Nikolas Klein hat in Schwäbisch-Gmünd studiert, ist heute Designer bei Figma in San Francisco und hat dort das Prototyping neu gedacht. Wir waren vor Ort, sprachen mit ihm über seinen Weg, über die Magie kollaborativer Kreativität, darüber, was Töpfern mit Prototyping zu tun hat – und über die Grenzen der KI.
Nikolas, du kommst ursprünglich aus Süddeutschland. Wie hat es dich zu Figma nach San Francisco verschlagen wo du als Designer arbeitest? Nikolas Klein: Schon in der Schule habe ich programmiert, aber Algorithmen haben mich nie wirklich interessiert. Gestaltung fand ich viel spannender, sich darüber Gedanken zu machen, wie etwas, das ich verwende, gut aussieht und wie der Umgang damit sich gut anfühlt. Ich wusste lange nicht, dass das ein Beruf ist und bin zufällig auf den Studiengang Interaktionsgestaltung in Schwäbisch-Gmünd gestoßen.
Dorthin bist du dann gegangen?
Genau. Und dort habe ich dann irgendwann angefangen, meine digitalen Werkzeuge, die ja auch nur Software sind, an meine eigene Arbeit anzupassen. Ich habe begonnen Plug-ins zu bauen und 2016 mit zwei Freunden ein Sketch-Plug-in herausgebracht. Bei einem Livestream aus San Francisco habe ich dann plötzlich gesehen, wie Designer von Airbnb unser Plugin verwendet haben. Da saß ich in Schwäbisch Gmünd in meinem kleinen Zimmer und dachte nur »holy shit«. Nach meinem Bachelor 2017 habe ich dann zwei Monate lang ein Praktikum bei Shopify in Montreal gemacht und mich schließlich bei Figma beworben.
Schon so kurz nach dem Studium?
Das war auch das Problem am Anfang. Denn Sho Kuwamoto, VP Product bei Figma und Designer Rasmus Andersson, mit denen ich mein Vorstellungsgespräch hatte, meinten, dass sie eigentlich nach einem Designer mit mehr Erfahrung suchen. Doch schlugen mir dann vor, als Praktikant anzufangen. Da war Figma noch ein Start-up, das kaum jemand kannte und gleichzeitig hatte ich auch das Angebot zu einer Festanstellung bei Shopify. Aber mein Mentor dort meinte, ich sollte unbedingt zu Figma zu gehen.
Von der unendlichen Freiheit, Dinge auszuprobieren
Und du hast auf ihn gehört.
Ja, obwohl ich mir erst unsicher war, ob ich als Deutscher in diese kalifornische »everything is great«-Mentalität passe. Aber so waren meine Kolleg:innen gar nicht. Die meisten waren schon bei Start-ups wie Facebook, Dropbox oder Spotify dabei und wollten einfach nur coole Tools bauen.
Wolltest du sowieso in die USA?
Gmünd hat 50.000 Einwohner:innen, 600 Studierende und die nächste Autobahn ist 40 Kilometer entfernt. (lacht) Es war ein wirklich schöner Platz, um zu studieren und die Community war toll. Aber irgendwann freut man sich, dort rauszukommen. Als mir Figma schließlich eine Festanstellung angeboten hat, habe ich mich schon gefragt, ob ich hier in San Francisco leben möchte. Aber Sho meinte, ich sollte es doch einfach mal für ein Jahr ausprobieren. Jetzt ich bin noch immer hier und das kleine Start-up von damals hat gerade die Config mit 8.500 Leuten geschmissen. (lacht)
Sicherlich trägt die Arbeitskultur auch dazu bei, dass du geblieben bist, oder?
Auf jeden Fall. Nicht nur bei dem Figma Tool geht es Kollaboration, sondern auch in der Arbeitskultur selbst ist sie zentral. Und das auf Augenhöhe. Einmal konnte ich mich mit Sho bei einer Diskussion nicht einigen und wir brachen irgendwann ab und gingen nach Hause. Am nächsten Morgen dann kam er direkt zu mir und meinte: schlechte Nachrichten für mich, denn du hattest Recht. (lacht) Ich war gerade Mal drei Jahre alt, da hat Sho bereits an Design Tools gearbeitet und wenn er mit seiner ganzen Erfahrung so selbstverständlich zugibt, einen Fehler gemacht zu haben, ist das wirklich toll. Denn das gibt einem eine unendliche Freiheit, Dinge auszuprobieren und das Risiko einzugehen, auch mal den falschen Weg einzuschlagen. Und so entsteht eine unglaubliche kollaborative Kreativität.
