an Schwochow, Creative Director und Geschäftsführer der Infografik-Agentur Golden Section Graphics, spricht im Interview über gute und schlechte Infografiken, Anforderungen im Infografik-Markt und neue Trends.
Was – und vor allem wie – denkt ein Designer, der sich mit Haut und Haaren dem Thema Infografik verschrieben hat? Er denkt eigentlich nicht als Designer, sondern eher als Journalist und Geschichtenerzähler. Da ist zunächst ein Auftrag oder ein selbst gewähltes Thema, in das man sich hineindenken muss und der Wunsch, dieses rundum zu verstehen, um es dann anderen Menschen verständlich erklären zu können.
Stefan Knapp sprach mit an Schwochow, Creative Director und Geschäftsführer der Infografik-Agentur Golden Section Graphics in Berlin:
Herr Schwochow, was inspiriert Sie?
Alles, was schön und sinnbildend zugleich ist – eigentlich alles, was mich im täglichen Leben umgibt. Ich bin ein sehr visueller Mensch und gehe sehr aufmerksam durch die Stadt, kaufe viele Bücher und schaue mir Vieles an, wenn ich die Zeit dazu habe. Aber auch die Fragen der Zeit können spannend und inspirierend sein. Zum Beispiel: Wie funktioniert unser Gesundheitssystem oder wie sah die Berliner Mauer 1961 aus? Das sind Fragen, die noch nie jemand zufriedenstellend beantwortet hat, und das erst recht nicht in Grafiken. Ich fühle mich dann so wie ein Entdecker, der zum ersten Mal ein Gebiet erforscht, wo noch nie ein Mensch zuvor unterwegs war, im Dschungel der Daten und Informationen.
Was ist Ihr (gestalterischer) Anspruch bei der täglichen Arbeit?
Ich sehe mich vor allem nicht als Künstler, eher als ein Dienstleister, ein Gebrauchsgrafiker, wenn man das so nennen will. Ich muss zunächst die Informationen recherchieren und sie neu einordnen. Erst im nächsten Schritt kommt die Gestaltung zum Tragen. Mit Hilfe von grafischen Werkzeugen fokussiere und lenke ich den Blick des Betrachters, ich hebe Dinge hervor und lasse wieder andere weg oder betone diese weniger. Im Grunde unterwirft sich die Gestaltung stets der Information, das ist bei Infografiken sehr wichtig. Nur so kann ich den Leser mit auf eine Wissensreise nehmen und ihm einen Sachverhalt erklären.
Viele Grafiker benutzen Form und Farbe rein aus geschmacklichen Gründen, weil ihnen gerade danach ist. Das wäre für mich undenkbar – jeder Schritt sollte beim Design immer gut überlegt sein und ein guter Grafiker muss vor allem auch Dinge hinterfragen und wieder verwerfen können. Aber oft fehlt ihnen einfach die Zeit dazu.
Woher wissen Sie, was die Leser wollen, wie die Leser ticken?
Ich denke, dass interessierte Leser korrekt informiert aber zugleich gut unterhalten werden wollen. Das ist die große Herausforderung, der wir uns täglich stellen müssen. Bin ich zu sachlich, ist die Gefahr groß, dass der Leser sich langweilt. Bin ich zu unsachlich, zu bunt und zu naiv, besteht die Gefahr, dass der Leser mich nicht ernst nimmt und die Grafik nicht versteht.
Eine gute Infografik muss zunächst das Interesse des Betrachters erwecken und so gut informieren, dass der Leser am Ende schlauer ist und das Gefühl hat, etwas gelernt und verstanden zu haben.
Was nervt Sie an schlechten Infografiken am meisten?
