Ganz schön eklig! Was macht Ekel in der Markenkommunikation?
Um das Eklige machen die meisten Brands einen großen Bogen – und genau das nutzen manch andere, um ihren Botschaften auf radikale Weise Gehör zu verschaffen.
Die Kampagne, eine Kooperation von INGO Stockholm, DAVID Miami und Publicis Bucharest, bezog sich darauf, dass die Hamburger des Konkurrenten McDonald’s nicht verrotten. Kurz zuvor hatte der US-Sender KUTV 2News über David Whipple aus Utah berichtet, der rund 20 Jahre zuvor einen McDonald’s-Burger gekauft und für 14 Jahre in einer Jackentasche vergessen hatte. Auch nach weiteren sechs Jahren, so zeigte KUTV 2News, hatten sich Brötchen und Patty nicht sonderlich verändert. Ein gefundenes Fressen für Burger King. Die Marke nutzte das Verschimmeln des eigenen Whoppers als Beweis für die Naturbelassenheit der Zutaten. So wird das vermeintlich Eklige zu einem klaren Produktvorteil umgedeutet – und diese Wandlung vollzieht sich auf der visuellen Ebene durch die Ästhetisierung des Verfalls, der als farbenfrohes Naturschauspiel inszeniert wird.

Kulturell geprägter Ekel
Dass die Menschen zunächst so heftig auf Bilder von Schimmel und Verwesung reagieren, wurzelt in instinktiven Verhaltensmustern. Die Natur hat uns den Ekel einprogrammiert, damit wir Vergammeltes und andere schädliche Substanzen nicht essen oder berühren. Er schützt uns vor Gefahren für die Gesundheit und sichert unser Überleben. Zugleich ist das, was wir eklig finden, aber auch stark geprägt von der Kultur, in der wir leben. Dies macht auch das Disgusting Food Museum deutlich, das Mitte 2021 in Berlin seine Tore öffnete. Es präsentiert laut eigenen Angaben »die ekelhaftesten Lebensmittel und Gerichte der Welt«, ob Frosch-Smoothies aus Peru, Madenkäse aus Sardinien oder vergorenen, faulig stinkenden Hering aus Schweden. Auch der mongolische Sheep Eyeball Juice hat es in sich: Im Tomatensaft schwimmt mit kaltem Blick ein rohes Schafsauge.

Die Ausstellung befriedigt allerdings nicht einfach die Lust am Ekel – wie etwa die Reality-Show »Dschungelcamp« –, sondern will unter anderem das Bewusstsein dafür wecken, dass Kulinarik häufig mit Tierleid verbunden ist. Neben Nahrungsmitteln aus anderen Ländern, die auf grausame Weise hergestellt werden, thematisiert sie umstrittene Produkte der westlichen Kultur wie die Gänsestopfleber. Und der Fokus auf die Massentierhaltung darf natürlich auch nicht fehlen. Präsentiert wird ein ganzes Regal mit Dosen im Discounter-Look, auf deren Etiketten Texte stehen wie: »Faule Sau – Billig-Importfleisch. Kann Spuren von Schweinepesterregern enthalten«. Das Museum macht außerdem deutlich, dass Ekel manchmal der Fortentwicklung unserer Ernährung im Weg steht. Deshalb kann man sich an der Tasting-Bar etwa an die Proteinquellen der Zukunft herantasten, beispielsweise an Buffalowürmer, die eigentlich keine Würmer sind, sondern die Larven des Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfers – für den Fall der Fälle ist die Eintrittskarte als funktionsfähige Kotztüte konzipiert.

