Anlässlich der Eröffnung des transmediale-Festivals am 3. Februar verriet der künstlerische Leiter Kristoffer Gansing Freunde von Freunden, was ihm schlaflose Nächte bereitet …
Seit 2012 ist Kristoffer Gansing (39) künstlerischer Leiter des transmediale-Festivals für Neue Medien. Am 3. Februar eröffnet die transmediale 2016 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin mit dem Titel »Konversationsstück«. Zu diesem Anlass führten Freunde von Freunden ein Interview mit Kristoffer Gansing über die nervöse Energie des digitalen Zeitalters, die ihm schlaflose Nächte bereitet. FvF haben das Interview und die Bilder mit PAGE geteilt.
Das jährlich in Berlin stattfindende Festival für digitale Kultur und Kunst macht sich in diesem Jahr die schnell ausbreitende Welt der Neuen Medien zum Thema. Im Interview, das FvF mit Kristoffer Gansing in einem Café unter den Räumlichkeiten der transmediale-Büros führte, spricht er unter anderem über erste Erinnerungen an Technologie, ASCII-Grafiken, die postdigitale Kultur und über sein ganz persönliches Gefühl von Zuhause. Das gesamte Interview gibt es hier zu lesen.
Du bist in Karlstadt aufgewachsen, einer kleinen Stadt im schwedischen Wald. Was sind deine ersten Erinnerungen an Technologie an diesem Ort?
Meine ersten richtigen Erfahrungen mit Technologie stammen eigentlich aus einer benachbarten Stadt, Åmål, die durch den Film Raus aus Åmål berühmt wurde. Mein Großvater arbeitete dort in einem Finanzamt. Ich war als Kind öfter da, manchmal bin ich mit ihm zur Arbeit gegangen. Das war Anfang der 80er Jahre. Ich war fünf oder sechs Jahre alt. Während mein Großvater Besprechungen hatte, ließen mich die Sekretärinnen an diese IBM-Terminals, in die man eine blaue oder eine rote Plastikkarte stecken konnte. Sie sagten zu mir: »Die rote Karte darfst du nicht benutzen, aber wenn du die blaue Karte reinschiebst, darfst du an diesen Computern herumspielen.« Ich meinte: »Ok, super« und ich machte Bilder, die nur aus Buchstaben bestanden – ASCII-Grafiken. Sie druckten sie dann auf einem Nadeldrucker für mich aus.
Anstelle von Bildern mit Ponys und Bäumen, die du gezeichnet hast, hatten deine Eltern also ASCII-Grafiken an der Wand.
Ich habe die noch. In Schweden gab es Ende der 90er Jahre einen Ort namens Hyper Island – ein Gefängnis, das in eine IT-Hochschule verwandelt wurde. Ich habe mich dort mit einigen dieser Bilder beworben. Ich wurde angenommen, aber glücklicherweise habe ich mich gegen diese Karriere entschieden – du weißt schon, als Webentwickler oder Grafikdesigner.
Wie bist du bei der transmediale gelandet?
Naja, es ist nicht so, dass ich meine ganze Kindheit weiter mit Computerkunst verbracht habe. Man spricht heute von Digital Natives, also Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind – aber auch davor gab es schon eine Generation, die Videospiele gespielt und Heimcomputer benutzt hat. Ich denke, dass ich zu dieser Generation gehöre, und deswegen interessiere ich mich für digitale Medienkultur. Zur Jahrhundertwende gab es in Malmö in Südschweden ein Festival namens Electrohype. Es war eine der ersten Biennalen für computerbasierte Kunst. Meine Freundin, mit der ich immer noch zusammen bin, war daran beteiligt. Sie ist Künstlerin. Durch sie entwickelte sich mein Interesse an der Netzkunst-Bewegung.
Davor interessierte ich mich für Experimental- und Underground-Filme. Als ich Film studiert habe, hatte ich Dozenten, die vom San Francisco Art Institute kamen. Sie hatten das amerikanische Undergroundkino im Blut. Für mich gab es dabei eine direkte Verbindung zur experimentellen neuen Medien- und Netzkultur der späten 90er Jahre.
