Kundenmagazine: Wo mutige Gestaltungskonzepte möglich sind
Magazine sind ein tolles Tool, um bestehende Kund:innen an die Marke zu binden und neue zu gewinnen. Vorausgesetzt, die Publikationen überzeugen inhaltlich und visuell
Print? Eine Frage der Wertigkeit
Der Großteil aller Kundenmagazine kommt als gedrucktes Heft heraus. »Im heutigen Informations-Overload kann man damit die Zielgruppe wirklich erreichen und dafür sorgen, dass sie sich länger und eingehender mit der Marke beschäftigt«, meint Natalie Roos, Managing Editor bei Content Innovation Sweden. Die Stockholmer Agentur ist zusammen mit Holmen Iggesund für die Umsetzung von »Inspire« verantwortlich. »Ein physisches Magazin, das durch den Briefschlitz auf dem Flurteppich landet, vermittelt ein ganz anderes Gefühl und eine andere Wertigkeit als Scrollen auf dem Handy.«
Trotzdem: Diverse Printmagazine wurden in den letzten Jahren eingestellt, nicht immer eine gute Idee. Auf die Bekanntmachung, die DB-Kundenzeitschrift »Mobil« ab 2023 nur noch digital anzubieten, gab es zahlreiche enttäuschte Reaktionen. Ein anderer Big Player unter den Kundenzeitschriften erscheint ebenfalls nicht mehr gedruckt: 2020 stellte Swiss ihr Bordmagazin ein, jetzt kann man es online lesen – zusammen mit den Blogs der Marke –, eine echte Alternative zu der coolen Printpublikation ist es nicht. »Das Magazin hatte eine Riesenreichweite, wurde gelesen und geschätzt. Hat man nur noch eine digitale Variante, ist die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit riesengroß«, erklärt Reto Ehrbar, Inhaber und Kreativdirektor der Designagentur Raffinerie in Zürich, die von der ersten bis zur letzten Ausgabe alle Hefte gestaltet hat. Manch einer würde dann wahrscheinlich lieber »ZEIT« oder spiegel.de lesen als ein Bordmagazin.
Digitale Alternativen bei Kundenmagazinen
Ein digitales Kundenmagazin zu produzieren ist anspruchsvoll, und gelungene Umsetzungen sind rar gesät. Was es gibt, sind PDFs der Printausgabe – keine überzeugende Lösung. »Ein PDF nimmt den Leser nicht ernst«, sagt Oliver Griep. »Kein Mensch liest am Bildschirm ein PDF.« Um auch digital ein Leseerlebnis zu bieten, brauche es ein Format – Website, App et cetera –, das als eigenständige Plattform funktioniere, auf jede Geschichte individuell gestalterisch eingehe und die Stärken des Mediums, etwa Bewegtbild, nutze. »Das macht es im Digitalen momentan noch unheimlich aufwendig und kostenintensiv«, so Griep.
Die Kreativen bei Raffinerie sind davon überzeugt, dass Storytelling unabhängig von der Plattform funktioniert und sich gute Geschichten sowohl im Print als auch in einer digitalen Variante erzählen lassen. »Leider lässt sich das crossmediale Potenzial des Contents oft nicht entfalten«, bedauert Reto Ehrbar. Warum das so ist, kann man nur vermuten. Womöglich denken einige Unternehmen die Kanäle noch nicht zusammen, und die Budgets könnten vor allem auf Print ausgelegt sein – das reicht dann meist nicht, um auch für Digital zu produzieren.
Solche Schwierigkeiten könnten nach der Einschätzung von Oliver Griep dazu führen, dass es wieder mehr in Richtung Analog geht: »Auf den digitalen Kanälen holt man die Leute ran, und dann bietet Print eine Wertigkeit, die man sonst nicht darstellen kann.« Reto Ehrbar sieht das ähnlich: »Gut gemachte, gedruckte Kundenmagazine generieren einen Mehrwert und sind ein zusätzlicher Touchpoint. Print wird aber häufig unterschätzt, weil der Erfolg nicht so gut messbar ist wie Klickraten.«
Klar, Kundenmagazine sind Luxus – sie kosten Zeit und Geld. Wenn ein Unternehmen sich aber dafür entscheidet, ist es gut beraten, Konzeption, Redaktion und Gestaltung in die Hände von Profis zu legen und Print und Digital zusammenzudenken. Nur so kann etwas wirklich Überzeugendes und Nachhaltiges dabei herauskommen.
Kundenmagazine gestalten: Die spannendsten Beispiele
»ZH«: Collagiert und veredelt

Die Zürcher Kantonalbank agiert sehr regional, ihr Einzugsgebiet ist Zürich und das Umland. Die grafische Gestaltung ihres Magazins »ZH« von Raffinerie nimmt dies auf, so ist jeder Artikel mit Postleitzahlen im Kanton Zürich verortet.

