
Studie zur Designfähigkeit von Unternehmen
Jan-Erik Baars hat untersucht, wie es um die Designkompetenz in Unternehmen bestellt ist. Das Ergebnis ernüchtert und zeigt, dass sich sehr viel ändern muss
Jan-Erik Baars hat untersucht, wie es um die Designkompetenz in Unternehmen bestellt ist. Das Ergebnis ernüchtert und zeigt, dass sich sehr viel ändern muss
Ergebnisse. Die Auswertung der Onlinebefragung von 57 Unternehmen ergab, dass die Designfähigkeit insgesamt als unzureichend bewertet wird. Dabei wurde die Fähigkeit, Design zu planen und zu lenken, wesentlich schlechter beurteilt als die Kompetenzen der Designschaffenden. Dieses Designmanagement werde zwar als wichtige Unternehmensaufgabe erkannt, sei aber weitestgehend unterentwickelt. Dabei werde Designmanagementkompetenz allerdings nicht bei Designer:innen verortet, sondern eher im Management.
Der Studienbericht zeigt eine deutliche Korrelation zwischen Designfähigkeit und Unternehmenserfolg auf. Die Auswertung unterscheidet in Top- und Low-Unternehmen, deren Ergebnisse teilweise weit auseinanderliegen und sich vor allem in Fragen der organisatorischen Verankerung von Design und des Designmanagements unterscheiden. Top-Unternehmen bündeln ihre Marken- und Designaktivitäten und führen sie strategisch zusammen, um ein kohärentes und konsistentes Gesamtbild zu erzeugen – und erhöhen dadurch ihren Geschäftserfolg, heißt es in der Studie.
Learnings. Das erarbeitete Modell scheint eine umfassende und belastbare Bewertung der Designfähigkeit von Unternehmen zu ermöglichen. Der Studienbericht zeigt zudem, dass gutes Designmanagement – also die ganzheitliche Planung und Führung von Design – die Voraussetzung für eine höhere Designfähigkeit von Unternehmen ist. Momentan gebe es aber einen »eklatanten Ausbildungsmangel« in dem Bereich. Bis dato böten lediglich drei private Hochschulen Masterprogramme im Designmanagement an, auch an Wirtschaftsfakultäten fehlten entsprechende Angebote.
Unternehmen wird deshalb empfohlen, die nötigen Kompetenzen selbst zu entwickeln und dafür geeignete Fachkräfte zu gewinnen, die nicht zwingend aus dem Design kommen müssen. Generell sei Designfähigkeit eine Eigenschaft, über die Unternehmen intern verfügen müssten und die schlecht zugekauft werden könne. Gerade für den Anfang könne man aber auch Beratungsleistungen heranziehen, etwa von Unternehmensberatungen oder strategischen Designagenturen – vorausgesetzt, diese verfügen über die notwendige Kompetenz.
Ausblick. Derzeit arbeiten Jan-Erik Baars und bayern design daran, das Modell zur Beurteilung der Designfähigkeit von Unternehmen als Online-Evaluierungstool bereitzustellen. Langfristig möchte er das Tool zu einem Auditingverfahren ausbauen und zertifizieren lassen (siehe Interview unten).
Jan-Erik Baars arbeitet seit über 25 Jahren an der Schnittstelle von Design und Management. Seine berufliche Laufbahn begann er als Industriedesigner bei Philips, ging dann als Leiter des Designmanagements zur Telekom und berät seit 2011 selbstständig Unternehmen beim besseren Einsatz von Design. Seit 2011 unterrichtet er zudem an der Hochschule Luzern, wo er zunächst den Studiengang Design Management leitete und später ans Departement Wirtschaft wechselte, wo er Betriebswirt:innen und Marketer:innen vermittelt, wie sie Design besser steuern können. Daneben forscht er zum Thema Design und Management – zuletzt im Rahmen der links vorgestellten Studie von bayern design. Wir haben ihn gefragt, warum es eine solche Erhebung braucht und was Unternehmen überhaupt von einer höheren Designfähigkeit haben.
Es gibt ja schon einige Studien zur Designfähigkeit in Unternehmen, zum Beispiel von McKinsey. Warum wolltest du ein eigenes Modell entwickeln?
