
Die spannendsten Hotel-Brandings
Vom digitalen Check-in bis zur Seife – Hotelbrandings verbinden Tradition, Atmosphäre und Haptik zu einzigartigen Customer Experiences
Brand on a Budget: Neringa Hotel in Vilnius

In den 1960ern eröffnete das Neringa Restaurant in Vilnius, das schnell zum Treffpunkt der litauischen Kunst- und Kulturszene wurde. Das nebenstehende Hotel gelangte jedoch erst 2021 in den Besitz der Restaurantleitung, die wiederum Critical+Xwhy aus Vilnius engagierte, um beide Locations in einem gemeinsamen Erscheinungsbild zusammenzuführen. Dabei arbeiteten die Kreativen mit einem streng begrenzten Budget.
Als visuellen Ausgangspunkt für das Rebranding wählte Critical+Xwhy den Sechziger-Jahre-Stil der Kunstwerke, die sich über die Jahrzehnte im Restaurant angesammelt hatten. Im zugehörigen Archiv fanden die Kreativen zudem einen kleinen Schatz: Originalskizzen des litauischen Designers Feliksas Daukantas, der in den sechziger Jahren erste Logoentwürfe für das Neringa gezeichnet hatte. Sie inspirierten die Agentur zu dem verspielten Signet, in dem das Neringa-Initial sich in ein Schiff auf dem Meer verwandelt. Das maritime Look-and-feel des Designs spielt außerdem auf das namensgebende Neringa-Märchen an, nach dem vor der litauischen Küste einmal Fabelwesen gehaust haben sollen.

Um den Budgetrahmen nicht zu sprengen, verzichtete Critical+Xwhy auf die Hilfe von Freelancer:innen und gestaltete die Identity komplett selbst. Die Geschichte des Restaurants und Elemente aus dem Märchen brachte Paulius Budrikis, Head of Design bei Critical+Xwhy, in fließenden, an die 1960er Jahre erinnernden Illustrationen zusammen. Passend dazu entwickelte Kreativdirektor Mykolas Saulytis die elegant verschlungene Neringa-Wortmarke aus den Schriftzügen, die über die Jahrzehnte das Restaurant geziert hatten. Selbst die Prototypen für das Leitsystem und für die Beschilderung der beiden Gebäude bauten die Kreativen in Eigenarbeit, um kostspielige Schleifen in der Produktion zu vermeiden und trotz der begrenzten Mittel eine Identity zu schaffen, die den Charme des Restaurants auf das frisch renovierte Hotel übertrug.
Bild: KERNIUS PAULIUKONIS PACKSHOT.LT
Bild: KERNIUS PAULIUKONIS PACKSHOT.LT
Handgemachte Märchen: Orroland, Kirkcudbright, Schottland

Orroland liegt auf einem früheren Klostergelände an der schottischen Westküste. In der Landschaft weisen kleine Skulpturen aus den Kunsthandwerkstätten der nahe gelegenen Stadt Kirkcudbright den Weg zu den drei Lodges am Meer, in denen Gäste in rustikalem Luxus logieren und arbeiten können. Bis 2021 war Orroland online nur schwer zu finden – erst als das familiengeführte Anwesen in den Besitz der nächsten Inhabergeneration wechselte, beauftragte diese die Glasgower Designagentur Shine ( www.theshineagency.com ) mit einem modernen Rebranding und Webauftritt.
Zum Auftakt besuchte Kieran Reilly, Head of Design bei Shine, selbst die drei Lodges und erarbeitete gemeinsam mit dem Besitzerpaar in einem Workshop den Kern der Orroland-Identity. Dazu gehört vor allem der Bezug zur umgebenden Natur und lokalen Kultur sowie eine Mischung aus dem Märchencharakter des Ortes und modernem Luxus. »Bei der Entwicklung von Brands, die auf einem bestimmten Ort basieren, sollte man sich immer selbst ein Bild von der Umgebung und der Experience machen«, so Reilly. »Meist entdeckt man dabei bereits Details, die die Identity inspirieren können.«
Die Brandfarben von Orroland sind denn auch aus der Natur abgeleitet, und ein alter Holzwegweiser lieferte die Inspiration für die Hausschrift Recoleta, die in Print und Web mit großzügigem Weißraum für ruhige Eleganz sorgt. Um den Märchencharakter des Geländes ins Design zu bringen, skizzierte Reilly zwölf Szenen, die Ausschnitte aus der Natur und Architektur des Anwesens zeigen. Diese entwickelte die ortsansässige Künstlerin Liz Myhil (www.lizmyhill.com) weiter zu mehrfarbigen Linolschnitten, die jetzt die Orroland-Identity bestimmen und Urlauber in die schottische Natur locken.
Material First: Sommerro, Oslo

