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So sieht inklusives Gamedesign aus!

Das Roblox-Spiel »Blackout at Mt. Earverest« setzt auf Spatial Audio und ein inklusives Gameplay, um das Hörvermögen zu testen. Learnings und Tipps für inklusives Spieldesign

Licht aus, Kopfhörer auf und Spot an für ein auditives Roblox-Abenteuer. Wir begegnen drei heldenhaften Charakteren, die uns dabei anleiten und unterstützen, verschiedene Challenges für das Gehör zu meistern

Rund jeder fünfte in Deutschland lebende Mensch ist – von leichtgradig schwerhörig bis an Taubheit grenzend – von Hörverlust betroffen. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen wirkt es sich auf alle Bereiche ihres Lebens und auf ihre Persönlichkeit aus, wenn sie durch Schwerhörigkeit in ihrer Kommunikation eingeschränkt sind. Leider gibt es nach der Ein­schulung eine Diagnoselücke, sodass vor allem leichtere Hörschädigungen lange übersehen werden.

»Die Kinder ziehen sich dann häufig zurück und leiden – ich habe in meiner Familie Menschen mit Schwerhörigkeit begleitet. Ich kenne das also und auch diese ganzen medizinischen Untersuchungen und Hör­tests«, erklärt Oliver Heidorn, Director Crea­tive Tech­nology bei Grabarz & Partner. Ein idealer Erfahrungs­hintergrund für den digital aufgestellten Kunden audibene und seine US-amerikanische Un­ter­nehmensschwester hear.com.

Die beiden Marken haben im Laufe der Jahre festgestellt, dass gerade Jugendliche zu wenig auf ihr Gehör achten. »Wir wollten Kinder und Jugendliche für das Thema sensibilisieren – nach dem WHO-Motto ›Achte auf Dein Gehör!‹«, sagt Heidorn. Und das nicht ernsthaft und anstrengend, sondern unterhaltsam und einfach. So wie ein Game auf Roblox.

PROJEKT Entwicklung des Roblox-Games »Blackout at Mt. Earverest«
AUFTRAGGEBER audibene, Berlin
AGENTUREN Grabarz & Partner, Hamburg; headraft, Hamburg
TECHNIK Roblox Studio, Blender und Photoshop
ZEITRAUM Dezember 2022 bis März 2023

Auf das Gehör achten: Idee und Konzept

Für Roblox sprachen nicht nur die enorme Reich­wei­te der Plattform in der Zielgruppe (knapp zwei­ Drit­tel der Spielenden sind unter 16 Jahren) und die leicht zugängliche Entwicklungssoftware, sondern auch die Spatial-Audio-Features, die zum Experimen­tieren mit der Soundthematik einluden. »Wir hatten die Idee für ein Game, das man nur mit dem Hörsinn spielen kann, indem man den sonst dominanten Sehsinn zurückstellt«, erläutert Oliver Heidorn. Er entwickelte einen ersten Prototyp in Roblox Studio und pitchte die Idee zu »Blackout at Mt. Earve­rest« beim Kunden.

Frequenzpiepser und Stimmensalat: Audiologenbesuche gehören sicherlich nicht zu den Höhepunkten eines Teenagertages. Jugendliche sollten Wichtigeres zu tun haben: Freunde, Sport oder Games

Bei dem Jump ’n’ Run taucht die Umgebung kurz nach dem Start in Dunkelheit ab. Dann gilt es, drei Challenges für das Gehör zu meistern, um auf den Gipfel des Berges zu gelangen und dort einen gro­ßen Schalter zu betätigen, damit das Licht wieder angeht. Löst man die Aufgaben nicht korrekt, beginnt man den jeweiligen Abschnitt wieder von vorne. Das Spiel unterscheidet dabei zwischen Fehlern aus man­­gelndem Hörvermögen und Fehlern aus Ungeschick. Und nur auf auffällig viele Fehler wird man am Ende unaufgeregt und ohne Alarmismus hingewiesen.

