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Die spannendsten Hotel-Brandings

Vom digitalen Check-in bis zur Seife – Hotelbrandings verbinden Tradition, Atmosphäre und Haptik zu einzigartigen Customer Experiences

Hotelbranding: Ein stark behaartes Bein schaut hinter einer Hoteltür hervor, an deren Klinke ein gelbes Schild hängt auf der "No, Thanks" geschrieben ist
Mit einem Augenzwinkern inszenierte Fotografin Giada Paoloni das von Mucca gestaltete Corporate Design des Hermitage Hotels für Websiteund Social Media

Endlich steht uns wieder die Welt offen! Allerdings ist nicht alles wie zuvor. Viele Hotels haben die »Zwangs­pause« wegen der Pandemie für Reno­vie­run­gen und eine strategische Neuausrichtung ge­nutzt oder ergänzen Angebote für Remote Work und Workation. Eine großartige Gelegenheit für Krea­­ti­ve, sie beim Rebranding oder beim gesamten Prozess der Markenentwicklung zu unterstützen. Während einige Hotels dabei ihre Tradition in den Vordergrund stellen, wollen andere sich bewusst von vo­rangegangenen Betreiber:innen distanzieren und setzen auf spannende Architektur, die umgebende Landschaft oder Kulturszene.

Diese Konzepte müssen Designer:innen nicht nur in der Visual Identity transportieren, sondern auch in der Customer Journey von der Buchung über die Website bis zum Drink in der Hotelbar vermitteln. »Es geht darum, mit dem Branding eine allgegenwärtige Präsenz aufzubauen. Ein Gefühl, von der Marke umgeben zu sein und an jedem Berührungspunkt ihre Persönlichkeit zu spüren«, erklärt Matteo Bologna, Gründer der Designagentur Mucca und ehemaliger Präsident des TDC New York. Zugleich gilt es, das Design so flexibel wie möglich zu halten, sodass es in Print- und Digitalmedien ebenso funktioniert wie in der Raumgestaltung oder für gebrandete Produk­te und Textilien. Denn gerade dieses Spiel mit Ma­terialien, Haptik und luxuriöser Produktion macht Hotelbrandings zu derart reizvollen Projekten für de­tailverliebte Kreative.

Geschichte schreiben: Hermitage Hotel in Nashville

Hotelbranding: Eine Person sitzt auf einem Teppich, lehnt an einem Bett und blättert in einer Vogue. Um sie herum stehen viele gelbe Tüten mit dem Hermitage-Branding

Die vielfach ausgezeichnete New Yorker Design­agentur Mucca machte für das Hermitage Hotel in Nashville ein Jahrhundert Hotelgeschichte in einer modernen, luxuriösen Identity erlebbar. Dabei ließen sich die Kreativen von einem politischen Ereignis inspirieren, bei dem der State of Tennessee – und auch das Hotel – eine zentrale Rolle spielten. 1920 sollte der US-Bundesstaat nämlich als Letzter über den Verfassungszusatz entscheiden, der Frauen endlich das Wahlrecht zugestand. Sowohl Abgesandte, die darüber abstimmten, als auch Ak­teur:innen der US-amerikanischen Suffragetten-Bewegung logierten damals im Hermitage. Dabei trugen die Befürworter:innen bei öffentlichen Debatten immer eine gelbe Rose am Revers – sie wurde zum Symbol der Frauenbewegung und inspirierte Mucca zu der leuchtenden Brandfarbe, die heute das Hermitage auszeichnet.

Hotelbranding: Person mit knallgelben Hermitage-Regenschirm

Um diesen mutigen Schritt zu gehen, mussten die Kreativen von Mucca allerdings nicht wenig Überzeugungsarbeit leisten. Der Kunde befürchtete zunächst, die kräftige Brandfarbe könnte treue Gäste abschrecken. Muc­ca argumentierte jedoch, dass das Rebranding nicht nur diese Klientel ansprechen müs­se, sondern auch neue Generationen. Für eine solche Balance zwischen Tradition und Innovation sei entscheidend, so Matteo Bologna, neben der star­ken Farbe nur wenige, sorgfältig ausgewählte Brand­ele­men­te einzusetzen.