Jan-Erik Baars: Ich forsche schon länger zu dem Thema, wie Design, Marke und Management für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg zusammenspielen müssen. Was mir an den bestehenden Designfähigkeitsmodellen fehlt, ist ein ganzheitlicher Designbegriff. Sie beziehen sich stark auf Teilaspekte wie Produkt- oder Kommunikationsdesign. Ich möchte mit meinem Modell eine integrierte Perspektive auf Gestaltung im Ganzen einnehmen.
Wie definierst du denn Design?
Für mich ist Design etwas ganz Fundamentales – nämlich alles, was ein Unternehmen tut, um eine Bestimmung zu erfüllen: für Kund:innen relevante Lösungen zu entwickeln und sich vom Wettbewerb zu differenzieren. Dabei geht es nicht allein um die Entwicklung und Herstellung von Produkten und Dienstleistungen, sondern auch darum, welche Voraussetzungen dafür geschaffen und wie Strategien aufgesetzt werden. Im Englischen gibt es dafür den Begriff Business Design.
Im Grunde dreht sich in Unternehmen alles um die beiden Tätigkeiten Gestaltung und Verwaltung. Man muss ein Unternehmen gestalten, damit es seiner Identität, seinen Werten und seinem Versprechen gerecht wird. Die Resultate sollten dem folgen. Die Verwaltung ist dafür zuständig, dass es dazu auch dauerhaft in der Lage ist. Es stellt die erforderlichen Ressourcen, Prozesse und Rollen bereit, um überhaupt gestalten zu können.
In meiner Studie geht es nicht um die Beurteilung von formaler oder inhaltlicher Designqualität – dafür gibt es bereits genug Modelle und nicht zuletzt die Bewertung durch Kundinnen und Kunden. Mir geht es um die Beurteilung des Managements von Design: Wie wichtig ist einem Unternehmen ganzheitliches Design wirklich und wird es entsprechend ermöglicht und geführt?
Dafür hast du verschiedene Kriterien definiert.
Genau. Insgesamt habe ich 18 Kriterien herausgearbeitet, die eine granulare Sicht auf die Designfähigkeit in Unternehmen ermöglichen (siehe oben). Dabei fällt auf, dass es sich fast ausschließlich um Managementaufgaben und Managementkompetenzen handelt. Die Erfüllung dieser Kriterien liegt also nicht zwingend bei den Designschaffenden.
Was bedeutet das für Designer:innen? Sind sie lediglich für die Umsetzung zuständig und müssen sich von Manager:innen führen lassen?
Diese Frage stellt sich ja für viele Funktionen innerhalb von Unternehmen, die hohe Fachkompetenzen aufweisen müssen, wie beispielsweise Maschinenbau oder Personalwesen. Ich glaube nicht, dass alle Designschaffenden umfassende Managementkenntnisse mitbringen müssen: Es braucht nach wie vor exzellente handwerklich kompetente Designerin-nen und Designer. Aber wenn sie Managementaufgaben übernehmen möchten, dann müssen sie sich dafür öffnen und entsprechend weiterbilden. So bin ich auch selbst ins Designmanagement gewechselt und unterrichte heute an einer Wirtschaftsfakultät. Ein bisschen ist es auch selbst verschuldet, dass Design auf der Managementebene nicht richtig ernst genommen wird – und oft auch schlecht bezahlt ist. Viele Designer:innen haben einfach kein Interesse daran, Managementaufgaben zu übernehmen und sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen.
»Ich glaube nicht, dass alle Designschaffenden umfassende Managementkenntnisse mitbringen müssen«
Eine Schlussfolgerung aus deiner Studie ist, dass Marken- und Designmanagement in Unternehmen zusammengeführt werden sollten. Kannst du kurz den Unterschied zwischen den beiden Bereichen erklären?
