Karl Wolfgang Epple reist durch Asien, um Menschen und Märkte besser kennenzulernen. Diesmal: Was ein weltmeisterlicher Bäcker auf Taiwan mit großer (kleinlicher) Politik und Krisenkommunikation zu tun hat.
Taiwan ist der zweite Stopp auf der Asien-Reise von Karl Wolfgang Epple, zuletzt Executive Creative Director bei thjnk. In Kaohsiung isst er nicht nur die weltbesten Backwaren, sondern erfährt viel über chinesische Politik – und Krisenkommunikation. Seinen ersten Stopp machte er in Südkorea.
China Sein oder Nichtsein?
Ich wette, wenn ich Ihnen zwei Fragen stelle, ist keine Ihrer beiden Antworten Taiwan: 1. Woher kommt das beste Brot der Welt? 2. Wo liegt eigentlich China?
Ich gebe zu, bevor ich das Flugzeug nach Kaohsiung betreten habe, wusste ich nicht mal, wo das liegt, geschweige denn, wie man das ausspricht (weiß ich immer noch nicht wirklich). Also, Kaohsiung ist in Taiwan – oder besser: auf Taiwan. Denn Taiwan ist eine Insel im westlichen Pazifik, etwa so groß wie Baden-Württemberg; und auf dieser Insel befindet sich ein Staat, der bei der Einreise die Buchstaben ROC in meinen Pass stempelt – für Republic of China.
Wenn Sie jemand sind, dem es schon schwer fällt, Thailand und Taiwan zu unterscheiden, dann sind Sie hier genau richtig. Denn ich werde versuchen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Taiwan ist nämlich einer der vier sogenannten Tigerstaaten (Taiwan, Südkorea, Singapur, Hongkong) – also ein Staat, der dank einem hohen Wirtschaftswachstum vom Entwicklungsland zum Industriestaat aufgestiegen ist. Gar nicht mal so unbedeutend also.
Aber erst zur Frage 1: Das beste Brot der Welt backt Wu Pao Chun. Sein mit Hirsewein, Rosenblättern und getrockneten Litschis verfeinertes Brot machte ihn 2010 offiziell zum Brotback-Weltmeister – beim Coupe du Monde de la Boulangerie, dem Bäcker-Cannes quasi. Klar, dass sein Weltmeisterbrot Leckermäulchen aller Herren Länder in seine Bäckereien lockt – mich eingeschlossen. Wissen Sie noch, wie es aussieht, wenn jemand in einem Disney-Cartoon an einer Duftwolke schnuppert und anfängt in Richtung Gebackenes zu schweben? Das bin ich in Kaohsiung.
Während ich also in Wu Pao Chuns Bäckerei in der Sihwei Road versuche, mich zwischen Matcha-Melonen-Pain, Edamame-Thunfisch-Brot und Mandel-Custard-Croissant zu entscheiden, fällt mir auf, dass sich hier auffallend viele Ausländer tummeln. Von Taiwanern keine Spur. Und das hat auch seinen Grund, erzählt eine Mitarbeiterin.
Und so schnell sind wir bei Frage 2: Wo liegt eigentlich China? Denn genau darüber gibt es zwischen Taiwan (Republik China) und China (Volksrepublik China) einen ordentlichen Streit. Beide Staaten beanspruchen die Alleinvertretung der Nation für sich. Heißt: Beide Chinas finden, dass sie das einzig wahre China sind.
Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichtsbücher: Die Republik China wurde ursprünglich 1912 auf dem Festland gegründet. Die Insel Taiwan, vorher unter japanischer Herrschaft, gehörte nämlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu China. 1949 kam es zum Bürgerkrieg in China, den die kommunistische Partei gewann, was zur Gründung der Volksrepublik China führte. Die Anhänger der unterlegenen Republik China mussten fliehen – auf die Insel Taiwan. Seitdem streiten sich die beiden Chinas darum, wer China offiziell in der Welt vertreten darf. Es gibt also die Volksrepublik China (PRC) und die Republik China auf Taiwan (ROC).
Seit dem kalten Krieg vertritt die PRC eine Ein-China-Politik, die besagt, dass es eben nur ein China gibt und nicht mehrere. Das findet die ROC auch. Darum können andere Staaten auch nur mit einem der beiden Chinas diplomatische Beziehungen unterhalten. Deutschland zum Beispiel spricht nicht mit der ROC, die USA auch nicht, und zur UN gehört die ROC seit 1971 ebenfalls nicht mehr. Lediglich 16 Staaten pflegen heute noch Beziehungen mit der ROC, darunter Belize, Tuvalu und Nauru.
