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Kreativer Trendberuf: Was macht eigentlich ein Transmedia Storyteller?

Sie denken sich packende Geschichten aus, verteilen sie über diverse Medien und bescheren dem Nutzer unterschiedlichste Erlebnisse. Dass Realität und Fiktion da schon mal durcheinandergeraten, ist durchaus gewollt.

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© Axel Kammann

Während des Informatikstudiums entdeckte Patrick Möller sei­ne Lei­denschaft für Alternate Re­ali­ty Games. 2005 startete er das Online-Magazin »ARG-Reporter«, dann en­ga­gierte ihn ein Jahr später die Ber­liner Agentur vm-people, weil sie für Kunden transmediale Umsetzungen realisieren wollte.

Bis 2011 blieb Patrick Möller bei vm-people und baute das Thema ARG fürs Marketing auf. Im selben Jahr wurde auf einer Konferenz in den USA der Begriff des Transmedia Storytelling geprägt, der sich rasant ver­breitete. Ende 2011 machte er sich zusammen mit Dorothea Martin in Berlin selbstständig und gründete die Firma Imaginary Friends für Beratung, Konzeption und Umsetzung von transmedialem Storytelling.

Jobbezeichnung Transmedia Storyteller
Ausbildung Es gibt (noch) keine festgelegte Ausbildung. Einige Hochschulen und Organisationen bieten Kurse und Vorträge an – wenn auch nicht immer unter genau dieser Bezeichnung, zum Beispiel die internationale filmschule köln oder das Bayerische Filmzentrum
Verdienst Tagessätze von rund 200 Euro (Einsteiger) bis 1000 Euro bei langjähriger Erfahrung

Was ist der Unterschied zwischen trans- und crossmedialem Storytelling?
Patrick Möller: Beim crossmedialen Storytelling wird eine Geschichte erzählt und für die verschiede­nen Medien passend aufbereitet. Die Geschichte an sich bleibt aber immer dieselbe. Anders beim transmedialen Storytelling. Dort wird sie auf die verschie­denen Medien verteilt und im Zusammenspiel der Elemente entwickelt sich dann die ganze Story. Dabei sollen sich Informationen möglichst nicht wiederholen, sondern der Konsument durch Hinzunah­me weiterer Medien einen Mehrwert bekommen. Trotzdem muss das Ganze so angelegt sein, dass ich auch zufrieden bin, wenn ich nur ein Medium verfolge, und nicht das Gefühl bekomme, dass etwas fehlt. Wer die Story in ihrer Gesamtheit über sämtliche Medien hinweg verfolgt, erhält dann eben ein wesentlich größeres Bild aus dem Storyuniversum. Ganz wichtig beim Transmedia Storytelling ist, dass man für jedes Element der Geschichte genau das Medium findet, das dieses Element am besten darstellen kann.

Ist diese Art des Geschichtenerzählens neu?
Nein. Angefangen hat es aus meiner Sicht schon zu Zeiten, als man noch von Alternate Reality Games sprach. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist wohl »The Beast«, das Microsoft im Jahr 2001 entwickelte, um Steven Spielbergs Film »A.I. – Artificial Intelligence« zu promoten. Und selbst davor gab es bereits Experimente auf diesem Gebiet, nur eben noch nicht unter dem Begriff. Es war viel mehr ein Sand­kasten zum Ausprobieren. Damals war ich Stu­dent und fand die Idee, Geschichten sowohl übers Internet als auch an realen Orten zu erzählen, total faszinierend.

Diese Faszination nutzen heute Unternehmen, um ihre Produkte zu promoten.
Genau, denn beim Transmedia Storytelling steht das Erlebnis im Vordergrund. Man kann immer wieder Überraschungen herbeiführen, die dafür sorgen, dass über das Produkt, etwa ein neues Buch oder einen Film gesprochen wird. Im Auftrag des Carlsen Verlags haben wir mit Imaginery Friends für das Buch »Obsidian« eine Foto-Love-Story zum Mitmachen entwickelt. Diese bestand aus mehreren Einzelbildern, von denen jeweils eines pro Tag veröffentlicht wurde. Dazu gab es dann immer eine Frage, etwa wie es weitergehen könnte, sowie drei Antwortmöglich­keiten. Hier griffen wir bewusst auf das bestehende Storyuniversum zurück und führten durch die Foto-Love-Story die Personen bereits vorab ein.
Für tripventure arbeiteten wir den Agententhriller »Tod an der Mauer« aus. Als Spieler wird man in die Rolle eines jungen Man­nes versetzt, der in den Besitz des Tagesbuchs seiner verstorbenen Tante gerät. Sie spio­nierte im Osten und hatte Dokumente gesammelt und versteckt, durch deren Hilfe die Mauer zu Fall gebracht werden konnte. Das Ganze funktioniert mithilfe einer Loca­tion-based Storytelling-App. Sie führt einen an Schau­plätze in Berlin, an denen man mittels Augmented Reality auf fiktive Personen der Storywelt trifft. An den Spielorten wird die Kamera des Handys dazu genutzt, die Umgebung nach den fiktiven Figuren zu scannen, die an gegebener Position in das Live-Kamerabild eingefügt werden, wenn man sich um 360 Grad dreht und das Smartphone dabei aufrecht vor sich hält. Manche Figuren sind einem wohlgesonnen, andere weniger. Und alle wollen die Dokumente haben. Da kann man als spielende Einzelperson oder auch als Gruppe schon mal ein bisschen ins Schwitzen geraten.