Die letzte Ausgabe »Neu« (oben) dreht sich um alle möglichen Neuerungen in und um Zürich.
Beim vorangegangenen Heft zum Thema »Gold« (unten) veredelte die Züricher Druckerei Wolfensberger das Cover mit einer alten Technik: dem Bronzieren. Die aktuelle Ausgabe lässt sich hier downloaden.

Helsana-Ratgeber: Wechselnde Typo und Illustrationen

Zweimal im Jahr erscheint zu einem ausgewählten Gesundheitsthema ein Ratgeber der Schweizer Krankenversicherung Helsana, bislang gibt es 14 Stück. Hier können sich die Kreativen von Raffinerie richtig ausleben, jede Ausgabe trägt ihre ganz eigene Handschrift und eine andere Illustrator:in. Die begehrten Hefte, die so gar nicht nach Krankenkasse aussehen, liefern viel Wissen, zugleich ist der Zugang sehr niederschwellig. Sie haben eine Auflage von 800 000 Stück und demonstrieren, was entstehen kann, wenn ein Designbüro von einem Projekt überzeugt und der Kunde mutig ist. Vor allem der Ratgeber zum Thema Depression (ganz unten) zeigt vorbildlich, wie man ein schwieriges Thema locker angehen kann.

»Hard Copy«: fast wie ein Coffee-table Magazin

Ist das Thema des Closed-Magazins Love (oben), erscheint die gesamte Typo, in diesem Fall die Schriften Folio und Suisse Works Italic, auch mal rot. Schön ist zudem die Haptik: Auf den Innenseiten kommt das Recyclingpapier Enviro Clever zum Einsatz, für das Cover Fedrigoni Symbol Card ECO.
Ab kommendem Sommer soll »Hard Copy« nur noch zweimal im Jahr erscheinen, dafür aber mit deutlich mehr Umfang und noch mehr in Richtung Coffee-table Magazine. Auf der Closed-Website kann man einige der Geschichten online lesen.

»Inspire«: Schöne Haptik

Der Fokus von »Inspire«, der Unternehmenspublikation des schwedischen Kartonherstellers Holmen Iggesund, liegt auf Design, Innovation und Nachhaltigkeit aus der Papierperspektive. Wichtig ist für das in sechs Sprachen erscheinende Magazin natürlich auch die Haptik, das Cover zeigt stets Veredelungen auf einem der Iggesund-Kartons.
»Realitäten«: Mut zur Relevanz

Jede Ausgabe der Publikation »Realitäten«, die zmyk für das Ingenieurbüro für Brandschutzkonzepte hhpberlin entwickelte, hatte ein anderes Thema und eine komplett andere Gestaltung. Selbst wenn man nicht brandschutzbegeistert ist: In den Heften zu lesen und zu blättern macht Spaß! Mehr zu den Heften auf https://zmyk.de.

»Sterbereport«: Zahlen zeigen

Bei brand eins Corporate Services entstehen hochwertige Kundenmagazine, die viel mit Infografiken arbeiten. So auch der »Sterbereport« im Auftrag der Ahorn Gruppe, der den Wandel in der Bestatterbranche transparent macht. Den »Sterbereport« sowie andere interessante Beispiele gibt’s hier zum Download.
»trigger«: Kundenmagazin online

Für Haufe Lexware entwickelte zmyk das Onlinemagazin »trigger«, das sich dank kluger Gestaltung und schöner Typografie auch auf dem Smartphone gut konsumieren lässt. Nach der ersten Ausgabe beschloss der Kunde allerdings, weitere Magazine inhouse zu produzieren. Der Qualität kommt diese Entscheidung nicht zugute …
»Albert«: monothematische Ausgaben

Das einmal im Jahr erscheinende »Albert« der Einstein Stiftung aus Berlin macht Wissenschaft anschaulich. Und das mit hochwertigem Inhalt, schöner Gestaltung und toller Haptik, die schon fast Buchqualität hat. Jedes der Hefte ist monothematisch und beleuchtet jeweils ein Forschungsfeld, in dem die Ideen und Technologien von morgen entstehen. Die siebte Ausgabe der von Fons Hickmann M23 gestalteten Publikation widmet sich der Demokratieforschung.

Dieser Artikel ist in PAGE 03.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.





