Selbst schönstes Design kann böse sein, wie Michael Erlhoff in posthum erschienenen Essays eindrücklich darlegt.
Warum sind eigentlich Film-, Musik- oder Kunstkritik in den Medien fest etabliert, nicht aber Designkritik? Michael Erlhoff, einer der bekanntesten deutschen Designtheoretiker und im Mai 2021 verstorben, sah da dringenden Handlungsbedarf.
Posthum kam nun der Aufsatzband »Zur dunklen Seite der Gestaltung« heraus, der eine Menge ganz schön radikale Fragen und Thesen aufwirft. Etwa danach, wie gut die »gute Form« wirklich ist, wenn man den Begriff auf die perfekte ästhetische Umsetzung von Funktionalität beschränkt wie Marc Newson (unter anderem bekannt als Designer der Apple Watch) bei der Luxus-Shotgun des italienischen Waffenherstellers Beretta.
Ganz zu schweigen von Leuten wie Fred Leuchter, der jahrelang für viele Bundesstaaten der USA elektrische Stühle entwarf. Es erstaunt nicht wirklich, dass Leuchter (siehe Bild unten) später zum Holocaust-Leugner wurde. Als Gutachter hatte er 1988 in den Lagern von Ausschwitz-Birkenau Proben genommen und behauptete im sogenannten Leuchter-Report, keine Spuren des Vernichtungsgases Zyklon B gefunden zu haben. Ein Massenmord könne da nicht stattgefunden haben.
Auch die autoritäre Vereinheitlichung nicht nur von Image, sondern auch des Denkens, das Corporate Design mit sich bringt, machte Erlhoff zum Thema – nicht zufällig seien es die faschistischen Regime in Deutschland und Italien gewesen, die das Branding erstmals konsequent anwendeten. Wichtige designkritische Gedankenanstöße à la Michael Erlhoff, die in Zukunft fehlen werden.
Michael Erlhoff: Im Schatten von Design. Zur dunklen Seite der Gestaltung. Birkhäuser Verlag, Basel 2021 128 Seiten 29,95 Euro 978-3-0356-2381-9 Direkt beim Verlag kaufen
Und hier noch ein Interview mit Michael Erlhoff über die digitale Transformation und ihre Auswirkungen – für alle, die ihn kannten oder noch nicht kennen