Nach welchen Prinzipien in Unternehmen und im öffentlichen Sektor Aufträge erteilt werden, ist für viele Kreative ein Mysterium. Keine Vergabe ist wie jede andere – aber ein paar Abläufe sind doch ziemlich ähnlich. Wir geben Einblick und erklären, wie Agenturen und Freelancer ihre Chancen erhöhen
Wer trifft hier eigentlich die Entscheidungen? Wieso muss ich als Agentur so weit in Vorleistung gehen? Warum dauert das so lange? Muss das alles wirklich so kompliziert sein? Die Art und Weise, wie vor allem große Unternehmen und öffentliche Einrichtungen Aufträge vergeben, kann für Kreative ganz schön aufreibend sein. Das liegt auch daran, dass das Prozedere für viele eine Blackbox ist. Aber je besser man über die Mechanismen hinter den Kulissen Bescheid weiß, desto mehr Verständnis kann man seinen Ansprechpartnern entgegenbringen – und konstruktive Verbesserungsvorschläge machen. Das sorgt nicht nur für weniger Stress im Vergabeprozess, sondern auch für eine angenehmere Zusammenarbeit im Projekt. Damit sich Kreative und Auftraggeber besser verstehen, öffnen wir die Blackboxes Unternehmen und Behörden!
Inhaltsverzeichnis
Beispiele aus Unternehmen
Beispiele aus dem öffentlichen Sektor
Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel ist erstmals in PAGE 10.2019 erschienen
So läuft die Auftragsvergabe in Unternehmen
In kleinen, mittleren und großen Konzernen sind unterschiedliche Stakeholder an der Auftragsvergabe beteiligt. Ein Überblick
Viele Gestalter träumen davon, für ganz große Marken zu arbeiten – ob Audi, Nivea oder Deutsche Bahn. Diese Aufträge gehen allerdings meist an große Agenturen, gerade bei Werbung. Im Bereich Brand Design kommen auch mal kleinere Agenturen als Lead ins Spiel, den Roll-out und das Tagesgeschäft übernehmen dann wieder größere Dienstleister. Freelancer haben eher keine Chance, da der bürokratische Aufwand für eine Einzelbeauftragung zu hoch ist. Handelt es sich aber um eine langfristige Zusammenarbeit – etwa in einem UX-Team –, sieht es schon wieder anders aus.
Generell bündeln Einkaufsabteilungen lieber mehr Auftragsvolumen bei einigen großen Anbietern, als sich mit vielen kleinen Spezialagenturen herumzuschlagen. In der Regel schließen sie mit ausgewählten Partnern Rahmen- oder Kontingentverträge ab, sodass verschiedene Abteilungen und Marken auf sie zugreifen können. Diese Agenturen stammen meist aus einer Liste, auch Roster genannt, auf der manche schon Jahrzehnte vertreten sind – nicht zuletzt weil dies die Auftragsvergabe und -abwicklung enorm vereinfacht.
Voraussetzung dafür ist eine kontinuierlich gute Arbeit, die Jahr für Jahr nach bestimmten Kriterien evaluiert wird. Ausgeschrieben werden Designprojekte meist nur, wenn eine Aufgabe komplett neu ist und es bestimmte kreative Kompetenzen dafür braucht. In Fällen wie diesen bieten sich kleineren Spezialagenturen gute Chancen, als »Challenger« für Bestandsagenturen oder für Sonderprojekte herangezogen werden. Während es in der Werbung, im Packaging Design oder bei der Gestaltung von Icons regelmäßig neue Jobs gibt, sind große Corporate-Design-Projekte eher selten, da sie auf langfristigen Einsatz ausgelegt sind.
Selbstständige Designer kommen mit solchen Aufträgen oft nur dann in Berührung, wenn Agenturen sie beauftragen. So wie der Typedesigner Hannes von Döhren (HvD Fonts), der für die Custom Fonts von VW und Lufthansa verantwortlich ist – das eine Mal in Kooperation mit MetaDesign, das andere Mal mit Martin et Karczinski. Seine Erfahrung: »Die Mühlen in großen Unternehmen mahlen oft ausgesprochen langsam. Manchmal dauert es Monate, bis eine Vergabe durch ist. Das liegt auch daran, dass der Einkauf meist mehrere Projekte auf dem Tisch hat, die er abwickeln muss.« Womit wir bei einem der größten Mysterien wären – der Einkaufsabteilung, auch Procurement genannt.
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Procurement: Immer der Bad Cop
Die Einkaufsabteilungen von Konzernen kümmern sich um alle Aufträge – Kreativjobs sind hier nur ein Posten unter vielen – und unterliegen strengen Compliance-Auflagen. Diese internen Regeln sollen Vetternwirtschaft und Bestechung vorbeugen, indem sie Neutralität in Prozesse und Entscheidungen bringen, die Kosten, Rechte und Arbeitsweisen betreffen. Das ist richtig und wichtig – verkompliziert und verlangsamt aber auch vieles. Zu den gängigsten Vorgaben gehört, dass Aufträge nach einer gewissen Zeit neu ausgeschrieben werden müssen – egal, wie zufrieden die Marketing-, Digital- oder Innovationsabteilung mit der Agentur ist. Auch der Ablauf – bei großen Aufträgen fast immer ein Pitch mit mehreren Teilnehmern – ist oft vorgeschrieben.
Im ungünstigsten Fall entscheiden Mitarbeiter aus der Einkaufsabteilung über Anbieter, deren Leistungen sie gar nicht beurteilen können, sodass sie sich vorrangig am Preis orientieren. »Manche Procurement-Abteilungen kaufen Agenturleistungen ein wie Schrauben. Dort wird um jeden Cent gefeilscht«, sagt Christian Vorfahr, Managing Director bei Scholz & Friends Group und verantwortlich für das Neugeschäft der gesamten Agenturgruppe. Selbst wenn Verständnis für Kreation und Arbeitsabläufe vorhanden ist, besteht die Aufgabe von Einkaufsabteilungen nun mal darin, im Unternehmenssinne die besten Dienstleistungen so günstig wie möglich einzukaufen.