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»KI eröffnet Möglichkeitsräume – es liegt an uns, sie zu gestalten«

Wir sprachen mit Klaas Bollhöfer von Birds on Mars über die künstliche Muse von Roman Lipski, die Zukunft der Arbeit und die neue Rolle des Menschen in der Kreation

Roman Lipski und Klaas Bollhöfer Kampnagel Keynote 2024
Klaas Bollhöfer (links) und Roman Lipski beim German Creative Economy Summit auf der Kampnagel-Bühne Foto: Anne Kaiser

PAGE- und ehemalige WEAVE-Leser kennen Klaas Wilhelm Bollhöfer. Zunächst als User Experience Professional, Informationsarchitekt, Impulsgeber und Dozent, inzwischen auch als Berater für kreative, inklusive und interdisziplinäre Daten- und KI-Anwendungen. 2018 gründete er gemeinsam mit Florian Dohmann die Beratungsfirma Birds on Mars mit Hauptsitz in Berlin und unterstützt seitdem Organisationen mit der Entwicklung von AI Experiences, AIX Design und Intelligence Architectures (IA) bei der digitalen Transformation.

Mars-Tage für Innovation

In ihrem Innovationsraum sol (benannt nach dem rund 40 Minuten längeren Mars-Tag) kreiert der extraterristische Vogelschwarm neue Perspektiven auf KI insbesondere für die Bereiche Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Klimaschutz und soziale Teilhabe. Im Rahmen des ersten German Creative Economy Summit in Hamburg sprachen wir mit Klaas nicht nur über das Potential einer künstlichen Muse – in diesem Fall für den bildenden Künstler Roman Lipski – sondern auch über KI als Grundlagentechnologie und überzogene Erwartungen.

»Der Künstler 1000fach reflektiert«

Artificial Muse Roman Lipski
Inspirierender Output einer künstlichen Muse Bild: www.romanlipski.com

PAGE: Über was hast du beim German Creative Economy Summit gesprochen?

Klaas Bollhöfer: Roman Lipski und ich haben über die Artificial Muse berichtet; eine artifizielle Muse, die als Wegweiser für Mensch-KI-Kollaboration dient.

Was verbirgt sich dahinter?

Ein Projekt, das wir vor vielen Jahren in den frühen Stunden von generativer KI mit Roman zusammen gestartet haben. Er ist ein international renommierter Maler, den wir zufällig vor ein paar Jahren an der UdK in Berlin getroffen haben. Roman war damals in einer Schaffenskrise und mein Mitgründer Florian und sein Künstler Kollektiv YQP kamen auf die Idee, ihn mithilfe der frühen Bild-Generatoren ein bisschen zu pushen. Roman hatte bis dahin keine Affinität zu Technologie und sein Malstil war sehr figürlich: Brücken, Häuser und Bäume, Industrielandschaften.

Was waren das damals für Technologien?

2016 / 2017 standen vor allem Style Transfer Netze als Open Source Software zur Verfügung. Die Programme steckten zwar noch in den frühen Anfängen, aber es war schon möglich, Bilder zu generieren oder Bilder zu manipulieren. Image-to-Image mit Strichzeichnungen oder Scribbles. Wir haben so eine frühe KI mit Romans Bildern trainiert und sie hat sie dann in irgendeiner Form manipuliert, verfremdet und damit haben wir experimentiert. Es war eine Art Kunst Projekt, das wir kontinuierlich, technisch und inhaltlich mit Roman zusammen weiterentwickelt haben – aktuell sind wir bei Generation 5.

Artificial Muse Roman Lipski
Bild: Roman Lispki

Eine Muse inspiriert den Künstler, wie ist das mit KI?

Unsere Maschinen-Muse generiert einen unendlichen Strom aus Bildern, die sie aus Romans Werk gelernt hat. Wie ein Kaleidoskop, das vielfältige neue Perspektiven auf sein Werk eröffnet. Roman sagte mal, die Muse sei wie ein Spiegel-Kabinett um ihn herum, das ihn und sein Werk tausendfach reflektiert. Ihn inspirieren die neuen Möglichkeitsräume und dazu muss man natürlich sagen, dass die KI-Ergebnisse damals sehr abstrakt waren im Gegensatz zu Romans bisherigem Werk.

Hat sich Romans Stil durch KI verändert?

Ja, er hat die KI-generierten Bilder natürlich nicht abgemalt, aber er hat neue Farben, neue Strukturen, neue Verläufe entdeckt. Einmal ist er spaßeshalber in einen Baumarkt gefahren, hat sich Spraydosen gekauft, weil ihn der Output an Sprayfarbe erinnert hat und er das ausprobieren wollte. Er hat also nicht nur mit KI, sondern auch mit anderen neuen Werkzeugen experimentiert und ist über die Jahre zu einem abstrakten Maler geworden – nicht, weil er sich gezwungen hätte, sondern weil er sich Schritt für Schritt mit Hilfe der Inspiration einer Muse unter anderem dahin entwickelt und sich ausprobiert hat.

Ist Roman also inzwischen Experte in Sachen Ko-Kreation mit KI?