Viele Medien heißt ja auch viele Leute. Als Transmedia Storyteller sollte man also teamfähig sein, oder?
Ja, unbedingt. Man arbeitet bei fast keinem seiner Schrit­te allein. Mit UFA Lab haben wir für das Buch »Abgeschnitten« von Sebastian Fitzek und Michael Tsokos die Aktion »Ewig mein« realisiert, an der (Dreh-)Buchautoren, Grafiker und Illustratoren gemeinsam gearbeitet haben. Entstan­den sind acht Motion-Comic-Episoden, die in die Welt von »Abgeschnitten« einführen. Man braucht also ein großes Netzwerk, um früh die richtigen Leu­te ins Boot zu holen. Übrigens auch Programmierer, weil die einschätzen können, wie aufwendig eine Idee in der Umsetzung sein wird.

Muss man selbst programmieren können?
Das ist keine Voraussetzung. Aber man sollte schon technikaffin sein und offen, neue Dinge auszuprobieren. Nicht selten kann Technik als Inspiration funktionieren. So das Geocaching, das Eingang ins Transmedia Storytelling gefunden hat.

Wie viel Prozent Technik und Kreation beinhaltet Ihr Job?
Ich würde sagen, es sind zu jeweils 33 Prozent Konzeption, Kreation und Technik. Das hält sich wirklich gut die Waage. Bei der Umsetzung, wenn man vielleicht kurzfristig auf etwas reagieren muss, über­wiegt die Kreation. Und da sind wir bei einer weite­ren, ganz wichtigen Voraussetzung für einen guten Transmedia Storyteller: viel Fantasie.

Was zeichnet denn eine besonders gelungene Umsetzung aus?
Dass sie bei allen Beteiligten einen Wow-Effekt erzielt. Es gibt viele Geschichten, die ganz nett sind, mit schönen Spielereien, aber diesen Wow-Effekt gibt es selten. Ein Beispiel ist die ZDF-Produktion »Dina Foxx 2«, die vor Kurzem bei den International Digital Emmy Awards ausgezeichnet wurde. Online gab es 360-Grad-Szenen, in denen man sich fortbewegen und dabei in alle Richtungen drehen konnte, um Hinweise zu finden, die einem andere Erlebnis­se bescherten als das, was im Fernsehen gezeigt wur­de (siehe PAGE 12.14, Seite 52 ff .). Ein weiteres Beispiel ist die Kampagne zum Start von »Game of Thrones«. Ein Bestandteil von vielen war dabei, dass man sogar Essen probieren konnte, das in der fiktiven Welt der Serie auf den Tisch kam.

Wie wird man Transmedia Storyteller? Gibt es diesen Begriff in der Ausbildungslandschaft?
Es gibt schon einige Hochschulen, die Kurse zum Thema an­bieten. Beispielsweise die internationale film­schu­le köln. Der Begriff an sich ist aber nicht geschützt, im Prinzip kann sich jeder so nennen. Es ist auch nichts, was wahnsinnig schwer zu erlernen wäre, aber es ist bestimmt einfacher, in den Job hineinzukommen, wenn man sich Leute sucht, die ihn schon länger machen.

Und wo findet man die?
Zum einen kann man natürlich im Internet Kontakt suchen. Transmedia Storyteller sind in der Regel sehr zugänglich. In einigen Großstädten gibt es auch mehr oder weniger regelmäßige Treffen, mit Vor­trä­gen und Diskussionen. An so etwas teilzunehmen schadet nicht. Wir haben mit TMSB in Berlin ein sol­ches Treffen ins Leben gerufen.

Darf man eine Vorliebe für ein bestimmtes Medium haben?
Vorlieben dürfen schon sein, das kann ein Projekt auch auszeichnen. Denn meist sind Vorlieben ja auch das, was man besonders gut kann. Man muss sich dann halt Leute dazuholen, die gezielt die anderen Medien bespielen.

Ist der Transmedia Storyteller in Deutschland eher ein Nischenberuf?
Die guten kann man schon noch zählen, wobei es immer mehr werden. Der Begriff Transmedia Story­telling ist inzwischen schon ein Buzzword, sodass man versucht, es zu vermeiden und alles unter dem Dach des Storytelling zu vereinen. Was irreführend sein kann, denn es sind tatsächlich verschiedene Disziplinen.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Job am meisten?
Dass ich jeden Tag etwas Neues erlebe und auch ler­ne. Langeweile ist nicht zu befürchten.

 

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