Fast vier Jahre lang arbeitete das Osloer Designstudio Bielke&Yang an dem Branding für Sommerro House. Der repräsentative Sitz der städtischen Elektrizitätswerke ging 2018 in den Besitz der Hospitality-Plattform Nordic Hotels & Resorts über und sollte zu einem Hotel mit mehreren Bars, Cafés und Begegnungsorten für Gäste und Anwohner:innen des Viertels ausgebaut werden. Für Bielke&Yang bedeutete dies den Aufbruch in das bislang umfangreichste Projekt des Studios – und das ohne ein konkretes Briefing, denn das Konzept für das Hotel entstand parallel zur Gestaltung.
Die Kreativen wählten deshalb für die Dachmarke Sommerro ein Baukastensystem aus Elementen, die sich in dem zwischen 1917 und 1930 errichteten Gebäude fanden. So sollten Mitarbeiter:innen und Produktionspartner:innen zukünftig mithilfe eines Brandportals selbst Produkte und etwaige Submarken realisieren können. Zum Auftakt gestaltete Bielke&Yang neben der Dachmarke vier Untermarken für Bars und ein Café. Die geradlinigen Formen des Designs leiten sich aus der neoklassizistischen Backsteinarchitektur des Baus ab, elegante Patterns, glänzende Heißfolienprägungen und Ornamente erinnern an die Einrichtung im Stil des Art déco. Ein Mosaik des norwegischen Künstlers Per Krohg im öffentlichen Schwimmbad des Hotels inspirierte sogar das filigrane Signet des Hauses – dieses zeigt zwei einander zugewandte Frauenköpfe, die die nachbarschaftliche Beziehung zwischen Hotelgästen und Anwohner:innen symbolisieren sollen. Darüber hinaus entwarfen die Kreativen von Bielke&Yang eine eigene Schriftfamilie mit vier Schnitten, die Elemente unterschiedlicher Art-déco-Strömungen aus ganz Europa aufgreifen und sich immer neu kombinieren lassen. www.sommerrohouse.com
Like a Local: The Moore, New York

Wo fängt man an, wenn sich die neuen Hotelinhaber:innen von der alten Geschichte des Hauses verabschieden wollen und dabei der Kreation völlig freie Hand lassen? Mit dem Storytelling, sagten sich die Kreativen der Agentur LA Conceptualist ( www.laconceptualist.com ) und entwickelten für das Moore Hotel in Chelsea, Manhattan, weitaus mehr als ein Corporate Design. Um eine neue Geschichte für das Moore zu schaffen, nahm Madeleine Emery, Strategin bei LA Conceptualist, das umliegende Viertel unter die Lupe. Mit seinen malerisch begrünten Altbauten, kleinen Shops, Cafés und einem regen Nachtleben verkörpert Chelsea das Flair New Yorks – und damit ein Lebensgefühl, das die Kreativen in kurzen Claims und Statements festhielten. Artdirektorin Sylvia Emery verstärkte die Wirkung anschließend im Design. »Wir mussten drei Dinge vereinen: luxuriösen Komfort, ein Gefühl von Tradition – wo eigentlich keine ist – und die romantisierte, sexy Assoziation, die eine Nacht im Hotel haben kann.«
Die Atmosphäre des Viertels mit seinen Grünflächen und Vorgärten visualisierte LA Conceptualist in einem floralen Stock-Gemälde, das die Kreativen um kleine illustrierte Details ergänzten und durch subtile Animationen zum Leben erweckten. Es fügt sich im Branding in ein Raster aus feinen geometrischen Linien ein, die aus der Architektur des Hotels abgeleitet sind. Hinzu kommt eine ungewöhnliche Bildsprache: Stilisiert verwackelte und mittels Blitz überbelichtete Fotos wirken wie Handyaufnahmen einer glamourösen Partynacht. So machte LA Conceptualist aus einer »heruntergekommenen Immobilie in Chelsea« das Tor zu New York. www.themoorenyc.com
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Dieser Artikel ist in PAGE 03.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.