»›Blackout at Mt. Earverest‹ verfolgt zwei entgegengesetzte Ziele: Einerseits will es eine Experience für alle sein, ein attraktives Game, das viele Jugendliche mit unterschiedlichen Fähigkeiten erreicht. Andererseits haben wir Hörtests als gewollte Barrieren eingebaut«, erläutert Oliver Heidorn. Die Challenge für die Kreati­ven war es also, während des gesamten Projekts ei­ne gute Balance zwischen Accessibility und den spieleri­schen Herausforderungen zu finden.

Hörvermögen testen: Storyline und Quest

Für die Entwicklung von Storyline, Spielelogik und In-Game-Characters kooperierte Grabarz & Partner mit der Hamburger Technikschmiede für im­mersi­ve Experiences headraft. Auf Basis des Kon­zepts und des ersten Roblox-Prototyps erstellte diese ein Grundge­rüst für das Spiel. »Wir nutzten den Prototyp von Oli­ver zum Hinterfragen und rollten die gan­ze Sache von vorn auf«, sagt headraft-Gründer Julian Weiss.

Der allererste Prototyp in Roblox Studio diente dazu, die Voraussetzungen der Plattform zu überprüfen und insbesondere ihre Audiofeatures auszuloten

Zunächst skizzierten sie die Storyworld mit der User Journey und den zu den verschiedenen Höranforderungen passenden Challenges. Dabei arbeitete das Team mit Kinder- und Jugendaudiologen sowie Sounddesignern zusammen. Denn die Aufgaben sind an medizinische Hörtests angelehnt, wollen aber weder so akkurat noch so langwierig daherkommen. »Was wir lernen mussten: Hörtestergebnisse werden stark vom jeweiligen Audioequipment und der Umgebung beeinflusst. Wir können keine medizinische Präzision erwarten und versprechen. Stattdessen wollen wir die Spieler:innen ermutigen, im Alltag selbst auf mögliche Einschränkungen zu achten«, erklärt Oliver Heidorn.

Auf Basis der Idee skizzierte headraft zunächst eine grobe Storyline, eine User Journey sowie die Challenges und die drei Charaktere.

Bei der ersten Challenge geht es darum, das räum­liche Hören zu prüfen, bei der zweiten um Sprachverständnis bei variierender Hintergrundgeräuschlautstärke und bei der dritten um das Hörvermögen bei zehn Frequenzen zwischen 500 und 8000 Hertz. Töne, Plattformen, Farben und Sprachausgabe gene­riert das Spiel jeweils zufällig, damit man sich nicht merken kann, wohin man springen muss. »Mit jeder Aufgabe wird die Steigung des Ber­ges erhöht, sodass Spieler:innen im letzten Abschnitt fast vertikal nach oben gelangen müssen«, so Julian Weiss.

Beim sogenannten Blocking fertigte das Team einen weiteren Prototyp in Roblox Studio, den es anschließend immer weiter verfeinerte

Character Design: Helping Hearos

Damit sich die Spieler:innen im Game zurechtfinden und das Ziel in jedem Fall erreichen können, schuf das Team drei sympathische Charaktere. Hase Hear­bert, Fisch Hearnanda und Giraffe Hearmione zeigen den Weg, erklären die Aufgaben und fangen den Spiel­verlauf auf, wenn er ins Stocken gerät. Scheitert man zu oft an einer Challenge, helfen sie, indem Hearbert auf die korrekte Plattform vorspringt oder Hearmione den Turm baut, der zum Gipfel führt.

Dabei ist die Navigation durch die dunkle Spiel­umgebung eine zusätzliche Herausforderung. »Wenn das Licht ausgeht, verschwinden der weite Horizont und die Details, sodass man sich bei den Challenges ganz aufs Hören fokussieren muss. Damit man den Weg durchs Spiel aber sicher findet, haben wir ihn mit kleinen Lichtern und fluoreszierenden Pfeilen markiert«, erklärt Julian Weiss.

Entwicklung in Roblox: große Freiheit, kleine Restriktionen

Mit der Roblox-Software erstellte headraft einen gro­ben Prototyp des Spiels, um ihn mit der Agentur und dem Kun­den abzustimmen und dann feinzutunen. »Roblox Studio eignet sich super dafür, weil es eine Menge kostenloser Assets wie Steine, Tiere oder Gebäude bietet, mit denen man die ersten 50 bis 80 Prozent eines Spiels in kurzer Zeit zusammenbauen kann«, sagt Julian Weiss. Das ist nicht nur effizienter, als sie selbst zu bauen, man bleibt damit auch flexibler für etwaige Änderungswünsche (mehr zum Gamedesign in Roblox Studio siehe »Vom Groben ins Feine«).

Beim Feintuning in Roblox Studio entstanden dann die originären Game-Assets, wie der große Lichtschalter oder die drei Charaktere. Auf der Plattform können Teams von der ersten Idee bis zum Feinschliff gemeinsam an einer Spielwelt arbeiten und sie fortwährend testen

Nach Freigabe des Prototyps ohne größere Modi­fikationen konnte sich das headraft-Team ganz auf die finale Umsetzung konzentrieren, die Spielwelt grafisch verfeinern sowie Interaktionen und die Features zur Datenanalyse ausbauen. »Für jede bestandene Challenge bekommt man zur Belohnung ein Abzeichen, auf die genauen Testergebnisse können wir aber technisch bedingt nicht verweisen«, erklärt Weiss. Eine Verlinkung zu externen Seiten lässt Roblox nicht so einfach zu.

Bei allen positiven Aspekten ist die Plattform inzwischen sehr restriktiv, was Werbung angeht, und möchte die Hoheit über die Entwicklung von Markenwelten behalten. »Ein Call-to-Action darf keinen Link enthalten, Logos darf man nur noch für über 13-Jährige einblenden, und was die im Spiel verwendeten Töne anging, befand Roblox sie zunächst für unangemessen, sodass wir hier nachbessern mussten«, berichtet Oliver Heidorn.

Nachdem sämtliche Spielsounds angepasst waren, stand der Veröffentlichung im März nichts mehr im Wege: »Aus einer Welt aus Schnapsideen und Bauklotzmechaniken haben wir schließlich eine finale Storyworld mit viel Liebe zum Detail und Verständnis für die Zielgruppe geschaffen«, freut sich Julian Weiss. Und tatsächlich: Wir haben »Blackout at Mt. Earverest« zusammen mit Hearbert, Hearnanda und Hearmione durchgespielt und uns gefreut, als das Licht wieder anging.

Vom Groben ins Feine: Features für kollaborative Spieleentwicklung

Julian Weiss erklärt, welche Features Roblox Studio für die kollaborative Spieleentwicklung bietet

Julian Weiss, Co-Founder und CEO von headraft, ist Spezialist für interaktive Kommunikation. Mit seinem Team führt er Marken in virtuelle Welten und kreiert ausgezeichnete immer­sive Experien­ces in XR.

Roblox Studio bietet zwei wesentliche Vorteile fürs Gamedesign: Erstens erleichtern die großen Libraries mit 3D-Assets, Texturen, Animationen oder Sounds den Start eines Projekts. Zweitens kann man hier als Team sehr gut kollaborativ arbeiten. So lässt sich die Vision eines Spiels gemeinsam effizient skizzieren, und erste Elemente können geblockt, also platziert werden, bevor man andere Tools starten muss und selbst Input gibt.

Ähnlich wie auf einem Moodboard wird zunächst gesammelt und experimentiert: 3D-Objekte, Interaktionskonzepte und erste Gamemechaniken. Dabei bewegt sich jeder für das gesamte Team sichtbar in der virtuellen Projektumgebung – an der einen Stelle werden Bäume gepflanzt, und am Horizont testet jemand Levelbausteine. Nach und nach weicht das Blocking dem geplanten Content. Haben wir anfangs noch wild Stile gemischt, polieren wir nun die Assets. Mit Blender oder Photoshop gestalten wir indivi­duelle Komponenten oder gebrandeten Content. Auch die Gamemechaniken testen wir in Roblox Studio iterativ und live und verfeinern sie im Verlauf.

Tipps für inklusives Spieldesign

Oliver Heidorn über die Learnings bei »Blackout at Mt. Earverest« – mit Tipps für inklusives Spieldesign

Oliver Heidorn startete als Texter. Seine Freude am Storytelling hat er in den Bereich digitale Medien mitgenommen. Als Creative Technologist bei Grabarz & Partner erzählt er Geschichten für Marken und Produkte jetzt mit Code, XR, KI oder Daten.

Bei der Entwicklung von »Blackout at Mt. Earverest« haben wir uns viele Gedanken über Inklusion gemacht, weil wir hier ein Game mit exkludierenden Elementen schaffen mussten. Hörtests sind im Prinzip nichts anderes als sorgsam platzierte Hörbarrieren. Deren Wirkung konnten wir nicht durch Best Practices wie Hilfestellun­gen oder Untertitel aufweichen. Die Dunkelheit in der »Mt. Ear­ve­rest«-Story bringt die Spie­ler:innen dazu, sich mehr auf ihr Gehör zu verlassen als auf ihren Sehsinn. Sie macht aber die Herausforderung für Menschen mit Sehbeeinträchtigung noch einmal größer. Auch wenn wir für eine gute Accessibility sorgen wollten, mussten wir an einigen Stellen Kompromisse zugunsten der Spielidee eingehen.

  1. Accessibility im Zentrum.
    Zugänglichkeit muss von Beginn an im Mittelpunkt stehen: In Recherchen, Analysen der Spielplattformen, in frühen Prototypen und in Gesprächen mit Betroffenen und Hörexpert:innen. Unsere Wahl fiel auf Roblox, weil Spieler:innen monatlich insgesamt 4,8 Milliarden Stunden auf der Plattform verbringen und sie uns Kon­trolle über das Audio-erlebnis ermöglicht. Virtuelle Sound­quellen las­sen sich frei im Raum platzieren und ansteuern. Leider bietet Roblox aber kaum eigene Tools für inklusives Spiel­design. Mehr Out-of-the-box-Lösungen würden plattformweit mehr Zugänglichkeit bieten.
  2. Prototyp offenbart Einschränkungen.
    Die Grundidee und die Hörtests überprüften wir früh anhand eines Prototyps. Stellt Roblox die richtigen Soundparameter zur Verfügung, um die Challenges zu bauen? Lassen sich die Tests als Challenges spielen? Machen sie Spaß?
  3. Helping-Hand-Modus.
    Ein Spiel, das Awareness und Akzeptanz wecken will, darf Menschen mit Hörminderungen nicht ausgrenzen. Aus diesem Grund implementierten wir im Stereo­hör­test zum Beispiel einen Helping-Hand-Modus. Nach einigen Fehlversuchen leitet einer unserer Characters die Spieler:innen behutsam zur nächsten Challenge. Das Spiel wertet aus, wie oft man eine Aufgabe korrekt löst – und wie viele Fehler pas­sieren, die auf das Gehör zurückzuführen sind. Damit konnten wir die Schwierigkeit so justieren, dass die Zahl der Fehlversuche nah an den statistisch zu erwartenden Werten lag.
  4. Spielen und lernen.
    Die Accessibility sollte nie aus dem Fokus rücken und ständig optimiert werden. Bedürfnisse und Wünsche sind so vielfältig wie die User:innen selbst. Deshalb ist es wichtig, ihr Feedback ernst zu nehmen und zu dokumentieren, weiter zu testen und das Ergebnis mit zeitlichem Abstand kritisch zu betrachten. Das verrät, was es in der nächsten Iterationsstufe zu verbessern und zu erleichtern gilt.

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Dieser Artikel ist in PAGE 08.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 08.2023

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