Dass sie inhaltlich nicht stimmen. Ich behaupte mal, dass Infografiken – wie wir sie derzeit in den Medien sehen, zu zwei Drittel schlicht und einfach inhaltlich unkorrekt sind oder aber auch gestalterisch falsch. Bei Texten würde das den meisten Menschen sehr schnell auffallen, wenn sich der Schreiber etwas ausdenkt oder falsche Informationen verbreitet. Bei Grafiken fällt das keinem so richtig auf, denn oft werden Grafiken gemacht, ohne zu wissen, was wirklich passiert ist – etwa bei Flugzeugabstürzen oder wie zuletzt beim Tod von Bin Laden. Dort fliegen Hubschrauber in den Grafiken herum, die beim Einsatz überhaupt nicht dabei waren. Das sind kleine, aber in meinen Augen nicht unerhebliche Fehler. Mal ganz davon abgesehen, dass als Quelle eine Grafik benutzt wurde, die von der Regierung der USA herausgegeben wurde. Da würde ich grundsätzlich schon mal daran zweifeln oder vorsichtig sein.
Was ist die beste oder wichtigste Infografik, die Sie je gesehen haben? Und warum?
Das kann ich nicht wirklich beantworten. Vielleicht ist es das Ziffernblatt der klassischen Uhr, wie Juan Velasco von National Geographic es mal beschrieben hat? Der Mensch guckt darauf und weiß innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde, wie spät es ist – egal, welcher Kultur er angehört oder welche Sprache er spricht. Eine gute Infografik kann im besten Falle eben auch auf Text verzichten.
Was sind die wichtigsten Anforderungen an Anbieter im Infografik-Markt? Wie werden diese Bedürfnisse von Golden Section Graphics umgesetzt?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn ein Kunde bei uns anfragt, geht es fast immer darum, dass wir schnell liefern sollen und natürlich so günstig wie nur möglich. Da wir einen sehr hohen Qualitätsanspruch an uns selbst haben, können wir oft einfach nicht schnell und günstig liefern. Wir halten uns manchmal viel zu lange mit dem Erstellen der Grafiken auf. Den Aufwand bezahlt der Kunde uns am Ende natürlich nicht. So lief es eigentlich in den ersten drei Jahren bei Golden Section Graphics. Ein Vorteil für uns ist nun, dass wir langsam gewachsen sind und ein größeres Team haben. Somit kommen wir an größere Kunden und Jobs heran, die ein einzelner freier Grafiker sicher nicht bewältigen könnte.
Welche Eigenschaften sollte ein Designer haben, der Infografiken macht?
Leidenschaft, Geduld und viel Respekt vor dem Job muss er mitbringen. Er muss sehr vielseitig sein. Er muss Spaß daran haben, Dingen auf den Grund zu gehen. Er muss also neugierig sein, recherchieren können und eine Begeisterung für Daten und Tabellen mitbringen. Er sollte unbedingt zeichnen können und wenn er sich neben den gängigen Grafikprogrammen auch noch mit 3D-Programmen auskennt, umso besser. Flash, After Effects, Processing … die Liste ließe sich endlos fortführen.
Der Infografiker ist unter den gestalterischen Berufen mit großer Sicherheit der komplexeste, aber dafür auch der spannendste. Es wird uns nie langweilig und man lernt jede Woche etwas dazu. Vorausgesetzt, dass man diese Leidenschaft hat. Aber auch viel Geduld muss man mitbringen, weil es Jahre dauert, bis man eine gewisse Routine entwickelt. Bei mir hat das rund sechs Jahre gedauert, bis ich meinen persönlichen Durchbruch hatte und mit einem sicheren Gespür Grafiken fertigen konnte.
Worin besteht der Unterschied zwischen Theorie und Praxis der Infografik? Konkret: Was vermissen Sie als Unternehmer bei der Ausbildung von Designern im Bereich Infografik?
Die jungen Grafiker haben oft eine gute gestalterische Ausbildung genossen, gerade auf den staatlichen Hochschulen. Ich bin trotzdem der Meinung, dass die meisten Studenten für ihre Projekte viel zu viel Zeit zur Verfügung haben. In der Realität sieht es ganz anders aus. Da muss eine Grafik auch mal in zwei Tagen fertig sein und nicht in acht Wochen. Damit kommen viele Studienabgänger nicht klar. Grundsätzlich fehlt es meiner Meinung nach an der Praxis oder einfach am praxisnahen Arbeiten. Viele Studenten machen meiner Meinung nach »nur« Kunst. Die Arbeiten lassen sich sicher nicht in der Realität verkaufen. Da bewegen sie sich leider sehr oft in einer Traumwelt.
