Im zweiten Teil seiner Trilogie untersucht Regisseur Herrmann Vaske, was Kreativität verhindert. Auch wenn der Film mitunter etwas betulich wirkt, versammelt er beeindruckende Stimmen aus der ganzen Welt. Jetzt im Kino.
Seit mehr als 30 Jahren erforscht der Filmregisseur, Werbefachmann und ADC-Mitglied Hermann Vaske die Kreativität und sprach darüber mit mehr als 1000 Künstler:innen, Fotograf:innen, Schauspieler:innen und anderen Kreativen, darunter David Bowie, Björk, Vivien Westwood und auch dem Dalai Lama.
2018 fasste er das in seinem preisgekrönten Dokumentarfilm »Why are we creative?« zusammen, der auf dem Filmfestival in Venedig Premiere feierte und der Beginn einer Trilogie ist.
Der zweite Teil ist jetzt in den Kinos: »Why are we (not) creative?« und folgt Vaskes Annahme, das »in Zeiten der Unsicherheit und modernen Krisen das einfache Ermuntern zur Kreativität nicht mehr ausreicht«. Deshalb möchte er die »wahren Schurken« ausfindig machen, die einen daran hindern, kreativ zu sein.
Wie schon in »Why we are creative?« steht ihm Tarantino-Schauspieler Michael Madsen im Cowboy-Look und mit kernigen Sprüchen zur Seite, begleitet ein Kamerateam Vaske auf seinen Reisen um die Welt und ist der gesamte Film von mitreißenden Animationen durchzogen.
Repression und Kreativität
Interessant ist die anfängliche Frage, ob staatliche Unterdrückung Kreativität tötet oder, ganz im Gegenteil beflügelt. Vaske spricht mit Pussy Riot darüber, mit den Aktivisten der Demokratiebewegung Hong Kong, mit der iranischen Künstlerin Shirin Neshat, T.C. Boyle oder Ai Weiwei.
Und ihre Antworten sind so verschieden wie die meisten in diesem Film. Selbst die Mitglieder von Pussy Riot sind sich untereinander nicht einig, auch, weil sie Erfahrung gemacht haben, dass Kreativität sich plötzlich ihren Weg bahnt, wenn man es am wenigsten erwartet.
David Bowie hingegen findet »Zensur verhält sich wie ein Haus aus Dominosteinen. Wenn du einen Stein unterdrückst, stürzt das ganze Haus ein«, während chinesische Aktivisten schildern wie sie mit Botschaften in manipulierten Downloads von Hollywood Blockbustern die digitale Zensur durchbrechen.
Vaske hat Mitglieder der Black Live Matter Bewegung getroffen und auch die Aktivisten von Fridays for Future. Denn verschwindet mit der Idylle, die fast nirgendwo mehr herrscht, auch die Kreativität? Und hindert ein Blick in eine zerstörte Zukunft sie daran, sich zu entfalten?
Inspiration statt klarer Antworten
Den ganzen Film hindurch mischt Vaske aktuelles Material mit Archivaufnahmen, die manchmal schon etwas abgehangen wirken. Gleichzeitig ist es beeindruckend, wen er alles getroffen hat.
Und was für ein Kaleidoskop unterschiedlicher Erfahrungen und Meinungen er zusammengetragen hat:»Jeder ist auf der Suche nach Likes. Konformismus und Konsensus killen Kreativität«, sagt der Fotograf Oliviero Toscani. »Zweifel, Unsicherheit. Unsicherheit ist wahrscheinlich die größte Blockade«, findet hingegen der Künstler Jeff Koons während die Schauspielerin Trine Dyrholm die Zone des »Bewusst-Unbewussten« beschwört, in der ihr Spiel am kreativsten ist und gleichzeitig beklagt, dass die Stille, die so wichtig für Kreativität ist, immer mehr verschwindet.
Auch um das Digitale geht es, die permanente Ablenkung. Doch da ist Vaske, nicht mehr der Richtige, um das zu durchleuchten. Zu Old School ist er dafür und entsprechend kurz wird es angeschnitten. Dabei wäre es doch gerade als Hürde für Kreativität, von der Ablenkung zu dem Wahnsinn gezählter Klicks, aktuell besonders spannend.
Dennoch kann man einiges mitnehmen, auch dazu, wie man kreative Hürden überwindet – bevor Vaske dann im letzten Teil der Trilogie die Frage klären wird »How to be creative?«.
Why are we (not) creative?, Regie: Hermann Vaske, Deutschland 2021, 86 Min. OV mit deutschen Untertiteln.