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»Wenn man etwas ändern will, muss man aktiv werden«

Yvonne Rundio und Lisa Pommerenke haben die Initiative »And She Was Like: BÄM!« für Frauen aus der Kreativbranche mitgegründet. Im Interview erzählen sie, wie sich Gestalterinnen am besten behaupten – und was die Branche für sie tun sollte.

And She Was Like BÄM Interview
Lisa Pommerenke, Leonie Pfennig, Yvonne Rundio und Luise Pilz von And She Was Like: BÄM! (von links nach rechts). © Nadine Schwickart

Die Gestalterinnen Yvonne Rundio und Lisa Pommerenke haben 2015 mit den Kunstwissenschaftlerinnen Luise Pilz und Leonie Pfennig sowie der Kuratorin Lisa Long das Netzwerk And She Was Like: BÄM! für Frauen aus dem Design- und Kunstbereich gestartet. Ihnen war aufgefallen, dass Männer in diesen Branchen meist präsenter und erfolgreicher sind als Frauen. Mit ihrer Initiative möchten sie netzwerken, inspirieren und motivieren – mit regelmäßigen Talks, Treffen und Workshops. Mehr erzählen die beiden im Interview.

PAGE: Wie kam es zur Gründung von And She Was Like: BÄM!?
Lisa Pommerenke: In den ersten Jahren unseres Berufslebens nach dem Studium haben wir bemerkt, dass Männer oft sehr viel schneller durchstarten. Als wir uns umschauten, wer in den Führungspositionen bekannter Büros sitzt, welche Grafikdesigner zu Konferenzen eingeladen werden und wer eine Professur innehat, sahen wir sehr viele Männer. Wir haben beschlossen, dass wir damit nicht zufrieden sind. Wir wollten etwas ändern, etwas anderes tun, als uns nur zu beklagen. Uns war es wichtig, Solidarität unter Frauen herzustellen, ein aktives Netzwerk zu bilden, damit wir uns gegenseitig auf dem Schirm haben und dadurch gemeinsam weiterkommen.

Wie erklärt ihr euch, dass Männer schneller vorankommen und sichtbarer in der Branche sind als Frauen?
Yvonne Rundio: Sie netzwerken meist viel selbstverständlicher. Es ist unter Männern gang und gäbe, einen Bekannten für eine Position vorzuschlagen. Oder jemanden einzustellen, mit dem man vielleicht schon mal zusammengearbeitet hat. Unsere Erfahrung ist, dass einige Frauen sehr viel darüber nachdenken, wen sie weiterempfehlen.
Lisa: Sie passen auf, dass es nicht nach Klüngelei aussieht, weil es nicht um persönliche Beziehungen gehen soll, sondern um Qualität. Es gibt gewisse Verhaltensweisen, die viele Männer anscheinend besser gelernt haben: sich selbst darstellen, keine Scheu haben, mit den eigenen Arbeiten rauszugehen, sie an jemanden zu schicken oder sich gegenseitig zu empfehlen.

And She Was Like BÄM Interview
© Nadine Schwickart (http://www.nadineschwickart.com/)

Was kann die Designbranche tun, um Frauen zu stärken?
Lisa: Ganz dringend müssen alle Hochschulen die Hälfte ihrer Lehrstühle mit Frauen besetzen und Festivals oder Konferenzen 50/50-Speakerlisten einhalten. In New York hat der ADC vor ein paar Jahren die Initiative »Let’s Make The Industry 50/50« gestartet, und besetzt seitdem Award-Jurys und Panels paritätisch. Und die Magazine sollten darauf achten, wem sie eine Öffentlichkeit geben.
Yvonne: Das kann extrem große Auswirkungen auf junge Designerinnen haben. Indem sie sehen: Ich kann mit meiner Arbeit erreichen, als Speakerin eingeladen zu werden – also will ich das auch. Ich kann eine Professur kriegen – also will ich das auch.

Wie können Frauen tun, damit sich etwas ändert?
Lisa: Es wäre toll, wenn erfolgreiche Gestalterinnen Mentorenbeziehungen eingingen mit jungen Frauen, die sie fördern, unterstützen und in ihrer Karriere beraten. In der Wirtschaft gibt es extrem viele solcher Programme, da wird das Problem gesehen. Das kennen wir aus der Kreativbranche leider kaum.
Yvonne: Als Designerin kurz nach dem Abschluss hätte ich mir das sehr gewünscht. Und eigentlich würde ich immer noch gern eine Mentorin haben!

And She Was Like BÄM Talk
Full House bei einem BÄM!-Talk © Nadine Schwickart

Wieso sind Vorbilder so wichtig?
Lisa: Positive Vorbilder können helfen, die eigenen Ziele zu erreichen – indem sie die Sicherheit geben, dass vieles möglich ist. Dass man sich ruhig einiges zutrauen kann. Uns geht es auch darum, selbst Vorbild zu sein: Wenn man etwas ändern will, wenn man etwas erreichen möchte, muss man aktiv werden und etwas dafür tun. Wir möchten zeigen, dass es funktioniert, gemeinsam Dinge anzugehen. Wir sehen täglich selbst, dass wir sehr schnell vorankommen, weil wir zusammenarbeiten. Dafür möchten wir ein Bewusstsein schaffen, damit mehr Frauen einander unterstützen.