Ja, wir reden über die Zukunft der Arbeit. Roman sagt aus Spaß sehr oft, dass er einer der ersten Menschen in der Zukunft der Arbeit war. Für ihn ist die KI ein Partner, einen Freund, eine Muse, und manchmal ein Gegner, mit dem er sich auseinandersetzt. Dabei hat er viel gelernt. Unter anderem zu akzeptieren, dass KI eine Inspiration sein kann, dass sie ihn nicht als Künstler ersetzt. Er hat auch dazu publiziert, was es bedeutet Künstler zu bleiben im Zeitalter von KI.

Und was bedeutet das? Gibt es da die eine Antwort?

Grundsätzlich kann nur der Mensch Künstler sein, weil mehr dahintersteckt, als Werkzeuge bedienen zu können. Hinter Kunst steckt eine Idee, vielleicht sogar einen eine Art Zwang, eine ursprüngliche Motivation. Da will sich jemand ausdrücken und dieser jemand ist ein Mensch und zumindest jetzt noch keine Maschine. Das heißt, die Maschine ist per Definition weiterhin Werkzeug.

…das man bedienen können muss?

Ja, KI kann laut Roman ein sehr gefährliches Werkzeug für Künstler sein. Nämlich wenn man nicht vorbereitet ist, wenn man in seiner eigenen Kunst noch nicht weit genug ist, weil man sich ablenken lässt. Man muss sich also schon viel mit sich selber auseinander gesetzt haben, weniger mit irgendwelchen Tools oder irgendwelchem neuen geilen ****** (KI hat das zensiert). Er sagt, es braucht einen sehr vorbereiteten Geist, um damit wirklich produktiv zu sein oder KI in irgendeiner Form nützlich einzusetzen.

Klaas Bollhöfer Kampnagel Keynote 2024

Wie müsste denn das Mindset sein?

Im Moment sind viele erstmal von der Geschwindigkeit und diesen neuen Möglichkeiten überfordert. Den meisten fehlt die Zeit sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ernsthaft zu lernen, ernsthaft Erfahrungswerte aufzubauen, weil es eben nicht über Nacht geht und nicht über drei Wochen. Auf der anderen Seite sind diese Tools so banal einfach zu bedienen, sie machen es einfach viel zu leicht, das muss man auch klar sagen. Das ist ein Konflikt, den wir als Mensch oder als Organisation ein Stück weit aushalten müssen. Auf der einen Seite müssen wir den Umgang mit KI aktiv gestalten, auf der anderen Seite müssen wir abwarten und der Entwicklung Zeit und Raum geben, um wirken zu können. Die Auseinandersetzung als Mensch mit diesen Möglichkeiten braucht ebenfalls Zeit.

Mit welchen Möglichkeiten von KI setzen sich Birds on Mars noch auseinander?

Wir haben zum Beispiel eine Audio-Software entwickelt, die nennt sich Krach.AI. Wir haben unter anderem mit der Electro Avantgarde Band Mouse on Mars zusammengearbeitet. Auf ihrem Album »AAI – Anarchic Artificial Intelligence« ist die KI in jedem Track zu hören.

In Hamburg arbeiten wir mit dem Inklusionsprojekt Barner 16 zusammen. Wir haben das Kaleidofon entwickelt, ein Interface, mit dem mehrfach- und schwerstbehinderte Menschen sehr harmonisch zusammen musizieren können.
Es erforscht die Möglichkeiten, wie sich Menschen ausdrücken können und wie man Laute in Harmonien und in einen Beat übersetzt, damit einfach alle Menschen zusammen Musik machen können.

Eine gute Anwendung für KI zu finden, ist trotzdem noch schwierig für viele

Ja, absolut. KI ist Software, eine Grundlagentechnologie, man kann überall und für alles mögliche Software nutzen, aber ob das sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Die grundlegenden Paradigmen haben sich mit KI nicht geändert. Ganz im Gegenteil, wir haben neue Paradigmen, wie jetzt Software funktioniert und entwickelt und gedacht wird, aber schlussendlich ist es eine Grundlagentechnik, die ich überall einsetzen kann und dafür fehlt es oft an Perspektiven.

Wo seht ihr denn Potential?

Beispielsweise im Kulturbereich und beim Thema Nachhaltigkeit und Klima. Hier kann KI auch inspirieren. Letztendlich ist es ein sehr komplexes Werkzeug, was die wenigsten auf Anhieb verstehen. Man braucht also zuerst Inspiration, die jeder versteht, schöne Beispiele, die nachvollziehbar sind. Man muss das Gute zeigen, das Optimistische, die Möglichkeitsräume und sagen: Leute, es liegt an uns, sie zu gestalten.

»KI ist gar nicht so disruptiv, wie viele befürchten oder sich erhoffen«

Die Frage bleibt, in welcher Form und für wen, das muss man rausfinden und aufpassen vor den überzogenen Erwartungen. Davon haben wir genug, entweder aus falschen Verständnis oder falschen Erwartungen oder einfach, weil man sich jetzt natürlich wieder erhofft, all die Dinge lösen zu können, die man bisher nicht lösen konnte. Es ist aber nicht gesagt, dass wir sie jetzt gelöst kriegen, so ist das immer mit Technologie. Ein paar Sachen kriegen wir gelöst, dafür kriegen wir ein paar neue Probleme, so ist der technische Fortschritt. KI ist gar nicht so disruptiv, wie viele befürchten oder sich erhoffen – die Zeit wird es zeigen.Klaas Bollhöfer und Roman Lipski Hamburg Kampnagel Keynote 2024

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