»Wir haben angefangen, Prototyping neu zu denken«
Du arbeitest als Senior Product Designer bei Figma und hast gerade das neue Advanced Prototyping vorgestellt. Es ist eine entscheidende Entwicklung.
Am Anfang war Prototyping ein Nebenprojekt bei Figma und es ging es vor allem darum, dass die User mehrere Screens bauen und sie anschließend miteinander verknüpfen können. Dann aber haben wir angefangen, Prototyping neu zu denken und es ganz anders und vor allem viel früher in den Designprozess zu integrieren.
Für diese Entwicklung war auch das Konzept der kollaborativen Kreativität zentral?
Genau. Habe ich eine Idee und arbeite daran, siehst du auf der digitalen Arbeitsfläche meine Schritte oder auftauchenden Probleme und kannst bei Bedarf ganz instinktiv darauf reagieren. Daraus kann dann eine kreative, kollaborative Konversation entstehen, die auf der gemeinsamen Arbeitsfläche hin- und hergeht. Es ist schon vorgekommen, dass ich aus einem unserer wöchentlichen »Design-Crit« Meetings kam und in meiner Datei waren 30 Ideen, wie ich etwas verändern könnte. Oder ich war in Deutschland und bin morgens aufgestanden und jemand hat einen entscheidenden Vorschlag gemacht. Das ist schön und dann schon etwas magic.
Dann ist eine Idee nicht mehr nur deine. Ist es nicht schwer, das aufzugeben?
Es geht gar nicht mehr darum, wer genau die Idee hat. Alles inspiriert sich kreuz und quer und am Ende entsteht etwas Besseres. Aber als Figma als Produkt rausgekommen ist, waren Leute zu Beginn schon verunsichert. Sie meinten »das fühlt sich an, als ob ich ein Auto mit drei Lenkrädern hätte«. Aber Arbeiten wurden ja auch schon vorher herumgezeigt, um andere Meinungen oder Rat einzuholen. Oft hat man sich dafür auch an die Kreativdirektoren gewandt. Diese Hierarchie wird aber heruntergebrochen, denn plötzlich kann die entscheidende Idee von jedem kommen. Denn es ist eben nicht wie ein Auto mit drei Lenkrädern, sondern wie eins, in dem ein paar Leute sitzen und einer sagt, hey, warum fahren wir nicht da drüben lang, das sieht schön aus – und dann probiert man es aus.
»Das intuitive Verstehen ist zentral«
Wie hat sich das Konzept der kollaborativen Kreativität auf die Prototyping Features ausgewirkt?
Gerade bei einem früheren Projekt den Interaktiven Komponenten, hat uns das beschäftigt. Wie erlauben wir es Nutzer:innen verschieden »States« von, zum Beispiel, einem Button zu gestalten?
Für uns war es extrem wichtig, dass das Arbeiten an den verschiedenen States eines Buttons nicht in einer separaten Arbeitsfläche passiert, sondern dass es auf der gleichen Seite einfach daneben passieren kann.
So kann nicht nur ich verstehen, was »im Inneren« dieser Komponente passiert, während ich an dem Design arbeite, in welchem die Komponente verwendet wird. Alle meine Kolleg:innen können das Design durch reines Anschauen verstehen. Das war uns sehr wichtig. Wir wollten auf keinen Fall, dass die User herumklicken müssen und alles im Kopf behalten, was auf anderen Ebenen vorher passiert ist. Das ist ein großer mentaler Aufwand und lenkt vom Kreativen ab.
Und so wird Prototyping kollaborativer?
Ja, genau. Das intuitive Verstehen ist zentral. Figma ist nicht anderes als ein großer Arbeitsplatz, an dem Leute gleichzeitig arbeiten. Dabei arbeite ich an meinen Sachen oder schaue mich bei anderen um. Alle Arbeiten befinden sich auf derselben Ebene und dazu sehe ich deinen Cursor und du meinen.
