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Mensch-Gott-Schnittstellen – wie katholische Rituale die Menschen erreichen

Die Human-God-Interfaces von einer Gruppe Studierender aus Wuppertal inspirieren auf wundersame Art zur Diskussion über Glauben

Vergeben wir uns unsere Sünden? Thanh Ta Duy und Maximilian Klaiß entwickelten mit »Candle of Sins« ein gemeinschaftliches Ritual: In einer kleinen Vase sammelt man zu Hause für jede Sünde kleine Stücke Wachs in verschiedenen Farben. Kurz vor Ostern trifft man sich in der Kirche und schüttet alle Wachsstückchen in eine große Gussform für die Osterkerze. Beim Anzünden der Kerze sieht man dann die durch Christus Tod vergebenen Sünden leuchten.

Bergische Universität Wuppertal. Elf Industrial-Design-Studierende er­arbei­te­ten mit Dr.-Ing. Fabian Hemmert, Professor für Interface- und User-Experi­ence-­Design, ein Semester lang verschiedene Mensch-Gott-Schnittstellen. Ja, Sie haben richtig gelesen: Mensch-Gott-Schnitt­stel­len. Wie es zu diesem ungewöhnlichen, vom Katholischen Bildungswerk Bonn ge­förderten Projekt kam, erklärt der Diakon und Bildungswerk-Leiter Dr. Dr. Andreas Bell:

»Wenn einer es schafft, so hartes Silizium, Halbleiter und Computerober­flächen in Verbindung zu bringen mit dem weichen Menschen, wenn er diese Grenze überschreiten kann, dann müsste er es auch schaffen, Mensch und Gott miteinander in Verbindung zu bringen.«

Konkret lautete die Aufgabe, katholische Rituale in ei­nem Objekt haptisch erlebbar zu machen, um darüber mit Menschen in ein Gespräch über Religion und ihren Glauben zu kommen.

(Die Bilder zu den Interfaces sind mit Videos zum jeweiligen Projekt verlinkt. Einfach anklicken, wenn Sie mehr sehen möchten.)

Werden meine Gebete erhört? Visuelles Feedback auf einen verbrennenden Gebetszettel gibt die von Katharina Kurm und Miriam Glöß entwickelte Gebetsschale »Flame of ­Prayers«. Durch die Chemika­lie Strontium verändert sich die Farbe der Flamme zu Rot, durch Kupfersulfat zu Blau-Grün und durch Lithium zu Violetttönen. Die Inter­pretation der Farben lässt das Objekt aber offen, um zu Reflexion und Austausch anzuregen.

Eine Lücke für Gott

Zunächst verfolgte der Kurs einen typischen Designprozess von der Recherche und Konzeptentwicklung bis hin zu Prototyping und Umsetzung. Dazu fanden wöchentliche Konsultationen und ein Dombesuch in Köln mit Andreas Bell statt, was sich als äußerst hilfreich erwies, denn die meisten Studierenden sind nicht re­ligiös und kaum mit den ­katholischen Ritualen vertraut.

Für die Konzepte galten drei grundsätzliche Bedingungen: »Sie sollten nichts renovieren, nichts revolutionieren und ein unvorhersehbares Ele­ment enthalten«, wie Fabian Hemmert sagt – quasi eine Lücke für Gott. Katha­rina Kurm und Miriam Glöß sei dies mit dem Konzept ihrer Brennschale »Flame of Prayers« gelungen: Gott antwortet in Form von ver­schiede­nen Far­ben, man muss dennoch selbst überlegen, was er meint.

Auch The­men wie Sündenvergebung, Verbundenheit oder Fasten griffen die Studierenden auf. Noch sind nicht alle Human-God-­Interfaces aus der Prototypen-Phase heraus, sie geben aber auch so bereits inno­va­tive Impulse für die Diskussion rund um spi­ri­tu­elle Fragen. Eine Dokumentation des Pro­jekts findet sich unter www.humangod­interfaces.com/de – hier ein Making-Of (mit Bonusmaterial):

Rituale redesigned

Spürst du, dass ich an dich denke? Das Beten für einen anderen Menschen, indem man eine Kerze für ihn anzündet, hat Katlin Sommer mit »Light of Connectedness« weiter­gedacht: Der funktionsfähige Prototyp besteht aus zwei per Funksignal verbundenen Petroleumleuchten. Schaltet man die eine ein, leuchtet auch das Pendant, sodass die andere Person sehen kann, dass man an sie denkt.
Erlöst die Zeit uns von unseren Sünden? Die Beichte macht Sünden nicht ungeschehen, aber man reflektiert sie dabei. Mit der »Wall of Confessions« tragen Ina van der Linde und Kathrin Neumann das Sakrament in den öffentlichen Raum. Man schreibt seine Sünde mit Kreide auf eine der Schieferntafeln. Der Regen wäscht sie dann nach und nach ab und symbolisiert das Nachlassen der Folgen einer schlechten Tat.
Human-God Interfaces Balance of Equality
Wie gleich sind wir? Die Wippe »Balance of Equality« von Paulina Wagner gleicht das Gewicht der Menschen aus, die auf ihr sitzen. Technisch funktioniert der Wippmechanismus durch ein integriertes, bewegliches Gewicht. Sie symbolisiert, dass der Wert einer Person nicht durch bestimmt physische oder soziale Parameter definiert wird und jeder Mensch eine absolute, von Gott gegebene Würde besitzt.
Human-God Interfaces Box of Wishes
Wer wünscht mir was? Die »Box of Wishes« von Gürkan Orak und Michael Zalesak verteilt Wünsche unter Gläubigen, um Altruismus zu fördern. In den oberen Schlitz der Box wirft man einen Zettel mit Wunsch und Handynummer ein und bekommt unten den Wunschzettel eines anderen Menschen heraus. Die Handynummer wird zwischenzeitlich abgetrennt und der Verfasser per SMS darüber informiert, dass nun ein Empfänger auf Erden seinen Wunsch erhalten hat.
Human-God Interfaces Chest of Mindfulness
Wann beendet ihr mein Fasten? Die fast unscheinbaren »Chest of Mindfulness« von Rebecca Lake sind untereinander vernetzte Truhen, die zum kollektiven Fasten anregen; ein sehr ausgeprägtes soziales Ritual in vielen Kulturen. Man legt etwas, dem man temporär entsagen möchte in die Box und schließt sie. In diesem Moment löst ein Zufallsmechanismus bei einer der anderen vernetzten Truhe ein Signal aus, das die Erlaubnis zum Fastenbrechen gibt.

Interview bei Domradio

Interview vom 24.09.2020 mit dem Theologen und Diakon vom Katholischen Bildungswerk Bonn, Dr. Dr. Andreas Bell und Fabian Hemmert von der Bergischen Universität Wuppertal mit Domradio, ein katholischer Sender in Trägerschaft des Bildungswerkes e.V. der Erzdiözese Köln.

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