Bei der Infografik ist es so: Am besten jeden Tag eine Grafik erstellen – das schult und übt am meisten. Wenn man nur wenig Zeit hat, dann muss man sich auf das Wesentliche konzentrieren. Ein Praktikum oder ein erster Job bei einer Tageszeitung kann da sehr hilfreich sein – oder auch im Online-Bereich. Viele junge Menschen sind heutzutage aber auch nach meinem Empfinden politisch viel zu uninteressiert und ungebildet. Die Generation Google glaubt, dass man eine Frage schnell mit Google und Wikipedia beantworten könnte. Bei mir lernen sie sehr schnell, dass das leider nicht so einfach ist, wenn man sich und seinen Job ernst nimmt.
Welche Talente muss – entgegen allen visionären oder theoretischen Betrachtungen – ein erfolgreicher Unternehmer im Bereich Infografik mitbringen?
Als ich Golden Section Graphics gründete hatte ich bereits viele positive und negative Erfahrungen gesammelt. Ich würde einem Studenten nie raten, sich gleich nach dem Studium selbstständig zu machen. Ich zum Beispiel bin da so reingewachsen. Ich habe während und nach meinem Studium viel ausprobiert. Man sollte auch Spaß daran haben, im Team zu arbeiten, aber gleichzeitig auch daran, Menschen zu führen. Letztere Eigenschaft konnte ich mir beim Magazin »Stern« als Ressortleiter aneignen. Und dann ist da noch die Buchhaltung und die Steuer und viele andere Unwegsamkeiten, das wird oft unterschätzt. Auch der Umgang mit Kunden will gelernt sein. Man muss stets nett und diplomatisch sein – aber auch konsequent und direkt.
Die Kommunikation nach Außen ist oft sehr schwierig und erfordert viel Mut und Standhaftigkeit. Aber auch die Kommunikation nach Innen darf nicht gescheut werden. Ich muss meinen Mitarbeitern eine gewisse gestalterische und persönliche Freiheit lassen, aber ihnen auch ein gutes Vorbild sein und Ihnen einen klares Ziel vorgeben. Man muss sie stets kritisieren, fördern, fordern und motivieren.
Welche interkulturellen Unterschiede nehmen Sie im Hinblick auf die publizierten Infografiken in unterschiedlichen Ländern bzw. Kulturen wahr? Welche Unterschiede im gestalterischen Ansatz gibt es bei den Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt?
Ja, da gibt es tatsächlich große Unterschiede, ob ich als Infografiker in Südamerika, Europa oder in Asien arbeite. Aber das betrifft eigentlich jeden Designer. Ich könnte sicher nicht in China oder Japan arbeiten. Dafür wären meine Infografiken dort sicher viel zu unbunt und cool. In Südamerika gibt es eine tolle Tradition für große komplexe und farbenfrohe Grafiken, was sicher historisch bedingt ist. Dort darf man gerne opulenter sein. Die Menschen sind daran gewöhnt.
Welche Trends gibt es? Wie sollten sich die Medien im Hinblick auf Infografiken Ihrer Meinung nach weiter entwickeln?
Der Trend geht natürlich schon zu einem schnelleren Wissenskonsum. Die Vermittlung von Nachrichten ist enorm schnell geworden und da können Infografiken sehr hilfreich sein, um schnell komplexe Vorgänge zu vermitteln. Lange Texte – gerade im Internet – werden kaum gelesen und Bildstrecken sind zwar emotional und auch informativ, können aber eine Erklärgrafik nicht ersetzen.
Ein weiterer großer Trend sind die vielen Datenvisualisierungen, von denen aber sicher nur wenige wirklich einen Nutzen haben. Ich finde so manche Grafik auch sehr schön und würde mir diese sofort zuhause an die Wand hängen, aber dann ist es eher Daten-Kunst und sicher kein Journalismus.
Ihr Traum von einer Infografik? Wen wünschen Sie sich zu welchem Thema als Kunden?