Hotelbranding: Schrift für das Hermitage Hotel auf gelbem Hintergrund

Aus diesem Grund wird das Logo des Hermitage – eine elegante Kombination aus Wortmarke und Mo­nogramm – nur sparsam und gezielt in der Kommunikation des Hotels verwendet. »Die wahre Identität des Hermitage steckt in der Typografie«, erklärt Matteo Bologna. Mucca gestaltete gemeinsam mit der zugehö­rigen Foundry muccaTypo eigens einen Font für das Hotel: die Suffragette. Mit ihren elegan­ten Serifen und schlanken Formen erinnert die Schrift an die Geschich­te des Hotels und fügt sich perfekt in dessen Jugend­stilarchitektur ein.

Brand on a Budget: Neringa Hotel in Vilnius

Hotelbranding: Skizze für das Signet des Neringa Hotels
Das Signet des Neringa Hotels in Vilnius ist eine Neuinterpretation der ersten Skizzen der litauischen Designikone Feliksas Daukantas aus den 1960er Jahren

In den 1960ern eröffnete das Neringa Restaurant in Vilnius, das schnell zum Treffpunkt der litaui­schen Kunst- und Kulturszene wurde. Das nebenstehende Hotel gelangte jedoch erst 2021 in den Besitz der Res­taurantleitung, die wiederum Critical+Xwhy aus Vilnius engagierte, um beide Locations in einem gemeinsamen Erscheinungsbild zusammenzuführen. Dabei arbeite­ten die Krea­tiven mit einem streng begrenzten Budget.

Hotelbranding: Schwarz-Weiß Fotografie einer Hotellobby im Stil der 60er Jahre

Als visuellen Ausgangspunkt für das Rebranding wählte Critical+Xwhy den Sechziger-Jahre-Stil der Kunstwerke, die sich über die Jahrzehnte im Res­tau­rant angesammelt hatten. Im zugehörigen Archiv fanden die Kreativen zudem einen kleinen Schatz: Originalskizzen des litaui­schen Designers Feliksas Daukantas, der in den sechzi­ger Jahren erste Logo­entwürfe für das Neringa gezeichnet hatte. Sie inspirierten die Agentur zu dem verspielten Sig­net, in dem das Neringa-Initial sich in ein Schiff auf dem Meer verwandelt. Das maritime Look-and-feel des Designs spielt außerdem auf das namensgebende Neringa-Märchen an, nach dem vor der litauischen Küste einmal Fabelwesen gehaust haben sollen.

Hotelbranding: Neringa VisitenkarteBild: KERNIUS PAULIUKONIS PACKSHOT.LT

Um den Budgetrahmen nicht zu sprengen, verzichtete Critical+Xwhy auf die Hilfe von Freelan­ce­r:in­nen und gestaltete die Identity komplett selbst. Die Geschichte des Restaurants und Elemente aus dem Märchen brachte Paulius Budrikis, Head of Design bei Critical+Xwhy, in fließenden, an die 1960er Jahre erinnernden Illustrationen zusammen. Passend dazu entwickel­te Kreativdirektor Mykolas Saulytis die elegant verschlungene Neringa-Wortmarke aus den Schriftzügen, die über die Jahrzehnte das Res­taurant geziert hatten. Selbst die Prototypen für das Leitsystem und für die Beschilderung der beiden Gebäude bauten die Kreativen in Eigenarbeit, um kostspielige Schleifen in der Produktion zu vermeiden und trotz der begrenzten Mittel eine Identity zu schaffen, die den Charme des Restaurants auf das frisch re­novierte Hotel übertrug.