Kommunikative Kraft des Ekels
Die Intensität solcher instinktbasierten und kulturell geprägten Gefühle macht das Thema Ekel auch für die Markenkommunikation interessant. Jonah Berger, Professor im Bereich Marketing an der Wharton School der University of Pennsylvania, führte eine Studie mit über 2000 Teilnehmer:innen durch, die per automatischer Gesichtserkennung analysierte, wie Personen auf verschiedene Anzeigen reagierten. Ziel war es herauszufinden, was dazu führt, dass man Werbung mit anderen teilt. Unter der Headline »Want Your Ad to Go Viral? Activate These Emotions« zog Jonah Berger im Februar 2021 in der »Harvard Business Review« Bilanz: Nicht nur angenehme Gefühle wie Freude sorgen dafür, dass Anzeigen geteilt werden, sondern auch bestimmte negative Emotionen, darunter Ekel. Wenn man diese richtig einsetze, seien sie ein wirksames Mittel, um User:innen für sich einzuspannen.
Da doppelt bekanntlich besser hält, erfreut sich die Kombination von lustig und eklig immer wieder großer Beliebtheit. So zeigte Oreo zum letzten Halloween ein paar matschig-schmierige Torten, die man auf gar keinen Fall probieren möchte – umso mehr sprangen sie ins Auge. Über seinen Unterhaltungswert hinaus ist der Ekel inzwischen aber auf neue Weise salonfähig geworden. Vor dem Hintergrund einer Alltagskultur, die stark auf überperfektionierte Schönheit ausgerichtet ist – was zu einer absurden Angleichung der visuellen Sprachen von Marken aus den unterschiedlichsten Branchen geführt hat –, bietet er die Möglichkeit, konträre Akzente zu setzen und dadurch Aufmerksamkeit für die eigenen Botschaften zu erzeugen.
Auch ohne das Eklige zu visualisieren, lässt es sich effektiv in die Kommunikation einbinden. Die finnische Mikrobrauerei Ant Brew in Lahti nutzte beispielsweise echte Gänseexkremente bei der Herstellung einer ihrer Biersorten. Der Hintergrund: Lahti war 2021 European Green Capital. Das Ziel der Stadt ist es, bis 2050 abfallfreie Circular Economy City zu sein – derzeit werden bereits 99 Prozent des Haushaltsmülls wiederverwendet. Um das Thema Kreislaufwirtschaft anschaulich zu vermitteln, tat sich die Stadt, unterstützt von TBWA\Helsinki, mit der Brauerei zusammen und brachte eine ganze Bierserie mit dem Namen »Wasted Potential« heraus, die unter anderem auf lokalem Food Waste basiert, aber obendrein eben auch auf Gänsekot, der zum Räuchern des Malzes verwendet wird. In Finnland sind die Vogelexkremente ein ständiges Diskussionsthema, da sie Stadtparks und andere Gebiete verunreinigen. Die Herstellung des Bieres hatte den positiven Nebeneffekt, dass der Gänsekot hierfür aufgesammelt wurde. Durch das »Wasted Potential«-Konzept, das auf kluge Weise mit dem Thema Ekel spielt, konnte Lahti ihren Status als European Green Capital wirkungsvoll inszenieren und das Thema Kreislaufwirtschaft zum Stammtischgespräch machen.
Ekel kann das Betrachtete physisch erlebbar machen und dadurch seine Wirkung intensivieren.

Außerdem dient die Aktivierung von Ekel oftmals dazu, die jeweilige Zielgruppe wachzurütteln. Plakatives Beispiel: Die #StopSucking-Kampagne, die die kanadische Agentur Rethink für Greenpeace entwickelte. Aus dem Maul eines Fischs, der zwischen Eiswürfeln in einem Trinkglas festklemmt, ragt ein Plastikstrohhalm senkrecht heraus. Betrachter:innen, die beim nächsten Cocktail mit dem Trinkhalm in den Eiswürfeln rühren, dürften das ungute Gefühl haben, im Rachen eines Fisches herumzustochern – was auch am oberen Ende des Halms den Würgereiz in spürbare Nähe rückt. Das Beispiel zeigt: Ekel kann das Betrachtete physisch erlebbar machen und dadurch seine Wirkung intensivieren.

Neben Marken, die das Widerliche gezielt nutzen, um ihre Botschaften effektiv zu platzieren, gibt es natürlich auch Branchen, die gegen den Ekel ankämpfen müssen – etwa bei der Vermarktung von insektenbasierten Nahrungsmitteln. Wie dies gelingt, zeigen wir im folgenden Text. Oder haben Sie jetzt doch schon genug?
Wahrer Gaumenkitzel: Beispiele für wirkungsvolle Markenkommunikation
Grille, Mehlwurm und Co verdienen den Namen Superfood – nur wie bringt man Skeptiker:innen dazu, sie zu essen?
Beim Thema Insekten scheiden sich die Geister. Während sie in Asien als wertvolle, schmackhafte Proteinquelle genutzt werden, tastet sich der Westen nur langsam an sie heran. Dabei liegen die Vorteile für Gesundheit und Umwelt auf der Hand. Neben Protein enthalten Insekten laut der Food and Agriculture Organization of the United Nations alle für den Menschen essenziellen Aminosäuren – aber auch Vitamine, Mineralien, ungesättigte Fettsäuren und Ballaststoffe. Im Vergleich zur Fleischherstellung ist die Insektenzucht artgerechter, klimafreundlicher und ressourcenschonender. Die Anzahl insektenbasierter Nahrungsmittel nimmt zwar nun auch in Europa stetig zu, aber ihre Vermarktung bleibt eine echte Herausforderung.