Das Thema Marke und Corporate Identity als wichtiger Differenzierungsfaktor ist in der Betriebswirtschaftslehre angekommen – es wird als Unternehmenswert, als Asset anerkannt. Aber oft beschränkt sich das auf das Formulieren und Kontrollieren von Corporate-Design-Vorgaben. Aspekte wie Produktentwicklung und User Experience – was klassischerweise unter »Design« fällt – werden dabei oft außer Acht gelassen, obwohl es essenziell ist, dass auch das Design auf das Markenversprechen einzahlt. Wenn man all diese Aspekte zusammen betrachtet (so, wie die Kund:innen es ja auch tun) und ein ganzheitliches Designcontrolling aufsetzt, das man so ernst nimmt wie Spezifikationen in anderen Bereichen, dann hat man ein ordentliches Designmanagement, und das Ergebnis ist ein kohärentes Unternehmensbild.
Wie sollte eine solche Funktion in Unternehmen integriert werden?
Als Erstes muss man Gestaltung als Funktion etablieren. Es braucht eine Person – wie einen Chief Design oder Brand Officer –, die verantwortlich ist für die Designfähigkeit eines Unternehmens, für die formalästhetische Ausprägung genauso wie dafür, die nötigen Ressourcen, Prozesse, Richtlinien und Instrumente zur Verfügung zu stellen – und die eine entsprechende Entscheidungshoheit besitzt. Mein Rat an Unternehmen: Bevor ihr eine Designerin oder einen Designer einstellt, stellt lieber zwei Designmanager:innen ein! Denn ohne deren Design Leadership stehen Designer:innen oft auf verlorenem Posten in Unternehmen.
Aber woher nehmen?
Ja, das ist die große Frage. Bislang wird Designmanagement sowohl in Design- als auch in BWL-Studiengängen total vernachlässigt. Ich für meinen Teil versuche, das Thema an der Wirtschaftsfakultät an der Hochschule Luzern einzubringen, und vermittle den Studierenden unter anderem Basics wie Customer Centricity und den Double-Diamond-Prozess. Ich finde, Designmanagement müsste in BWL-Standardwerke über Markenführung aufgenommen werden. Dann würde die Designfähigkeit von Manager:innen auch als Asset und kontrollierbare Organisationseigenschaft wahrgenommen.
Was haben denn Unternehmen konkret von mehr Designfähigkeit?
Sie sorgt für Kohärenz und Stimmigkeit des gesamten Unternehmensauftritts und erzeugt dadurch einen Wert für Konsument:innen, was wiederum zum ökonomischen Erfolg beiträgt. So zahlt Designfähigkeit eindeutig auf Umsatz und Gewinn ein. Damit kann sie etwas leisten, was Management allein nicht schafft. Mit Management kann man Kosten und Prozesse optimieren und ein Unternehmen auf Effizienz trimmen. Aber wahren Mehrwert und Effektivität erreicht man nur durch optimierte Gestaltungsarbeit. Das spüren Konsument:innen und sind daher auch bereit, mehr Geld auszugeben oder die Organisation zu stützen. Dies ist durch viele Studien belegt: Es wundert mich, dass das immer noch so wenige Unternehmen verstanden haben.
Wie ist die Resonanz auf deine Studie seitens der Unternehmen bisher?
Zu gering! Meiner Erfahrung nach liegt das auch an der Wesensart von Manager:innen. Die meisten von ihnen wollen Probleme eliminieren und nicht wirklich lösen. Designer:innen hingegen wollen Dinge besser machen und Probleme grundlegend lösen. Daher ist es so wichtig, die Aspekte der Gestaltung auf Managementebene herunterzubrechen und sie als messbare Qualität zu definieren.
Was sind deine nächsten Schritte?
Zunächst möchte ich das Designfähigkeitsmodell als Online-Evaluierungstool zur Verfügung stellen. Daran arbeite ich derzeit gemeinsam mit bayern design. Dann würde ich es gerne über weitere Forschungsprojekte zu einem umfänglichen Auditingverfahren weiterentwickeln. Das könnte man kombinieren mit Lehrgängen zur richtigen Anwendung. Denkbar ist auch eine Zertifizierung und Integration in Qualitätsmanagementsysteme wie das der European Foundation for Quality Management (EFQM) oder der International Organization for Standardization (ISO). Für Designagenturen und auch Einzelpersonen könnte es ein interessantes Geschäftsmodell sein, solche Audits anzubieten.
Dieser Artikel ist zuerst in PAGE 1.2024 erschienen. Die ganze Ausgabe könnt ihr hier runterladen: