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Best-of Indie-Mags: Plastikcomb

Die Indie-Mag-Szene ist so lebendig wie nie. In der neuen PAGE stellen wir die besten aktuellen Magazine und ihre Macher vor. Zum Auftakt unserer Reihe der Interviews, die wir mit ihnen geführt haben: »Plastikcomb«, ein brandneues US-Magazin, das sich der Kunst der Collage widmet – in Beiträgen und Interviews.

In PAGE 2.2021 zeigen wir die aktuell spannendsten Independent Magazine, erzählen wie sie entstehen und stellen ihre Macher vor. Hier die Interviews mit ihnen in voller Länge.

Zum Auftakt: Der Künstler und Kurator Aaron Beebe aus Frederick, Maryland, und der Essener Grafikdesigner Thomas Schostok über ihr brandneues Indie-Mag Plastikcomb:

Wie ist die Idee zu »Plastikcomb« entstanden? Und wie das Magazin selbst?

Aaron Beebe: Die Idee entstand eines Tages im Jahr 2013, als ich zufällig dachte, es wäre cool, Art Director für eine Zeitschrift im Stil des »Raygun«-Magazins zu sein, dessen damaliger redaktioneller Inhalt in chaotischer, abstrakter Grunge-Typografie eingerahmt wurde. Zu dieser Zeit hatte ich gerade mit Collage-Kunst begonnen, und so entstand  der Name Plastikcomb, der an sich schon eine Metapher für Collage war. In den USA gibt es den sogenannten Picture Day, an diesem Tag werden in der Schule alle Kinder von einem professionellen Fotografen fotografiert. Eltern können sich Abzüge ihrer Liebsten kaufen. Bevor die Fotos gemacht wurden, bekam man früher einen Plastikkamm in die Hand gedrückt, um die Frisur zu kämmen, um »vorzeigbar« auszusehen, und mehr als oft sah man am Ende wie eine ganz andere Person aus. Vergleichbar also mit einer Collage, man nimmt ein Bild und macht daraus etwas anderes.

Genauso besonders wie die Gestaltung von »Plastikcomb« ist auch, dass es ein eigenes Maskottchen hat.

Thomas Schostok {ths}: Wir waren der Meinung, dass »Plastikcomb« eine Identität brauchte, die über die Darstellung eines Magazinlogos bzw. -titels hinausgeht. Was noch dazukommt, ist, das »Plastikcomb« ja nicht unbedingt im Handel oder beim Zeitschriftenhändler ausliegt. Es ist ein Produkt, das aufgrund seines Inhalts nur die Chance erhält, online gekauft zu werden. Aus diesem Grund bedarf es auch keiner 100% Wiedererkennbarkeit, wenn es um den Magazin-Titel geht. Es steht uns also frei mit jeder Ausgabe einen völlig anders gestalteten Magazinlogo zu gestalten. Wir dachten, das ein Maskottchen die nötige Wiedererkennung unterstützt, abgesehen davon sind Maskottchen cool und lassen sich losgelöst vom Titel überall platzieren. Außerdem, welches Magazin hat sein eigenes Maskottchen? Das ist ja etwas was man eher bei Sportmannschaften oder Frühstückscerealienhersteller erwartet.
Ein Maskottchen ist aber natürlich auch so etwas wie eine Hommage an die 50er- oder 60er-Jahre, wo es viele dieser Figuren für alle möglichen Produkte gab. Die Gestaltung von »Dusty«, so der Name des Maskottchens, wurde von Maskottchen aus dieser Zeit inspiriert. Ein bisschen altmodisch, ein bisschen verstaubt.

»Print ist kein Retro, das nennt man Leben«

Warum Print? Was ist für euch das Faszinierende daran?

Thomas Schostok {ths}: Warum nicht Print? Vor allem an einem Tag, an dem alles kalt und zweidimensional ist. Die Sozialen Medien haben die Websites mit ihren Portfolios verdrängt, die wiederum auch einen Teil dazu beigetragen haben, das gedruckte Informationen immer weniger Relevanz haben. Es gibt unfassbar viele Accounts zum Beispiel auf Instagram oder Pinterest auf denen wir ins weniger als eine Sekunde von einem zum nächsten Bild wischen können. Was am Ende allerdings vom swipen und scrollen übrig bleibt ist nur ein vage Erinnerung ans gesehene, falls überhaupt. Ein Innehalten scheint kaum noch möglich und so tindern wir uns durch unser Leben.
Ein gedrucktes Magazin mag heutzutage anachronistisch erscheinen, aber das öffnen von Instagram am morgen ersetzt nicht den Geruch von frisch bedrucktem Papier, wie der beim öffnen einer neuen Zeitschrift oder eines Buches. Die „Begegnung” mit einer Zeitschrift oder einem Buch ist viel intensiver und es ist möglich sie zu jedem Zeitpunkt aufzufrischen in dem sie vielleicht Jahre später aus dem Regal genommen werden können, um sie erneut zu lesen oder durchzublättern. Es ist ein bisschen so wie mit der Schallplatte oder Musikkassette, es ist nicht unbedingt besser, aber das Erlebnis und die Handhabe intensiver. Es geht also in erster Linie um das »physische Erleben« beim Blättern, um die Haptik. Das ist kein Retro, das nennt man Leben. Eine der spaßigsten und interessantesten Dinge an so einem internationalen Projekt ist die Zusammenarbeit mit Menschen, die tausende von Kilometern entfernt sind.