Genuss im Vordergrund
Das österreichische Unternehmen ZIRP Insects setzte bei seinem Markteintritt darauf, die Insekten im Packaging Design sichtbar zu machen. »Da ihre fotografische Darstellung nicht unbedingt Sympathien weckt, haben wir uns entschieden, sie durch Illustrationen zu verniedlichen, sodass sie ihren Schrecken verlieren und eher als süße kleine Tierchen wahrgenommen werden«, erläutert Simon Hagleitner, der bei ZIRP für Design und Marketing zuständig ist.
Um eine breitere Zielgruppe zu erreichen, bietet ZIRP inzwischen auch Produkte mit vermahlenen Insekten an. Bei den Verpackungen für die Fertigmischungen verzichtete man bewusst auf Insektenillustrationen und verwendete stattdessen abstrakte Formen, die visualisieren, was man mit den Fertigmischungen herstellen kann, zum Beispiel Falafel, Risotto oder Brownies. »Hier platzieren wir die Information, dass Insektenprotein enthalten ist, eher beiläufig. Dies erleichtert Menschen, die das Probieren von ganzen Insekten Überwindung kostet, den Zugang«, so Hagleitner.
ZIRP entwickelte auch einen Eat-for-Future-Patty auf Basis von gemahlenen Insekten, Pilzen und Erbsenprotein. »Zielgruppe ist die junge Generation, die in Sachen Ernährung die größte Flexibilität hat und bereit ist, aus Umweltgründen auch radikalere Schritte zu gehen.« In Zusammenarbeit mit Raphael Just entstanden Kampagnenfotos, die Lust machen, gemeinsam mit Freund:innen neue Geschmackswelten zu erkunden und so den Ekel mühelos zu überwinden. »Wir wollten das Produkt nicht primär als Öko-Burger vermarkten – auch wenn es ökologisch korrekt ist –, weil dies oft mit Verzicht in Verbindung gebracht wird. Stattdessen stellen wir hier Genuss und Spaß in den Vordergrund«, so Hagleitner.

Überwindung der Ekelbarriere
Auch die norddeutsche Firma Snack-Insects fährt zweigleisig und bietet Produkte mit ganzen Insekten und mit gemahlenen an. Das Logo macht jedoch bei allen Varianten sofort klar, was wirklich drin ist. Snack-Insects-Gründer Folke Dammann, der ursprünglich Kommunikationsdesign studiert hat, kämpft seit 2013 an der – wie er es nennt – »eigentlich unbegründeten Ekelbarriere der Konsumenten« und versucht, diese weiter abzubauen.
»Wer Garnelen und Hummer isst, für den sollte der Verzehr einer Heuschrecke kein Problem sein«
Folke Dammann, Gründer von Snack-Insects
Wer Garnelen und Hummer isst, für den sollte aus Dammanns Sicht der Verzehr einer Heuschrecke kein Problem sein. Insekten seien in Europa durch die kulturelle Entwicklung zwar vom Speiseplan verschwunden, dennoch könnten sich Ernährungsgewohnheiten in einer globalisierten Welt auch schnell wieder ändern. »Der erste Kontakt hat für viele noch immer etwas mit Mutprobe zu tun. Und hier setzten wir mit Artikeln wie der Dschungelade oder dem Wurmwasser an«, erklärt er. »Dabei handelt es sich ja eher um Gag-Produkte. Dennoch helfen sie, die Scheu abzubauen, um dann festzustellen, dass ein Schokotaler mit gerösteten Mehlwürmern tatsächlich sehr gut schmeckt.«

Übrigens: Laut BugsOnTheMenu.com nimmt jeder US-Amerikaner pro Jahr unwissentlich ein Kilo Insekten zu sich. In 50 Gramm Kakaobohnen stecken zum Beispiel mindestens 75 Insektenfragmente – das dürfte hierzulande kaum anders sein. Ihr erstes Mal haben Sie demnach sicher schon längst hinter sich. Also kein Grund mehr zum Ekeln!

Jutta Nachtwey, freiberufliche Autorin, schrieb den Text in einem Ferienhaus, aus dessen Küchenschrank täglich neue Mehlmotten flatterten. Eine Raupe reiste in einem Honigglas mit nach Hause …