Am Beispiel Nauru (mit gerade mal 10.000 Einwohnern das viertkleinste Land der Welt) lässt sich illustrieren, wie vertrackt, aber auch wie simpel politische Strukturen funktionieren. Was hier auf völkerrechtlicher Ebene geschieht, kommt Ihnen bestimmt bekannt vor – aus den Streitereien in der Führungsetage Ihrer Firma oder den Ränkeschmieden in Ihrem Agenturnetzwerk. Das Frank-Underwood-Life ist eben manchmal sehr real und sehr anfassbar. Wie in Nauru:
Nauru hatte die ROC eigentlich schon immer anerkannt, änderte aber 2002 seine Meinung und stellte sich auf die Seite der PRC. Der Grund dafür war keine weltpolitische Erleuchtung, sondern etwas sehr profanes: eine Boeing 737. Die hatte Nauru nämlich vor kurzem gekauft und die PRC erklärte sich großzügig bereit, die 2,7 Millionen Dollar Schulden dafür abzubezahlen. Damit Sie einen Maßstab haben: Air Nauru hat heute fünf Flugzeuge, die PRC hat allein 3.500 Millionäre.
2005 gab es in Nauru einen neuen Präsidenten, der von der PRC wieder zur ROC wechselte, angeblich weil er eh immer dagegen gewesen war. Tatsächlich hatte die PRC die Boeing 737 einfach nie abbezahlt. Heute leistet die ROC in Nauru in allen möglichen Bereichen Entwicklungshilfe (Sie erinnern sich: Tigerstaat!), während Nauru die ROC bei Beitrittsgesuchen in internationale Organisationen wie die WHO und die UNO unterstützt.
Wie’s im Großen funktioniert, funktioniert’s übrigens auch im Kleinen. Darum sind so wenig Taiwaner in Wu Pao Chuns Bäckerei. Die Mitarbeiterin plaudert‘s aus: Der noch 2010 von allen gefeierte Bäcker der Nation ist in Ungnade gefallen. Er hat mit den falschen Leuten Geschäfte gemacht. Sie ahnen es: mit der PRC. Während er 2016 noch öffentlich versicherte, niemals in die PRC zu expandieren – schließlich gebe es ja noch 5,7 Milliarden andere Kunden auf der Welt –, eröffnete Wu Pao Chun 2018 eine Bäckerei in Shanghai.
Im Mikrokosmos können Sie jetzt beobachten, wie problematisch sowas sein kann: Denn Ärger gab’s deswegen erstmal nicht aus der ROC, sondern aus der PRC. In einem Social-Media-Shitstorm erklärte man Wus Aussagen von 2016 für herabwürdigend.
Aber damit nicht genug. Denn Wu hielt es wohl für nötig, die Negativ-PR zu kommentieren: Er sei in Taiwan, China geboren und fühle sich als Chinese, außerdem unterstütze er die Ein-China-Politik und na ja. Der darauf folgende Gegenwind aus der ROC war unvermeidlich und so hatte Wu gleich beide seiner Kundenstämme vor den Kopf gestoßen: sowohl in der ROC als auch in der PRC.
Vielleicht hätte er besser Mirko Kaminski oder so gefragt, wie man mit so einer Situation umgeht, aber Wu redete sich lieber auf eigene Faust um Kopf und Kragen. Am Ende ließ Wu öffentlich verlauten, er sei nur ein einfacher Bäcker und kein Politiker. Was soll ich dazu sagen? Als Bäcker ist Wu Pao Chun wirklich Weltklasse.
Lernen kann man aus der Geschichte vom Bäcker und der Boeing alles mögliche. Wie eine gute Krisen-PR Ihre Marke schützen kann. Aber auch, wie einfach manchmal scheinbar große Politik funktioniert.
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Der Autor
Karl Wolfgang Epple war zuletzt ECD und Partner bei thjnk. Aktuell bereist er sieben asiatische Länder, um ihre Menschen und Märkte näher kennenzulernen. Seine Erkenntnisse teilt er in dieser Kolumne. Hier geht’s zum ersten Teil: Südkorea.