Der geteilte Arbeitsplatz ist entscheidend. Absolut. Gleichzeitig war unser Ziel, Komplexität nicht zu verstecken, sondern sie auf eine lernbare Art der Repräsentation runterzubrechen. Dafür haben wir uns unendlich viele »Pasta-Bilder« angeschaut, wie wir das Kuddelmuddel herkömmlichen Prototypings mit den unendlich vielen Verbindungen nennen, über 30 Stunden lang Interviews über verschiedene Bedürfnisse geführt. Die wichtigste Art des Prototypinghaben wir Multipath Prototyping genannt, weil die Nutzer:innen verschiedene Wege durch das interaktive Prototyping-Erlebnis gehen können und das egal in welche Richtung. Diese Art von Prototyping hat den meisten Wert für unsere Nutzer:innen. Aber das zu lösen, diese »Pasta-Bilder« aufzulösen, war natürlich auch am schwierigsten für uns zu bauen.
Warum?
Weil wir alle Features, die wir benötigten, Variablen, Multiple Actions, Conditions oder Expressions, nicht nacheinander bauen konnten, sondern sie gleichzeitig bauen mussten. Da nur, wenn alle Features ansatzweise funktionieren, wir evaluieren konnten ob alles zusammmen passt. Nach sieben Monaten hatten wir eine erste Version zusammen.
Und dann gab es schon weniger Prototyping-Pasta?
Ja, es gab schon viel weniger Pasta, aber noch zu viel hat nicht gepasst. Wir haben dann Firmen wie Netflix und NBC und ein paar individuelle Beta-Nutzer an die Konzepte herangeführt, um sie zu testen. Dabei kam auch heraus, dass die Features noch etwas schwierig zu bedienen sind. Deshalb haben wir die letzten sechs Monate daran gearbeitet, dass alles einfacher wird ist und wir haben Figma auch erweitert mit unserer neuen »Inline Preview«, dass man viel schneller ausprobieren kann, um die neuen Features besser lernen zu können.
Was Töpfern mit Prototyping zu tun hat
Du hast mit deinem Team einen Talk auf der Config gehalt. Dort hattest du ein schönes Beispiel aus der Welt der Keramik dafür.
Es gibt dieses tolle Buch »Sketching User Experiences« von Bill Buxton von Microsoft, das von kreativen Prozesse erzählt und davon, was beim Iterieren, beim Ausprobieren passiert und was für ein großer Unterschied es ist, sich etwas im Kopf auszumalen oder es zu zeichnen und zu betrachten.
Um das zu veranschaulichen, erzählt er von zwei verschiedenen Töpferkursen. Der eine bekommt die Aufgabe, eine perfekte Vase zu töpfern, der andere so viele Vasen wie möglich zu formen. Und die Moral der Geschichte ist, dass erste Gruppe, die nach der perfekten Vase sucht, viele Theorien ausarbeitet. Sie fragt sich was perfekt ist, was verschiedene Geschmäcker in den Zusammenhang bedeuten und so weiter. Was diese Gruppe dann schließlich töpfert, ist die Version einer Vase, die perfekt sein soll und eine Begründung, warum das so ist. Die andere Gruppe aber hat durch das kreieren von vielen Vasen jedes Mal automatisch gelernt, die nächste Vase besser zu machen. Und das bringt uns auch wieder zurück zum Prototyping. Habe ich eine Vase in der Hand kann ich sie drehen und schauen, ob sie mir gefällt. Ich kann eine zweite machen, sie nebeneinanderstellen und schauen welche ich besser finde. Wenn ich mehrere Vasen um mich herum habe und ich auf einem offenen Arbeitsplatz arbeite, dann sehen auch andere, was ich gemacht habe und es entstehen Gespräche darüber, die einen voranbringen.
So machen wir das bei Figma auch. Und es passiert wirklich oft, dass Leute eine kreative Ablenkung brauchen und mal kurz und ohne Kontext in ein anderes Projekt springen. »I took it for a spin« heißt es dann.
Gleichzeitig geht es auch darum, die Trennung zwischen Design und Prototyping aufzuheben, wenn ich das richtig verstanden habe.
Jeder weiß, dass Prototyping wichtig ist, dennoch aber ist es immer der letzte Schritt in einem Prozess. Wir haben uns gefragt, warum das so ist und das hat uns zu den Tools selbst gebracht. »We shape our tools and after that our tools shape us«, hat ein Freund von Marshall McLuhan gesagt. Und die Werkzeuge, die uns in den letzten Jahren zur Verfügung standen, erzwangen eine gewisse Linearität. Ich musste zum Beispiel Bilder erst exportieren, in ein separates Tool laden, dort verknüpfen und dann erst konnte ich sie teilen. So dauerte es nicht nur wahnsinnig lange etwas zu bauen und dann auszuprobieren, sondern es entstand eine Trennung zwischen Design- und Prototyping-Prozessen.
Statt zuerst das Visual Design und dann das Interaktions Design zu entwickeln zu müssen, sind bei uns jetzt die visuellen und interaktiven Dimensionen gemeinsam auf dem Schreibtisch angesiedelt. Ich habe dort quasi eine Vasen stehen, verdoppele sie, indem ich eine neue Box aufziehe und stelle sie daneben. Wenn ich möchte, kann ich damit anfangen, die funktionale Ebene zu erkunden und, wenn ich merke, dass sie funktioniert, dann einen neuen visuellen Stil ausprobieren. Vielmehr füge ich Dinge hinzu, nehme andere weg. Vielleicht gestalte ich einen Warenkorb oder nehme eine Animation hinzu oder schaue was passiert, wenn ich alles in den Darkmode setzte. Wie verändern sich dann andere visuelle Aspekte? Und wie verändert sich das interaktive Erlebnis? Dadurch, dass ich meine Idee einfach duplizieren kann, auch weil »Pasta-Bilder« nicht mehr passieren, kann ich das alles in Ruhe ausprobieren.
Unser Ziel ist, dass Leute sich an diesem großen Schreibtisch treffen und auf Ideen kommen von denen sie gar nicht wussten, dass sie diese haben könnten.
»KI kann Assistent, Mitarbeitende, oder Kollaborierender sein«
Und öffnet dann auch irgendwann die KI ein Fenster und mischt sich ein?
Auf jeden Fall. Das ist ein spannendes Thema und wir sind sehr froh, dass die KI-Firma Diagram seit ein paar Wochen bei uns an Bord ist. Ich glaube KI kann Assistent, Mitarbeitende, oder Kollaborierender sein, die schneller und anders arbeiten und andere Ideen hat. Wenn die KI mir hilft zu einem ersten guten Entwurf zu kommen und ich mit der KI weiterarbeiten und kooperativ neue Ideen ausprobieren kann, dann verkürzt das die Zeit bis wir die beste Idee finden!
Die Frage ist, ob sie nicht am Ende Designer komplett ersetzt.
Ich glaube nicht. Denn Designer:innen sind es ja,die das Tool nutzen, um Ideen, von ihnen selber, oder von anderen, zu verfeinern. Bei Figma kann man auf dem Arbeitsplatz 900 Ideen nebeneinander stehen haben und wenn ein paar 100 von ihnen von der KI sind, weil ich einen Arbeitspartner habe, der schneller ausprobieren kann, dann ist das meiner Meinung nach gut für die Kreativität.
Ich frage mich, ob in einer hyperkapitalistischen Welt die Qualität letztlich wirklich eine Rolle spielt.
Natürlich weiß niemand, was genau passieren wird. Nur keine Designer mehr zu brauchen würde bedeuten, dass jemand in einem Gestaltungsprozess exakt weiß, was die Lösung ist. Und das hat es bisher noch nicht gegeben. Ein Malen nach Zahlen kann von KI wahrscheinlich übernommen werden, aber das macht das Gestalten ja nicht aus. Designer:innen interpretieren Aufgaben, Anforderungen und den Kontext, in dem sie gestellt werden. Iterieren hilft, die beste Lösung zu finden und wenn das mit Unterstützung der KI schneller geht, warum nicht?
Damit etwas wirklich Neues entsteht, braucht man immer auch einen Funken von etwas, was es eigentlich noch nicht existiert. Und das ist im KI-System nicht enthalten.
Genau. Woher kommt die Zufälligkeit, dass ich zwei Ideen verknüpfe, die ich vorher nie zusammengebracht habe. Und warum verknüpfe ich die eigentlich? Aus Erfahrung oder wegen bestimmter Erlebnisse in meiner Kindheit? Träume ich es? Oder bin ich heute Morgen aufgewacht und auf dem Baum vor meinem Fenster saß ein Vogel und das inspiriert mich jetzt? Diese Art von Erleben und Zufall ist entscheidend für Kreativität. Und das ist etwas, das die KI nicht ersetzen kann.