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Warum KI nicht nur ein weiteres Werkzeug ist

Designdozent und Visual System Designer Dr. Martin Lorenz erklärt, weshalb wir für die Kreation mit KI ein neues Wertesystem brauchen

Martin Lorenz trägt ein dunkles shirt und lächelt rechts an der Kamera vorbei, schwarz weißBild: Victoria JungAuf dem Höhepunkt des KI-Hypes scheint es nur zwei Lager zu geben: Entweder man feiert die neue Technologie und sieht in ihr die Zukunft der Kreativbranche, oder man zweifelt daran und hofft auf eine Gegenbe­wegung, die menschengemachtes Design wieder in den Vordergrund rückt. Ich selbst war am Anfang begeistert von den Möglichkeiten, die sich durch künstliche Intelligenz auftun. Die damit einhergehende Effizienzstei­gerung schien genau dem zu entsprechen, was ich mit meinen Flexible Vi­sual Systems erreichen will. Aber bei einer intensiveren Aus­einandersetzung mit dem Thema hat sich meine Ein­schätzung radikal verändert. 

Jetzt vermisse ich in der Diskussion über KI differen­zierte Standpunkte auf beiden Seiten: KI-Optimisten preisen die Innovationsmöglichkeiten der Technik, ig­norieren aber die langfristigen Kosten und Konsequen­zen. Die Pessimisten hingegen blenden den Zwang aus, wettbewerbsfähig bleiben zu müssen. Das Tempo, mit dem sich die KI-Tools entwickeln, lässt kaum Zeit für einen ruhigen Gedanken, geschweige denn einen reflektierten Umgang mit dieser Technik. Diese Zeit sollten wir uns jedoch unbedingt nehmen, denn wir – die Krea­tiven – prägen als erste Nutzer:innen und direkt Betroffene, wie sich KI in Zukunft weiterentwickeln wird. 

Ist KI grundsätzlich schlecht?

Kreative tragen im Kontext von KI eine besondere Verantwortung. Denn für unsere Firmenkund:innen scheint bereits ganz klar zu sein, dass die neue Technik dabei un­terstützen kann, besser und schneller zu kommunizieren, Trends zu bedienen und auf Social Media mitzuhal­ten. Die langfristigen Folgen dieser Effizienzsteigerung gehen jedoch weit über die Designbranche hinaus: Eine Marke, die besser kommuniziert, verkauft und produziert mehr, was wiederum eine größere Belastung für die Umwelt, einen höheren Energie- und Ressourcenverbrauch bedeutet. Das dürfen wir nicht ignorieren. 

Und selbst wenn man davon ausgeht, dass KI nicht dazu verwendet wird, den Konsum weiter anzukurbeln, ist die Technik selbst problematisch: ChatGPT ist laut einer Studie der Bank UBS die am schnellsten wachsende Web-App aller Zeiten. Aber den wenigsten Nut­ze­r:in­nen dürfte bewusst sein, dass sowohl beim Training der KI-Modelle in physischen Datenzentren als auch in der Interaktion – etwa durch Prompts – große Men­gen an Strom und Wasser verbraucht werden. Forscher:in­nen der Cornell University berechneten, dass allein der Energieaufwand für das Training eines mittelgro­ßen KI-Modells ungefähr 626 000 Tonnen an CO₂-Emis­sio­nen verursacht. Hochgerechnet auf die schier endlose Zahl an neuen KI-Tools, die täglich hinzukommen, ist der Ressourcenver­brauch unvorstellbar hoch. 

Also sollten wir uns sehr genau überlegen, wofür wir KI eigentlich verwenden wollen und ob die Effizienzsteigerung die globale Belastung aufwiegt: Wollen wir mit künstlicher Intelligenz mehr Profit schaffen? Soll­ten wir nicht eher Suffizienz als Effizienz anstreben? Können wir dieses hochintelligente Werkzeug nicht vielmehr dafür einsetzen, uns die Kosten und Konsequen­zen un­seres Handelns in all seiner Komplexität aufzeigen zu lassen? Ich glaube, es obliegt uns – als Expert:innen in der Informationsaufbereitung –, die Risiken und Chancen der Technik zu kommunizieren.

Branche: Kann KI Kreative ersetzen?

Zu den ökologischen Folgen kommen die gesellschaft­li­­chen, etwa dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz zwangs­läufig zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen wird. Denn so sehr Techno-Optimisten darauf hoffen, KI als Tool in bestehende Workflows integrieren zu können, ist die Realität doch, dass sie viele Gestal­­ter:in­nen in ihren bisheri­gen Berufsdefinitionen ersetzen wird. Ganz zu schweigen von den zahllosen Kreativen, die bereits beim Training der großen KI-Modelle durch die Nutzung ihrer Werke geschädigt wurden.

Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten und macht sich gerade überall bemerkbar: Wer nicht mitgeht, wird abgehängt. Der Hype um KI lässt das Prompten wie eine überlebenswichtige Fähigkeit erscheinen. In Agen­tu­­ren lese ich von KI geschriebenen Briefings. Ich sehe Moodboards, die fast schon wie finale Arbeiten aus­se­hen, aber immer noch auf urheberrechtlich geschütztem Material basieren. Doch sind sie auch gut? Oder ak­zep­tieren wir das KI-generierte Ergebnis einfach nur, weil es schnell und einfach zu erzeugen ist?

Im schlimmsten Fall könnte KI Kreative in fast allen Bereichen ersetzen. Und auch vor KI-affinen Designe­r:innen wird diese Entwicklung nicht haltmachen, denn selbst die strategische Ausrichtung und zielgruppen­ge­­rechte Kommunikation könnte von KI generiert und direkt visuell umgesetzt werden. In dieser Kette aus Tools könnten dann Unternehmer:innen von KI erzeug­te Konzepte, Strategien, Texte, Bilder, Videos und Design selbst kuratieren – vielleicht noch mit minimaler Anpas­sung durch jemanden, der KI zu bedienen weiß. Techno-Pes­simisten sehen dieses Szenario als den Untergang der Kreativbranche – ich glaube aber, dass wir jetzt erst recht den Wert unserer Designprozesse und Kompetenz in der Kundenberatung hervorheben sollten.

Strategie: Was können Kreative besser als KI?

Ich bin natürlich auch nicht immun gegen den Reiz der Technologie. KI ist zum Beispiel in der Lage, professionell wirkende Bilder zu erzeugen. Ich habe aber noch nichts gesehen, was mich wirklich berührt. Bei allem scheint Menschlichkeit zu fehlen. Spannend wurde es für mich, als ich mir die ersten Rebriefings mit Chat­GPT habe schreiben lassen. Ich war begeistert, einen un­geliebten Teil meiner Arbeit aus der Hand geben zu kön­nen. Sobald ich mir die Texte aber genauer anschaute, merkte ich, dass weder die Nuancen stimmten noch die Prioritäten richtig gesetzt waren.

Strategien und Ideen entstehen im Gespräch mit anderen Menschen, zwischen den Zeilen, wo die ent­schei­­dende Information verborgen liegt. Denn auch wenn un­sere Kund:innen dieselbe Sprache sprechen wie die KI, gibt es eine Sprachbarriere. Was jemand wirklich meint und möchte, muss erst durch Interpretation und im Dia­log herausgefunden werden – und dann ist noch nicht gesagt, dass die Vorstellung der Kun­d:in­nen auch den Zielen und Werten der Marke entspricht.

Workflow: Ist effizienter immer besser?

Alle, die schreiben oder zeichnen, haben diese Erfahrung gemacht: Der zugegeben manchmal anstrengen­de Gestaltungsprozess eröffnet Zeit und Raum für die Formung und Verbesserung einer Idee. Charles Eames machte die berühmte Aussage: »The details are not the details. They make the design.« Automatisierung durch KI verdammt uns auf die Ebene des instruierenden und kuratierenden Gestaltens und verhindert die tiefe Auseinandersetzung mit den Details. So verschnellern wir zwar den Prozess, berauben uns aber gleichzeitig der Zeit für Inspiration und Reflexion, die unserem Design erst die nötige Qualität verleiht. Denn diese entsteht bei der Problemanalyse, in der dritten Iterationsschleife und im Gespräch mit Kund:innen. Und mal ehrlich – wofür automatisieren wir den Teil des Prozesses, der oftmals am meisten Spaß macht?

Ich fürchte, dass Designerinnen und Designer, die sich künftig überwiegend auf KI-gestützte Gestaltung verlassen, nur oberflächliches Wissen besitzen und eine Lü­cke beim tiefen, verkörperten Gespür für Design haben werden. Software bedienen zu können bedeutet noch lange nicht, die menschliche Kommunikation zu beherrschen. Darüber hinaus kann unsere Fähigkeit zur Problemlösung durch die Abhängigkeit von künstli­cher Intelligenz beschränkt werden. Flexibel in den eigenen Werk­zeugen zu sein macht auch das Denken flexibler.

Wie können Kreative sinnvoll mit KI umgehen?