Es war ein kleines »medien-archäologisches« Festival zu Ehren des Overhead-Projektors, dem analogen Gerät
2005 organisierten meine Freundin Linda und ich ein Festival namens »The Art of the Overhead«. Es war ein kleines »medienarchäologisches« Festival zu Ehren des Overhead-Projektors, dem analogen Gerät. Das Festival war aber keine Retro-Veranstaltung. Es handelte sich eher um eine Auseinandersetzung mit der damaligen Medienkultur, in der es bereits einen großen Hype um Digitales und Interaktivität gab. Der Overhead-Projektor konnte all das. Man konnte an ihm als physischem Objekt arbeiten, mit Manipulationen in Echtzeit. Zugleich ist er aber wahrscheinlich das langweiligste Medium, das je erfunden wurde. Er steht einfach nur hinten im Klassenzimmer herum – niemand hat je seine Geschichte rekonstruiert. Er fand aber auch in den 1960ern in psychedelischen Lichtshows Gebrauch und gehörte fest zu dieser Kultur dazu. Das Festival erreichte Kultstatus in Deutschland und es gab eine starke Resonanz von deutschen Künstlern. Das war für mich der Einstieg in das deutsche Netzwerk für Medienkunst.
Du warst zur gleichen Zeit mit deiner Promotion beschäftigt.
Ja, ich war Doktorand als ich den Job bei der transmediale bekam. Ich stand kurz vor der Promotion, aber stattdessen arbeitete ich während der transmediale auch an Wochenenden und während der Ferien und verbaute mir somit jegliches Sozialleben.
In einem anderen Interview sagtest du, dass es bei der transmediale nicht um die Zukunft, sondern um die Gegenwart geht. Wie bildet sie die postdigitale Kultur im Jahr 2016 ab?
Die transmediale befasst sich mit dem Einfluss von Technologie auf die Gesellschaft, der ja durchaus ambivalent ist. Deswegen sage ich, dass es nicht um die Zukunft geht, denn meistens, wenn etwas »futuristisch« ist, versucht es, die Zukunft vorherzusehen, entweder als Techno-Utopie oder als Dystopie. Das finde ich irgendwie reduktionistisch. Die transmediale bemüht sich, in der gegenwärtigen Welt zu bleiben, sich auf die drängenden Themen zu beziehen und auch eine historische Perspektive einzunehmen. Das heißt nicht, dass sie nicht auch Bezug auf die Zukunft nehmen sollte. Es geht darum, Verantwortung dafür zu übernehmen, wie die Zukunft aussehen kann. Beim »Konversationsstück« beschäftigen wir uns mit den Ängsten, die unsere Beziehung zur Technologie prägen. Aber auch damit, wie gewisse technologische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Agenden unser Verhalten im Alltag mitgestalten.
Beim »Konversationsstück« beschäftigen wir uns mit den Ängsten, die unsere Beziehung zur Technologie prägen
Wir haben vier Stränge, die als Gesprächsstoff dienen sollen: “Anxious to Act”, “Anxious to Make”, “Anxious to Share” und »Anxious to Secure«. Diese Wörter – handeln, schaffen, teilen, sichern – sind geradezu Klischees postdigitaler Kultur. »Handeln« bedeutet für mich Medienaktivismus. Es fragt: Wie können wir den Medienaktivismus neu denken, wenn heutzutage alles total medialisiert ist? Ist diese Kategorie überhaupt noch sinnvoll?
Beim »Schaffen« geht es um die »Macher-Kultur«. In Deutschland gibt es eine neue, fast ganzheitliche Struktur, die sich von der Regierungspolitik bis hin zu Fab Labs zieht, in denen Leute ihre eigenen 3D-Druck-Werkstätten einrichten. Es ist die Vision der Industrie 4.0. Sie findet sich in den Förderungsstrukturen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, und in all diesen politischen Ambitionen wie: »Wie können wir die große deutsche Industrie zu einer modulareren, individuell anpassbaren Struktur machen, mit einer direkten Kette vom Verbraucher zur Massenproduktion?«. Es ist unklar, wie genau das funktionieren wird, aber es geht im Grunde genommen darum, wie die Digitalisierung industrielle Herstellungsprozesse modularer und anpassbarer macht. Das Ganze ist auch sehr datengetrieben. Und dann gibt es natürlich auch noch so etwas wie den Volkswagen-Skandal. Dadurch ergibt sich ein interessanter Clash – welche neuen Probleme gehen damit einher? Es nennt sich »Industrie 4.0«, als ob eine vierte industrielle Revolution im Gange ist.
Es nennt sich »Industrie 4.0«, als ob eine vierte industrielle Revolution im Gange ist
Als ob Geschichte sich so entwickelt wie Software-Updates.