Wie ist das unglaubliche tolle Editorial Design entstanden? Welche Idee steckt dahinter? Fließt es mit dem Material der porträtierten Künstler zusammen?

Aaron Beebe {ths}: und ich hatten die gleiche Vision, das Design gegen konventionelle Magazin-Layouts auszuspielen.
Sicherlich haben David Carson und Chris Ashworth das schon lange vor uns für Magazine wie Raygun oder dem BlahBlahBlah Magazin in den 90ern getan, aber Plastikcomb ist eine Kunst- und keine Musikpublikation, daher stellt es eine größere Herausforderung dar, wenn man versucht das Editorial Design geschmackvoll mit den Arbeiten des interviewten Künstlers zu verbinden, was so in dieser Art wahrscheinlich noch nie zuvor geschehen ist. Wer in Plastikcomb interviewed wird muss also in jedem Fall damit rechnen, das wir schon mal grafische Elemente über die Werke des Künstlers legen oder die Kunst des Künstlers recyceln und daraus neue Kunst entstehen zu lassen.
Die Idee ist, dass die Worte mit dem Werk des Künstlers eins werden. Es ist nicht nur einfach Fließtext auf der einen Seite und das Bild auf der anderen, wie zum Beispiel in der PAGE. Die Platzierung und Fusion von Text und Bild lässt den Leser physisch mit der Zeitschrift interagieren und macht die gesamte Publikation zu einem Kunstwerk an sich. Plastikcomb Magazin könnte eine einfache Zeitschrift mit Interviews sein, sieht sich mit jeder Ausgabe aber eher als ein Kunstwerk. Jedes Layout sollte und wird einzigartig sein, basierend auf dem Arbeitsstil des Künstlers.

»Wir schauen, was sich so ergibt, denn, alles fließt«

War ein Aspekt für Plastikcomb auch, endlich ganz frei auch im Editorial Design zu arbeiten? Sind Ideen hineingeflossen, die ihr schon immer umsetzen wolltet?

Thomas Schostok {ths}: Ja, genau darum geht es in der Zeitschrift, und um die typografische Freiheit und gegen die altgedienten Raster, denn, die jüngere Generation hat heute kaum noch Erinnerungen an die Design-Konventionen einer Zeitschrift.

Wie finanziert ihr das Magazin? Wie wird es vertrieben und wo wird er erhältlich sein?

Thomas Schostok {ths}: Das Magazin wird von Plastikcomb Publishing persönlich finanziert. Es ist also ein unabhängiges Produkt, das keine Anzeigen zur Finanzierung benötigt. Auch wenn wir ein paar Anzeigen in der ersten Ausgabe platziert haben, sind dies entweder von Menschen, die uns unterstützt haben oder die wir gerne selbst unterstützen.
PCM wird im Moment unter plastikcombmag.com weltweit vertrieben. Wir streben derzeit keine Verkäufe ausserhalb des Internets an, aber wir schauen, was sich so ergibt, denn, alles fließt.

Plastikcomb Magazine; USA 2020; Englisch; 132 Seiten; 4/4-farbig; Plastikcomb Publishing;
www.plastikcombmag.com Erste Ausgabe Interviews mit Charles Wilkins, Eduardo Receife, Lee KcKeena, Chris Brown, Jeremy Okai, Bisner, Max-o-Matic, Fred Free

Plakat für die erste Ausgabe des Plastikcomb Magazine
PDF-Download: PAGE 02.2021

Next Gen Design ++ SPECIAL Indie Mags ++ Designmanagement: Theorie und Praxis ++ AR-Ausstellung fürs Reeperbahn Festival ++ Making-of: Kuli-Script-Font LiebeHeide ++ Ratgeber: Blauer Engel für Printprojekte ++ 10 JavaScript-Tools für Typografie ++ New Type Foundries

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