Um ganz ehrlich zu sein: Ich wäre am liebsten mein eigener Kunde. Und da gäbe es sehr viele Themen, die sich ein Infografiker noch nie so richtig vorgenommen hat. Da wäre noch viel Pionierarbeit zu leisten. Ansonsten träume ich gestalterisch manchmal von ganz anderen Dingen. Zum Beispiel davon, ein Weinetikett gestalten zu dürfen oder einen Formel 1-Rennwagen. Ein großer Traum von mir ist es auch, eine Museums-Ausstellung zu planen und umzusetzen, mit allem was dazu gehört: Plakate, Orientierungssystem, Erklärgrafiken, Inneneinrichtung …
Und zum Schluss: Gibt es eine (fachliche) Frage, die man Ihnen unbedingt stellen sollte und die aber bisher noch niemand gestellt hat?
»Warum werden Sie nicht reich mit ihren aufwendigen und schönen Infografiken?«, das hat man mich so noch nie gefragt. Die Antwort wäre nämlich ganz einfach: Der Markt, gerade in Deutschland, ist preislich extrem verdorben. Es gibt auch viel zu viel Konkurrenz und Billiganbieter. Die Unternehmen und noch mehr die Medien honorieren möglichst wenig für möglichst viel Leistung. Manchmal haben wir tatsächlich am Ende denselben Stundensatz wie unser Putzmann und das bei unserer komplexen Ausbildung, dem Know-how, den teueren Computern, einem großen Server für große Datenmengen und noch viele andere Dinge, die mit dem Unternehmertum zusammenhängen. Da bleibt am Ende nicht viel übrig und wir kommen damit gerade so über die Runden. Ich bin auch selbst weit von dem Verdienst entfernt, den ich zuletzt beim »Stern« hatte.
Aber ich möchte deshalb nicht klagen, ich habe ein gutes Leben, bin vor allem unabhängig und kann eigentlich tun und lassen, was ich will. Das ist sicher der größte Luxus. Ein anderer Weg, den viele Kreative jetzt auch einschlagen, ist, sich selbst ein weiteres Standbein zu schaffen und eigene Produkte herzustellen und zu vertreiben. Neben unserer normalen Arbeit stellen wir Poster, Bücher und noch viele andere Dinge her, die wir dann selbst vertreiben. So sind wir nicht auf launische Kunden oder unkreative Agenturen angewiesen und haben auch noch richtig viel Spaß an der Arbeit. Und wer kann das schon von sich sagen?
an Schwochow ist Creative Director und Geschäftsführer der Infografik-Agentur Golden Section Graphics in Berlin und Herausgeber von »In Graphics«, einem neuen Infografik-Magazin für visuelle Menschen. Er und sein achtköpfiges Team arbeiten für die großen Zeitungen und Magazine in Deutschland wie »Die Zeit«, »Stern«, »GEO« und viele weitere internationale Medien. Sein infografisches Wissen gibt er an den Nachwuchs weiter, als Dozent und als Gastredner. Mit seinem Team räumt er seit einigen Jahren regelmäßig die wichtigsten Infografik-Awards ab – in diesem Jahr bereits bei der Society for News Design, bei Malofiej, beim European Newspaper Award und beim Art Directors Club Deutschland.
Jan Schwochow hat in Hamburg Kommunikationsdesign studiert. Er startete seine Karriere als freier Grafiker und machte sich schon neben seinem Studium selbständig. Beim Magazin »Stern« – dort bereits während seines Studiums jobbend – verbrachte er insgesamt rund 12 Jahre und war dort zuletzt Ressortleiter und Art Director der Infografik-Abteilung. 2004 entschloss er sich nach Berlin zu gehen, um die Agentur KircherBurkhardt und die Welt am Sonntag zu arbeiten. Aber dort hielt es ihn nicht lange und so kam es, dass er sich im Januar 2007 ein weiteres Mal selbständig machte und die Firma Golden Section Graphics gründete.
Das Interview mit Jan Schwochow führte Stefan Knapp, Regionaldirektor der Society for News Design (www.snd.org und www.snd-dach.org ).