Genau. Es gibt im Moment eine Inflation dieser Denkweise. Volkswagen ist ein gutes Beispiel für die Angst, in der neuen datenbasierten Industrie nicht zu versagen. Aber es gibt noch andere Ebenen, wo dies einen Einfluss auf unseren Alltag hat, beispielsweise die Angst, die mit dem Ideal des ständigen Aktivseins einhergeht oder dieser Vorstellug, dass wir alle Macher sein müssen. Dass jemand angespannt ist, kann signalisieren, dass jemand etwas mit großem Eifer tut, aber es kann auch als Nervosität oder Zögern gelesen werden.
Beim Bereich »Teilen« wird es auf unterschiedliche Art und Weise um alternative Wirtschaftssysteme und Peer-Produktion gehen. „Sichern“ bezieht sich auf Überwachung, aber auch darum, wie wir Sicherheitsdenken praktisch zum Ausdruck bringen. Es ist offensichtlich, dass in Europa nach den Terroranschlägen viele Ängste vorherrschen, aber die Frage ist, wie wir auch selbst solche sicherheitsorientierten Denkweisen und Strukturen in unserem Alltag praktisch zum Ausdruck bringen und wie wir immer mehr Sicherheitsmaßnahmen in Kauf nehmen.
Angesichts der Themen des Festivals frage ich mich, wovor du selbst Angst hast.
Ich habe Angst vor all den Dingen, vor denen die Leute in der transmediale Angst haben. Ich projiziere zu viele meiner eigenen Sorgen auf diese Themen. 2015 hatten wir einen Schwerpunkt auf das Thema „Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben“. Wir gingen das weniger direkt an und fragten nicht: „Wie schaffst Du ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben?“, sondern eher weitsichtig, indem wir beispielsweise die Gamifizierung der Arbeit thematisierten. Das macht mir in meinem eigenen Leben zu schaffen.
Ich habe Angst vor einer kontinuierlichen Entwicklung hin zu mehr Innovation, und ich meine „Innovation“ im instrumentalisierten, quantifizierten Sinn, was eigentlich gar keine wirkliche Innovation ist. Ich sehe das auch im kulturellen Bereich. Zum Beispiel sollen wir die Ergebnisse und Ziele der Festivals in Zahlen festhalten. Investoren konzentrieren sich immer mehr darauf, und die Kultur scheint sich immer mehr darauf zu konzentrieren, dass Ergebnisse erzielt werden, die messbar und effektiv sind. Die Neoliberalisierung der Kunst- und Kulturszene wirkt sich wirklich ganz konkret darauf aus, auf welche Weise Projekte finanziert und durchgeführt werden. Das macht mir Angst davor, in Zukunft in diesem Bereich zu arbeiten.
Auf welche Weise spielt ein Gefühl von Zuhause eine Rolle in deinem kreativen Leben?
Ich bin daran gewöhnt, mich in immer neuen Kontexten zu bewegen. Ich habe Schweden ziemlich jung verlassen und lebte jahrelang in Dänemark, dann kam ich hierher. Mir gefällt dieses Nomadenleben. Wir haben immer noch unsere Wohnung in Kopenhagen. Aber in den letzten ein oder zwei Jahren hatte ich mehr und mehr das Gefühl, dass Berlin mein Zuhause wird. Meine Familie ist jetzt hier. Wir haben ein Kind, das in den Kindergarten geht, und deshalb möchten wir erstmal hierbleiben.
Ich bin kein Büromensch, der von 9 bis 5 am Schreibtisch sitzen kann. Unsere Arbeitszeit ist normalerweise von 10 oder 11 bis 7 oder 8 – wenn man ein Kind hat, beißt sich das. Außerdem bin ich oft unterwegs. Ich arbeite auch mindestens einmal die Woche von zuhause aus, um ein bisschen mehr Abstand vom Büroleben zu haben, wo es dauernd nur heißt: Produktion, Produktion und Leute treffen. Mir gefällt aber, dass ich durch den Job bei der transmediale viele Leute in der Stadt treffe und andere Festivals oder Institute besuchen kann.
Das ist keine klare Antwort, aber mich zuhause zu fühlen spielt eine tatsächliche, konkrete Rolle, da ich jede Woche von zuhause aus arbeite. Aber mir gefällt, dass mein Zuhause nicht nur ein einzelner Ort ist. Es ist etwas nomadisches.
Kreativ in der Krise ++ SPECIAL: Music + Graphic Design ++ Mehr Diversität in den Branchenverbänden ++ Fonts: Types That Matter ++ Was die Krea-tivszene bewegt ++ Praxisreport: Interdisziplinäre Prozesse ++ No Ranking: Show Your Work!