So sieht inklusives Gamedesign aus!
Das Roblox-Spiel »Blackout at Mt. Earverest« setzt auf Spatial Audio und ein inklusives Gameplay, um das Hörvermögen zu testen. Learnings und Tipps für inklusives Spieldesign
»›Blackout at Mt. Earverest‹ verfolgt zwei entgegengesetzte Ziele: Einerseits will es eine Experience für alle sein, ein attraktives Game, das viele Jugendliche mit unterschiedlichen Fähigkeiten erreicht. Andererseits haben wir Hörtests als gewollte Barrieren eingebaut«, erläutert Oliver Heidorn. Die Challenge für die Kreativen war es also, während des gesamten Projekts eine gute Balance zwischen Accessibility und den spielerischen Herausforderungen zu finden.
Hörvermögen testen: Storyline und Quest
Für die Entwicklung von Storyline, Spielelogik und In-Game-Characters kooperierte Grabarz & Partner mit der Hamburger Technikschmiede für immersive Experiences headraft. Auf Basis des Konzepts und des ersten Roblox-Prototyps erstellte diese ein Grundgerüst für das Spiel. »Wir nutzten den Prototyp von Oliver zum Hinterfragen und rollten die ganze Sache von vorn auf«, sagt headraft-Gründer Julian Weiss.
Zunächst skizzierten sie die Storyworld mit der User Journey und den zu den verschiedenen Höranforderungen passenden Challenges. Dabei arbeitete das Team mit Kinder- und Jugendaudiologen sowie Sounddesignern zusammen. Denn die Aufgaben sind an medizinische Hörtests angelehnt, wollen aber weder so akkurat noch so langwierig daherkommen. »Was wir lernen mussten: Hörtestergebnisse werden stark vom jeweiligen Audioequipment und der Umgebung beeinflusst. Wir können keine medizinische Präzision erwarten und versprechen. Stattdessen wollen wir die Spieler:innen ermutigen, im Alltag selbst auf mögliche Einschränkungen zu achten«, erklärt Oliver Heidorn.
Bei der ersten Challenge geht es darum, das räumliche Hören zu prüfen, bei der zweiten um Sprachverständnis bei variierender Hintergrundgeräuschlautstärke und bei der dritten um das Hörvermögen bei zehn Frequenzen zwischen 500 und 8000 Hertz. Töne, Plattformen, Farben und Sprachausgabe generiert das Spiel jeweils zufällig, damit man sich nicht merken kann, wohin man springen muss. »Mit jeder Aufgabe wird die Steigung des Berges erhöht, sodass Spieler:innen im letzten Abschnitt fast vertikal nach oben gelangen müssen«, so Julian Weiss.
Character Design: Helping Hearos
Damit sich die Spieler:innen im Game zurechtfinden und das Ziel in jedem Fall erreichen können, schuf das Team drei sympathische Charaktere. Hase Hearbert, Fisch Hearnanda und Giraffe Hearmione zeigen den Weg, erklären die Aufgaben und fangen den Spielverlauf auf, wenn er ins Stocken gerät. Scheitert man zu oft an einer Challenge, helfen sie, indem Hearbert auf die korrekte Plattform vorspringt oder Hearmione den Turm baut, der zum Gipfel führt.
Dabei ist die Navigation durch die dunkle Spielumgebung eine zusätzliche Herausforderung. »Wenn das Licht ausgeht, verschwinden der weite Horizont und die Details, sodass man sich bei den Challenges ganz aufs Hören fokussieren muss. Damit man den Weg durchs Spiel aber sicher findet, haben wir ihn mit kleinen Lichtern und fluoreszierenden Pfeilen markiert«, erklärt Julian Weiss.
Entwicklung in Roblox: große Freiheit, kleine Restriktionen
Mit der Roblox-Software erstellte headraft einen groben Prototyp des Spiels, um ihn mit der Agentur und dem Kunden abzustimmen und dann feinzutunen. »Roblox Studio eignet sich super dafür, weil es eine Menge kostenloser Assets wie Steine, Tiere oder Gebäude bietet, mit denen man die ersten 50 bis 80 Prozent eines Spiels in kurzer Zeit zusammenbauen kann«, sagt Julian Weiss. Das ist nicht nur effizienter, als sie selbst zu bauen, man bleibt damit auch flexibler für etwaige Änderungswünsche (mehr zum Gamedesign in Roblox Studio siehe »Vom Groben ins Feine«).
Nach Freigabe des Prototyps ohne größere Modifikationen konnte sich das headraft-Team ganz auf die finale Umsetzung konzentrieren, die Spielwelt grafisch verfeinern sowie Interaktionen und die Features zur Datenanalyse ausbauen. »Für jede bestandene Challenge bekommt man zur Belohnung ein Abzeichen, auf die genauen Testergebnisse können wir aber technisch bedingt nicht verweisen«, erklärt Weiss. Eine Verlinkung zu externen Seiten lässt Roblox nicht so einfach zu.
Bei allen positiven Aspekten ist die Plattform inzwischen sehr restriktiv, was Werbung angeht, und möchte die Hoheit über die Entwicklung von Markenwelten behalten. »Ein Call-to-Action darf keinen Link enthalten, Logos darf man nur noch für über 13-Jährige einblenden, und was die im Spiel verwendeten Töne anging, befand Roblox sie zunächst für unangemessen, sodass wir hier nachbessern mussten«, berichtet Oliver Heidorn.
Nachdem sämtliche Spielsounds angepasst waren, stand der Veröffentlichung im März nichts mehr im Wege: »Aus einer Welt aus Schnapsideen und Bauklotzmechaniken haben wir schließlich eine finale Storyworld mit viel Liebe zum Detail und Verständnis für die Zielgruppe geschaffen«, freut sich Julian Weiss. Und tatsächlich: Wir haben »Blackout at Mt. Earverest« zusammen mit Hearbert, Hearnanda und Hearmione durchgespielt und uns gefreut, als das Licht wieder anging.
Vom Groben ins Feine: Features für kollaborative Spieleentwicklung
Julian Weiss erklärt, welche Features Roblox Studio für die kollaborative Spieleentwicklung bietet
Roblox Studio bietet zwei wesentliche Vorteile fürs Gamedesign: Erstens erleichtern die großen Libraries mit 3D-Assets, Texturen, Animationen oder Sounds den Start eines Projekts. Zweitens kann man hier als Team sehr gut kollaborativ arbeiten. So lässt sich die Vision eines Spiels gemeinsam effizient skizzieren, und erste Elemente können geblockt, also platziert werden, bevor man andere Tools starten muss und selbst Input gibt.
Ähnlich wie auf einem Moodboard wird zunächst gesammelt und experimentiert: 3D-Objekte, Interaktionskonzepte und erste Gamemechaniken. Dabei bewegt sich jeder für das gesamte Team sichtbar in der virtuellen Projektumgebung – an der einen Stelle werden Bäume gepflanzt, und am Horizont testet jemand Levelbausteine. Nach und nach weicht das Blocking dem geplanten Content. Haben wir anfangs noch wild Stile gemischt, polieren wir nun die Assets. Mit Blender oder Photoshop gestalten wir individuelle Komponenten oder gebrandeten Content. Auch die Gamemechaniken testen wir in Roblox Studio iterativ und live und verfeinern sie im Verlauf.
Tipps für inklusives Spieldesign
Oliver Heidorn über die Learnings bei »Blackout at Mt. Earverest« – mit Tipps für inklusives Spieldesign
Bei der Entwicklung von »Blackout at Mt. Earverest« haben wir uns viele Gedanken über Inklusion gemacht, weil wir hier ein Game mit exkludierenden Elementen schaffen mussten. Hörtests sind im Prinzip nichts anderes als sorgsam platzierte Hörbarrieren. Deren Wirkung konnten wir nicht durch Best Practices wie Hilfestellungen oder Untertitel aufweichen. Die Dunkelheit in der »Mt. Earverest«-Story bringt die Spieler:innen dazu, sich mehr auf ihr Gehör zu verlassen als auf ihren Sehsinn. Sie macht aber die Herausforderung für Menschen mit Sehbeeinträchtigung noch einmal größer. Auch wenn wir für eine gute Accessibility sorgen wollten, mussten wir an einigen Stellen Kompromisse zugunsten der Spielidee eingehen.
- Accessibility im Zentrum.
Zugänglichkeit muss von Beginn an im Mittelpunkt stehen: In Recherchen, Analysen der Spielplattformen, in frühen Prototypen und in Gesprächen mit Betroffenen und Hörexpert:innen. Unsere Wahl fiel auf Roblox, weil Spieler:innen monatlich insgesamt 4,8 Milliarden Stunden auf der Plattform verbringen und sie uns Kontrolle über das Audio-erlebnis ermöglicht. Virtuelle Soundquellen lassen sich frei im Raum platzieren und ansteuern. Leider bietet Roblox aber kaum eigene Tools für inklusives Spieldesign. Mehr Out-of-the-box-Lösungen würden plattformweit mehr Zugänglichkeit bieten. - Prototyp offenbart Einschränkungen.
Die Grundidee und die Hörtests überprüften wir früh anhand eines Prototyps. Stellt Roblox die richtigen Soundparameter zur Verfügung, um die Challenges zu bauen? Lassen sich die Tests als Challenges spielen? Machen sie Spaß? - Helping-Hand-Modus.
Ein Spiel, das Awareness und Akzeptanz wecken will, darf Menschen mit Hörminderungen nicht ausgrenzen. Aus diesem Grund implementierten wir im Stereohörtest zum Beispiel einen Helping-Hand-Modus. Nach einigen Fehlversuchen leitet einer unserer Characters die Spieler:innen behutsam zur nächsten Challenge. Das Spiel wertet aus, wie oft man eine Aufgabe korrekt löst – und wie viele Fehler passieren, die auf das Gehör zurückzuführen sind. Damit konnten wir die Schwierigkeit so justieren, dass die Zahl der Fehlversuche nah an den statistisch zu erwartenden Werten lag. - Spielen und lernen.
Die Accessibility sollte nie aus dem Fokus rücken und ständig optimiert werden. Bedürfnisse und Wünsche sind so vielfältig wie die User:innen selbst. Deshalb ist es wichtig, ihr Feedback ernst zu nehmen und zu dokumentieren, weiter zu testen und das Ergebnis mit zeitlichem Abstand kritisch zu betrachten. Das verrät, was es in der nächsten Iterationsstufe zu verbessern und zu erleichtern gilt.
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Dieser Artikel ist in PAGE 08.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.