Hotelbranding: Neringa Karte mit IllustrationBild: KERNIUS PAULIUKONIS PACKSHOT.LT Hotelbranding: Broschüre des Neringa-HotelBild: KERNIUS PAULIUKONIS PACKSHOT.LT

Handgemachte Märchen: Orroland, Kirkcudbright, Schottland

Hotelbranding: Making-Of der Illustration für das Orroland von Bis Myhill
Im Branding für Orroland mit seinen drei Lodges visualisieren hand­gedruckte Linolschnitte der Künstlerin Liz Myhill den Zauber der rauen Natur

Orroland liegt auf einem früheren Klostergelände an der schottischen Westküste. In der Landschaft weisen kleine Skulpturen aus den Kunsthandwerkstätten der nahe gelegenen Stadt Kirkcudbright den Weg zu den drei Lodges am Meer, in denen Gäste in rustikalem Luxus logieren und arbeiten können. Bis 2021 war Orroland online nur schwer zu finden – erst als das familiengeführte Anwesen in den Besitz der nächsten Inhabergeneration wechselte, beauftragte diese die Glasgower Designagentur Shine (  www.theshineagency.com  ) mit einem modernen Rebran­ding und Webauftritt.

Hotelbranding: Social Media Auftritt des Orroland Hotels

Zum Auftakt besuchte Kieran Reilly, Head of Design bei Shine, selbst die drei Lodges und erarbeitete gemeinsam mit dem Besitzerpaar in einem Workshop den Kern der Orroland-Identity. Dazu gehört vor allem der Bezug zur umgebenden Natur und lokalen Kultur sowie eine Mischung aus dem Märchen­charakter des Ortes und modernem Luxus. »Bei der Entwicklung von Brands, die auf einem bestimmten Ort basieren, sollte man sich immer selbst ein Bild von der Umgebung und der Experience machen«, so Reilly. »Meist entdeckt man dabei bereits Details, die die Identity inspirieren können.«

Hotelbranding: Postkarte des Orroland mit Illustration

Die Brandfarben von Orroland sind denn auch aus der Natur abgeleitet, und ein alter Holzwegweiser lieferte die Inspiration für die Hausschrift Re­co­leta, die in Print und Web mit großzügigem Weißraum für ruhige Eleganz sorgt. Um den Märchencharakter des Geländes ins Design zu bringen, skizzier­te Reil­ly zwölf Szenen, die Ausschnitte aus der Natur und Architektur des Anwesens zeigen. Diese entwickelte die ortsansässige Künstlerin Liz Myhil (www.lizmyhill.com) weiter zu mehrfarbigen Linolschnitten, die jetzt die Orroland-Identity bestimmen und Urlauber in die schottische Natur locken.

Hotelbranding: Mobile Webansicht des Orroland Hotelbranding: Orroland Geschäftspapier

Material First: Sommerro, Oslo

Hotelbranding: Kleiderschrank mit Illustrationen von Benedikt Kaltenborn
Im Branding des Sommerro in Oslo experimentierten die Kreativen von Bielke&Yang mit Textilien, Papiersorten und Veredelungen. So zieren die in Kollaboration mit dem Künstler Benedik Kaltenborn entstandenen Illustrationen nicht nur Postkarten, sondern auch Schranktüren, Wandbehänge und Textilien (Architekturfotografie: Francisco Nogueira)

Fast vier Jahre lang arbeitete das Osloer Designstudio Bielke&Yang an dem Branding für Sommerro House. Der repräsentative Sitz der städtischen Elektrizitätswerke ging 2018 in den Besitz der Hospitality-Plattform Nordic Hotels & Resorts über und sollte zu einem Hotel mit meh­re­ren Bars, Cafés und Begegnungsorten für Gäste und Anwohner:innen des Viertels ausgebaut werden. Für Bielke&Yang bedeutete dies den Aufbruch in das bis­lang umfangreichste Projekt des Studios – und das oh­ne ein konkretes Briefing, denn das Konzept für das Hotel entstand parallel zur Gestaltung.

