiko.
Und alles was danach kommt, dafür haben wir drei Abrechnungsmodelle. Das ist einmal
- eine Lizenzierung,
- Beratung auf Tagessatzbasis,
- Stückpreise für Bilder zum Beispiel oder eine Kombination aus alledem.
Und wir werden immer mehr beweisen müssen, dass kreative Exzellenz funktioniert.
Was denkst Du: Wie entwickeln sich die KI-Tools weiter?
Ich denke, alle großen Plattformen arbeiten gerade an Lösungen. Adobe ist ja der Dienstleister für Grafik und Bewegtbild. Die werden sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Wenn Adobe jetzt in einem halben Jahr einen Midjourney-Klon anbietet, machen wir das sicher, weil alle Kreativen mit Photoshop arbeiten. Sie sind es gewohnt.

Wie schult Ihr Eure Leute?
Das ist wirklich Top-Prio. Der Produktivitätshebel kommt natürlich nur, wenn möglichst alle Mitarbeitenden mit der KI umgehen können. Wir machen zum Beispiel Roadshows, ich war gerade in Wien mit konkreten Briefings. Wir haben jetzt Stables vor wenigen Wochen intern zur Verfügung gestellt. Seitdem haben die Kolleg:innen 60.000 Bilder geprompted. Die Akzeptanz und diese Neugier wollen wir wirklich in jeden Winkel der Agenturgruppe bringen.
Du hast mal gesagt: Den Leuten fehle oft die Fantasie, was sie fragen sollen beim Prompten.
Deswegen ist Fortbildung so wichtig. Da ist es ratsam, wenn du mit jemandem sprichst, der das besser kann. Du kannst dann super viel lernen. Unsere Techies sagen ja auch: Ihnen fehlten so ein bisschen die Begrifflichkeiten, wie ein AD oder eine Fotografin sprechen würde. Du kannst beim Prompten auf berühmte Fotograf:innen referieren, die Brennweite der Linse definieren etc. Das heißt: Du brauchst wieder die Kompetenz der Fachleute.
Prozesse und Strategien muss man dafür auch umbauen in der Agentur?
Jetzt ist das ein komplett neuer Workflow. Du brauchst neue Rollen: Entwickler:innen, die das Modell trainieren. Du brauchst digitale Producer, also Menschen, die nicht nur mit dem Developer sprechen können, sondern auch ein ästhetisches Grundverständnis mitbringen wie bei einer Filmproduktion.
Wie verändert KI die Markenkommunikation?
Auf vielerlei Weise. Im Prinzip können ja jetzt alle mit deiner Marke machen, was sie wollen. Da ist jetzt zum Beispiel eine fiktive Kollaboration von North Face und Jeep (zeigt ein Beispiel aus Midjourney). Das ist user generated content, der bald massenhaft ins Haus kommt. Das kannst du ja als Marke eigentlich nicht ignorieren, oder? Im Prinzip müsste man dann diese Kollabo einfach machen.
Ich denke: Es wird ein Revival von Marken geben, weil du musst halt gerade jetzt Orientierung geben und Identifikation stiften.
Zitat: Max Lederer
Oder hier: Das kommt raus, wenn du promptest: ‘Zeig mir mal dirty sneakers.’ Das ist mal Nike, mal Converse. Das ist also das neue Gate. Und da springt dann eine ganze Community drauf. Was machst du denn jetzt wenn du bei Adidas arbeitest? Das ist eine Challenge.
Du sagst Challenge, aber es ist eigentlich ein Kontrollverlust.
Es ist aber tatsächlich eine Chance: Ich denke: Es wird ein riesen Revival von Marken geben, weil du musst halt gerade jetzt Orientierung geben und Identifikation stiften, auch wenn Open AI wahrscheinlich dafür bald viel Geld dafür verlangen wird, dass du da als Marke stattfindest.
Denn KI stellt ja die gesamte Wertschöpfungskette in Frage. Wenn wir auf unserem Kopfhörer einen Sprachassistenten haben, der wie ChatGPT funktioniert, dann brauche ich dir ja nicht mehr durch Targeting ein Werbemittel ausliefern, auf das du dann klickst und damit auf eine E-Commerce-Plattform kommst, die das gewünschte Produkt dann ausliefert.
Im Hintergrund wird ein Bidding ablaufen. Und About You wird gegen Amazon kämpfen: Wer kriegt diese Anfrage? Da wäre es hilfreich, wenn deine Marke stark und präsent ist. Google zum Beispiel hat diese Entwicklung verpennt.
Google hat die Entwicklung verpennt?
Sie hatten eine Fehleinschätzung, dass Menschen von so einem allwissenden Tool eher abgeschreckt sind. Das hat Open AI widerlegt. Und Googles Business-Modell fußt ja darauf, dass du nicht gleich zum Ziel kommst, sondern dass du eine Suchergebnisseite kriegst. Auf der wird dann Werbung geschaltet. Wenn du bei Google gleich das Ergebnis kriegen würdest, wäre dieses Business-Modell kaputt. Sie haben ein Innovationsdilemma. Google braucht den Klick, um damit Geld zu verdienen.
Und das betrifft alle Werbungtreibenden, weil die Verbraucher:innen jetzt künftig über eine Brille oder einen Kopfhörer kommunizieren und dann direkt zum Ziel kommen. Dafür braucht es starke Marken.
Und was heißt das für Euch als Agenturen?
Wir müssen mit unserer Kommunikation wieder herausstechen. Da fühlen wir uns gut aufgestellt.
(Text: Conrad Breyer)
Dieser Artikel erschien zuerst bei W&V, dem führenden Magazin für die Marketingbranche. W&V bietet Markenmacher:innen Wissen, Trends, Weiterbildung und Inspiration aus einer Hand. Schau doch mal bei W&V vorbei!
Mehr zum Thema KI-Tools in Agenturen
- Wie KI-Tools die Arbeit in Agenturen effizienter und kreativer machen. Bei der Erstellung von Präsentationen, als Inspiration fürs Brainstorming oder für schnelle Storyboards: KI kann den Alltag von Kreativen enorm erleichtern. Wir zeigen, was Creative AI in Agenturen kann!


