Kunst und Kultur präsentieren sich immer digitaler – mit spannenden Folgen fürs Webdesign. Wir zeigen die visuell spannendsten und innovativsten Webprojekte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Jobs für die Kunst- und Kulturszene sind für viele Kreative ein Traum. Man denkt an viel gestalterische Freiheit, hohes Niveau und die Chance, sich mit schicken Erscheinungsbildern, Plakaten und Printmaterial aller Art mal so richtig auszuleben. Tatsächlich aber rücken Websites immer mehr ins Zentrum. Kein neuer Trend, aber Corona hat ihn massiv beschleunigt.
Gut die Hälfte der Aufträge des Düsseldorfer Studios Morphoria kommen aus Kunst und Kultur. »Oh, oh, was passiert jetzt?«, habe man sich zu Beginn der Pandemie gefragt, erzählt Andreas Ruhe. Es war weniger schlimm als befürchtet. »Kulturgelder werden am Jahresanfang verteilt, die Budgets waren erst mal da. Ausstellungsplakate wurden eingestampft, aber dann kamen viele Anfragen für digitale Projekte.« Den Einstieg in die Kunstwelt fand Morphoria vor Jahren mit einzelnen Künstlerkatalogen, inzwischen gestaltete das Büro etwa die Website für das Kunsthaus in Aachen oder arbeitet gerade daran, die Grosse Kunstausstellung NRW ins Internet zu transportieren.
Der Laden brummt vor allem bei Studios, die ohnehin digital ausgerichtet sind. Wie Liebermann Kiepe Reddemann aus Hamburg, bekannt für kreatives Coding mit durchaus eigenem künstlerischem Anspruch. Die plötzlich so gefragten virtuellen Rundgänge, die nach dem ersten Lockdown Museumsbesuche ersetzen sollten, finden David Liebermann, Maximilian Kiepe und Jana Reddemann auf Dauer weniger spannend. Sie setzen vielmehr darauf, »das Erlebnis künstlerischer Arbeiten ins Digitale zu transferieren, indem Struktur und Interaktion sie widerspiegeln«, wie die drei erklären. Bis zum Erscheinen dieses Heftes werden ihre sehenswerten Websites fürs Kurzfilm Festival Hamburg und die große Galerie Meyer Riegger on air sein. Zudem realisieren sie derzeit ein ungewöhnliches Webprojekt des Goldsmiths – der berühmten Kunstakademie der University of London – über die sogenannten kritischen Rohstoffe (zu sehen unter http://euro-vision.net).
Alles nur noch digital?
Verena Panholzer vermisst mittlerweile die Arbeit an umfassenden Brandings mit Print- und räumlichen Elementen. Ihr Wiener Studio Es, das sie mit Paul Katterl betreibt, ist fast ausschließlich in Kunst und Kultur aktiv. Es hat schon eine Vielzahl raffinierter Websites in die Welt gebracht, aber auch preisgekrönte Bücher wie »Swiss Psychotropic Gold« zu einer Ausstellung im Haus der elektronischen Künste Basel (auch hier werden übrigens Rohstoffabbau und -handel künstlerisch hinterfragt, (siehe PAGE 10.20, Seite 56 f.). »Heute heißt es immer öfter ›Digital first‹, denn die Website ist das Erste, was man sieht«, so die Designerin. »Sogar Plakate sind oft digital animiert, ob für Social Media oder die immer verbreiteteren Digilights.«
Bei den Eventkunden von Studio Es – darunter die Diagonale, Festival für österreichischen Film, oder das Next Level Festival for Games in der Essener Zeche Zollverein – herrscht coronabedingt Ungewissheit. Stattdessen meldete sich unverhofft das Taubman College of Architecture and Urban Planning der University of Michigan. Man hatte dort das Online-Kunstmagazin »keen on« gesehen, dem das Wiener Büro vor einigen Jahren einen visuell und technisch avantgardistischen Auftritt gab.
Was aus dem Auftrag wurde, erfahren Sie gleich in unseren Beschreibungen interessanter aktueller Webprojekte. Festgehalten sei zunächst, dass den Designstudios derzeit öfter mal künstlerisch-kulturelle Jobs aus dem Bildungsbereich ins Haus schneien (wie beim erwähnten Goldsmiths). Eine willkommene Alternative in der gegenwärtigen kulturellen Dürreperiode: Theater geschlossen, Musikfestivals abgesagt – jede Kulturveranstaltung, die ausfällt und sich nicht ins Netz übertragen lässt, ist ja ein Auftrag weniger für Designstudios …. Kein Zufall, dass stattdessen neue Plattformen für digitalen Austausch und Wissensvermittlung boomen und nach immer anspruchsvollerer Gestaltung verlangen.