Hotelbranding: Logo des Sommerro Hotelbranding: Broschüre des Sommerro

Die Kreativen wählten deshalb für die Dachmarke Sommerro ein Baukastensystem aus Elementen, die sich in dem zwischen 1917 und 1930 errichteten Gebäude fanden. So sollten Mitarbeiter:innen und Pro­duk­tionspartner:innen zukünftig mithilfe eines Brand­portals selbst Produkte und etwaige Submarken realisieren können. Zum Auftakt gestaltete Bielke&Yang neben der Dachmarke vier Untermarken für Bars und ein Café. Die geradlinigen Formen des Designs leiten sich aus der neoklassizistischen Backsteinarchitektur des Baus ab, elegante Patterns, glänzende Heißfolienprägungen und Ornamente erinnern an die Einrichtung im Stil des Art déco. Ein Mosaik des norwegischen Künstlers Per Krohg im öffentlichen Schwimm­bad des Hotels inspirierte sogar das filigrane Signet des Hauses – dieses zeigt zwei einander zugewandte Frauenköpfe, die die nachbarschaftliche Beziehung zwischen Hotelgästen und Anwohner:innen sym­bo­lisieren sollen. Darüber hinaus entwarfen die Kreativen von Bielke&Yang eine eigene Schriftfamilie mit vier Schnitten, die Elemente unterschiedlicher Art-déco-Strömungen aus ganz Europa aufgreifen und sich immer neu kombinieren lassen. www.sommerrohouse.com

Hotelbranding: Lichtschild mit Illustration im Sommerro Hotelbranding: Einrichtung des Sommerro Hotelbranding: Coffeetable-Book im Sommerro

Like a Local: The Moore, New York

Hotelbranding: Florale Illustrationen für das The Moore
Mit wenigen illustrativen Ergänzungen und subtiler Animation erwacht das florale Stock-Gemälde im Branding für das New Yorker Moore Hotel zum Leben

Wo fängt man an, wenn sich die neuen Hotelin­ha­ber:innen von der alten Geschichte des Hauses verabschieden wollen und dabei der Kreation völlig freie Hand lassen? Mit dem Storytelling, sagten sich die Kreativen der Agen­tur LA Conceptualist (  www.laconceptualist.com  ) und entwickelten für das Moore Hotel in Chelsea, Manhattan, weitaus mehr als ein Corporate De­sign. Um eine neue Geschichte für das Moore zu schaffen, nahm Madeleine Emery, Stra­te­gin bei LA Conceptualist, das umliegende Viertel un­ter die Lupe. Mit seinen malerisch begrünten Alt­bau­ten, kleinen Shops, Cafés und einem regen Nacht­­le­ben verkörpert Chelsea das Flair New Yorks – und damit ein Lebensgefühl, das die Kreativen in kur­zen Claims und Statements festhielten. Artdirektorin Syl­via Emery verstärkte die Wirkung anschließend im Design. »Wir mussten drei Dinge vereinen: lu­xu­riö­sen Komfort, ein Gefühl von Tradition – wo eigentlich keine ist – und die romantisierte, sexy Assoziation, die eine Nacht im Hotel haben kann.«

Hotelbranding: Collage aus verschiedenen Fotos und visuellen Elementen für The Moore Hotelbranding: Internetseite des The Moore

Die Atmosphäre des Viertels mit seinen Grünflächen und Vorgärten visualisierte LA Conceptualist in einem floralen Stock-Gemälde, das die Kreativen um kleine illustrierte Details ergänzten und durch subtile Animationen zum Leben erweckten. Es fügt sich im Branding in ein Raster aus feinen geometrischen Linien ein, die aus der Architektur des Hotels abgeleitet sind. Hinzu kommt eine ungewöhnliche Bildsprache: Stilisiert verwackelte und mittels Blitz über­belichtete Fotos wirken wie Handyaufnahmen einer glamourösen Partynacht. So machte LA Conceptualist aus einer »heruntergekommenen Immobilie in Chelsea« das Tor zu New York. www.themoorenyc.com

Hotelbranding: Zimmerkarte mit Umschlag vom The Moore

Mehr zum Thema Branchen-Brandings

Ob Architekturbüros, Blumengeschäfte oder Bäckereien – Inspiration finden Sie unter  www.page-online.de/branchen_brandings

Dieser Artikel ist in PAGE 03.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

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