Um sich diese Frage in aller Ernsthaftigkeit zu stellen, müssten wir die Entwicklung verlangsamen und eine differenzierte Diskussion schaffen. Aber das können wir nicht allein. Wir müssen mit Gleichgesinnten verschiedener Disziplinen an gemeinsamen Zielen arbeiten. Das Großartige ist: Als Kreative bringen wir alle Vo­raussetzungen dafür mit, in übergeordneten Systemen Informationen zu vermitteln, Gemeinschaften zu formen und stärkere Werkzeuge zu schaffen.

Künstliche Intelligenz ist eines dieser Werkzeuge und könnte – richtig eingesetzt – dabei helfen, über die Grenzen unserer eigenen Branche hinaus eine planetarische Perspektive abzubilden, komplexe Zusammenhänge aufzuzeigen und uns ein verantwortungsbewuss­teres Han­deln zu ermöglichen. Voraussetzung ist der Wille, einen holistischen Ansatz und ein Wertesystem zu leben, das über unsere intrinsischen Motive hinausgeht. Dann ist es an uns Kreativen, diese Werte unseren Kund:innen zu vermitteln und sie zum Maßstab für unsere Entscheidungen im Kreativprozess zu machen.

Dazu brauchen wir mehr als von künstlicher Intelligenz generierte Logos oder Social-Media-Strategien. Wir brauchen flexible visuelle Sprachen oder Systeme, die eloquent genug sind, verschiedenste Inhalte für ein interdisziplinäres Publikum verständlich zu machen. Und es braucht die transformative Kompetenz Kreativer, um diese Sprachen zu entwickeln.

Also verliert nicht den Kopf in der Diskussion um KI, denkt systemisch und holistisch! Wehrt euch als De­si­g­ner:innen gegen Aufträge, die nicht eurem Wer­te­sys­­tem entsprechen, und agiert selbst mit Bedacht – und ja: Dazu gehört, genau zu evaluieren, wann KI wirklich nö­tig ist und wann man aus ethischer und ökologi­scher Sicht auf sie verzichten sollte. Als Desi­gne­r:innen sind wir für einen Großteil der kommerziellen Kommu­ni­ka­­­tion im öf­fentlichen Raum mitverantwort­lich. Das gibt uns eine gewisse Macht, Dinge zu ändern oder schlicht nicht mehr zu tun. Ich glaube fest daran, dass was uns Kreative am Ende von KI unterscheidet und unser Design gut macht, die menschliche Haltung ist.

Workshop: KI für gestalterische Systeme nutzen

Statt KI als allumfassende Kreativmaschine zu sehen, kommt es darauf an, sie so im Kreativprozess einzusetzen, dass sie bestehende Gestaltungssysteme bereichert. An der HfG Offenbach habe ich mit zehn Studierenden im Workshop »Systematic AI« verschiedene Ansätze entwickelt, um beispielhaft Schriftsysteme zu schaffen, die wir anschließend in Form von Plakaten im Risodruck umgesetzt haben.

Dabei testeten wir zuerst, welche Prompts in unterschied­li­chen KI-Tools – von DALL•E bis zu kostenlosen Alternativen wie Lexica und Craiyon – zu inspirierenden Ergebnissen führen. Den KI-Output haben wir anschließend evaluiert, visuell weiterentwickelt und drei Formen extrahiert, aus denen sich schließlich in historischen Rastersystemen ganze Schriften zusammensetzen ließen.

Die KI haben wir dabei vor allem in der Iteration eingesetzt, um zu evaluieren, wo Potenziale der Technik für den Workflow der Studierenden lagen – und wann das eigene gestalterische Urteilsvermögen gefragt ist.

ein ki generierter Stuhl im art deco Stil aus dem verschiedene Formelemente Extrahirt wurdenBild: Schulz eine Übersicht aus verschiedenen Elementen, aus denen typografisch geformt werden kannBild: Schulz zwei typografische Plakate aus einer rasterschriftartBild: Schulz

ein screenshot des ki tools Lexika mit verschiedenen typografischen ElementenBild: Diegmueller ein raster aus Quadraten in denen drei formen sitzenBild: Diegmueller zwei typografische Plakate aus einer rasterschriftartBild: Diegmueller

Martin Lorenz ist Mitbegründer des Designbüros TwoPoints.Net in Hamburg und Barcelona. Seit Anfang 2023 ist er Visual Conversation Design Lead bei der Non-Profit-Organisation Dark Matter Labs und erarbeitet mit einem internationalen Team Zukunftslösungen an der Schnittstelle verschiedener Designdisziplinen. Auf  www.flexiblevisualsystems.info veröffentlicht der promovierte Designer, der auch in der PAGE Academy unterrichtet, Lern- und Lehrmaterial zur Gestaltung flexibler visueller Systeme.

PDF-Download: PAGE 11.2023

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