»Wir verstehen Feminismus ganz klar als etwas, das allen Menschen zugute kommt und nützt«

… und was erwartet ihr von den Männern der Branche?
Yvonne: Sie sollten Frauen mehr auf dem Schirm haben und sich bewusst machen, dass es Unterschiede gibt. Sie sollten Frauen stärker unterstützen. Wir haben krasse Geschichten gehört von Frauen, die nicht eingestellt wurden, weil sie Anfang 30 sind und bald schwanger werden könnten. Und dass diejenigen, die Kinder haben, sehr schnell in der Teilzeitfalle sitzen und nur noch Routine-Jobs zugeschoben bekommen. Das ist normal in Agenturen. Da müsste eine viel bessere Förderung stattfinden. Nicht nur von guten Männern, sondern natürlich auch von guten Frauen. Es gibt unendlich viele von ihnen!

And She Was Like BÄM Talk
Beim BÄM!-Talk zu generationsübergreifenden Netzwerken mit den Journalistinnen Tina Groll (links) und Marlies Hesse (Mitte). © Nadine Schwickart

Wie definiert ihr Feminismus?
Lisa: Uns ist total wichtig, dass wir ihn täglich leben. Wir verstehen Feminismus ganz klar als etwas, das allen Menschen zugute kommt und nützt.
Yvonne: Wir möchten immer offen bleiben und uns nicht auf eine dogmatische Form von Feminismus festlegen. Er wächst und verändert sich. Wir wollen Männer nicht ausschließen oder benachteiligen. Wir glauben, dass wir alle ein anderes Leben haben, wenn Feminismus von allen Menschen gelebt wird. Es geht darum, sich gegen die alten, starren Rollenstereotype zu wenden. Wir wollen auch darüber reden, dass Männer nicht immer Familienernährer sein müssen und eine persönliche Krise bekommen, wenn sie es nicht sind. Dass es wirklich jedem Menschen selbst überlassen bleibt, wie er sein Leben gestalten möchte.

Yvonne, du hast auch mal in einer großen Agentur gearbeitet. Wie sollten sich Frauen dort verhalten, um besser wahrgenommen zu werden?
Yvonne: Es ist wichtig, sich und seine Arbeit wertzuschätzen, sich bewusst zu sein, was man alles kann, was man leisten und erreichen möchte. Das bringt ein gewisses Selbstbewusstsein, das in diesem Umfeld unabdingbar ist. Ohne Selbstbewusstsein ist es wahrscheinlich gar nicht möglich, in einer Agentur Karriere zu machen. Manchmal muss man sich echt behaupten. Man sollte den Mut mitbringen, für das einzustehen, was man wichtig und gut findet. Und sich nicht so schnell unterkriegen lassen.

Auf welche Punkte sollten Freelancerinnen achten? Was sollten sie einfordern?
Lisa: Sie sollten ihre Bezahlung immer selbstbewusst verhandeln. Wenn du nicht das verdienst, was du möchtest, solltest du nachverhandeln oder beim nächsten Mal mehr verlangen. Über Geld zu reden ist immer noch ein Tabuthema, doch im Bekanntenkreis fragen wir einander neugierig über Honorare aus, auch um uns selbst zu orientieren. Es hilft ungemein zu wissen, was die anderen verdienen, was man verlangen kann. Ich musste mich extrem daran gewöhnen, keine Scheu zu haben, den gerechtfertigten Lohn für Projekte zu fordern. Das ist auch etwas, das Männer oft selbstverständlicher machen.
Yvonne: Wir sollten uns immer wieder vor Augen halten – egal, ob Berufseinsteigerin oder erfahrene Gestalterin: Wir können das, was wir gelernt haben. Unsere Kunden sind keine Designer, sie brauchen uns als Expertinnen. Ich habe vor einer Weile meinen Stundensatz erhöht. Zu Anfang habe ich mir Gedanken gemacht, wie meine Auftraggeber reagieren werden, es dann aber klipp und klar kommuniziert – ohne komische Füllwörter wie »eigentlich«, »vielleicht«, »eventuell«. Die schönste Antwort eines Kunden war dann: »Super, das wurde auch Zeit!«

»Ihr solltet euch nie scheuen, andere um Hilfe zu bitten. Dadurch geht’s viel schneller voran«

Habt ihr weitere Tipps für selbstständige Designerinnen?
Lisa: Ihr braucht unbedingt ein gutes Netzwerk. Es ist total wichtig, z. B. auf Festivals zu gehen, um Leute kennenzulernen. Und ihr solltet keine Scheu haben, eure Arbeiten an Leute zu schicken.
Yvonne: Was ich außerdem hilfreich finde: regelmäßige Rückblicke, um festzustellen, welche Projekte ihr abgeschlossen habt, welche Kunden ihr gewonnen und was ihr alles angestoßen habt. Zu sehen, was man alles erreicht hat, ist gut fürs Selbstvertrauen, man tritt anders auf und kann die nächsten großen Herausforderungen und Projekte annehmen.
Lisa: Der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ist ebenfalls wichtig. Das fehlt nach dem Studium total. Ihr solltet euch nie scheuen, andere um Hilfe zu bitten. Dadurch geht’s viel schneller voran – ob mit der Steuer oder Entwürfen. Außerdem ist es gut, sich bewusst zu machen, was man für tolles Feedback für seine Arbeit bekommen hat.
Yvonne: Das sollte man auch vom Designerfreundeskreis oder Kunden einfordern – einfach mal fragen, was sie an der Arbeit mögen. Wir tun uns oft schwer damit, uns selbst einzuschätzen und unsere Stärken zu kennen. Positives Feedback von anderen sorgt dann auch für einen Schub, wenn man mal einen kleinen Tiefpunkt hat.

Mehr zu den Frauen der Kreativbranche gibt’s in PAGE 08.17 zu lesen, die Ausgabe kann hier heruntergeladen werden. Außerdem haben wir ein Interview mit Jessica Walsh zum Thema geführt (hier) und einige tolle Frauen-Netzwerke aufgelistet (hier). 

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